Reisepharmazie

BTM, Insulin und Pille im Gepäck

Mit Medikamenten richtig auf Reisen gehen

Von Beate Fessler

Auch kranke Menschen können und wollen in die Ferne reisen, selbst wenn sie regelmäßig Insulin spritzen müssen oder ein Betäubungsmittel benötigen. Kein Problem! Doch vor Reiseantritt sind genauere Überlegungen notwendig, etwa die Einfuhr von Betäubungsmitteln ins Reiseland oder die Applikation der Arzneimittel bei Zeitverschiebungen. Hier einige Tipps für die Kundenberatung.

Kein Reisehindernis sollte die regelmäßige Einnahme von Medikamenten sein. Arzneimittel können bei Reisen grundsätzlich ohne Probleme mitgenommen werden. Besondere Bestimmungen gelten jedoch für Betäubungsmittel. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass Arzneimittel, die gekühlt gelagert werden müssen, im vorgeschriebenen Temperaturbereich aufbewahrt werden. Gleiches gilt für eine vor Sonnenlicht geschützte Lagerung.

Foto: ABDA

Die Mehrzahl der Medikamente lässt sich auch auf Fernreisen unproblematisch anwenden. Schwierig werden kann es allerdings bei Arzneimitteln, die möglichst punktgenau eingenommen werden sollten, wie Kontrazeptiva, Antiepileptika, Antikoagulanzien, Insuline und Glucocorticoide. Bei Fernreisen über mehrere Zeitzonen sollte das Einnahmeregime während der Reise und vor Ort für solche Präparate rechtzeitig überlegt und am besten schriftlich festgehalten werden. Denn Aufregung und Reisefreude können ein sorgsam erarbeitetes Therapieregime schon einmal vergessen machen. Zum Problem wird die regelmäßige Einnahme bei Fernreisen in Richtung Westen oder Osten, also dann, wenn der Patient mehrere Zeitzonen überfliegt. Unverändert bleibt dagegen der Einnahmezeitpunkt bei Reisen in Richtung Norden oder Süden.

Risikopatienten: auf ausreichende Antikoagulation achten!

Fliegen Patienten unter bestehender Antikoagulation mit einem Coumarinderivat in die Ferne, ist aufgrund der langen Halbwertszeit von 160 Stunden keine Veränderung der INR (international normalized ratio) zu befürchten, wenn der Patient stabil eingestellt ist. Allerdings sind Fernreisen oft mit einer veränderten Ernährung, nicht selten auch mit einer Reisediarrhoe verbunden. Beides hat Einfluss auf den Kaliumspiegel, und damit auch auf die Blutgerinnung. Dr. Lukas Graf vom Institut für Klinische Chemie und Hämatologie am Kantonsspital St. Gallen empfiehlt deshalb eine gelegentliche Kontrolle der INR am Urlaubsort auch bei stabil eingestellten Patienten. Notwendig ist eine INR-(Selbst)-Bestimmung am Urlaubsort bei instabilen Werten. Dann kann der Patient die Coumarindosis entsprechend anpassen und so INR-Schwankungen vermeiden. Bei einer therapeutischen Antikoagulation mit niedermolekularen Heparinen müssen die Applikationsintervalle eingehalten werden, insbesondere wenn das Heparin alle 24 Stunden appliziert wird. Andernfalls besteht insbesondere bei Flügen gen Westen die Gefahr, dass die Antikoagulation nicht mehr adäquat ist. Je nach Flugdauer und Reiseziel kann der jeweilige Applikationszeitpunkt vor Reisebeginn mit dem Patienten errechnet werden.

Diabetiker im Flugzeug

Ärztliche Bescheinigung und Checkliste für das Handgepäck


 

Seitdem die Sicherheitsmaßnahmen im internationalen Flugverkehr erheblich intensiviert wurden, ist es für Diabetiker notwendig, sich eine ärztliche Bescheinigung über die mitzuführenden, medizinischen Instrumente ausstellen zu lassen. Eine solche ärztliche Bescheinigung zur Vorlage beim Einchecken ins Flugzeug oder beim Zoll wird unter anderem vom Deutschen Diabetiker Bund bereitgestellt. Diabetiker sollten die wichtigsten Utensilien im Handgepäck schnell greifbar aufbewahren! Hilfreich kann eine Checkliste sein, damit an Bord nichts vergessen wird:

  • Pen, 1 bis 2 Einwegspritzen, Insulin
  • Nadeln
  • Teststreifen für Blutzucker und Aceton
  • Stechhilfe, Lanzetten, Blutzuckermessgerät
  • ausreichend Traubenzucker, Zwischenmahlzeit (z. B. Müsliriegel, Apfel)
  • 1 Ampulle Glucagon
  • Versichertenkarte, Auslandskrankenschein bzw. Reisekrankenversicherung
  • Diabetikerausweis in der Landessprache
  • ärztliches Attest zur Vorlage bei Grenz- bzw. Sicherheitsbehörden


[Quelle: Deutscher Diabetiker Bund Landesverband Baden-Württemberg e. V., 
www.ddb-bw.de]

Unter Insulintherapie Blutzucker häufig messen

Bei Diabetikern sind orale Antidiabetika unproblematisch. Sie können die Tabletten in der verordneten Dosierung nach der jeweiligen Ortszeit einnehmen. Das gilt auch für Insulin bei Nord-Süd-Flugreisen sowie Ost-West-Flugreisen über maximal fünf Zeitzonen. Überfliegt der Patient dagegen sechs und mehr Zeitzonen ist eine Anpassung erforderlich. Geht es westwärts, und der Tag wird länger, kann eine Erhöhung der Basalinsulindosis notwendig werden sowie möglicherweise auch die Applikation von zusätzlichem kurz wirksamem Insulin, wenn der Patient im Flugzeug eine Mahlzeit zu sich nimmt. Geht es dagegen ostwärts, und der Tag wird kürzer, sollte die Dosis des Basalinsulins reduziert werden. Um Hypoglykämien zu vermeiden, wird empfohlen, dass der Patient den Blutzucker häufig misst (auch während des Flugs!) und während der Reise eher etwas höhere Blutzuckerwerte in Kauf nimmt. Die Dosis des Mahlzeiteninsulins sollte aus dem gleichen Grund um 20 Prozent reduziert werden. Diabetiker, die mit einer Insulinpumpe versorgt sind, müssen die Basalrate nicht ändern, sondern lediglich die Uhrzeit der Pumpe an die aktuelle Ortszeit anpassen.

Ohne Baby aus dem Urlaub

Bei Frauen, die mit einem Ovulationshemmer verhüten, hängt die Anpassung an die Zeit von der Art des Kontrazeptivums ab. Bei Estrogen/Gestagen-Kombinationspräparaten ist eine Überschreitung der Einnahmezeit bis zu zwölf Stunden möglich, wenn die Pille dann wieder regelmäßig geschluckt wird. Bei Flugreisen bis zu einem Zeitunterschied von zehn Stunden kann die "Pille" deshalb nach dem üblichen Schema – morgens oder abends – weiter eingenommen werden. Dabei ist das kürzere Intervall zu bevorzugen. Ist der Zeitunterschied länger, empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Bei gewohnter abendlicher Einnahme die Pille am Tag vor dem Abflug ganz normal abends einnehmen, am Urlaubsort dann jedoch täglich morgens – oder umgekehrt. Anders bei reinen Gestagen-Pillen, die zeitgenau einzunehmen sind. Die einfachste Lösung bietet hier eine "Zwischenpille", die bereits nach zwölf Stunden einmal zusätzlich eingenommen wird. Am Urlaubsort wird die Minipille dann zur gleichen örtlichen Uhrzeit eingenommen wie zu Hause.

Mit BtM ins Ausland?

Auf die Formalitäten achten!


 

Wer mit einem Betäubungsmittel (BtM) ins Ausland reisen will, muss vor allem die notwendigen Formulare im Gepäck haben. Besonders niedrig sind die Hürden bei Reisen in europäische Länder, die dem Schengener Abkommen angehören. Bei Reisen bis zu 30 Tagen in Mitgliedstaaten des Schengener Abkommens können ärztlich verordnete BtM problemlos mitgeführt werden. Der Patient benötigt lediglich eine vom Arzt ausgefüllte Bescheinigung, die vor Antritt der Reise durch die oberste Landesgesundheitsbehörde oder einer von ihr beauftragten Stelle beglaubigt werden muss. In der Regel sind das die Gesundheitsämter. Das Formular findet sich auf den Seiten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte www.bfarm.de. Für die Mitnahme von BtM in andere Länder gibt es keine international einheitlichen Bestimmungen. Es ist empfehlenswert, die Rechtslage rechtzeitig vor Reiseantritt zu klären! Auskünfte geben auch die jeweiligen diplomatischen Vertretungen in Deutschland. Übrigens: Deutsche BtM-Rezeptformulare, etwa für den Fall, dass das BtM verlorengeht, können nur in Apotheken in Deutschland eingelöst werden. Im Ausland muss ein Arzt aufgesucht werden, der das Medikament verordnet. Auch ein Freund darf das Medikament nicht nachbringen. Nur der Patient darf das für ihn bestimmte Betäubungsmittel reisebegleitend mitführen. Die Mitnahme durch beauftragte Personen ist nicht zulässig. Als Retter in der Not bieten sich auch die deutschen Botschaften im Reiseland an, die in der Regel über eigene Ärzte verfügen.

Bei Antiepileptika genau rechnen

Die Applikation von Antiepileptika muss bei Ost-West-Fernreisen genau geplant werden, zumal die Anfallsbereitschaft durch die Zeitverschiebung und einen möglichen Schlafmangel ohnehin erhöht ist. Liegt die Zeitverschiebung bei maximal zwei Stunden, kann das Antiepileptikum am Urlaubsort entsprechend der Zeit am Wohnort eingenommen werden. Eine zusätzliche Uhr, die die mitteleuropäische Zeit anzeigt, macht ständiges Rechnen überflüssig und erleichtert die zeitgenaue Einnahme. Ist die Zeitverschiebung größer, wird empfohlen, die Einnahme der Medikation am Reisetag entsprechend anzupassen. Verlängert sich der Reisetag, muss Wirkstoff ergänzt, verkürzt er sich, muss Wirkstoff eingespart werden. Patienten, die Antiepileptika erhalten, sollten vor Fernreisen rechtzeitig mit ihrem Arzt darüber sprechen. Ideal ist es, wenn der Reisebegleiter auch informiert ist.

Glucocorticoide immer frühmorgens

Glucocorticoide werden wegen der zirkadianen Kortisolausschüttung meist frühmorgendlich appliziert. Auch wenn sich der Patient in den USA oder Australien befindet. Das bedeutet: Bei Reisen nach Osten Glucocorticoid nach Ortszeit einnehmen, bei Reisen Richtung Westen am Abend der Ankunft zur Überbrückung ein Drittel der Dosis einnehmen und am nächsten Morgen wie üblich mit der Glucocorticoideinnahme beginnen.

Quelle www.diabetesgesellschaft.ch Elger, Brockhaus, Grundwald: Epilepsie und Flugreisen, Antiepileptika und Zeitumstellungen, Deutscher Universitätsverlag (1996). www.rheumazentrale.de Pressemitteilung des BfArM 15/07, www.bfarm.de www.indro-online.de Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, www.dg-sucht.de

 


Apothekerin Dr. Beate Fessler

 

Literaturtipp


Burkhard, Rieke (Hrsg.)/Küpper, Thomas (Hrsg.)/Muth, Claus-Martin (Hrsg.)

Moderne Reisemedizin

Ein Handbuch für Ärzte und Apotheker

Urlaubs-, Kultur- und Geschäftsreisende haben täglich millionenfach Kontakte in anderen Ländern. Sie sind dort mit in Europa unbekannten Krankheiten konfrontiert, aber auch mit Unfällen, plötzlichen Schmerzzuständen und prekären hygienischen Verhältnissen. Schließlich können bekannte chronische Vorerkrankungen im Ausland zu Komplikationen führen.


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EUR 59,00, ISBN 978-3-7692-5037-4, 2010. 680 S., 204 s/w Abb., 80 s/w Tab. Gebunden. Deutscher Apotheker Verlag

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