Feuilleton

Die geheimnisvolle Welt der Pilze

"Essbar oder giftig? Die geheimnisvolle Welt der Pilze" ist das Thema einer Sonderausstellung, die bis zum 14. November im Stadt- und Waagenmuseum Oschatz zu sehen ist. Gezeigt werden über hundert Pilzmodelle des Coburger Lehrmittel- und Anatomiemodellherstellers Somso.
Längsschnitt einer Pilzpopulation: Die Myzelien, die "eigentlichen" Pilze, wachsen im Boden. Unter zusagenden Bedingungen bilden die Hyphen dicht ­unter der Substratoberfläche Primordien, aus denen die Fruchtkörper sprießen.
Fotos: Wylegalla

Theophrast von Eresos (371 –288 v. Chr.) schätzte den Wohlgeschmack von Trüffeln, Bovisten und "Mistschwämmen". Der griechische Naturforscher gab sich aber nicht mit den kulinarischen Vorzügen von Pilzen zufrieden, sondern versuchte als erster, die vermeintlichen "Pflanzen, denen wichtige Organe fehlen", anhand ihrer Morphologie zu unterscheiden.

Tragische Pilzvergiftungen mögen den griechischen Arzt Nikander aus Kolophon (um 200 –150 v. Chr.) veranlasst haben, die Unterschiede zwischen essbaren und giftigen Pilzen genauer zu untersuchen. Wie später Plinius der Ältere (23 – 79) berichtete, waren auch in vornehmen römischen Familien Intoxikationen durch Pilze nicht selten. Auch er beschäftigte sich eingehend mit den Kennzeichen giftiger Pilzarten und widmete ihnen in seiner "Naturalis historia" ein ganzes Kapitel. Überdies empfahl Plinius geeignete Brechmittel, die man nach einer mutmaßlichen Vergiftung sofort einnehmen sollte. Die Pilze insgesamt klassifizierte er nach ihrem Habitus als "fungus" (Hutpilz), "agaricum" (z. B. Lärchenporling), "suillus" (z. B. Steinpilz), "tuber" (Trüffel) und "boletus" (z. B. Kaiserling).

Plinius‘ Zeitgenosse, der Militärarzt Pedanios Dioskurides, glaubte an einen Zusammenhang zwischen der Toxizität von Pilzen und ihren Standorten oder bestimmten Standortbedingungen, wozu er "verrostetes Eisen, faules Tuch, Schlangenhöhlen oder Bäume mit giftigen Früchten" zählte. Ansonsten unterschied er die auf dem Erdboden wachsenden Hutpilze, die unterirdischen Trüffel und die baumbewohnenden Porlinge.

Der Tintenfischpilz (Clathrus archeri) ähnelt einer exoti­schen Blüte. Der unangenehm riechende Saprophyt ist in Australien, Tasmanien, Neuseeland und dem Malaiischen Archipel heimisch. Durch Einschleppung verbreitete er sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Südeuropa, wird aber auch gelegentlich in Deutschland gefunden.

Im Mittelalter stagnierte die Pilzkunde wie andere Wissenschaften auch. Allenfalls Hildegard von Bingen (1098 – 1179) verfasste einige mykologische Abhandlungen, die für ihre Zeit bemerkenswert waren. Albertus Magnus (1193 – 1280) und andere Gelehrte hingegen verteufelten jene "Gewächse", die seit alters her den Speisezettel bereicherten, als Heilmittel verwendet wurden oder aber tödlich wirken konnten, in Bausch und Bogen. Sie begründeten ihre Ablehnung mit der von antiken Autoren übernommenen Annahme, dass Pilze ebenso wie Krankheitskeime aus Miasmen (fauligen Verunreinigungen des Bodens) entstehen. Zudem bezweifelten sie, dass Pilze in das Reich der Pflanzen gehören, weil ihnen Zweige, Blätter und Samen fehlen.

Sind Pilze Pflanzen oder Tiere?

Die These, Pilze würden aus Miasmen entstehen, wurde längst widerlegt. Richtig ist indessen, dass sie nicht in das Pflanzenreich einzuordnen sind. Nachdem Pierandrea Mattioli (1501 –1577) erstmals versucht hatte, die Pilzflora in Gattungen einzuteilen, erkannte der französische Botaniker Joseph Pitton de Tournefort (1656 – 1708), dass es sich um eigenständige Organismen handelt, die mitunter auch Pflanzen befallen und Krankheiten auslösen können. Er entwickelte ein System für Pilze, das für Carl von Linné (1707 –1778) die Grundlage weiterer Forschungen bildete. Der schwedische Naturwissenschaftler fasste Pflanzen ohne Blüten – d. h. ohne die Geschlechtsorgane Staubblatt und Fruchtblatt – wie Farne, Moose und Algen als Cryptogamia (Wesen mit verborgenem Sexualleben) zusammen und ordnete in diese Klasse auch die Pilze ein.

Die Speisemorchel (Morchella esculenta) ist ein sehr wertvoller Speisepilz, steht aber in Deutschland wie alle Arten der Gattung Morchella unter Naturschutz. Die Art wächst als Bodensaprophyt vorwiegend in Laub- und Auenwäldern auf humusreichen, kalkhaltigen Böden. Zuweilen ist sie auch unter Obstbäumen anzutreffen.

Heute bilden die Pilze (Fungi) ein eigenes taxonomisches "Reich". Sie sind Eukaryonten wie Pflanzen und Tiere auch, aber im Unterschied zu Bakterien (früher "Spaltpilze" genannt). Ihre Zellwände bestehen hauptsächlich aus Chitin, einem Aminopolysaccharid, das auch Hauptbestandteil der Exoskelette von Insekten ist, aber den Pflanzen zugunsten von Cellulose fehlt; in anderer Hinsicht ähnelt ihre Zellstruktur mehr den Pflanzen als den Tieren. Zur Photosynthese unfähig, ernähren sich Pilze, ähnlich wie Tiere, von anderen Lebewesen oder deren Hinterlassenschaften.

Der "eigentliche" Pilz ist verborgen

Heute sind ungefähr 100.000 Pilzarten bekannt. Manche Wissenschaftler vermuten, dass weltweit mehr als eine Million Spezies existieren. Das Spektrum der Fungi reicht von einzelligen Mikroorganismen (z. B. die Hefe Saccharomyces cerevisiae) bis zu myzelbildenden Arten, unter denen die Speisepilze wohl die populärsten sind.

Mit dem bloßen Auge sind Pilze in der Regel nur anhand ihrer Fruchtkörper sichtbar. Diese wachsen aus einem verborgenen Myzel, das aus einem Geflecht von Hyphen ("Fäden") besteht.

Das Myzel ist der "eigentliche" Pilz; es wächst unterirdisch oder im Wirt (z. B. Baum) oder in totem organischem Material. Pilze vermehren sich sowohl geschlechtlich (durch Vereinigung zweier Hyphenzellen mit haploidem Chromosomensatz) als auch ungeschlechtlich (z. B. durch Sporen). Unter zusagenden Bedingungen verdichten sich die Hyphen zu knotenartigen Primordien, aus denen schließlich die Fruchtkörper hervorsprießen (keine Früchte im eigentlichen Sinne!). In ihnen bilden sich Unmengen von Sporen, die nach der Reife durch den Wind verbreitet werden.


Der Hallimasch (Asmillariella mellea) ist ein weit verbreiteter und beliebter Speisepilz, der aufgrund seiner parasitären Lebensweise aber beträchtlichen Schaden in Wäldern anrichten kann.

Saprophyten, Parasiten, Symbionten und Raubpilze

Je nach ihrer Ernährungsweise werden Pilze in drei Gruppen eingeteilt. Die Saprophyten zersetzen Kadaver, abgestorbene Bäume, abgefallene Blätter und andere tote Substanzen sowie Exkremente in ihre chemischen Ausgangsstoffe. Daraus bildet sich Humus, der wiederum den Pflanzen als Nahrung dient. Zusammen mit anderen Destruenten wie Bakterien und Kleinstlebewesen spielen saprophytisch lebende Pilze eine wichtige Rolle für den Erhalt des ökologischen Gleichgewichts.

Andere Pilzarten wiederum leben parasitär. Sie schädigen ihre Wirte nachhaltig, mitunter sogar bis zur völligen Vernichtung. Ein bekanntes Beispiel ist das Secalealkaloid-haltige Mutterkorn, ein giftiger Schlauchpilz, der vorzugsweise Roggen, aber auch andere Getreide- und Grasarten befällt und ihre Samen unfruchtbar macht. Im Mittelalter wurden ganze Landstriche durch das "Heilige Feuer" oder "Antoniusfeuer" entvölkert, weil ihre Bewohner mit Mutterkorn verunreinigtes Getreide verzehrt hatten. Zu seinem Namen kam das Mutterkorn, weil man es ab dem 17. Jahrhundert als Abtreibungsmittel verwendete.

Der Gemeine Hallimasch, ein schmackhafter Speisepilz und früher sogar als Mittel zur Behandlung von Hämorrhoiden geschätzt, kann gesunden Bäumen gefährlich werden. Nach deren Absterben mutiert der Parasit zum Saprophyten, der sich fortan vom toten Holz ernährt. Wie ausdauernd Pilze sein können, belegt ein Dunkler Hallimasch im US-Bundesstaat Oregon. Mit einer Ausdehnung von mehr als neun Quadratkilometern und einem auf 600 Tonnen geschätzten Gewicht (dies entspricht dem Gewicht von vier Blauwalen) ist er nicht nur der größte Pilz, sondern auch das größte Lebewesen der Welt. Sein Alter wird auf 2400 Jahre geschätzt.

Der Grünspan-Träuschling (Stropharia aeruginosa) ist ein Saprophyt, der in Laub- und Nadelstreu oder auf stark vermorschtem Holz wächst und auch in Gärten und Parks zu finden ist. Er ist essbar, aber kein wertvoller Speisepilz.

Der Parasitische Röhrling befällt zuweilen die Fruchtkörper von Kartoffelbovisten und gehört somit zu den Schmarotzern, die es sich auf ihresgleichen gut gehen lassen. Etwa 200 Pilzarten haben Mechanismen entwickelt, mit denen sie – ähnlich wie Tiere und "fleischfressende" Pflanzen – aktiv Beute fangen können. Mit klebrigen Fanghyphen "erbeuten" sie im Boden lebende Kleinstlebewesen und verdauen sie. Bei einer Untersuchung von Bernstein aus Südwestfrankreich stellte sich heraus, dass es schon in der Kreidezeit "Raubpilze" gegeben hat. Trotz gleicher Lebensweise besteht aber keine Verwandtschaft zwischen den fossilen und den rezenten Arten.

Pilze in der Küche, Lebensmittelherstellung und Medizin

"Leuchtende" Pilze haben früher die Menschen zu mythischen Erzählungen inspiriert. Junge Indonesierinnen hingegen schmücken damit nachts ihr Haar, um heiratswillige Männer anzulocken. Heute sind weltweit etwa 40 Pilzarten bekannt, die Energie in Form von Licht abgeben. Zu den chemoluminiszenten Spezies gehört neben dem Hallimasch auch der Leuchtende Ölbaumpilz, eine im Mittelmeergebiet heimische, wärmeliebende Art, die in Mitteleuropa nur selten anzutreffen ist. Dem bodenbewohnenden Pfifferling sehr ähnlich, besiedelt der Leuchtende Ölbaumpilz parasitisch und saprophytisch Ölbäume, Eichen und Edelkastanien. Auf Menschen wirkt sein Gift zwar nicht tödlich, verursacht jedoch gastrointestinale Beschwerden und Leberschäden.

Schopftintling (Coprinus comatus) Im Jugendstadium sind seine "Schirme" zusammengefaltet und sehr schmackhaft. Er wächst saprophytisch an Wegrändern und auf Wiesen, mitunter sogar im Garten auf gedüngten Rasenflächen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Pilzen können Schopftintlinge Nematoden fangen. Ihre Fang­organe scheiden ein Toxin aus, das die Kleinstlebewesen lähmt.

Im Verlauf der Evolution entwickelten sich Pilze, die sich nicht einseitig von Pflanzen ernähren, sondern mit ihnen in Symbiose leben. Sie versorgen ihre "Partner" mit Nährsalzen und Wasser, während diese "ihrem" Pilz einen Teil der durch Photosynthese produzierten Assimilate liefern. Die ersten "Zweckgemeinschaften" zwischen Landpflanzen und Pilzen entstanden vermutlich schon vor 400 Millionen Jahren. Heute schätzt man, dass 90 Prozent der terrestrischen Flora zu einer Symbiose mit Pilzen fähig sind. Allerdings sind nur relativ wenige Arten zwingend darauf angewiesen. Dazu zählen alle Orchideen, deren staubfeine Samen nur mit der Unterstützung des Myzels bestimmter Pilze keimen und heranwachsen können (deshalb war es früher nicht möglich, in Europa tropische Orchideen aus ihren Samen zu vermehren).

Außer für die Küche und die Veredelung von Lebensmitteln – als Beispiele seien nur die Bäcker- oder Bierhefe und die bei der Käseherstellung eingesetzten Pilzkulturen genannt – verwendet man Pilze seit jeher auch als Arzneimittel. Der Shiitake etwa wurde in China schon während der Ming-Dynastie (1368 – 1644) als durchblutungsförderndes Lebenselixier verspeist. Paracelsus (1493 – 1541) empfahl "Agaricus" – vermutlich meinte er den Lärchenschwamm – zur Verhütung von Schwindsucht und Diabetes sowie gegen Wurmbefall und als fliegentötendes Mittel.

Johann Wittich (1537 – 1596) erwähnte in seinem "New Artzneybuch" ebenfalls einen "Agaricus", den er zur Behandlung von Epilepsie einsetzte. Es ist daher anzunehmen, dass es sich hier um den Fliegenpilz handelte, der die psychoaktive Ibotensäure enthält und früher in manchen Kulturen auch als Rauschmittel verwendet wurde. Eine Revolution in der Medizin war indessen die Entdeckung der antibiotischen Wirkung des Pinselschimmelpilzes Penicillium notatum durch Alexander Fleming (1928), die zur Rettung unzähliger Menschenleben führen sollte.

Literatur Dörfeldt H, Heklau H. Die Geschichte der Mykologie. Einhorn-Verlag, Schwäbisch Gmünd 1998. 

 


Reinhard Wylegalla

Museum


Stadt- und Waagenmuseum Oschatz

Frongasse 1, 04758 Oschatz

Tel. (0 34 35) 92 02 85

www.oschatz-erleben.de

Geöffnet: Dienstag bis Donnerstag 10 bis 17 Uhr Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr

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