Selbstmedikation

Calcium kann das Herzinfarktrisiko erhöhen

Die Meldung, dass eine Calciumzufuhr im Rahmen einer Osteoporoseprophylaxe und -therapie das Herzinfarktrisiko erhöht, hat für große Verunsicherung gesorgt. Hintergrund sind Ergebnisse einer Metaanalyse, nach denen mit einem um 30% erhöhten Herzinfarktrisiko zu rechnen ist, wenn mehr als 500 mg Calcium supplementiert wird. Dies war jedoch nur der Fall, wenn schon mit der Nahrung ausreichend Calcium aufgenommen worden war.

Die Supplementierung von Calcium ist nach wie vor ein wichtiger Pfeiler in der Prophylaxe und Therapie der Osteoporose. Zwar ist die Zunahme der Knochendichte unter Calciumgabe eher marginal, das Frakturrisiko sinkt nur geringfügig in einer Größenordnung von 10%. Doch wurde aufgrund von Beobachtungsstudien auf eine präventive Wirkung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen geschlossen. Auf der anderen Seite können Calciumsupplemente die Kalzifizierung von Blutgefäßen und die Sterblichkeit erhöhen. Das haben Studien mit niereninsuffizienten Patienten gezeigt. Und auch eine randomisierte und kontrollierte Studie aus dem Jahr 2008 zur Calciumsupplementierung bei gesunden älteren Frauen hatte auf eine erhöhte Herzinfarktrate und kardiovaskuläre Ereignisse durch Calcium hingedeutet [1].

Vor diesem Hintergrund wurde eine Metaanalyse durchgeführt [2]. Sie sollte klären, welchen Einfluss die Calciumsupplementierung auf Herzinfarkt- und kardiovaskuläre Ereignisse hat. Insgesamt wurden elf Placebo-kontrollierte randomisierte Studien mit rund 12.000 Patienten ausgewertet, in denen mehr als 500 mg Calcium täglich supplementiert worden war.

Die Auswertung ergab ein signifikant um 30% erhöhtes Herzinfarktrisiko durch die Calciumsupplementierung (Hazard Ratio 1,31), wenn schon die Calciumaufnahme mit der Nahrung über 800 mg täglich lag. Lag sie darunter, war auch das Risiko durch Supplementierung nicht erhöht. Auch das Schlaganfallrisiko und der Composite-Endpunkt aus Herzinfarkt, Schlaganfall und plötzlichem Herztod waren unter zusätzlicher Calciumgabe um etwa 20% erhöht, jedoch nicht signifikant. Die Gesamtsterblichkeit war geringfügig erhöht.

Neubewertung erforderlich

Vor dem Hintergrund, dass eine Calciumsupplementierung nicht nur das Herzinfarktrisiko erhöht, sondern, wie eine weitere 2008 publizierte Studie gezeigt hat, auch das Risiko für Hüftfrakturen, wird eine Neubewertung der Calciumgabe zur Osteoporoseprävention und -therapie gefordert.

Keine generelle Gabe

In einem begleitenden Editorial wird darauf verwiesen, dass die Ergebnisse der Metaanalyse nicht mit Sicherheit auf ein erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko unter Calciumsupplementierung hinweisen. Auf der anderen Seite gebe es Zweifel an der Wirksamkeit der Calciumsupplementierung. Wegen der fehlenden Evidenz wird von einer generellen Calciumsupplementierung bei Osteoporose abgeraten. Es sei denn, sie ist im Rahmen einer effektiven Therapie nachgewiesenermaßen erforderlich.

Quelle [1] Bolland et al: Vasculary events in older women receiving calcium supplementation randomised controlled trials. BMJ 2008; 336: 262 – 268 [2] Bolland M et al.: Effect of calcium supplements on risk of myocardial infarction and cardiovascular events: meta-analysis. BMJ 2010, 341 c3691 [3] Reid IR et al.: Effect of calcium supplementation on hip fractures. Ostopoporos. Int 2008: 19; 119 – 23 [4] Cleland JGF et al.: Calcium supplements in people with osteoporosis. BMJ 2010; 341: c3856


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Prof. Dr. Johannes Pfeilschifter
Foto: Dachverband Osteologie (DVO)

DAZ-Interview: "Eine zu hohe Calciumzufuhr ist schädlich!"


Schon in der DVO-Osteoporose-Leitlinie 2009 wurde vermerkt, dass die Bedeutung von Calcium in der Osteoporoseprophylaxe und -behandlung eher überschätzt wird. Einer soeben im British Medical Journal veröffentlichten Metaanalyse zufolge kann die Supplementierung von Calcium zudem das Herzinfarktrisiko erhöhen (s. Bericht). Wir haben mit Prof. Dr. Johannes Pfeilschifter über die Ergebnisse dieser Studie und die möglichen Konsequenzen gesprochen. Professor Pfeilschifter ist zweiter Vorsitzender des Dachverbandes Osteologie (DVO) und war maßgeblich an der Erstellung der Osteoporose-Leitlinie beteiligt.


DAZ: Herr Professor Pfeilschifter, wie bewerten Sie das Ergebnis der Metaanalyse? Wo liegen die Stärken, wo die Schwachstellen der Studie?

Pfeilschifter: Die Erhöhung des Herzinfarktrisikos in der Metaanalyse ist recht konsistent und lässt sich sowohl bei den Studien belegen, bei denen Daten auf Patientenebene zur Verfügung gestellt wurden, als auch bei den Studien, bei denen kardiovaskuläre Daten auf Gruppenebene zur Verfügung standen. Auch bei den Einzelstudien zeigen sich ähnliche Trends. Sehr plausibel ist auch die Interaktion zwischen der alimentären Calciumzufuhr, der Supplementierung und dem Herzinfarktrisiko. Ein erhöhtes Herzinfarktrisiko bei einer Calciumsupplementierung fand sich nur dann, wenn die alimentäre Calciumzufuhr mehr als 800 mg Calcium täglich betrug.


DAZ: In der Leitlinie Osteoporose findet sich schon der Hinweis, dass eine zu hohe Calciumzufuhr eher negative Auswirkungen hat. Welche sind damit gemeint? Wie hoch sollte die tägliche Gesamt-Calciumzufuhr sein?

Pfeilschifter: In der DVO-Leitlinie ist das erhöhte Herzinfarktrisiko unter einer Calciumsupplementierung bereits diskutiert worden. Die tägliche Gesamtzufuhr an Calcium sollte bei etwa 1000 mg täglich liegen und 1500 mg nicht überschreiten.


DAZ: Wann sollte dann Calcium zusätzlich gegeben werden?

Pfeilschifter: Nach der derzeitigen Datenlage sollte eine Calciumsupplementierung nur dann erfolgen, wenn die anamnestisch erhobene alimentäre Calciumzufuhr sehr niedrig ist. Das erfährt man, wenn man mit dem Patienten spricht und nachfragt, wie viel Käse, Milch und Joghurt er täglich zu sich nimmt. Wenn man im Hinterkopf hat, dass ein Glas Milch, eine Scheibe Käse und zwei Becher Joghurt je mit ca. 300 mg Calcium zu Buche schlagen und dann noch Calcium-reiches Mineralwasser mit z. B. 500 mg/Liter berücksichtigt, dann lässt sich ganz schnell überschlagen, ob eine Supplementierung sinnvoll oder eher schädlich ist.


DAZ: Die britische Metaanalyse hat ja nur Studien erfasst, in denen Calcium ohne Vitamin D gegeben worden ist. Wie sieht denn die Datenlage für die kombinierte Supplementierung aus?

Pfeilschifter: Für die viel häufiger verabreichten kombinierten Supplemente aus Calcium und Vitamin D ist bisher kein erhöhtes Herzinfarktrisiko belegt. Deshalb könnte man argumentieren, dass die Aussagen der Metaanalyse nur für eine alleinige Supplementierung mit Calcium gelten. Es wäre aber pathophysiologisch unklar, warum die Interaktion von Calcium und Vitamin D zu einem günstigeren Risikoprofil führen sollte als eine alleinige Vitamin-D-Gabe. Wahrscheinlicher wäre es, dass Vitamin D das Risiko für Herzinfarkte vermindert und das erhöhte Risiko der Calciumsupplementierung neutralisieren könnte. Auch wenn Kohortenstudien eine solche Assoziation nahelegen, liegen aus randomisierten Studien zu Vitamin D bisher keine Daten vor, die eine solche Annahme belegen würden, so dass auch hier weitere Studien erforderlich sind.


DAZ: Sie raten also von einer generellen kombinierten Supplementierung von Calcium und Vitamin D ab?

Pfeilschifter: Nach der derzeitigen Datenlage wäre bei den meisten Patienten mit einer Osteoporose ein alleiniger Ausgleich eines Vitamin-D-Mangels ohne eine Kombination mit Calciumsupplementen anzuraten. Es sei denn, der Patient ernährt sich so, dass er den Zielwert von 1000 mg Calcium täglich mit der Nahrung nicht erreichen kann.


DAZ: Die Bedeutung von Vitamin D in der Osteoporoseprophylaxe – und -therapie wurde lange Zeit unterschätzt. Bei welchen Vitamin-D-Werten sollte supplementiert werden?

Pfeilschifter: Die DVO-Leitlinie empfiehlt eine Supplementierung bei 25-Hydroxy-Vitamin-D3-Werten unterhalb von 20 ng/ml. Risikopersonen für Frakturen sollten täglich 800 – 2000 Einheiten Vitamin D3 einnehmen oder eine höhere Dosierung in entsprechenden Zeitabständen. Alternativ kann auch eine Messung von 25-Hydroxy-Vitamin D vorgenommen und die Supplementierung individuell festgelegt werden.


DAZ: Danach wird ein Vitamin-D-Spiegel von 20 ng/ml als ausreichend erachtet. Es gibt aber auch Verfechter von höheren Spiegeln.

Pfeilschifter: Das ist richtig, aber eine vor Kurzem im JAMA veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass bei einer sehr hohen Vitamin-D-Gabe von 300.000 IE pro Jahr das Frakturrisiko wieder steigt. Man kann es also auch übertreiben. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind wir wohl mit dem DVO-Richtwert von 20 ng/ml auf der sichereren Seite.


DAZ: Herr Professor Pfeilschifter, wir danken Ihnen für das Gespräch!


Prof. Dr. med. Johannes Pfeilschifter, Alfried Krupp Krankenhaus - Steele, Medizinische Klinik III, Hellweg 100, 45276 Essen

Interview: Dr. Doris Uhl, Stuttgart

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