Selbstmedikation

Update zum androgenetisch bedingten Haarausfall

Die androgenetische Alopezie ist bei beiden Geschlechtern die häufigste Ursache für den Verlust des Haupthaares. Sie betrifft bis zu 80% der Männer und fast 20% der Frauen. Durch genaue Diagnostik in der Haarsprechstunde kann eine effektive Behandlung ausgewählt werden. Erster Ansprechpartner ist aber meist nicht der Dermatologe sondern der Apotheker, der auf ein breites Sortiment rezeptfreier Präparate zurückgreifen kann. Minoxidil, aufgrund guter Wirksamkeit und Verträglichkeit als Lösung ein Mittel der ersten Wahl, wird voraussichtlich im nächsten Jahr auch als Schaum-Zubereitung zur einmal täglichen Anwendung erhältlich sein.

Während viele Männer ihre Geheimratsecken oder Tonsur mit Fassung tragen, ist der sichtbare Haarverlust für Frauen meist sehr belastend. In jeder Apotheke gibt es Stammkunden, die immer wieder Geld und Hoffnung in diverse Mittel gegen Haarausfall investieren; auch wenn magere Erfolge dagegen sprechen. Haarausfall kann nicht "geheilt" werden (s. Abb.)

Überempfindliche Haarwurzeln

Normalerweise fallen beim Menschen zwischen 70 bis 100 Haare täglich aus und werden wieder ersetzt. Bei genetisch prädisponierten Frauen und Männern verkürzt sich die Wachstumsphase des Haares derart, dass es kaum noch sichtbar hervortritt. Die Haarfollikel verkümmern nach und nach.

Ursache ist bei Männern die verstärkte Wirkung der Androgene über eine erhöhte Rezeptordichte und/oder eine erhöhte Aktivität der 5-Alpha-Reduktase. Der Haarfollikel wird überempfindlich auf das Steroidhormon Dihydrotestosteron (DHT). Unempfindlich gegen DHT sind nur die Haarwurzeln im Hinterkopf- und Nackenbereich, so dass es zu dem charakteristischen Muster mit Geheimratsecken oder Tonsur kommt. Aber auch Männer können vereinzelt von dem für Frauen typischen diffusen Haarausfall vor allem in der Scheitelregion betroffen sein. Bei Frauen beginnt der Haarausfall meist erst nach dem 40. Lebensjahr. Er verläuft oft schubweise, wobei der Haaransatz an der Stirn fast immer erhalten bleibt. Bei der androgenetischen Alopezie vom weiblichen Typ ist die Rolle der Androgene noch nicht sicher und die exakte Abgrenzung zu anderen Formen des Haarausfalls wie kreisrunder Haarausfall (Alopecia areata) besonders wichtig.

Für die Einteilung der verschiedenen Haarzustände verwendet man bei der Frau häufig das Ludwig-Schema mit 3 Stufen, beim Mann eher die Hamilton-Norwood-Skala. Danach werden die Phasen des Haarausfalls in sieben Stufen eingeteilt.

Die Gene sind schuld

Die erbliche Komponente des Haarausfalls nach männlichem Muster ist durch dessen familiäre Häufung lange bekannt. Das Zurückweichen der Haare an Stirn und im Schläfenbereich beginnt bei Männern oft schon im jugendlichen Alter. Wohin das führt, kann meist, aber nicht immer, beim Großvater besichtigt werden. Auch Zwillingsstudien zeigen eine strenge Konkordanz von 80 bis 90% für eineiige Zwillinge.

Frauen sind zwar seltener von der androgenetischen Alopezie betroffen, haben aber einen höheren Leidensdruck.

Auch von Kontinent zu Kontinent variiert das Risiko, sein volles Haupthaar in der zweiten Lebenshälfte nicht mehr genießen zu können. So ist die Prävalenz bei männlichen Kaukasiern mit fast 80% bei über 70-Jährigen am höchsten. Bei asiatischen Männern sind nur 47 bis 60% betroffen. Aus Afrika gibt es kaum Daten, aber bei Afroamerikanern ist männliche Glatzenbildung viermal seltener im Vergleich zu Amerikanern kaukasischer Abstammung. Bei allen ethnischen Gruppen sind Frauen seltener betroffen und nimmt die Inzidenz mit dem Lebensalter zu.

Haarige Untersuchungen und lange Fragebögen

Prof. Dr. Ulrike Blume-Peytavi, leitende Oberärztin der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Charité, führt dort auch das Clinical Research Center for Hair and Skin Science. Unter ihrer Leitung wurde eine neue S1-Leitlinie zur Diagnostik der androgenetischen Alopezie bei Männern, Frauen und Jugendlichen entwickelt. Zu den diagnostischen Methoden zählen ein Zupftest, wobei 50 bis 60 Haare zwischen zwei Fingern gezogen werden. Der Test ist positiv, wenn mehr als 10% der erfassten Haare ausziehbar sind. Neben der Videodermoskopie oder Lupen-Untersuchung der Kopfhaut und Haare, wird eine Übersichtsfotografie zur objektiven Beurteilung von Haarwachstum, Volumen und Dichte gemacht.

Was sagt ein Trichogramm?

Für die Diagnose von krankhaftem Haarausfall hat das Trichogramm die gleiche Bedeutung wie ein Blutbild für die Diagnose anderer Krankheiten. Dazu entnimmt der Arzt dem Patienten an exakt festgelegten Stellen etwa 50 Haare mit der Wurzel. Mikroskopisch untersucht er dann deren Entwicklungsstadien und Zustand. Im Zuge der Auswertung werden die Trichogramme der verschiedenen Kopfzonen verglichen. Verkrümmungen der Haarwurzel lassen auf Ernährungsstörungen schließen. Befinden sich hingegen zwischen 30 und 50% der Haare in der dem Ausfallen vorangehenden Ruhephase, könnte ein androgenetisch bedingter Haarausfall vorliegen, für den ein schubartiger Verlauf typisch ist. Ein zwischenzeitlich weitgehend normales Trichogramm zeigt dann die Interimszeiten an, in denen der Haarausfall temporär zum Stillstand kommt. Da es sich bei einem Trichogramm um die Untersuchung epilierter Haare handelt, kann der Arzt den zu erwartenden Haarausfall voraussagen. Bei einem kreisförmigen Haarausfall liefert das Trichogramm ähnliche Ergebnisse wie bei der androgenetischen Alopezie. Auch hier ist der Anteil der Haare, die kurz vor dem Ausfallen stehen (Telogenhaare), erhöht. Der prozentuale Anteil kann jedoch bis zu 80% ausmachen. Ein weiteres Anzeichen für diesen Krankheitstyp sind unregelmäßige Farbstoffablagerungen am Haarschaft. Finden sich am Rand der haarlosen Bereiche gehäuft Telogenhaare, muss mit einem weiteren Fortschreiten der Erkrankung gerechnet werden.

Eine Kopfhautbiopsie wird in der Leitlinie nur in Einzelfällen bei unklarer Diagnose empfohlen. Weitere klinische Untersuchungen betreffen die Gesichts- und Körperbehaarung. Kopfhautsymptome wie Erythem, Schuppen, Seborrhö, Pusteln oder Vernarbung und Nagelwachstumsstörungen sprechen eher gegen eine androgenetische Alopezie.

Zusätzlich zu all diesem "Haare-Ausreißen" muss eine ausführliche Anamnese erstellt werden. Diese erfasst:

  • Alter, Geschlecht, Alter bei Erstmanifestation, Verlauf des Haarausfalls (chronisch, intermittierend)
  • familiäre Anamnese
  • erhöhtes Shedding
  • Ausdünnung, Juckreiz, Trichodynie (Missempfindungen, "Haarschmerz")
  • begleitende Haar- oder Haarbodenerkrankungen
  • systemische Erkrankungen innerhalb des 1. Jahres seit Beginn des Haarausfalls
  • Essverhalten (chronische Diäten, Mangelernährung, schneller Gewichtsverlust)
  • Lifestyle: Frisuren (Traktionsalopezie), Rauchen, UV-Licht
  • Medikamentenanamnese

Bei Frauen müssen außerdem folgende Punkte erfragt werden:

  • Menarche, Menstruationszyklus, Menopause, Amenorrhö
  • orale oder andere systemische hormonelle Kontrazeption
  • Hormonersatztherapie
  • Fertilitätsstörungen, Fertilitätsbehandlung
  • Zahl der Schwangerschaften, Geburten, Aborte, letzte Schwangerschaft/Geburt.
  • gynäkologische Operationen
  • periphere Zeichen für Hyperandrogenämie

Auch bei der Beratung in der Apotheke sollten Arzneimittel abgefragt werden, die zum Haarausfall führen können. Neben den androgenen Hormonen – auch Kontrazeptiva mit androgener Restwirkung – stehen Thyreostatika und Chemotherapeutika im Fokus. Durch die Behandlung hormonabhängiger Tumore können Frauen mit entsprechender genetischer Disposition androgenetischen Haarausfall entwickeln, der auch nach der Behandlung fortschreitet.

Hormonwerte bei Männern im Normbereich

Bei Kindern und Jugendlichen mit auffälligem Haarausfall sollte laut Blume-Peytavi möglichst immer eine Mitbehandlung vom pädiatrischen Endokrinologen erfolgen. Der Hormonstatus muss hier abgeklärt werden.

Anders bei den Hauptbetroffenen mit androgenetischer Alopezie. Entgegen der landläufigen Meinung, dass hier etwas mit den Hormonen nicht stimme oder die hohe Stirn ein Zeichen besonderer Männlichkeit sei, sind die Blutwerte der Androgene bei gesunden Männern meist völlig im Normbereich. Laboruntersuchungen empfiehlt die Leitlinie nur bei bestimmten Grunderkrankungen und zur Bestimmung des PSA-Wertes vor Beginn einer Therapie mit Finasterid.

Laborwerte oft überflüssig

Umfangreiche endokrinologische Abklärungen sind auch bei Frauen unnötig. Sehr nützlich ist allerdings eine interdisziplinäre Behandlung durch Dermatologen, Gynäkologen und Endokrinologen. Der Hormonstatus sollte nur bei Verdacht auf Vorliegen einer hormonellen Dysregulation bestimmt werden. Die Messung der Hormonspiegel liefert nur dann auswertbare Ergebnisse, wenn die Patientin keine Hormone einnimmt. Kontrazeptiva müssen daher zwei Monate vorher abgesetzt werden und die Messung sollte anschließend zwischen dem 2. und 5. Zyklustag erfolgen. Sind die Androgenwerte im Normbereich, ist die Einnahme einer Pille mit antiandrogener Wirkung ohne Nutzen für den Haarwuchs.

Neben den Geschlechtshormonen können laut Leitlinie auch Hämoglobin-, Eisen-, Ferritin- und TSH-Werte bestimmt werden. Eine Studie zeigte erniedrigte Serum-Ferritinwerte bei den betroffenen Frauen. Der Zusammenhang zwischen Eisenmangel und androgenetischer Alopezie wird allerdings noch kontrovers diskutiert, so dass keine generelle Empfehlung zur Eisen-Supplementierung gegeben wird. Alle anderen Parameter, wie B-Vitamine, Biotin, Zink usw. sind nach Meinung von Blume-Peytavi nicht aussagekräftig. Für die Wirkung von Nahrungsergänzungsmitteln gäbe es bei der androgenetischen Alopezie keine Evidenz. Eine Supplementierung mit Biotin könne die Haarfestigkeit verbessern, ein Biotinmangel komme nur als Nebenwirkung bestimmter Antiepileptika vor. Hochdosiertes Zink als gut resorbierbares Salz könne als Therapieversuch bei Alopecia areata eingesetzt werden, beim androgenetisch bedingten Haarausfall nützt es nichts.


Hinweise zu Eisenpräparaten


Wurde ein Eisenmangel hämatologisch und differenzialdiagnostisch nachgewiesen, können Eisensalze über mindestens drei Monate angewendet werden. Dabei muss auf Wechselwirkungen mit Tetracyclinen, Antazida und Colestyramin geachtet werden. Zudem kann Eisen die Resorption von L-Dopa, Entacapon und Levothyroxin verringern. Nicht-steroidale Antirheumatika und Eisenpräparate sollten im zeitlichen Abstand von zwei bis drei Stunden getrennt eingenommen werden, da die gleichzeitige Einnahme von Eisenpräparaten und Salicylaten die schleimhautreizende Wirkung verstärken kann.

Die Einnahme der Eisenpräparate sollte möglichst am Morgen nüchtern erfolgen, nur bei gastrointestinalen Beschwerden können sie nach einer Mahlzeit eingenommen werden. Zeitgleich sollten keine Lebensmittel wie Tee oder Kaffee (Polyphenole) oder Milchprodukte (Calcium) aufgenommen werden, da diese die Eisenresorption herabsetzen. Es hat sich gezeigt, dass die Kombination aus Eisen und Vitamin C oder die Einnahme mit Vitamin-C-haltigen Fruchtsäften (besonders Orangensaft) die Effektivität einer oralen Eisentherapie verbessert.

Viele Therapien, wenig Evidenz

Bei der Behandlung von androgenetisch bedingtem Haarausfall gibt es verschiedene Ansätze für Männer oder Frauen bzw. zur oralen oder topischen Anwendung. Während für die meisten Kosmetika und Nahrungsergänzungsmittel keine evidenzbasierten Daten zur Wirksamkeit vorliegen, konnte der Nutzen einiger apothekenpflichtiger Wirkstoffe in placebokontrollierten Doppelblindstudien nachgewiesen werden. Im Jahr 2003 untersuchte die Stiftung Warentest 21 häufig verkaufte bzw. verschriebene Mittel gegen androgenetischen Haarausfall. Darunter befanden sich Arzneimittel, Kosmetika, Haarelixiere, Shampoos und Haarkuren. In einer Bewertungsskala von 1 (geeignet) bis 4 (wenig geeignet) wurden 19 der Mittel mit wenig geeignet bewertet. Nur zwei Wirkstoffe, Finasterid und Minoxidil, erreichten die Bewertungsstufe 3, wobei bei Minoxidil weniger Nebenwirkungen auftraten. Finasterid ist für Frauen mangels Zulassung keine Option; nur in seltenen schweren Fällen wird es außerhalb der Zulassung und unter strenger Kontrazeption eingesetzt.

Neben Lösungen mit Estradiol ist Minoxidil für Frauen daher das Mittel der ersten Wahl. Der ursprünglich zur Blutdrucksenkung entwickelte Wirkstoff ist für Frauen in zweiprozentiger, für Männer in fünfprozentiger Lösung zur zweimal täglichen Anwendung rezeptfrei erhältlich. Eine randomisierte Doppelblindstudie zeigte nach 16 Wochen eine Zunahme der Haardichte um ca. 14%. Die Anwendung der fünfprozentigen Lösung führte bei Frauen nicht zu einer Verbesserung der Wirkung, verstärkte aber die unerwünschten Wirkungen wie Kopfhautirritationen. Ursächlich hierfür ist der Zusatz von Propylenglycol, wodurch die Löslichkeit des Wirkstoffs gewährleistet wird.

Minoxidil als Schaumzubereitung

Dr. Natalie Garcia Bartels, ebenfalls Oberärztin an der Hautklinik der Charité stellte eine galenische Verbesserung beim topisch anzuwendenden Minoxidil vor, die wahrscheinlich ab 2012 auch in Deutschland verfügbar sein wird. Als fünfprozentige, Propylenglycol-freie Schaumzubereitung wird Minoxidil bereits in den USA und Großbritannien eingesetzt. Vorteile sind die nur einmal tägliche Anwendung und die besseren kosmetischen Eigenschaften bei gleicher Wirksamkeit. Zwischen der zweiten und sechsten Behandlungswoche kommt es beim Schaum wie bei der Lösung zu einem verstärkten Abstoßen der noch vorhandenen Haare. Nach etwa acht Wochen bei Männern und zwölf Wochen bei Frauen zeigten sich die ersten Therapieerfolge. Diese unterschieden sich zwischen der einmal täglichen Anwendung der Lösung und der zweimal täglichen Anwendung des Schaums nicht. Die kosmetische Beschaffenheit der Haare und die Handhabung wurden aber beim Schaum durch die Anwender besser beurteilt. Juckreiz als Nebenwirkung war beim Schaum seltener als bei der Lösung, eine leichte Hypertrichose in der Stirnregion war bei beiden Gruppen zu verzeichnen.

Es gilt aber beim Minoxidil-Schaum wie bei allen anderen topischen Mitteln gegen den androgenetisch bedingten Haarausfall: die Wirkung hält nur an, solange das Mittel regelmäßig angewendet wird. Auch aus umfassend untersuchten und gut beratenen Alopezie-Patienten werden also Stammkunden für die Apotheke, so dass man guten Gewissens von den vielen beworbenen Haarwuchsmitteln ohne nachgewiesenen Nutzen abraten kann. 

Haarausfall kann nicht „geheilt“ werden Zwar kann durch eine konsequente Therapie bei vielen der Haar- verlust gestoppt werden. Doch ohne Behandlung setzt der Haarausfall wieder ein. Ursache einer diffusen Alopezie können bestimmte Grunderkrankungen, Mineralstoffmangel oder Fremdstoffeinwirkungen (Arzneimittel, Zytostatika) sein. B-Vitamine und Aminosäuren sowie Eisen- und Zinksalze können zur Unterstützung des Haarwachstums bei Mangelzuständen beitragen.

Zum Weiterlesen

Hilfe bei Haarproblemen in den Wechseljahren: Von Haar- und Lebenszyklen.

DAZ 2010, Nr. 49, S. 59– 64.

Quelle

Prof. Dr. med. Ulrike Blume-Peytavi, Berlin; Dr. Natalie Garcia-Bartels, Berlin: "Standards in der Therapie der androgenetischen Alopezie bei Frauen und Männern", Dresden, 31. März 2011, veranstaltet von der Johnson & Johnson GmbH, Neuss.Blume-Peytavi, U.; et al.: S1 guideline for diagnostic evaluation in androgenetic alopecia in men, women and adolescents, British Journal of Dermatology, 164 (1) 5-15 (2011).

Apothekerin Ute Richter



DAZ 2011, Nr. 28, S. 56

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