Selbstmedikation

Chronische Verstopfung

Was spricht gegen eine längerfristige Anwendung von Laxanzien?

Stefan Müller-Lissner | Obstipation unterliegt vielfach der Selbstbehandlung. Wie bei allen weit verbreiteten Störungen, die noch nicht vollständig aufgeklärt sind, gibt es viele beharrlich vertretene Auffassungen, die nicht belegt sind, sondern auf empirischen Beobachtungen und nicht sorgfältig durchgeführten Studien beruhen. Diese Ansichten, die wie alte Weisheiten von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden, machen deutlich, dass Gewissheit und Wissen nicht immer deckungsgleich sind [1]. Selbst die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände verbreitete kürzlich derartige Anschauungen [2]. Im Folgenden sollen einige dieser Ansichten auf den Prüfstand gestellt werden, insbesondere diejenigen, die sich auf den längerfristigen Gebrauch von Abführmitteln beziehen.

Abführmaßnahmen blicken auf eine lange Geschichte, aber eine recht kurze wissenschaftliche Prüfung zurück (siehe Abb. 1).

Ursachen der chronischen Verstopfung

Die Auffassung, dass Krankheiten durch Autointoxikation (Selbstvergiftung) durch Toxine aus dem Inhalt des Dickdarms entstehen können, ist eine uralte Vorstellung, die schon in einer ägyptischen Papyrusrolle aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. zu finden ist. Richtig gefährlich wurde diese Theorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Autointoxikation als "die verbreitetste Krankheit in der entwickelten Welt" bezeichnet wurde. Sir William Arbuthnot Lane, ein gefeierter Chirurg in London, entfernte reihenweise die Dickdärme obstipierter Patienten. Es gibt keinerlei Beweise zur Untermauerung dieser Theorie, die von Wissenschaftlern seit Langem nicht mehr vertreten wird. Nichtsdestoweniger wird die regelmäßige Kolonreinigung mit Einläufen weiterhin durchaus praktiziert ("Hydrocolontherapie").

Auch das Dolichokolon – laut Definition ein verlängertes, aber kein erweitertes Kolon – galt als eine mögliche Ursache für Obstipation. Es gibt aber keine Beweise für den Nutzen einer Darmverkürzung bei Dolichokolon oder einer Begradigung von Kolonknicken bzw. "überzähligen" Darmschlingen, außer bei Patienten mit nachweisbarer Darmverschlingung.

Es besteht kein Zweifel, dass ballaststoffreiche Kost beim Gesunden die Stuhlmenge und Stuhlfrequenz erhöht und den Stuhl weicher werden lässt. Ballaststoffarme Kost kann aber nicht generell als Ursache der chronischen Obstipation angesehen werden, auch wenn sie innerhalb einer Untergruppe von Patienten zur Obstipation beiträgt. Einigen Patienten kann durch eine faserreiche Kost geholfen werden, bei vielen Patienten mit schwererer Obstipation verschlimmern sich jedoch die Symptome, wenn sie den Ballaststoffverzehr steigern.

Vergleichsweise kleine Veränderungen im Wassergehalt des Stuhls führen zu beträchtlichen Veränderungen seiner Konsistenz. Dies könnte erklären, warum jemand auf den Gedanken kam, dass harte Stühle von geringem Volumen durch vermehrtes Trinken weicher und voluminöser werden könnten. Wir wissen aber heute, dass der Stuhl durch Veränderung der Flüssigkeitsaufnahme nicht in klinisch relevantem Umfang beeinflusst werden kann. Eine Obstipation lässt sich durch Steigerung der Flüssigkeitsaufnahme über das normale Maß hinaus nicht erfolgreich behandeln.

Die Darmfunktion kann bis zu einem gewissen Grad mit der körperlichen Aktivität korrelieren. Bei älteren Menschen kann Obstipation mit verminderter körperlicher Aktivität zusammenhängen, aber wahrscheinlich spielt auch vieles Andere, z. B. die kognitiven Funktionen, die Einnahme von Medikamenten und die Ernährung eine Rolle. Insgesamt bewegen sich Obstipierte nicht weniger als Kontrollpatienten. Ob ein körperliches Trainingsprogramm in der Behandlung der Obstipation effektiv ist, ist unklar, als alleinige Therapiemaßnahme bei chronischer Obstipation ist es in der Regel jedoch ungeeignet.

Längerfristige Anwendung von Laxanzien

Die Anwendung vieler Laxanzien wird seit Langem nur für kurze Zeit befürwortet, da vielfach behauptet wird, ihre Langzeitanwendung beeinträchtige die normale Kolonfunktion, erzeuge Abhängigkeit, schädige das Nervensystem des Darms und/oder die glatte Darmmuskulatur und erhöhe das Risiko für kolorektale Karzinome. Letztere Befürchtung wurde in erster Linie gegenüber den Anthrachinonen gehegt, gilt aber seit Längerem als widerlegt [3]. Darüber hinaus wurden auch bei kurzzeitiger Anwendung Fragen bezüglich der Sicherheit mancher Präparate in Bezug auf Schwangerschaft und Stillzeit laut.

Im Folgenden soll in erster Linie auf die Frage des Elektrolytverlustes und der Gewöhnung bei längerfristiger Anwendung eingegangen werden. Daneben werden aber auch andere vermutete Nebenwirkungen einer Langzeitanwendung von Laxanzien diskutiert.

Laxanzien und Elektrolyte

Die Elektrolytkonzentration im Darmlumen entspricht derjenigen des Blutes. Wird Wasser resorbiert, so stets zusammen mit Salzen. Wird Flüssigkeit sezerniert, so ebenfalls zusammen mit Salzen.

Der Organismus kann auf zwei Wegen über den Darm an Elektrolyten verarmen. Dies ist erstens der Fall, wenn eine starke Flüssigkeitssekretion stimuliert wird, was in jedem Fall Durchfälle zur Folge hat. Dafür ist die Cholera ein exemplarisches Beispiel. Dies kann demnach bei Gabe von sekretorisch wirkenden Laxanzien (siehe Abb. 2) der Fall sein, wenn sie chronisch überdosiert werden, so dass Durchfälle auftreten. Bei bestimmungsgemäßer Dosierung, die ja keine Durchfälle erzeugt, ist dies weder zu erwarten noch beobachtet worden. Die Studien, in denen der Elektrolytstatus systematisch erhoben wurde, sind in der Tabelle zusammengestellt.


Studien mit wochenlanger Gabe von Bisacodyl, Natriumpicosulfat bzw. Sennosiden, in denen die Serum elektrolyte systematisch kontrolliert wurden.

Laxans
Anzahl
Patienten
Behandlungsdauer
Effekt auf
Serumkalium
Effekt auf
Serumnatrium
Referenz
Senna
104
1 bis > 2 Jahre
keine Abweichung
keine Abweichung
[4]
Senna
35
34 Monate
(Mittelwert)
keine Abweichung
keine Abweichung
[5]
Bisacodyl
107
< 5 bis > 35 Jahre
2 Patienten
mit leichter
Hypokaliämie
nicht gemessen
[6]
Bisacodyl
197
4 Wochen
keine Abweichung
1 Patient
hyponatriäm
[7]
Bisacodyl,
Natrium-Picosulfat
144
4 Wochen
keine Abweichung
keine Abweichung
[8]
Natrium-Picosulfat
362
4 Wochen
keine Abweichung
keine Abweichung
[9]

Die zweite Möglichkeit, dem Körper Elektrolyte zu entziehen, ist die Gabe großer Mengen elektrolytfreier Flüssigkeit. Würde man z. B. mehrere Liter Macrogollösung zur Darmreinigung vor der Darmspiegelung ohne Elektrolytzusatz geben, so würde das zur Diffusion von Blutsalzen ins Darmlumen führen. Um dies zu vermeiden, sind den Spüllösungen für die Darmvorbereitung Elektrolyte in physiologischer Konzentration beigemischt. Gibt man hingegen Macrogol als Laxans, also in geringen Mengen und ohne Durchfall zu erzeugen, so ist dieser Zusatz von Elektrolyten überflüssig und wegen des salzigen Geschmacks sogar störend [10]. Bei manchen Laxanzien kann der Organismus auch zu viele Elektrolyte erhalten. Dies betrifft die osmotischen Salze und die phosphathaltigen Laxanzien, die bei längerem Gebrauch in nennenswerten Mengen resorbiert werden können. Probleme können dann insbesondere bei Kindern und bei Patienten mit Herz- und Niereninsuffizienz auftreten.

Gewöhnung

Die Entwicklung von Toleranz gegenüber Anthrachinonen und Bisacodyl bzw. Natriumpicosulfat tritt in der Gruppe der schwersten Fälle mit verlangsamter Kolonpassage auf, bei denen andere Arten von Laxanzien ohnehin unwirksam sind. Toleranz ist bei den meisten Anwendern dagegen ungewöhnlich. Natürlich ist nicht zu erwarten, dass ein Patient, der längere Zeit Laxanzien eingenommen hat, nach deren Absetzen auf einmal nicht mehr obstipiert ist. Dies kann man aber nicht als Gewöhnung interpretieren, sondern als Fortbestehen des Symptoms Obstipation, das ja auch ursprünglich zum Laxanziengebrauch geführt hat. Ein Teil der Patienten mit chronischer Obstipation ist also von Laxanzien abhängig, um Stuhlgang ohne Beschwerden wie starkes Pressen zu erreichen, aber dies ist nicht das Ergebnis der vorausgegangenen Einnahme von Laxanzien.

Neuere Studien mit Bisacodyl und Natriumpicosulfat liefern zusätzliche Evidenz gegen eine Gewöhnung. So halbierte in einer kontrollierten Studie die Hälfte der Patienten die Dosis im Verlauf der vierwöchigen Behandlung mehr und mehr, was einer Gewöhnung widerspricht ( Abb. 3) [9]. Diese Ergebnisse wurden in einer ähnlichen Studie mit Bisacodyl bestätigt [7].

Laxanzienmissbrauch

Niemand soll Laxanzien einnehmen, der ihrer nicht bedarf. Laxanzienmissbrauch ist definiert als der nicht indizierte oder überhöhte Gebrauch von Abführmitteln. Dagegen ist der auch langfristige Gebrauch bei gegebener Indikation kein Missbrauch. Dabei sind Dosis und Einnahmehäufigkeit so zu wählen, dass ein weicher geformter Stuhl abgesetzt wird und keine Diarrhoe erzeugt wird.

Melanosis coli

Eine besonders auffallende Eigenheit betrifft die Anthrachinone. Bei längerer Einnahme verfärbt sich die Mucosa des Colons bräunlich-schwärzlich. Diese Pigmentierung wird durch Zelltrümmer verursacht, die physiologischerweise durch die Apoptose (programmierter Zelltod des Wechselgewebes) von Kolon epithelzellen entstehen. Sie werden durch Anthrachinone gefärbt und dann von den Makrophagen der Submukosa aufgenommen. Die Makrophagen wandern über die Lymphgefäße ab. Nach Beendigung der Einnahme der Anthrachinone verschwindet die Melanose daher nach Wochen bis Monaten wieder. Sie hat offenkundig keinerlei funktionelle Bedeutung.

Schwangerschaft und Stillzeit

Naturgemäß bestehen hier besonders hohe Anforderungen an die Sicherheit von Laxanzien, zumal Schwangere vermehrt über Obstipation klagen. Als sicher während der Schwangerschaft können Lactulose, Sorbit, Macrogol, Bisacodyl und Natriumpicosulfat gelten, da sie nicht oder in vernachlässigbaren Mengen resorbiert werden. Dasselbe gilt zwar wahrscheinlich auch für die osmotischen Salze bei gesunden Schwangeren sowie für Sennoside. Angesichts der verfügbaren Alternativen besteht hier aber keine Notwendigkeit des Einsatzes.

Lactulose, Sorbit, Macrogol, Bisacodyl und Natriumpicosulfat können bei Bedarf auch während der Stillperiode gegeben werden, da sie nicht resorbiert werden bzw. nicht in die Muttermilch gelangen. Sennoside waren in geringen Mengen in der Muttermilch nachweisbar, ohne Einfluss auf die kindlichen Stühle zu haben.

Die neuen Substanzen Prucaloprid, Lubiproston und Linaclotid sind mangels Erfahrung in Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert.

Zusammenfassung

Während die bei uns zugelassenen Laxanzien für den kurzfristigen Gebrauch alle sicher sind, gelten für den langfristigen Gebrauch Einschränkungen für salinische und phosphathaltige Laxanzien. Bei bestimmungsgemäßer Dosierung, das heißt wenn ein weicher geformter Stuhl erzeugt wird und keine Diarrhoen, ist auch bei langfristiger Gabe von Macrogol, Lactulose, Bisacodyl, Natriumpicosulfat und Sennosiden nicht mit Elektrolytverlusten zu rechnen. Ein Wirkungsverlust tritt ebenfalls nicht ein, ausgenommen bei den sehr seltenen Patienten mit schwerer Transitstörung. Ein Wiederauftreten der Obstipation nach Absetzen des Laxans kann nicht als Gewöhnung interpretiert werden, sondern als Fortbestehen des Symptoms Verstopfung. In der Schwangerschaft und Stillzeit können Macrogol, Lactulose, Bisacodyl und Natriumpicosulfat gegeben werden.


Quelle

[1] Müller-Lissner SA, Kamm MA, Scarpignato C, Wald A. Myths and misconceptions about chronic constipation. Amer J Gastroenterol 2005; 100: 232 – 242.

[2] Abführmittel in der Selbstmedikation nur kurzfristig anwenden. www.abda.de

[3] Sonnenberg A, Müller AD. Constipation and cathartics as risk factors of colorectal cancer: a meta-analysis. Pharmacology 1993, 47 Suppl 1: 224 – 233.

[4] Heiny BM. Langzeitbehandlung mit einem pflanzlichen Laxativum. Serumelektrolyte und Säurenbasenhaushalt. Ärztliche Praxis 1976; 28: 563 – 564.

[5] Rosprich G. Dauerbehandlung mit Laxanzien. Therapiewoche 1980; 30: 5836 – 5867.

[6] Ruidisch MH, Hutt H-J, König E. Laxanzien-Langzeittherapie mit Bisacodyl. Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Patienten mit Rückenmarkverletzungen. Ärztliche Forschung 1994; 41: 3 – 8.

[7] Kamm MA, Müller-Lissner SA, Wald A, Hinkel U, Richter E, Swallow R, Bubeck J. Stimulant laxatives are effective in chronic constipation: multi-center, 4-week, double-blind, randomized, placebo-controlled trial of bisacodyl. Clin Gastroenterol Hepatol 2011;9:577 – 583.

[8] Kienzle-Horn S, Vix JM, Schuijt C, Peil H, Jordan CC, Kamm MA. Comparison of bisacodyl and sodium picosulfate in the treatment of chronic constipation. Curr Med Res Opinion 2007; 23: 891 – 899.

[9] Müller-Lissner S, Kamm MA, Wald A, Hinkel U, Koehler U, Richter E, Bubeck J. Multicenter, 4-week, double-blind, randomized, placebo-controlled trial of sodium picosulfate in patients with chronic constipation. Am J Gastroenterol 2010; 105: 897 – 903.

[10] Szojda MM, Mulder CJ, Felt-Bersma RJ. Differences in taste between two polyethylene glycol preparations. J Gastrointest Liver Dis 2007; 16: 379 – 381.


Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. Stefan Müller-Lissner, Abteilung für Innere Medizin, Park-Klinik Weissensee, Schönstr. 80, 13086 Berlin



DAZ 2012, Nr. 1, S. 70

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