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Arzneimittel und Therapie
Erste Grippeimpfung als Nasenspray
Influenza ist im Gegensatz zu einem grippalen Infekt eine ernste Erkrankung, die häufig mit Komplikationen verbunden ist. Jährlich infizieren sich etwa drei bis fünf Millionen Menschen weltweit. Jedes Jahr erkranken 5 bis 10% der erwachsenen Bevölkerung an Influenza, Kinder sind mit 20 bis 30% noch stärker betroffen. Gründe hierfür sind zum einen ein nicht voll entwickeltes Immunsystem. Zudem ist die Ansteckungsgefahr durch die vielen Kontakte mit anderen Kindern in Kindergärten und Schulen besonders hoch. Von dort tragen infizierte Kinder das Virus in die Familien, von wo aus es sich weiter verbreitet. "Kinder stecken sich nicht nur leicht an und verbreiten das Virus schnell, bei ihnen sind auch schwere Krankheitsverläufe möglich", so Prof. Dr. Markus Knuf, Direktor der Klinik für Kinder und Jugendliche der Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden am 14. September 2012 auf einer von der AstraZeneca GmbH unterstützten Pressekonferenz, die im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Hamburg stattfand [1].
Mehr Komplikationen
Die charakteristischen Symptome einer Influenza sind ein plötzlicher Beginn mit rascher Verschlechterung (innerhalb weniger Stunden), hohes Fieber (> 39°C), Schweißausbrüche, starke Muskel- und Gliederschmerzen, trockener, starker und schmerzhafter Husten, Halsschmerzen, Abgeschlagenheit und lang andauernde Erschöpfung. Verläuft die Influenza komplikationslos, lässt das Fieber nach drei bis sieben Tagen nach und die Symptome bessern sich. Der komplizierte Verlauf ist durch Zweitinfektionen gekennzeichnet, etwa bakterielle Superinfektionen mit Haemophilus influenzae, Staphylokokken, Streptokokken oder Pneumokokken. Diese können insbesondere bei Kindern zu Komplikationen wie Enzephalopathie, Myokarditis, Bronchitis, Pneumonien, Reye-Syndrom sowie Otitis media führen. Typischerweise kommt es nach einer Influenzainfektion häufig zu länger bestehenden Erschöpfungszuständen. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass nicht nur ältere Menschen, sondern insbesondere auch Säuglinge und Kleinkinder hohe Hospitalisierungsraten aufweisen.
Geringe Impfquote
Obwohl Kinder häufiger erkranken und schwere Krankheitsverläufe aufweisen können sowie eine Ansteckungsquelle für Erwachsene und Risikogruppen darstellen, werden im Verhältnis zu Erwachsenen deutlich weniger Kinder und Jugendliche gegen Influenza geimpft. Im Zeitraum zwischen Juli 2011 und März 2012 erhielten insgesamt 18% der Gesamtbevölkerung eine Influenza-Impfung, aber nur 3% der 0- bis 18-Jährigen. Von allen Kindern, die wegen einer erhöhten gesundheitlichen Gefährdung wegen einer Grunderkrankung laut der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) geimpft werden sollten, bekamen in der Saison 2007/2008 nur etwa 12% eine Influenza-Impfung. Mit dem neuen nasalen Influenza-Spray erhofft man sich aufgrund der anwenderfreundlichen Applikationsweise, die Impfraten bei Kindern und Jugendlichen zu erhöhen.
Influenza-Schutz dank mukosaler Immunität
Vorteil der neuen Lebendvakzine ist eine Stimulation der Immunabwehr auf dem natürlichen Infektionsweg. "Durch die nasale Applikation wird eine mukosale Immunität direkt an der Eintrittspforte der Influenzaviren induziert", erläuterte Prof. Dr. Markus A. Rose, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt. Während herkömmliche trivalente intramuskuläre Influenzavakzine eine systemische Immunität erzeugen, die durch Transsudation von Serum-Antikörpern die unteren Atemwege schützt, baut die intranasale lebend-attenuierte Influenzavakzine eine lokale Schleimhautimmunität und eine zusätzliche systemische (unter anderem auch eine T-Zell-vermittelte) Immunität auf. IgA-Antikörper der Schleimhaut bilden ein erstes Schutzschild gegen das Eindringen von Influenzaviren. Außerdem werden Plasmazellen aktiviert (Sekretion von IgG-Antikörpern) und eine zelluläre Immunreaktion in Gang gesetzt. Der neue Lebendimpfstoff sorgt für einen schnell einsetzenden, effektiven und lang anhaltenden Schutz vor Grippeerkrankungen. Indirekte Effekte wie eine Kreuzprotektion und Herdenimmunität sind weitere Merkmale der mukosalen Immunisierung mit der intranasalen Influenzavakzine.
Die intranasale Influenzavakzine hat sich in über 70 klinischen Studien, an denen mehr als 40.000 Kinder und Jugendliche teilgenommen haben, sowohl im Vergleich zu Placebo als auch im Vergleich zu Injektionsimpfstoffen als überlegen in der Vermeidung von Influenza-Erkrankungen erwiesen. Im Vergleich zu injizierbaren Impfstoffen traten bei Kindern und Jugendlichen im Alter von zwei bis 17 Jahren unter Fluenz® 48% weniger Grippeerkrankungen auf.
Der nasale Influenzaimpfstoff ist gut verträglich. Zu den häufigsten beobachteten Nebenwirkungen gehören unter anderem eine verstopfte oder laufende Nase, verminderter Appetit und Kopfschmerzen. Allerdings ist der Lebendimpfstoff bei einzelnen von der STIKO als Influenza-Impfindikation genannten Grunderkrankungen kontraindiziert (Kinder mit klinischer Immunschwäche aufgrund von Erkrankungen oder infolge einer immunsuppressiven Therapie). Außerdem dürfen Kinder unter Salicylatbehandlung nicht mit Fluenz® geimpft werden (Risiko Reye-Syndrom), und vor der Anwendung bei Kindern mit schwerem Asthma oder akutem Giemen wird gewarnt, da dieses Patientenkollektiv nicht hinreichend untersucht wurde.
Der neue nasale Impfstoff bietet einen lang anhaltenden Impfschutz über die ganze Grippesaison und sogar darüber hinaus: Neun bis zwölf Monate nach der Impfung betrug die Wirksamkeit gegen Influenza-A-Subtypen noch zwischen 77% und 100%. Gegen die Influenza-B-Subtypen wurde nach fünf bis sieben Monaten noch eine Wirksamkeit von 86% beobachtet.
Kurzinfo zu Fluenz®Der neue nasale Lebendimpfstoff Fluenz® ist wie die aktuell in Deutschland zugelassenen saisonalen Influenza-Totimpfstoffe ein trivalenter Impfstoff. Die Zusammensetzung mit Virusstämmen vom Typ A (H1N1, H3N2) und Typ B entspricht der aktuellen Empfehlung der WHO. Die abgeschwächten Virusstämme sind kälteadaptiert und thermosensitiv, das heißt, sie können sich nur im Nasopharynx vermehren. In den tiefen Atemwegen sterben die Impfviren ab. Der nasale Lebendimpfstoff ist stärker immunogen als intramuskuläre Grippeimpfstoffe und entfaltet schon wenige Tage nach der Impfung eine Schutzwirkung, während die herkömmlichen Totimpfstoffe in der Regel bis zu zwei Wochen dafür brauchen. |
Fluenz® ist nadelfrei und einfach in der Anwendung: Es wird mithilfe eines Sprühers verabreicht – in jedes Nasenloch kommt ein Sprühstoß von 0,1 ml. Der Impfstoff darf ausschließlich als Nasenspray angewendet und keinesfalls injiziert werden. Grundsätzlich gilt wie bei allen Influenzaimpfungen, dass Kinder, die zuvor noch nie gegen Influenza geimpft wurden, in der ersten Saison zweimal geimpft werden sollten (im Abstand von mindestens vier Wochen). Neben der in den klinischen Studien nachgewiesenen Wirksamkeit liegen auch umfangreiche Langzeiterfahrungen aus dem praktischen Alltag z. B. aus den USA vor, wo der Impfstoff bereits seit 2003 unter dem Namen FluMist® zugelassen ist. Weltweit wurden seit 2003 über 50 Millionen Dosen vertrieben.
Wer übernimmt die Kosten?
Seit 2007 ist die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) verpflichtet, die Kosten für Schutzimpfungen zu tragen. Grundlage dafür sind die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO). Die STIKO empfiehlt in Deutschland die jährliche Influenzaimpfung für Kinder und Jugendliche mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge einer Grunderkrankung (Indikationsimpfung). Für diese Zielgruppe ist die Grippeimpfung eine GKV-Pflichtleistung. Viele gesetzliche und private Krankenkassen übernehmen darüber hinaus die Kosten für die Impfung auch bei Kindern ohne Impfindikation und bieten sie dann als Satzungsleistung an. Erfolgt jedoch weder eine Erstattung als Pflicht- oder als Satzungsleistung, müssen die Kosten der Impfung von den Eltern übernommen werden. Grippeimpfstoffe für gesetzlich versicherte Kinder werden üblicherweise von den Ärzten über den Sprechstundenbedarf abgerechnet. Private Patienten erhalten in der Regel den Impfstoff mit einem individuell ausgestellten Privatrezept in ihrer Apotheke. Daneben besteht für den Arzt die Möglichkeit, Impfstoffe für seinen privaten Praxisbedarf zu beziehen und mit Privatpatienten direkt abzurechnen.
Erschwerter Marktzugang
Der Marktzugang ist für Fluenz® allerdings beschränkt. Ärzte sind in weiten Teilen Deutschlands durch Rabattverträge gehalten, lediglich den Ausschreibungsgewinner zu impfen. In Hamburg haben die Krankenkassen zugesagt, dass – solange der Ausschreibungsgewinner nicht lieferbar ist – für die Impfung von Kindern und Jugendlichen alle verfügbaren geeigneten Impfstoffe – damit auch Fluenz® – verwendet werden können. Nur im Einzelfall kann der Arzt aus medizinischen Gründen den nasalen Impfstoff als GKV-Einzelverordnung (nicht über den Sprechstundenbedarf) verordnen. Auch ein Privatrezept ist möglich. Ärzte der KV-Bezirke Nordrhein, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg unterliegen bislang keinen besonderen Regelungen bezüglich der Grippeimpfung von Kindern. Sie können daher Fluenz® über den Sprechstundenbedarf bestellen.
Wieso wurde eine altersbeschränkte Zulassung erteilt?Der nasale Lebendimpfstoff ist erst für Kinder ab zwei Jahren zugelassen, da in den Studien bei sechs bis 24 Monate alten Kindern vermehrt obstruktive Atemwegsbeschwerden wie Giemen aufgetreten waren. Bei Säuglingen zwischen sechs und elf Monaten kam es zu einer erhöhten Rate von Hospitalisierungen. Die Zulassung ist auf Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr beschränkt. Zwar konnte in Studien gezeigt werden, dass Fluenz® im Vergleich zu Placebo auch bei Erwachsenen wirksam ist. Allerdings konnte keine Schlussfolgerung über die klinische Überlegenheit des Impfstoffes gezogen werden. |
Nur 10er-Packungen erhältlich
Da Fluenz® allerdings ausschließlich als 10er-Packung lieferbar ist, ergibt sich bei GKV- und privaten Einzelverordnungen für die Apotheke das Problem des Auseinzelns. Die Schloss-Apotheke, eine Versandapotheke in Bergisch Gladbach, hat sich dem Problem angenommen und es folgendermaßen gelöst: Obwohl sie prinzipiell die Möglichkeit des Auseinzelns durch den Apotheker als vertretbar erachtet (basierend auf der Rechtsgrundlage des Urteils vom OLG München, Entscheidungsdatum: 6. Mai 2010 mit dem Aktenzeichen: 29 U 4316/09), hat sie sich für folgende Alternativen entschieden, die sie den Pädiatern bundesweit anbietet:
1. Bei Privatpatienten: Die Schloss-Apotheke liefert dem Arzt für seinen privaten Praxisbedarf Fluenz® in Packungseinheiten mit je zehn Spritzen. Der Arzt einzelt in seiner Praxis selber aus und stellt dem Privatpatienten anteilig etwa 1/10 des Apothekenverkaufspreises, der für die 10er-Packung derzeit bei 229,98 Euro/10er-Packung inkl. MwSt. liegt, sowie seine ärztliche Leistung in Rechnung. Wenn der Arzt es wünscht, übernimmt die Schloss-Apotheke die Abrechnung des Impfstoffes mit dem Privatpatienten. Die Einzeldosis wird von der Apotheke mit 18,52 Euro zuzüglich MwSt. berechnet.
2. Bei GKV-Patienten: Hat der Arzt im begründeten Einzelfall eine GKV-Einzelverordnung ausgestellt, bestellt er eine 10er-Packung Fluenz® in der Schloss-Apotheke für seinen privaten Praxisbedarf und einzelt selber aus. Das GKV-Rezept sendet er im Einvernehmen mit dem Versicherten an die Schloss-Apotheke. Die Schloss-Apotheke rechnet die GKV-Einzelverordnung mit der gesetzlichen Kasse ab und berechnet dem Arzt neun Dosen Fluenz® für seinen privaten Praxisbedarf. Es bleibt abzuwarten, wie viele Apotheken diesem Beispiel folgen werden beziehungsweise wie zukünftig die Problematik des eingeschränkten Marktzuganges aufgrund der Rabattverträge und der 10er-Packungen gelöst werden wird.
QuelleFachinformation Fluenz®, August 2012. Stellungnahme der STIKO zum Lebendimpfstoff gegen Influenza, Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts Nr. 37 vom 17. September 2012.Persönliche Mitteilung vom 20./21. September 2012 der Schloss-Apotheke in Bergisch Gladbach zur Praxis der Versorgung mit Fluenz®.
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