Medizin

Was steckt hinter dem Karussell im Kopf?

Medikamentöse und nicht-medikamentöse Hilfe gegen den Schwindel
Von Karl Eberius

Wenn Kunden über Schwindel klagen, sollte immer bedacht werden, dass Schwindel lediglich ein Symptom darstellt und dauerhafte Erfolge in der Therapie nur möglich sind, wenn sich die Behandlung an der jeweiligen Ursache orientiert. Schwindel kann auf eine Vielzahl von Grunderkrankungen zurückgehen, aber in den meisten Fällen handelt es sich immer wieder um die gleichen Diagnosen. Die häufigste, gleichzeitig aber auch am besten behandelbare Schwindelform ist der periphere paroxysmale Lagerungsschwindel, der durch Steinchen meist im hinteren Bogengang des Gleichgewichtsorgans ausgelöst wird. Die häufigste somatoforme Schwindelform und die insgesamt zweithäufigste Ursache für Schwindel ist der phobische Schwankschwindel. Bei ihm sind die Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung gut, wenn ein paar wenige Grundregeln eingehalten werden.

Als Schwindel (Vertigo) wird eine als unangenehm empfundene Scheinbewegung des Körpers oder der Umgebung bezeichnet. Er äußert sich als Verlust der Körpersicherheit im Raum. Die häufigste Ursache von Schwindelbeschwerden ist nach wie vor der gutartige paroxysmale (= anfallsartige) Lagerungsschwindel, der vor allem ältere Menschen trifft. Typischer Hinweis auf diese Diagnose sind kurze, teilweise heftige Schwindelzustände, die attackenartig beim Drehen des Kopfes auftreten. Zum Beispiel beim nach oben Schauen am Bücherregal, beim Umdrehen im Bett oder während des Aufstehens aus dem Liegen. Schuld sind winzige Steinchen, die sich im flüssigkeitsgefüllten Bogengangsystem des Innenohrs bilden und dort zu massiven Störungen der Gleichgewichtswahrnehmung mit Drehschwindelattacken führen. Betroffene sollten unbedingt auf die guten Behandlungschancen dieser Schwindelform aufmerksam gemacht werden. Mittel der Wahl sind einfache Übungen, bei denen man aus dem Sitzen schwungvolle Bewegungen von Kopf- und Oberkörper in festgelegter Abfolge durchführt, wodurch die Steinchen aus den Bogengängen herausgespült werden (siehe Abb.).


Befreiungsmanöver beim peripheren paroxysmalen Lagerungsschwindel Mit einem Lagerungsmanöver, bei dem die Gewebeteilchen aus dem Bogengang entfernt werden, kommt es in fast allen Fällen innerhalb weniger Tage zur Beschwerdefreiheit. In sitzender Ausgangsposition wird der Kopf um 45 Grad zum nicht betroffenen ("gesunden") Ohr gedreht (Mitte). Der Patient wird nach links gelagert (rechts), das heißt zum betroffenen Ohr, wobei die Kopfposition beibehalten wird. So bleibt er ca. 1 min liegen. Dann wird der Patient in der gleichen Kopfhaltung im raschen Schwung zum nicht betroffenen Ohr gekippt, wobei nun die Nase nach unten zeigt (links) und 1 min liegend verharrt. Anschließend soll sich der Patient wieder aufrichten.

Betroffene sind auf diese Weise in aller Regel bereits innerhalb weniger Tage beschwerdefrei. Medikamente sind dagegen in den meisten Fällen überflüssig. Denn die Befreiungsmanöver, die sich bei dieser Schwindelursache mittlerweile fast überall durchgesetzt haben und von Betroffenen nach kurzer Anleitung auch selbständig zu Hause durchgeführt werden können, haben bei korrekter Durchführung eine Erfolgsquote von hundert Prozent, wie Schwindelspezialisten immer wieder betonen. Medikamente sind lediglich notwendig, wenn die Befreiungsmanöver wegen zu starker Übelkeit nicht korrekt durchgeführt werden können, womit je nach Kollektiv bei 5 bis 10% der Betroffenen zu rechnen ist. Zudem wird von Expertenseite immer wieder darauf hingewiesen, dass es auch gar keine Präparate gibt, mit denen sich die Steinchen in den Bogengängen auflösen oder anderweitig beseitigen lassen.

Sollte es während der Übungen zu Übelkeit kommen, können zum Beispiel 100 bis 300 mg Dimenhydrinat pro Tag sinnvoll sein. Betroffene haben dann oft weniger Scheu, die Manöver durchzuführen, was im Einzelfall für den Therapieerfolg entscheidend sein kann. Allerdings ist die Medikamenteneinnahme oft nur am ersten und vielleicht auch noch am zweiten Tag erforderlich, während am dritten Tag wegen der Trainingsfortschritte bereits darauf verzichtet werden kann.


Gleichgewichtsorgan im Innenohr Der Vestibularapparat befindet sich im Labyrinth und besteht aus einem System aus Gängen und Hohlräumen: aus dem Sacculus, dem Utriculus und den drei Bogengängen, die mit Endolymphe gefüllt sind. Die Sinnesfelder des Gleichgewichtsorgans liegen im Sacculus (Macula sacculi) und im Utriculus (M. utriculi). Sie sind ca. 3 mm2 groß und bestehen aus Stütz- und Sinneszellen. Feinste Zilien auf den Sinneszellen registrieren jede Änderung der Lage des Kopfes und informieren den Organismus jederzeit über die Kopfstellung im Raum sowie über Beschleunigungen. Steinchen in den flüssigkeitsgefüllten Bogengängen können heftige Schwindelattacken auslösen. Quelle: Thews, G.; Mutschler, E.; Vaupel, P.: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen. 6. Auflage, WVG, Stuttgart (2007).

Wenn Menschenansammlungen zu Schwindel führen

Nicht immer beruht Schwindel auf organischen Ursachen. Klassisches Beispiel ist der phobische Schwankschwindel, der in einer Schwindelambulanz insgesamt die zweithäufigste Schwindelform darstellt und bei jüngeren Menschen zwischen 30 und 50 Jahren sogar auf Platz 1 rangiert. Er kann sich beim Erwachsenen in jedem Alter manifestieren. Das große Problem beim phobischen Schwankschwindel ist, dass diese Erkrankung vielen Medizinern immer noch nicht ausreichend bekannt ist. Oft tingeln Betroffene von Arzt zu Arzt, ohne die Ursache der Beschwerden herauszufinden. Nicht selten vergehen mehrere Jahre, bis endlich die richtige Diagnose gestellt wird. Warum sich viele Mediziner mit dieser Diagnose so schwer tun, ist unklar. Denn letztendlich sind die Schwindelzustände des phobischen Schwankschwindels nichts weiter als eine Ausdrucksform von Angst, vergleichbar mit Herzrasen, Zittern, Schweißausbrüchen und anderen Angstsymptomen, die im Rahmen vieler Phobieerkrankungen anzutreffen sind. Zudem wird der phobische Schwankschwindel immer wieder von den gleichen Situationen ausgelöst. Häufige Trigger sind zum Beispiel größere Menschenansammlungen etwa in Kaufhäusern, Gaststätten oder beim Zugfahren. Ebenso kommen höhere Brücken oder auch Autofahrten in Frage, was im Einzelfall zu erfragen ist. Betroffenen darf man vielfach Hoffnung auf Besserung machen. Denn die Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung sind beim phobischen Schwankschwindel gut. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie geht derzeit davon aus, dass sich in über 70% der Fälle mindestens eine deutliche Besserung, wenn nicht sogar Beschwerdefreiheit erzielen lässt. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählt die Aufklärung. Betroffenen muss unbedingt gesagt werden, dass hinter dem phobischen Schwankschwindel keine schwerwiegende organische Erkrankung steckt, was oft eine enorme Entlastung darstellt. Denn bei vielen besteht die große Befürchtung, der Schwindel könne auf eine ernsthafte körperliche Problematik hinweisen. Wichtig ist auch die Empfehlung, Angst und Schwindel verursachende Situationen nicht zu meiden, sondern bewusst aufzusuchen, um die Angst vor den eigentlich harmlosen Auslösern abzubauen und nicht durch Vermeidungsverhalten noch zu verstärken. Darüber hinaus sollte Betroffenen regelmäßiger Sport empfohlen werden, um das Vertrauen in die Gleichgewichtswahrnehmung zurückzugewinnen, das gerade bei dieser angstbedingten Schwindelform oft vermindert ist. Lassen sich mit diesen drei Maßnahmen innerhalb mehrerer Monate keine ausreichenden Erfolge erreichen, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie verhaltenstherapeutische Ansätze, die mit Psychopharmaka kombiniert werden können. In Frage kommen bei der medikamentösen Behandlung zum Beispiel selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Welches SSRI gewählt wird, scheint egal zu sein. Wichtig ist dabei, keine hohen Dosierungen einzusetzen, da dies nur zu mehr Nebenwirkungen führt, aber keine besseren Therapieerfolge bringt. Niedrige Dosierungen sind ausreichend. Bei Paroxetin wären zum Beispiel 10 oder 20 mg pro Tag zu empfehlen. Nach Hinweisen der neurologischen Gesellschaft können auch antriebssteigernde tri- bzw. tetrazyklische Antidepressiva für drei bis sechs Monate eingesetzt werden. Teilweise wird auch auf Tranquilizer verwiesen, wobei man bei dieser Medikamentengruppe immer das Abhängigkeitspotenzial im Auge behalten sollte.


Einfache Übungen gegen Schwindel Bei chronischem Schwindel kann ein einfaches Bewegungstraining eine große Hilfe sein. Als Grundübung wird im Sitzen der Kopf jeweils in zehn Sekunden wie beim "Ja"- bzw. "Nein"-Sagen zehnmal hin- und herbewegt, sodass zügige Kopfbewegungen zustande kommen. Die Übungen erfolgen in drei Varianten: die Augen werden mitgeführt, die Augen fixieren eine Hand, die vor den Kopf gehalten und nicht mitbewegt wird und die Übung wird bei geschlossenen Augen durchgeführt. Kommt es bei der Übung zu starkem Schwindel, sollte sie langsamer durchgeführt werden. Treten fast keine Symptome mehr auf, kann das Training gesteigert werden (gleiche Übungen im Stehen und später beim Vorwärts- und Rückwärtsgehen).

Quelle: Lucy Yardley, Patientenbroschüre "Balance Retraining: Exercises Which Speed Recovery from Dizziness and Unsteadiness.", Ann Intern Med 2004; 141, Appendix 3A.

Schwindelproblematik ist oft vestibuläre Migräne

Immer mehr Beachtung findet in letzter Zeit die vestibuläre Migräne, die als Schwindelursache häufiger ist, als viele Experten lange dachten. In einer Schwindelambulanz lässt sich diese Diagnose heute bei rund jedem zehnten Schwindelpatienten stellen, wie Daten aus der Münchner Universitätsklinik zeigen. Als vestibuläre Migräne wird eine Sonderform der Migräne bezeichnet, die infolge von Durchblutungsstörungen im Hirnstamm entsteht. Zwar handelt es sich dabei um nichts anderes als Migräneattacken, die mit Schwindelbeschwerden einhergehen, trotzdem wird vestibuläre Migräne oft nicht erkannt. Denn rund ein Drittel der Schwindelzustände tritt ohne Kopfschmerzen auf, weshalb zuerst niemand an eine Migräne denkt. Mittlerweile wird deshalb empfohlen, bei unklarer Schwindelursache auch nach gleichzeitiger Licht- und Lärmempfindlichkeit zu fragen, da diese typische Migränebegleiterscheinung die Diagnose vestibuläre Migräne sehr wahrscheinlich macht, wie Schwindelspezialisten betonen. Ähnliches gilt für Fälle, bei denen bereits eine Migräne in der Vorgeschichte bekannt ist, was oft ebenfalls ein gutes Indiz für diese Diagnose darstellt.

Therapeutisch unterscheidet sich die vestibuläre Migräne, deren Attackendauer von Sekunden bis zu vielen Stunden stark variieren kann, nur wenig von anderen Migräneleiden. Zur Attackenprophylaxe sind in vielen Fällen zum Beispiel Betablocker wie Metoprolol oder Valproinsäure geeignet.

Schwankschwindel

Beim Schwankschwindel wird den Betroffenen langsam schwarz vor den Augen. Es tritt das Gefühl auf, "weggetreten" zu sein und zu schwanken. Oft wird dieser Schwindel durch schnelles Aufstehen vom Liegen oder Sitzen ausgelöst.

Begleitsymptome verraten zentralen Schwindel

Abgesehen von der vestibulären Migräne gibt es noch eine Reihe weiterer Schwindelformen, die ebenfalls auf Störungen des zentralen Nervensystems beruhen und entsprechend als zentraler Schwindel bezeichnet werden. Dazu zählt zum Beispiel Schwindel, der auf einen Schlaganfall zurückgeht oder von dessen Vorbote, der transitorischen ischämischen Attacke, verursacht wird. Weitere Beispiele sind Hirntumore oder Multiple-Sklerose-Erkrankungen, wenn Strukturen des Gleichgewichtssystems in Mitleidenschaft gezogen werden. Ob Schwindelbeschwerden zentral bedingt sind, lässt sich oft bereits mit etwas Beobachtungsgeschick erahnen, auch wenn man die Krankenvorgeschichte des jeweiligen Kunden nicht im Detail kennt. Denn meist verursacht die Grunderkrankung weitere Störungen, die beim genaueren Hinsehen oder Nachfragen auffallen. Bei Schlaganfällen zum Beispiel Lähmungen, ein gestörtes Bewegungsmuster, Sensibilitätsstörungen oder Probleme beim Sprechen bzw. bei multipler Sklerose auch Spastiken und Doppeltsehen.

Unter welchem Schwindel litt Julius Cäsar?

Sehr häufig steckt hinter Schwindelbeschwerden auch ein Morbus Menière, unter dem angeblich berühmte Persönlichkeiten wie der Feldherr Julius Cäsar oder der Reformator Martin Luther gelitten haben sollen. Zu erkennen ist dieser Schwindel oft an der klassischen Trias aus Schwindel, Hörminderung und Tinnitus. Charakteristisch ist zudem ein Druck- oder Völlegefühl im Ohrbereich, das den Attacken häufig vorausgeht. Viele Betroffene klagen außerdem über Übelkeit mit oder ohne Erbrechen. Ursache des Morbus Menière ist ein Endolymphhydrops im Innenohr, der eine Flüssigkeits- und Druckzunahme im Endolymphraum des Hör- und Gleichgewichtsorgans darstellt. Die plötzlich auftretenden Attacken mit einer Dauer von Minuten bis Stunden lassen sich dadurch erklären, dass bei zu hohem Druck im Endolymphraum die Trennmembran zum umgebenden Perilymphraum reißt und Elektrolyte übertreten, die den Gleichgewichts- und Hörnerv massiv reizen.

Wie entsteht im Gehirn Schwindel?

Um den Körper im Gleichgewicht zu halten, benötigt das Gehirn ständig Informationen über Lage und Bewegung der verschiedenen Körperteile. Diese Informationen kommen im Wesentlichen von drei Systemen:

1. vom Gleichgewichtsorgan im Innenohr, wo drei Bogengänge und die Makulaorgane dreh- und geradlinige Beschleunigungen registrieren,

2. von den Augen, mit denen Bewegungen optisch erfasst werden,

3. von der Tiefenwahrnehmung, bei der z. B. Rezeptoren der Gelenkkapseln die Gelenkstellung registrieren und ans Rückenmark weitermelden.

Zu Schwindel kann es immer dann kommen, wenn dem Gehirn von diesen drei Systemen widersprüchliche Informationen über die Bewegung des Körpers mitgeteilt werden bzw. unsinnige Signale das Gehirn erreichen. Melden zum Beispiel die Bogengänge des linken Innenohres fälschlicherweise Drehbewegungen des Kopfes, während die Bogengänge auf der rechten Seite und die Augen Stillstand mitteilen, kann es zu massiven Drehschwindelattacken kommen.

Herpesviren als Schwindelverursacher

Extrem quälend können auch die Schwindelbeschwerden der Neuritis vestibularis sein. Leitsymptom ist ein heftiger Dauerdrehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen, der über Tage bis hin zu einigen Wochen anhalten kann und Betroffene anfangs oft vollständig ans Bett fesselt. Als Ursache wird heute eine lokale Infektion mit Herpesviren angenommen, die man allerdings nicht mehr mit Virostatika behandelt, da sie wahrscheinlich zu spät kommen. Denn nach heutigem Wissen ist die Virus-Vermehrung bereits abgeschlossen, wenn die Schwindelsymptome beginnen und die Betroffenen mit der Medikamenteneinnahme beginnen. Statt dessen wird heute mit Cortison behandelt, das sich in Studien als deutlich überlegen erwiesen hat: Eine prospektive randomisiert durchgeführte Doppelblind-Studie zeigte, dass Methylprednisolon zu einer statistisch signifikanten Verbesserung der Symptome führt, während Virostatika keine Erfolge brachten. Mittlerweile wurde die Cortisongabe auch in die offiziellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie als die Therapie der Wahl bei der Neuritis vestibularis aufgenommen. Dabei ist es entscheidend, dass man eine Glucocorticoidtherapie so früh wie möglich beginnt und eine ausreichend hohe Dosierung wählt. Zur symptomatischen Behandlung sollten bei der Neuritis vestibularis Antivertiginosa zusätzlich nur in der Akutphase und nicht länger als drei Tage zum Einsatz kommen. Denn Antivertiginosa wirken sedierend und behindern die zentrale Kompensation, die aber für den Heilungsprozess bei der Neuritis vestibularis enorm wichtig ist. Betroffene sollten so schnell wie möglich wieder aus dem Bett heraus, um den Gleichgewichtssinn zu trainieren. Am ersten Tag schaffen das zwar nur die Wenigsten, aber bis zum dritten Tag sollte das bei 90% möglich sein.

Extrem kurze Schwindelattacken?

Immer mal wieder beruht Schwindel auch auf einer Vestibularisparoxysmie, deren Attacken typischerweise extrem kurz sind und meist nur Sekunden bis wenige Minuten dauern. Ein weiteres Erkennungszeichen ist, dass sich die Beschwerden oft durch Veränderungen der Kopfposition auslösen oder beeinflussen lassen. Zudem leiden Betroffene häufig unter einer gleichzeitigen Hörminderung mit Ohrgeräuschen. Die Ursache dieser äußerst kurzen Schwindelattacken ist nach heutigem Wissen eine Kompression des Hör- und Gleichgewichtsnervs kurz vor dem Eintritt in den Hirnstamm, wofür in den meisten Fällen wahrscheinlich eine Arterie des Kleinhirns verantwortlich ist. Zur Prophylaxe vor diesen oft sehr unangenehmen Schwindelattacken empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie Betroffenen die Einnahme von Carbamazepin, wie dies auch bei der Trigeminusneuralgie üblich ist, die ebenfalls auf einem zu engen Gefäßnervenkontakt beruht.

Drehschwindel

Beim Drehschwindel haben die Betroffenen plötzlich das Gefühl, dass sich alles um sie herum dreht und dass sie das Gleichgewicht nicht halten können. Dieser Anfall dauert meist nur einige Sekunden. Allerdings tritt meist dabei gleichzeitig ein Übelkeitsgefühl auf, das länger anhalten kann.

Eine Drehschwindelattacke kann durch eine Änderung der Kopflage beim Hinlegen oder Aufsetzen auftreten, kann aber auch durch schnelle Kopfdrehungen, nach oben Schauen oder Bücken ausgelöst werden. Sogar im Liegen kann es zu einem Drehschwindel kommen – wenn man sich auf die andere Seite dreht.

Arzneimittel sind selten Schwindelverursacher

Wenn Kunden über Schwindelbeschwerden klagen, lohnt sich manchmal auch ein kurzer Blick auf die derzeit eingenommenen Medikamente. Denn Schwindel kann auch als Nebenwirkung verschiedener Arzneimittel auftreten. Typische Vertreter sind zum Beispiel Antihypertonika, Antikonvulsiva wie Carbamazepin oder Dopaminagonisten im Rahmen einer Parkinson-Behandlung. Bei unklaren Schwindelsymptomen kann daher die Frage weiterhelfen, ob die Beschwerden mit der Einnahme eines neuen Medikamentes oder nach einer Dosisänderung begonnen haben. Meistens handelt es sich um einen Schwankschwindel oder um orthostatische Probleme – Blutdruckabfall z. B. beim Aufstehen. Selten kommt es hier zu Drehschwindelattacken.

Heftiger Streit um zervikogenen Schwindel

Eine umstrittene Diagnose bei Schwindel ist der zervikogene Schwindel. Befürworter dieser Diagnose gehen davon aus, dass Störungen sensibler Nerven im Bereich der Halswirbelsäule zu Schwindelbeschwerden führen können. Gegner bezweifeln allerdings, dass krankhafte Veränderungen der Halswirbelsäule für einen chronischen Schwindel in Frage kommen. Vielmehr handelt es sich beim zervikogenen Schwindel nach Einschätzung zahlreicher Schwindelspezialisten um eine Verlegenheitsdiagnose, die vor allem von Ärzten gestellt würde, die nicht mit allen wichtigen Schwindelursachen ausreichend vertraut sind. Dies trifft nach Hinweisen von Experten insbesondere für den phobischen Schwankschwindel zu, der vielen Medizinern nicht genügend bekannt ist und dessen Symptomatik dann fälschlich als zervikogener Schwindel abgetan wird, wie Schwindelspezialisten nach wie vor monieren.

 

Quelle

Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Neuritis vestibularis, Schwindel, benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel

www.schwindelambulanz-muenchen.de

 

 


Dr. med. Karl Eberius

Freier Medizinjournalist, Texter

Steingasse 9a

79639 Grenzach-Wyhlen

www.medizinjournalist.com


 

Nachgefragt: Welche Medikamente gegen welchen Schwindel?

Gerade bei Schwindelbeschwerden greifen viele Betroffene in Eigenregie wahllos zu irgendwelchen Mitteln. Doch nur in wenigen Fällen sind damit durchschlagende Erfolge zu erwarten. Wir sprachen mit Prof. Dr. med. Michael Strupp, Mitautor der Schwindelleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Leiter der Schwindelambulanz der LMU München, über die häufigsten Fehler bei der Schwindeltherapie und was bei den verschiedenen Schwindelformen zu beachten ist.


DAZ:

Herr Professor Strupp, was ist der häufigste Fehler bei der Therapie von Schwindelbeschwerden?

Strupp: Grundsätzlich sollte sich eine Schwindelbehandlung an der zugrunde liegenden Ursache orientieren. Oft werden jedoch wahllos irgendwelche Medikamente eingenommen, die oft nutzlos sind oder nur unnötige Nebenwirkungen aufweisen. Beliebt, aber bei Schwindel unwirksam sind zum Beispiel Präparate, die angeblich oder tatsächlich durchblutungsfördernd wirken. Dies gilt etwa für Ginkgo biloba, Pentoxifyllin, niedermolekulare Dextrane, Hydroxyethylstärke oder diverse homöopathische Präparate. Keinen Nutzen hat in der Schwindeltherapie auch die Stellatumblockade, bei der im Halsbereich Lokalanästhetika injiziert werden, um vegetative Nervenbahnen zu blockieren und dadurch die Durchblutung des Gleichgewichtsorgans zu verbessern. Zudem sollten Neuroleptika unter anderem wegen ihres Nebenwirkungsprofils bei Schwindelbeschwerden nicht mehr zum Einsatz kommen.


DAZ:

Extrem unangenehm können die plötzlich einsetzenden Schwindelattacken eines Morbus Menière sein. Welche Medikamente sind in der Akutphase zu empfehlen?

Strupp: Bislang ist kein Wirkstoff bekannt, der die Attacken in irgendeiner Weise verkürzt oder die Abheilung anderweitig fördert. HNO-Ärzte geben in der Akutphase teilweise Cortison, für das beim Morbus Menière allerdings eine Wirkung nicht belegt ist. Letztendlich bleibt in der Akutphase nur die symptomatische Behandlung mit Antivertiginosa. Zu empfehlen ist zum Beispiel Dimenhydrinat, das je nach Stärke der Beschwerden in einer Dosierung von 100 bis 300 mg pro Tag sinnvoll ist. Da die Attacken in aller Regel schnell abklingen, sollte die Medikamentengabe auf einen Tag beschränkt bleiben.


DAZ:

Wie lassen sich beim Morbus Menière zukünftige Attacken vermeiden?

Strupp: Die Therapie der Wahl zur Attackenprophylaxe ist die langfristige Gabe von Betahistin. Denn Betahistin reduziert im Innenohr den erhöhten Endolymphdruck, der für den Morbus Menière verantwortlich ist.


DAZ:

Als Zeitraum für die Betahistineinnahme werden teilweise vier bis zwölf Wochen empfohlen. Ist das noch aktuell?

Strupp: Nein. Die Erfahrung zeigt mittlerweile, dass die Therapieerfolge langfristig umso höher sind, je länger man Betahistin einnimmt. Viele, die Betahistin zu früh absetzen, bekommen wieder Attacken und dann geht es von vorne los. Die Devise lautet beim Betahistin daher "viel und lange". Als Standarddosis werden heute 3 x 48 mg Betahistin pro Tag empfohlen, am besten für mindestens zwölf Monate. Wenn die Betroffenen sechs Monate attackenfrei sind, kann man die Dosis von auf 3 x 24 mg Betahistin halbieren. Nach weiteren sechs Monaten ohne Attacken lässt sich die Dosis nochmals halbieren. Bei einem Teil der Betroffenen kommt man nach zwei Jahren ganz ohne Medikamente aus. Davon abgesehen wollen viele aus Angst vor neuen Attacken nicht, dass die Dosis reduziert wird.


DAZ:

Sind beim Morbus Menière auch Diuretika sinnvoll, deren Einfluss auf das Innenohr ja immer wieder als Nebenwirkung erwähnt wird?

Strupp: Wenn beim Morbus Menière nach sechs Monaten trotz Betahistin unverändert viele Attacken auftreten, können auch Diuretika sinnvoll sein, die möglicherweise durch Einfluss auf das Elektrolytgleichgewicht ebenfalls den Endolymphdruck im Innenohr reduzieren. Der erste Schritt wäre allerdings erst einmal die Dosis von Betahistin auf 4 bis 5 x 48 mg pro Tag weiter zu erhöhen. Treten dann weiterhin Attacken auf, können zusätzlich Diuretika versucht werden, z. B. ein Kombinationspräparat aus Hydrochlorothiazid und Triamteren. Allerdings muss betont werden, dass die Wirksamkeit von Diuretika beim Morbus Menière nicht ausreichend belegt ist.


DAZ:

Und bei weiterer Erfolglosigkeit an Gentamicin denken?

Strupp: Bei Gentamicin, das durch das Trommelfell hindurch gespritzt wird, muss immer eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Denn Gentamicin ist ein Antibiotikum, dessen ototoxische Nebenwirkung man beim Menière zwar ausnutzt, um Haarzellen im Gleichgewichtsorgan möglichst selektiv zu schädigen und so den erhöhten Endolymphdruck zu senken. Allerdings können dabei auch Verschlechterungen des Hörvermögens auftreten, wenn gleichzeitig Sinneszellen der benachbarten Hörschnecke in Mitleidenschaft gezogen werden. Gentamicin wird daher in Deutschland nur in besonders schweren Fällen eingesetzt – vielleicht bei 1% der Betroffenen. Vergleichsweise populär ist die Gentamicin-Therapie dagegen in den USA, wo rund 10 bis 20% der Menière-Betroffenen diese Behandlung erhalten, deren Wirksamkeit allerdings bislang nicht anhand gut kontrollierter Studien nachgewiesen ist.


DAZ:

Herr Professor Strupp, vielen Dank für das Gespräch!

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