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Arzneistoffporträt
Neue AWMF-Leitlinien zur Rhinosinusitis
Untersuchungen der vergangenen Jahre zeigen, dass die Rhinosinusitis als Krankheitsbild nicht nur für die betroffenen Patienten eine erhebliche Belastung mit Komplikationspotenzial darstellt, sondern auch volkswirtschaftlich von eminenter Bedeutung ist. Wenn auch für Deutschland nur wenige Zahlen existieren, kann man davon ausgehen, dass jährlich mit direkten und indirekten Kosten in Höhe von bis zu 22 Milliarden Euro gerechnet werden muss. Vor diesem Hintergrund ist eine rechtzeitig einsetzende und vor allem effektive Therapie umso wichtiger.
Akute und chronische Rhinosinusitis
Während unter der akuten Rhinosinusitis ein entzündlicher Prozess verstanden wird, der durch eine behinderte Ventilation und Drainage der Nasennebenhöhlen ausgelöst wird, muss für die chronische Rhinosinusitis eine immunologisch bedingte Schleimhautentzündung, die über verschiedene aktivierte Mediatorzellen abläuft, angenommen werden. Die Folge ist ein Umbau der Schleimhaut mit Verdickung, Sekretstau oder Polypen. Im Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen stehen daher seit langem insbesondere Sekretolytika, da sich diese neben ihrer Effektivität vor allem durch eine gute Verträglichkeit auszeichnen. Einen aktuellen Behandlungsstandard zur Rhinosinusitis definiert jetzt die S2-Richtlinie der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (AMWF-Reg.-Nr. 017/ 049).
DefinitionNach der Leitlinie der AWMF wird unter einer akuten Sinusitis ein Prozess verstanden, bei dem es infolge einer nasalen Infektion zu einem gestörten Abfluss und einer gestörten Ventilation der Nasennebenhöhlen kommt. |
Bei der Rhinosinusitis handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen. Im therapeutischen Management ist deshalb darauf zu achten, dass ein Pharmakon im Idealfall neben sekretolytischen und mukolytischen auch sekretomotorische Eigenschaften aufweist. Wünschenswert sind darüber hinaus antiinflammatorische, antioxidative oder auch antimikrobielle Eigenschaften.
Die Diagnostik der Rhinosinusitis
Die Diagnose der akuten Rhinosinusitis kann oft schon klinisch gestellt werden. Die Leitsymptome sind: Gesichtsschmerz, z.B. über den Nervenaustrittspunkten oder beim Bücken, Druckschmerz im Gesichtsbereich, eine behinderte Nasenatmung und eine deutliche Beeinträchtigung des Geruchsinns (Hyp- oder Anosmie) und Geschmacks.
Zusätzlich können Ohrenschmerzen als Symptom einer begleitenden Mittelohrentzündung oder Husten als Hinweis auf einen beginnenden Etagenwechsel mit Laryngitis, Tracheitis oder Bronchitis dazukommen.
Mit der Nasenendoskopie können die Befunde einer Rhinosinusitis, wie pathologische Sekret- und Eiterstraßen, Schleimhautödeme der lateralen Nasenwand oder Polypen, aufgespürt werden.
Die bildgebende Diagnostik erfolgt sonographisch (bei akuten Exazerbationen) oder durch die Computertomographie (bei chronischer Rhinosinusitis). Vor allem zur morphologische Feindiagnostik verschiedener anatomischer Varianten der lateralen Nasenwand mit pathogenetischer Bedeutung für rezidivierende Rhinosinusitiden (z. B. Septumdeviationen, Conchae bullosae, enge Infundibula ethmoidalia, große Bullae ethmoidales) ist eine CT-Untersuchung vor endoskopischen Eingriffen an den Nasennebenhöhlen unverzichtbar.
Die Pathophysiologie der Rhinosinusitis
Voraussetzung für eine normale Schleimhautfunktion der oberen Luftwege und der Nasennebenhöhlen ist der Mukoziliarapparat der Schleimhaut: Becherzellen und seromuköse Drüsen produzieren ein Sekret, welches an die Oberfläche der Schleimhaut gelangt und hier einen zweischichtigen Film bildet. In einem normalerweise alkalischen Milieu besteht dieser Film aus einer dünnflüssigen Sol- und einer zähflüssigen Gelschicht. Zilien (Flimmerhärchen) schlagen in der Solschicht und transportieren den Gelteppich ständig aus den Nasennebenhöhlen über die Schleimhaut der Nase in Richtung Schlund.
Bei allen entzündlichen Prozessen der Schleimhaut ist dieser lebenswichtige Mechanismus gestört. Es kommt zu Veränderungen der sekretorischen Zellen, zum Verlust von Zilien und zu rheologischen Sekretveränderungen. Es ändern sich der für den mukoziliären Sekrettransport essenzielle Pegelstand die Viskosität und die Adhäsivität des Sekretes. Der Transport wird verlangsamt oder kommt völlig zum Erliegen – die Schleimhaut ist dem Angriff irritativer Reize und Noxen, z. B. trockener Luft sowie Viren oder Bakterien, schutzlos ausgeliefert.
Vor allem bei der akuten Rhinosinusitis sind Ventilation und Drainage der Nebenhöhlen behindert. Im Interesse einer schnellen Symptomlinderung kommt es deshalb für den Patienten auf eine rasche Sekretolyse und gesteigerte Drainage des Sekrets an.
Demgegenüber ist die chronische Rhinosinusitis durch eine allmähliche Obstruktion des osteomatalen Komplexes durch Schleimhautödem, -induration, -hyperplasie und Polyposis gekennzeichnet. Im Sekret von Patienten mit chronischer Rhinosinusitis finden sich vermehrt neutrophile Granulozyten, aber auch Eosinophile, Mastzellen und Basophile sowie mononukleäre Zellen. Grundlegende Untersuchungen der letzten Jahre haben weiterhin gezeigt, dass bei den entzündlichen Veränderungen der Nasenschleimhaut Leukotriene eine wichtige Rolle spielen.
Die Tatsache, dass die Rhinosinusitis und deren Ausprägung sehr komplex sein können, bedeutet zugleich, dass in der Therapie dieser so häufigen Erkrankung Wirkstoffe benötigt werden, die auf möglichst viele Faktoren eine positive Wirkung entfalten können.
Antibiotische Therapie bei Rhinosinusitis
Die pathogenetische Bedeutung von Bakterien bei der Rhinosinusitis wird heute geringer eingeschätzt als vor Jahren. Die Indikation zur antibiotischen Therapie wird daher strenger gestellt. Der Einsatz eines Antibiotikums kann z. B. bei eindeutigem Befund einer purulenten Infektion, bei hohem Fieber, drohenden Komplikationen oder bei Patienten mit chronisch entzündlichen Lungenerkrankungen empfohlen werden (laut Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde).
Zum Stellenwert von Sekretolytika bei Rhinosinusitis
In Deutschland werden unterschiedliche Wirkstoffe zur Therapie der Rhinosinusitis eingesetzt. Allerdings sind nur für einige der verwendeten Substanzen die Daten aus kontrollierten klinischen Studien valide genug, um ihren Einsatz im klinischen Alltag empfehlen zu können. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren der aktuellen AWMF-Leitlinie.
Die beiden Wirkstoffe N-Acetylcystein und Ambroxol werden hierzulande bei der Rhinosinusitis zwar häufig eingesetzt. Für den Nutzen dieser Therapieansätze liegt jedoch keine ausreichende Evidenz vor. Darüber hinaus scheint N-Acetylcystein in vitro in höheren Dosierungen einen negativen Effekt auf die Zilienmotilität zu haben [12]. Eine sekretolytische Wirkung ist für diesen Wirkstoff nicht nachgewiesen. In-vivo-Studien konnten den in vitro gezeigten mukolytischen Effekt nicht bestätigen [12]. Dies könnte in der sehr geringen Bioverfügbarkeit von unter 10% begründet liegen [6]. N-Acetylcystein beeinflusst vor allem das Glutathionsystem. Im Zielgewebe kommt ausschließlich der Metabolit Cystein an, der nicht mehr die Fähigkeit besitzt, die Disulfidbrücken des Schleims aufzubrechen [3]. Experten definieren N-Acetylcystein daher heute nicht mehr als Sekretolytikum, sondern als Antioxidans [4].
Für die Behandlung der Rhinosinusitis sind weder N-Acetylcystein noch Ambroxol zugelassen Es sind zudem bislang keine relevanten klinischen Studien nach internationalem Standard publiziert, die Hinweise auf eine suffiziente therapeutische Wirkung bei Sinusitis geben. Die AWMF-Leitlinie "Rhinosinusitis" empfiehlt eine Anwendung dieser beiden Wirkstoffe daher nicht.
Die Mischung aus fünf pflanzlichen Extrakten (Sinupret®) kann ergänzend zu einer Basistherapie mit Antibiotika und abschwellenden Nasentropfen allenfalls additive therapeutische Effekte bei der Behandlung der purulenten Sinusitis erzielen [9, 8, 5]. Aufgrund von tierexperimentellen Untersuchungen wird angenommen, dass das Präparat entzündungshemmende und sekretolytische Eigenschaften hat. Diese sollen zu einer erhöhten Ansprechrate in der symptomatischen Phase der akuten, purulenten Rhinosinusitis führen. In-vitro-Studien lassen einen antiviralen Effekt vermuten [10].
Auch Cineol (Soledum®) wird in Deutschland häufig zur Therapie der akuten Sinusitis eingesetzt. Die Empfehlung stützt sich hierbei nur auf eine kleinere klinische Studie an 152 Patienten, die auf eine signifikante Verbesserung der Leitsymptome der Rhinosinusitis hinweist [7].
InternetArbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) |
Therapie mit Myrtol standardisiert
Laut AWMF-Leitlinie ist für Myrtol standardisiert (GeloMyrtol® forte) eine Steigerung der mukoziliären Clearance belegt. Dies zeigt exemplarisch eine klinische Studie, bei der gesunde Probanden unter anderem mit Hilfe nuklearmedizinischer Methoden untersucht wurden. Ziel war es, die sekretomotorische Wirkung von Myrtol standardisiert und damit seinen Einfluss auf den Mukoziliarapparat zu demonstrieren. Dazu wurden mit einem Radiopharmakon Markierungen im unteren Bereich der Kieferhöhle gesetzt. Eine erste Sequenzszintigraphie erfolgte dabei vor Einnahme des Präparates, die zweite Funktionsstudie wurde vier Tage nach Einnahme vorgenommen. Es zeigte sich, dass die Gabe von Myrtol standardisiert zu einem beschleunigten Abtransport des Radiopharmakons durch die Ostien führt [1] Das bedeutet: Die Drainage und damit auch die Ventilation der Nebenhöhlen werden gefördert – und das lindert die Beschwerden des Sinusitis-Patienten.
Ergänzend zu diesen Untersuchungen an Probanden sind zahlreiche In-vitro-Experimente und Studien am Tiermodell publiziert, die belegen, dass Myrtol standardisiert nicht nur die ziliäre Schlagfrequenz steigern kann, sondern daneben auch sekretolytische und mukolytische Wirkungen hat. Weiterhin führt das Präparat zu einer dosisabhängigen Abnahme der Leukotrienkonzentrationen (LTC4/D4/E4) und weist antioxidative Eigenschaften auf. Schließlich hemmt es das Wachstum der beiden häufigsten Erreger präklinisch erworbener Sinusitiden: Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae [11].
Davon profitieren die Patienten während der Therapie. Dies geht unter anderem aus den Resultaten einer randomisierten Multicenter-Studie hervor, an der 331 Patienten mit Sinusitis beteiligt waren [3]. Die Patienten wurden dabei entweder mit Myrtol standardisiert (4 × 1 Kapsel täglich) oder einem Plazebo behandelt. Während der im Mittel sechstägigen Behandlung verbesserte sich der Symptomenscore (Kopfschmerzen, Schmerzen beim Bücken, Druckschmerz über den Nervenaustrittspunkten (NAP), Allgemeinbefinden, Fieber, Nasensekretion, Sekretmenge, Sekretviskosität und Nasenatmung) signifikant im Vergleich zur Plazebogruppe (p < 0,02). Bei detaillierter Betrachtung fällt die deutlich beschleunigte Verbesserung der Sinusitis-Kernsymptome (Kopfschmerzen, NAP-Schmerzen und Schmerzen beim Bücken) in der Verum-Gruppe auf (4,4 versus 3,8). Durch Myrtol standardisiert ließ sich eine raschere und vollständigere Ausheilung erreichen als mit Plazebo.
Die Prognose der Patienten verbesserte sich auch hinsichtlich bakterieller Superinfektionen: Die Notwendigkeit einer antibiotischen Begleittherapie und das Ausmaß der Arbeitsunfähigkeit waren in der Verumgruppe um den Faktor 2 geringer als in der Plazebogruppe (7% vs. 13% bzw. 11% vs. 21%).
Wirksamkeit und Verträglichkeit von Myrtol standardisiert sind in insgesamt 26 Studien an ca. 5800 Patienten dokumentiert.
Fazit
In der Therapie der Rhinosinusitis haben pflanzliche Wirkstoffe zu Recht einen hohen Stellenwert. In der aktuellen Leitlinie "Rhinosinusitis" würdigen die Experten das Prinzip der Sekretolyse innerhalb der pharmakologischen Therapie. Für Myrtol standardisiert ist die Datenlage aus einer Vielzahl klinischer Studien sehr überzeugend. Nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch die gute Verträglichkeit sprechen für den Einsatz dieser Substanz.
Literatur
[1] Behrbohm H, Kaschke O, Sydow K. Der Einfluss des pflanzlichen Sekretolytikums Gelomyrtol® forte auf die mukoziliäre Clearance der Kieferhöhle. Laryngo-Rhino-Otol 1995;74:733-737.
[2] Beuscher N, et al. Myrtol in the treatment of sinusitis and bronchitis – Pharmacodynamics and Pharmacokinetics. Z Phytother, Abstractband, Kongress der Gesellschaft für Phytotherapie 1997, S. 9-10.
[3] Federspil P, et al. No penetration of orally administered N-acetylcysteine into bronchoalveolar lavage fluid. Eur J Respir Dis 1987;70:73-77.
[4] GOLD 2006, Global initiative for chronic obstructive lung disease, Global strategy for the diagnosis, management, and prevention of chronic obstructive pulmonary disease 2006, 55.
[5] Guo R, Canter H, Ernst E. Herbal medicines for the treatment of rhinosinusitis: A systematic review. Otolaryng Head Neck Surg 2006;135:496-506.
[6] Holdiness MR. Clin Pharmakokinet 1991;20:123-134.
[7] Kehrl W, Sonnemann U, Dethlefsen U. Therapy for acute nonpurulent rhinosinusitis with cineole: results of a double-blind, randomized, placebo-controlled trial. Laryngoscope 2004;114:738-742.
[8] Melzer J, et al. Systematic review of clinical data with BNO-101 (Sinupret®) in the treatment of sinusitis. Forsch Komplementärmed 2006;13:78-87.
[9] Neubauer N, März RW. Placebo-controlled, randomized double-blind clinical trial with Sinupret® sugar-coated tablets on the basis of a therapy with antibiotics and decongestant nasal drops in acute sinusitis. Phytomedicine 1994;1:177-181.
[10] Schmolz M, et al. Enhanced resistance to sendai virus infection in DBA/2J mice with a botanical drug combination (Sinupret). Int Immunopharmacol 2001;1:1841-1848.
[11] Wittig T. Myrtol standardisiert, Eine klinische Dokumentation. Ergebnisse Verlag 2005.
[12] Ventresca GP, Cicchetti V, Ferrari V. Acetylcysteine, in: Drugs in Bronchial Mucology, Braga PC, Allegra L (Eds). Raven Press 1989.
Korrepondenzanschrift
Prof. Dr. med. Hans Behrbohm
Chefarzt der Abteilung für Hals-, Nasen-Ohrenheilkunde, Plastische Operationen
Park-Klinik Weissensee
Schönstraße 80, 13086 Berlin
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