Praxis

Retaxfalle BtM-Verordnungshöchstmengen

(tmb). Der Variantenreichtum der Retaxationen nimmt weiter zu. Während einige Retaxationen, die in dieser Serie vorgestellt wurden, schon seit Jahren immer wieder vorkommen, wird in dieser Folge eine offenbar neue Variante präsentiert. Dabei geht es um die Interpretation der Verschreibungshöchstmengen bei Betäubungsmitteln.

Dem Retaxforum des Deutschen Apotheken Portals (www.deutschesapothekenportal.de) wurde über Vollabsetzungen wegen Überschreitung der für 30 Tage zulässigen Verordnungshöchstmenge gemäß Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) berichtet. Die Konstellation wirft allerdings vielfältige Fragen auf und soll an einem Retaxationsbeispiel aus der Praxis erläutert werden. Dabei lagen folgende Rezepte vor:

  • Am 2. 4. 2009 wurden "Durogesic Smat 100 16,8 mg Nr. 10" verordnet und beliefert.
  • Für denselben Patienten wurden am 28. 4. 2009 "Durogesic Smat 16,8 mg Nr. 20" verordnet und in derselben Apotheke beliefert (Abb. 1).

Keines der Rezepte war mit einem "A" als Ausnahmeverordnung gekennzeichnet. Die EDV der betroffenen Apotheke zeigte für das verordnete Betäubungsmittel 30 Pflaster als Höchstmenge innerhalb von 30 Tagen an. Der Apotheker vertraute auf seine EDV-Anzeige und belieferte auch das zweite Rezept, weil die in der EDV angegebene Höchstmenge erreicht, aber nicht überschritten wurde. Das zuständige AOK-Abrechnungszentrum beanstandete jedoch die Belieferung wegen Überschreitung der Höchstmenge und brachte die gesamte Zahlung für das zweite Rezept in Höhe von 710,98 Euro (nach Abzug der gesetzlichen Rabatte) wieder in Abzug (Abb. 2). Zudem teilte die Krankenkasse mit, eine nachträgliche Heilung sei nicht möglich.

29 oder 30 Pflaster?

Dabei berief sich die Kasse darauf, dass Verschreibungen, die gegen eine Vorschrift des Betäubungsmittelrechts verstoßen, nicht beliefert werden dürfen und auch nicht zu erstatten sind. Die Verschreibungshöchstmenge für Fentanyl beträgt 500 mg für 30 Tage. Bei dem verordneten Präparat (16,8 mg Fentanyl je Pflaster) ergeben ca. 29,76 Pflaster 500 mg Fentanyl. Demnach hätten insgesamt nur höchstens 29 Pflaster abgegeben werden dürfen; die EDV der betroffenen Apotheke hatte aber offenbar auf 30 Pflaster aufgerundet.

Eine Überschreitung der Höchstmenge hätte mit einem "A" kenntlich gemacht werden müssen. Dies hätte der Apotheker gemäß § 12 Absatz 2 BtMVV sogar nach Rücksprache mit dem Arzt selbst ergänzen dürfen. Im berichteten Fall fand dies aber nicht statt, zumal die Überschreitung mit der Apotheken-EDV nicht erkennbar war.

Wer kann die Frist kontrollieren?

Da dem Retaxfallen-Autor Dieter Drinhaus mittlerweile über mehrere solche Retaxationen berichtet wurde, stellen sich weitere grundsätzliche Fragen zu dieser Konstellation. So ist zu fragen, wie der 30-Tage-Zeitraum kontrolliert werden soll und kann. Denn das retaxierte Rezept, das für sich genommen ordnungsgemäß ausgestellt war, wäre auch in jeder anderen Apotheke beliefert worden, weil diese von der ersten Verordnung nichts gewusst hätte. Oder:

Wenn das erste Rezept in einer anderen Apotheke eingelöst worden wäre, hätte die betroffene Apotheke beim zweiten Rezept von der Gesamtmenge keine Kenntnis gehabt. Nur wenn ein Patient alle Rezepte in einer Apotheke einlöst, ist eine Kontrolle überhaupt möglich. Doch eine solche Bedingung kann kein Kriterium für die Leistungspflicht der Krankenkasse sein. Auch der verordnende Arzt, an den sich die BtMVV in erster Linie richtet, kann Rezepte anderer Ärzte nicht überprüfen. Nur bei der Krankenkasse kommen alle Verordnungen für einen Patienten zusammen.

Nach Einschätzung von Retaxfallen-Autor Dieter Drinhaus ist der hier vorliegende Fall in den Lieferverträgen nicht explizit geregelt, sodass eine Retaxation nicht gerechtfertigt sei. Da diese Retaxvariante noch vergleichsweise neu ist, sind ihm keine diesbezüglichen Stellungnahmen bekannt. Überschreitungen der Verschreibungshöchstmenge auf nur einem Rezept wurden jedoch schon früher retaxiert. Bereits im Zusammenhang mit diesen Fällen habe die Apothekerin und Rechtsanwältin Isabel Kuhlen, Mönchengladbach, in Fachaufsätzen sowohl die Vollretaxation als auch die angebliche Nicht-Heilbarkeit als anfechtbar eingeschätzt, weil diese Fälle in den Lieferverträgen nicht explizit geregelt seien.

 

Abb. 2: Die Krankenkasse beanstandete die Belieferung von zwei innerhalb eines Monats vorgelegten Rezepten und 
retaxierte das isoliert betrachtet ordnungsgemäße Rezept in voller Höhe.
 

Wann beginnt der 30-Tage-Zeitraum?

Bei der neuen Variante ergibt sich aber noch eine weitere Frage: Kann die Apotheke verpflichtet werden, die 30-Tages-Höchstmenge einzuhalten, obwohl nicht explizit bestimmt ist, wann der 30-Tage-Zeitraum beginnt?

Um die Bedeutung dieser Frage zu erläutern, soll der eingangs beschriebene Fall als Gedankenexperiment um zwei weitere Rezepte ergänzt werden. In diesem hypothetischen Fall hätte der Patient in einer Apotheke die folgenden vier Rezepte eingelöst:

1. Am 4. März über Durogesic Smat 100 16,8 mg Nr. 10,

2. Am 2. April über weitere 10 Pflaster,

3. Am 28. April über weitere 20 Pflaster,

4. Am 26. Juni über weitere 20 Pflaster.

Retax-Experte Dieter Drinhaus konnte in den einschlägigen Lieferverträgen keine Regelung finden, nach der sich der 30-Tage-Zeitraum gemäß BtMVV auf einen Kalendermonat bezieht. Doch nur unter dieser zusätzlichen Bedingung wären die Verordnungen 2 und 3 in ihrer Kombination unzulässig und damit zu beanstanden. Bezöge man aber den 30-Tage-Zeitraum auf die Verordnungen 1 und 2, würde die Höchstmenge nicht überschritten. Das dritte Rezept fiele dann in einen neuen und das vierte Rezept in einen weiteren 30-Tage-Zeitraum. Dann wäre keine Kombination zu beanstanden.

Wie viel Retax ist rechtens?

Doch sogar bei der Interpretation der Krankenkasse hätte der Arzt ohne Ausnahmeverordnung 29 Pflaster verschreiben dürfen. Bei Betäubungsmitteln sind stückgenaue Belieferungen erlaubt. Damit stellt sich die weitere Frage, ob die Krankenkasse die 29 unstreitigen Pflaster bezahlen müsste und demnach allenfalls ein Pflaster retaxieren dürfte.

Bei einem Vollabzug würde dagegen eine andere Frage aufgeworfen, die andere Vollretaxationen ebenso betrifft: Ist eine Krankenkasse, die das Arzneimittel nicht bezahlt, berechtigt, die Anteile der Apotheke, des Patienten und des Herstellers einzubehalten? Die Frage, ob nach Vollabsetzungen wenigstens der Patient einen Anspruch auf Rückzahlung seiner Zuzahlung gegen seine Krankenkasse hat, ließ auch das Bundessozialgericht offen, als es für eine Vollabsetzung entschied (Aktenzeichen B 3 KR 6/06 R vom 3. 8. 2006). Die Frage, ob die Krankenkasse die durch Verrechnung gutgebrachten Zuzahlungsbeiträge des Versicherten behalten dürfe, brauche nicht entschieden zu werden, weil dies ausschließlich das Verhältnis der beklagten Apotheke zum Versicherten betreffe, erklärte das Gericht zu dem damaligen Fall.

Welche Folgen entstehen würden, wenn die Krankenkasse bei Vollabsetzungen wie im Beispiel der Durogesic-Pflaster die Anteile einbehalten dürfte, zeigt die Abbildung 3. Demnach blieben die gesetzlichen Rabatte bei der Krankenkasse. Für Retaxfallen-Autor Dieter Drinhaus ist dies ein weiteres Argument, diese Problematik nötigenfalls auch auf juristischem Weg weiter zu verfolgen, falls sich auf dem Verhandlungsweg keine Klärung erreichen lässt und im Rahmen der DAV-Nullretaxklage nicht über den Verbleib der Anteile entschieden wird.

Retaxfallen:eine Sammlung aus der Praxis

Retaxationen sind ein "Dauerbrenner" in der Apothekenpraxis. Davon zeugt insbesondere die Arbeit des Apothekers Dieter Drinhaus aus Eichendorf. Mit Unterstützung vieler Kollegen erstellte er eine Sammlung der 50 wichtigsten "Retaxfallen" im Apothekenalltag. Eine Veröffentlichung dieser Sammlung als Buch ist in Vorbereitung. Die "Fallen" werden darin laufend aktualisiert werden. Wenn Sie das Buch kaufen möchten, können Sie es jetzt schon bestellen:
ISBN: 978-3-7692-5000-8
Tel. (07 11) 2 58 23 41 oder

Vorab präsentiert die DAZ-Redaktion Ihnen schon jetzt einige besonders wichtige Erfahrungen aus dieser Arbeit.
Wenn auch Sie eine "Retaxfalle" beisteuern möchten, mailen oder faxen Sie bitte Ihre anonymisierten Unterlagen direkt an Herrn Drinhaus: retaxfallen@gmx.de, Fax 0 99 52 - 9 00 88
Bisher sind erschienen:
Retaxfalle Wirkstoff- oder Namensverordnung DAZ 8/2009, S. 50 ff.
Retaxfalle Austauschkriterium DAZ 12/2009, S. 99 ff.
Retaxfalle Stellvertreterfalle DAZ 14/2009, S. 77 ff.
Retaxfalle Kundenkarte DAZ 17/2009, S. 61 ff.
Retaxfalle Betäubungsmittel DAZ 19/2009, S. 67 ff
Retaxfalle Außer Handel DAZ 21/2009, S. 95 ff.
Retaxfalle Normgrößen DAZ 25/2009, S. 75 ff.
Retaxfalle Ungenaue Verordnung DAZ 29/2009, S. 62 ff.

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