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Neue Grippe
Die umstrittene Herkunft des "Schweinegrippe"-Virus
Wir stecken mittendrin in der Pandemie und kämpfen mehr oder weniger erfolgreich gegen die Ausbreitung des neuen Virus.
Das Pandemievirus
Um das Entstehen neuer Pandemieviren zu vermeiden, wird die Herkunft bisheriger Varianten möglichst genau nachvollzogen. Auch das neue "Schweinegrippevirus" (Swine-Origin Influenza Virus, S-OIV) wurde sehr schnell nach der ersten Isolierung Mitte April diesen Jahres komplett sequenziert. Mittlerweile sind zahlreiche Sequenzen verschiedener neuer H1N1-Isolate aus der ganzen Welt in Datenbanken gesammelt und online verfügbar (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/genomes/FLU/SwineFlu.htm; www.fludb.org). Vergleicht man diese Sequenzen, kann man Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen Isolaten aufstellen. Und so wurden auch relativ zeitig Artikel über die Herkunft des neuen S-OIV veröffentlicht. Der Consensus war, dass sechs der acht Gensegmente, die für das Hämagglutinin HA, das Nucleoprotein NP, die Nicht-Strukturproteine NS und die Polymeraseproteine PB1, PB2 und PA codieren, von einer Tripel-Reassortante stammen, die erstmals 1998 aus nordamerikanischen Schweinen isoliert wurde. Die Gensegmente, die für die Neuraminidase NA und Matrixproteine codieren, stammen hingegen von einem eurasischen Virus ab, das 1979 in Europa isoliert wurde und eher einem Vogel-Virus ähnelte (Abb. 1).
Doch ein anderer Ursprung?
Die drei Autoren der jetzt online veröffentlichten Arbeit haben sich sehr intensiv mit den verschiedenen publizierten, phylogenetischen Studien beschäftigt und dabei einige – ihrer Meinung nach – Ungereimtheiten entdeckt, was sie zu einer neuen Untersuchung der zur Verfügung stehenden Daten veranlasst hat.
Es ist allgemein bekannt, dass das Ergebnis einer phylogenetischen Studie davon abhängt, wie die Studie angelegt wird: nimmt man direkte Nukleotidsequenzen oder aber die daraus abgeleiteten Aminosäuresequenzen und mit welchem Algorithmus nähert man sich den Verwandtschaftsbeziehungen an? Erschwerend kommt noch hinzu, dass man natürlich nur Sequenzen vergleichen kann, wenn auch Isolate gesammelt und analysiert worden sind – das ist bei Influenzaviren sowohl zeitlich als auch örtlich nicht gleichmäßig der Fall.
Nun sollte man ja annehmen, dass Veröffentlichungen, die in Nature [2] und Science [3] publiziert wurden, zuverlässige Daten enthalten und insofern auch die Herkunft des S-OIV als sicher aufgeklärt gelten sollte. Trotzdem sind die drei australischen Autoren mit ihrer Analyse auf leicht unterschiedliche Verwandtschaftsbeziehungen gestoßen. Demnach hat S-OIV drei direkte Vorgänger, wobei einer aus Nordamerika, einer aus Europa und einer aus Asien kommt und jedes dieser Viren wurde aus Schweinen isoliert.
Hypothesen der Entstehung
Falls diese Verwandtschaftsbeziehungen stimmen, stellt sich natürlich die Frage, wie diese lokal so weit entfernten Virusstämme zueinander kamen. Hier diskutieren die Autoren mehrere Möglichkeiten:
Rein theoretisch können bei Influenza-A-Viren auch immer infizierte Zugvögel mitmischen. Da hier aber alle direkten Vorfahren erstmals aus Schweinen isoliert wurden, ist das relativ unwahrscheinlich. Insofern könnte Menschenhand doch irgendwie beteiligt sein – allerdings weniger in Form eines Bösewichts, wie sie in den James-Bond-Filmen häufig vorkommen, als vielmehr infolge von Unachtsamkeit. Eine Ursache könnte im weltweiten Handel mit lebenden Schweinen liegen. Diese könnten eventuell infiziert gewesen sein und trotz Quarantäne-Vorschriften entsprechende Viren mit eingeschleppt haben.
Die andere Möglichkeit besteht darin, dass im Rahmen von Forschungsarbeiten an Influenza-Viren (zufällig) eine Reassortante entstanden ist, die im Zuge von wissenschaftlichen Kollaborationen durchaus auch weite Strecken überwinden konnte. Und schließlich können auch Viren, die die Inaktivierung bei der Herstellung von Ganzvirus-Impfstoffen "überlebt" haben, im Rahmen der Impfung eventuell sogar die Schweine infiziert haben.
Letztlich – und das konstatieren auch die Autoren – wird sich allerdings nicht abschließend und sicher sagen lassen, woher das Virus kommt, da doch noch einige Sequenzen fehlen, die die Lücken zwischen den potenziellen Vorgänger-Viren schließen.
Unangemessen wäre es jedoch, diese Publikation dahingehend zu extrapolieren, dass dieses Virus tatsächlich in böser Absicht menschengemacht sein könnte. Dies unterstellen auch die Autoren nicht.
Fazit
Wie auch immer das S-OIV zustande gekommen ist, jetzt muss erst einmal mit vereinten Kräften dafür gesorgt werden, dass es sich möglichst nicht weiter ausbreitet und vor allem keine neuen Reassortanten bilden kann. Trotzdem müssen vielleicht aber doch auch weltweit die Verantwortlichen überlegen, ob die Sicherheitsvorkehrungen in den virologisch arbeitenden Labors ausreichend sind, damit eine Infektion nicht unbemerkt das System verlassen kann. In Deutschland ist dies wegen der sehr strengen, da gesetzlich geregelten Vorschriften beim gentechnischen Arbeiten oder beim Arbeiten mit Pathogenen weitestgehend gewährleistet.
Quellen
[1] Gibbs JA et al.: From where did the 2009 ‚swine-origin‘ influenza A virus (H1N1) emerge? Virology Journal 2009, 6:207
[2] Smith GJD et al.: Origins and evolutionary genomics of the 2009 swine-origin H1N1 influenza A epidemic. Nature 2009, 459:1122
[3] Garten RJ et al.: Antigenic and Genetic Characteristics of Swine-Origin 2009 A(H1N1) Influenza Viruses Circulating in Humans. Science 2009, 325:197
Autoren
Dr. Ilse Zündorf, Prof. Dr. Theo Dingermann, Institut für Pharmazeutische Biologie Goethe-Universität Frankfurt a. M., Max-von-Laue-Str. 9, 60438 Frankfurt
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