Arzneimittel und Therapie

STIKO soll HPV-Impfungneu bewerten

Die Diskussion um den HPV-Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs reißt nicht ab. Jetzt haben 13 namhafte Wissenschaftler ein Manifest verfasst (s. Kasten). Ihre Forderung: die Ständige Impfkommission (STIKO) soll die HPV-Impfung neu bewerten. Zudem müsse den irreführenden Informationen ein Ende bereitet werden. Im Gespräch mit der DAZ äußerte Dr. Yvonne Deleré von der Geschäftsstelle der STIKO am Robert Koch-Institut zwar Verständnis für einige Kritikpunkte. Doch die Empfehlung der STIKO stehe zurzeit nicht zur Disposition.
Angst und Schuldgefühle Die massive Informationskampagne zu HPV-Impfstoffen sorgt für Kritik. Oft ist nicht zu erkennen, dass es sich um firmengesponserte Informationen handelt.

Seit Herbst 2006 können sich Mädchen und Frauen gegen Gebärmutterhalskrebs impfen lassen. Inzwischen stehen dazu mit Gardasil® und Cervarix® zwei Impfstoffe zur Verfügung. Im März 2007 – und damit wenige Monate nach der Zulassung des ersten HPV-Impfstoffs Gardasil® – hatte die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut die Impfung für alle Mädchen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren empfohlen. Die Kritik an dieser Empfehlung blieb nicht aus. Immer wieder wurde und wird der STIKO Industrienähe unterstellt. Entscheidende Studien zur Wirksamkeit des Impfstoffs seien zum Zeitpunkt der STIKO-Empfehlung noch nicht publiziert gewesen. Wichtige Studien zu Gardasil® (Future I und II) seien erst im Mai 2007 im New England Journal of Medicine veröffentlicht worden, die wichtigste Studie zu Cervarix erst im Juni 2007. Diese Kritik hat Deleré in dem Gespräch mit der DAZ zurückgewiesen. Richtig sei zwar, dass die Ergebnisse teilweise nach der Empfehlung publiziert worden seien. Die Daten seien jedoch der STIKO bekannt und auch Teil der Zulassungsverfahren gewesen. Die spätere Publikation ließe sich mit der langen Zeitspanne zwischen Manuskripteinreichung und Publikation in wissenschaftlichen Zeitschriften erklären.

Die Frage der Wirksamkeit

Gebärmutterhalskrebs ist eng assoziiert mit einer humanen Papillomaviren-Infektion (HPV-Infektion). Von den etwa 100 bekannten HPV-Typen können nach Angaben der Verfasser des Manifests mindestens 13 Gebärmutterhalskrebs auslösen. Mit den Impfstoffen Gardasil® und Cervarix® werden jedoch nur zwei von diesen onkogenen Typen erfasst: HPV 16 und HPV 18. Sie sollen zusammen für 70% aller Erkrankungen an Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sein. Gesichert ist diese Zahl nicht.

Durch die Impfung mit Gardasil® lassen sich bei nichtinfizierten Mädchen und Frauen Krebsvorstufen, verursacht durch diese Viren, zu 98% verhindern. Daraus wird geschlossen, dass die Erkrankungsrate an Gebärmutterhalskrebs durch die Impfung um 70% reduziert werden kann. Studien, die das belegen, liegen jedoch nicht vor. Werden alle in die Gardasil® -Studien eingeschlossenen Frauen berücksichtigt, dann ergeben sich folgende Daten zur Wirksamkeit: In der Future-I-Studie wurden durch die Impfung die Rate von höhergradigen Zelldysplasien nur um 7,8% vermindert, in der Future-II-Studie um 17%. Die Wirksamkeit in dieser Größenordnung ist auch nach Ansicht von Deleré nicht überzeugend. Es sei aber zu beachten, dass hierbei auch Daten von Frauen eingeflossen sind, die entweder nur eine Impfung erhalten hatten oder bei denen schon bei Einschluss in die Studien Dysplasien vorlagen oder die HPV-positiv waren. Daher empfehle die STIKO die Impfung ja auch nur für junge Mädchen und Frauen nach Möglichkeit vor dem ersten Geschlechtsverkehr und damit dann, wenn mit einer 98%igen Schutzwirkung gegen HPV 16 und 18 zu rechnen sei. An dieser Empfehlung wird die STIKO nach Auskunft von Deleré auch weiterhin festhalten.

In dem Manifest wird auf fehlende Daten zur Dauer der Schutzwirkung hingewiesen. Diese Daten fehlen in der Tat, doch nach Auskunft von Deleré laufen entsprechende Studien.

Studie zum Replacement geplant

Ein zentraler Kritikpunkt – der allerdings in dem Manifest nicht angesprochen wird – sind die fehlenden Daten zu einem möglichen Replacement. Denn theoretisch kann die Lücke, die durch die erfolgreiche Bekämpfung von HPV 16 und 18 entsteht, durch andere onkogene Viren geschlossen werden. Um diese Frage zu beantworten, plant das Robert Koch-Institut die Erfassung der HPV-Prävalenz bei nicht geimpften Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. In fünf Jahren könne man dann diese Daten mit denen der geimpften Frauen vergleichen. Dann könne man eine Aussage darüber treffen, ob und in welchem Ausmaß andere HPV-Typen die durch die Impfung entstandene Lücke schließen. Die Studie, die Anfang nächsten Jahres beginnen soll, soll vollständig mit öffentlichen Mitteln und damit Industrie-unabhängig durchgeführt werden.

"Marketing um jeden Preis"

Die Marketingstrategien insbesondere der Firma Sanofi Pasteur MSD stehen schon länger im Kreuzfeuer der Kritik. "Marketing um jeden Preis" lautete eine Schlagzeile der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 26. November 2008. Hier steht der etwas ungewöhnliche Auftritt eines Herren der Firma Sanofi Pasteur MSD bei einem nicht öffentlichen Gastvortrag von Dr. Ansgar Gerhardus von der Universität Bielefeld bei Studierenden des Public-health-Studiengangs in Fulda im Mittelpunkt. Gerhardus ist einer der Unterzeichner des HPV-Manifests und hat wohl schon zum zweiten Mal Besuch von Firmenvertretern erhalten, wenn er einen Vortrag zum Thema HPV-Impfung gehalten hat. Beim ersten Mal seien seine Ausführungen in Witten/Herdecke von einer Vertreterin von Sanofi Pasteur MSD in der Diskussion in ein schlechtes Licht gerückt worden. Es folgte wohl ein Briefwechsel, bei dem sie ihre Aussagen zurücknehmen musste.

Gerhardus und seine Mitunterzeichner prangern die Desinformationen an, mit denen alle wichtigen Gruppierungen, wie medizinische Fachgesellschaften, Politiker, Eltern, Lehrer und vor allem die betroffenen jungen Mädchen von der HPV-Impfung überzeugt werden sollen. Die in den Studien ermittelten Ergebnisse stünden in deutlichem Widerspruch zu vielen optimistischen Verlautbarungen. Behauptungen, die Impfung reduziere Gebärmutterhalskrebs um 70 oder gar 98%, müssten unterbleiben und durch studiengestützte Informationen ersetzt werden. Die Unterzeichner des Manifests wehren sich entschieden dagegen, dass mit falschen Informationen Angst und Schuldgefühle erzeugt werden.


Quelle

Dören M, Gerhardus A, Gerlach FM, Hornberg C, Kochen M, Kolip P, Ludwig W-D, Mühlhauser I, Razum O, Rosenbrock R, Schach, C, Schmacke N, Windeler J: Wissenschaftler/innen fordern Neubewertung der HPV-Impfung und ein Ende der irreführenden Informationen. 25. November 2008.

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"HPV-Impfung neu bewerten und irreführende Informationen beenden!"

Das Statement der Wissenschaftler


Seit Herbst 2006 können sich Mädchen und Frauen in Deutschland gegen Humane Papillom-Viren (HPV) impfen lassen. Seit dieser Zeit wird über mögliche Nebenwirkungen, die Kosten der Impfung sowie die teilweise irreführende Kampagne für die Impfung intensiv diskutiert. Ob aber die Impfung überhaupt das leistet, was sie verspricht, wurde kaum hinterfragt. Gerade die entscheidende Frage der Wirksamkeit, im Sinne einer Senkung der Neuerkrankungen an Gebärmutterhalskrebs, ist bisher nicht ausreichend geklärt und Gegenstand unzutreffender Informationen.

Die Empfehlung der STIKO erfolgte vor Publikation der entscheidenden Studien. Im März 2007 empfahl die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut eine Impfung gegen HPV für alle Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren. Begründet wurde dies mit der Verminderung der Krankheitslast durch Gebärmutterhalskrebs. Allerdings waren zum Zeitpunkt der Empfehlung die Ergebnisse der entscheidenden Studien noch nicht publiziert. Erst im Mai 2007 erschienen die wichtigsten Studien zum Impfstoff Gardasil® , Future I und Future II, in der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine (NEJM). Die zentrale Aussage eines im NEJM (2008) veröffentlichten Kommentars lautete: "Die schlechte Nachricht ist, dass wir die Wirksamkeit der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs nicht kennen." Eine differenzierte Darstellung in deutscher Sprache findet sich u. a. im Arzneitelegramm. Die wichtigste Studie zu dem zweiten Impfstoff, Cervarix® , erschien im Juni 2007. In den USA ist Cervarix® bis heute nicht zugelassen worden.

Was sagen Studien und begleitende Dokumente zur Wirksamkeit der HPV-Impfung?

Gebärmutterhalskrebs ist eng mit vorangegangenen HPV-Infektionen verbunden. Von den etwa 100 bekannten HPV-Typen können mindestens 13 Gebärmutterhalskrebs auslösen. Dabei werden die Typen 16 und 18, gegen die sich die beiden Impfstoffe richten, für 70% der Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich gemacht.

In den Studien wurde die Wirksamkeit der Impfung allerdings nicht gegen Gebärmutterhalskrebs, sondern gegen das Auftreten von höhergradigen Zellveränderungen (als mögliche Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs) an 15 bis 26-jährigen Frauen untersucht.

Tatsächlich gelang es mit der Impfung, bei den Frauen, die noch nicht mit den HPV-Typen 16 oder 18 infiziert waren, diejenigen Krebsvorstufen, die nur mit diesen beiden Virentypen assoziiert waren, um 98% zu vermindern. Dies hat viele zu der optimistischen Annahme verleitet, dass durch die Impfung diejenigen 70% der Krebsfälle, die mit den Typen 16 und 18 assoziiert werden, fast vollständig zu verhindern sind, also eine Verminderung der Krebsfälle um fast 70% resultiert. Diese Annahme ist aber bislang nicht durch Studienergebnisse belegt.

In den Auswertungen, die alle eingeschlossenen Frauen berücksichtigten, fand sich eine Verminderung an allen höhergradigen Zellveränderungen um 7,8% in der Future-I-Studie (Zahl von der EMEA 2008) und um 17% in der Studie Future II. Auswertungen dieser Art wurden von der STIKO nicht berücksichtigt. Für den zweiten Impfstoff Cervarix® beruhten die Empfehlungen der STIKO sogar nur auf Daten zur Verhinderung von andauernden Infektionen. Zur Wirksamkeit in Bezug auf Krebsvorstufen oder gar Krebs lagen für Cervarix® keine Daten vor.

Die als "bescheiden" eingestufte Wirksamkeit von Gardasil® wurde u. a. dadurch erklärt, dass einige der untersuchten Frauen bereits mit den Virentypen 16 oder 18 infiziert waren. Es gilt als belegt, dass die Impfung dann nicht mehr wirkt. Es wurde daher empfohlen, dass Frauen vor einer Infektion mit HPV, d. h. möglichst vor dem ersten Geschlechtsverkehr, geimpft werden. Die STIKO legte das Alter in ihrer Empfehlung auf 12 bis 17 Jahre fest. Nur für die Gruppe der 15- bis 17-Jährigen gibt es Daten zur Wirksamkeit gegen die Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs, nicht jedoch für die 12- bis 14-Jährigen. Ersatzweise wurden daher in den Future-Studien Analysen vorgenommen, die nur die Mädchen und Frauen berücksichtigten, die zu Studienbeginn in Laboruntersuchungen keine Infektion mit den Typen 16 oder 18 aufwiesen. Diese Auswahl sollte einer Population von Mädchen im Alter von ca. 12 Jahren nahe kommen. Wie sich Gardasil® aber in dieser Population auf die Gesamtzahl höhergradiger Zellveränderungen auswirkt, lässt sich nicht nachvollziehen. Lediglich bei der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA findet sich 2006 dazu die Angabe einer Wirksamkeit von 16,9% (nach zweijähriger Beobachtung). In der Publikation der Future-II-Studie wurde ohne nähere Angaben eine Wirksamkeit von 27% ausgewiesen.

Die EMEA gibt für jeweils wechselnde Populationen 2006 eine Wirksamkeit von 37,9% und 2008 von 46,1% an. Für die letztgenannte Auswertung wurde aber die Hälfte der Frauen rückwirkend ausgeschlossen.

Die Bitte um aussagekräftige Zahlen beantwortete das für Deutschland zuständige Unternehmen Sanofi-Pasteur MSD so: "Zahlen und Tabellen, die nicht in den Publikationen veröffentlicht sind, stehen nur den Kollegen zur Verfügung, die unmittelbar an der Auswertung der Ergebnisse beteiligt waren, d. h. der Zentrale in den USA. Diese Zahlen haben wir nicht und die werden wir auch sicher nicht bekommen."

Die Empfehlung der STIKO zur HPV-Impfung muss umgehend überprüft werden!

Die Empfehlung der STIKO aus dem März 2007 beruft sich nicht auf explizite Zahlen zur Wirksamkeit. Stattdessen erwähnt die STIKO, offenbar aufgrund eigener Hochrechnungen, eine "lebenslange Impfeffektivität" von 92,5%. Die Herkunft dieser Zahl wird nicht erklärt, ganz abgesehen davon, dass man zur "lebenslangen" Immunität keinerlei Daten hatte und hat. Hinweise auf eine Wirksamkeit dieser Größenordnung liefert keine der Studien. Die Empfehlung der STIKO muss dringend überprüft werden. Dazu sollte die STIKO die neuen Studienergebnisse berücksichtigen und fehlende Daten vom Hersteller anfordern und in die Bewertung einbeziehen. Der Bewertung sollte explizit zu entnehmen sein, welche Wirksamkeit die STIKO von der Impfung erwartet und auf welchen Annahmen und auf welchen Daten diese Erwartungen beruhen.

Mädchen und Frauen müssen angemessen informiert werden

Die in Studien ermittelten Ergebnisse stehen in deutlichem Widerspruch zu vielen sehr optimistischen Verlautbarungen. Mädchen und Frauen haben aber ein Recht auf angemessene gesundheitliche Informationen. Wir wenden uns entschieden dagegen, dass zur Gefährdung durch Gebärmutterhalskrebs mit falschen Informationen Angst und Schuldgefühle erzeugt werden. Wir fordern, dass die Unsicherheiten in der Datenlage thematisiert werden. Behauptungen, die Impfung reduziere Gebärmutterhalskrebs um 70% oder gar 98%, müssen unterbleiben und durch studiengestützte Informationen ersetzt werden, die allen Beteiligten eine dem Kenntnisstand entsprechende Bewertung und Entscheidung ermöglichen.

Prof. Martina Dören, Charité, Berlin; Dr. Ansgar Gerhardus, Universität Bielefeld; Prof. Ferdinand M. Gerlach, Universität Frankfurt; Prof. Claudia Hornberg, Universität Bielefeld; Prof. Michael M. Kochen, Universität Göttingen; Prof. Petra Kolip, Universität Bremen; Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Charité, Berlin; Prof. Ingrid Mühlhauser, Universität Hamburg; Prof. Oliver Razum, Universität Bielefeld; Prof. Rolf Rosenbrock, WZB, Berlin; Corinna Schach, Universität Bremen; Prof. Norbert Schmacke, Universität Bremen; Prof. Jürgen Windeler, MDS, Essen.

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