Deutscher Apothekertag 2012

Ethik im Gesundheitswesen

Apotheker führen (noch) ein "Schattendasein"

Welche Bedeutung haben Apotheker für die Qualität des deutschen Gesundheitswesens? Diese Frage erörterte Bischof a. D. Prof. Dr. Wolfgang Huber, Mitglied des Deutschen Ethikrates und ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, in seinem Festvortrag nach der Eröffnung des Deutschen Apothekertags. Es war ihm ein Anliegen, die Leistungen der Apotheker – auch aus ethischer Sicht – zu würdigen.
Prof. Dr. Wolfgang Huber Foto: DAZ/Alex Schelbert

Von der Medizinethik zur Gesundheitsethik

Laut Huber führen die Apotheken ein Schattendasein im Gesundheitswesen, während die Medizin eindeutig im Zentrum steht und die Pflege ständig an Bedeutung gewinnt. Das mag auch an der schlanken Kostenstruktur liegen, denn die Marge der Apotheker sei "wirklich nicht unbescheiden", so Huber. Andererseits sind die Apotheker den Patienten oft näher als die Ärzte und das Pflegepersonal. Sie erhalten bei Umfragen nach dem Ansehen verschiedener Berufe stets Spitzenwerte und sollten bei den Diskussionen um die Aus- und Umgestaltung des Gesundheitswesens stärker berücksichtigt werden. Huber plädierte deshalb dafür, die Medizinethik zur Gesundheitsethik weiterzuentwickeln.

Wozu gesund?

Was ist "Gesundheit". Hierzu gibt es viele Definitionen, z. B. diejenige der Weltgesundheitsorganisation WHO, die verkürzt lautet: "das vollkommene geistige und körperliche Wohlbefinden". Huber distanzierte sich von diesem hoch gesteckten Ideal, denn die Vulnerabilität sei ein Teil der menschlichen Existenz. Insofern sind auch Krankheiten und Gebrechen "menschlich" und beeinträchtigen die Würde des Menschen nicht. Zur Würde des Menschen gehöre es aber auch, dass er die für ihn sinnvollen Gesundheitsleistungen erhält.

Huber definierte Gesundheit als ein "Ermöglichungsgut". Sie ist die Voraussetzung für viele Aktivitäten und Funktionen. Insbesondere ermöglicht sie dem Individuum die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – ein wichtiger Aspekt, denn ein Leben ohne soziale Beziehungen sei fast so, als ob man tot ist.

Für Huber schließt Gesundheit auch die Möglichkeit ein, würdig zu sterben. Viele Menschen fürchten sich nicht zu Unrecht davor, dass ihr Leben nach einem Unfall oder bei schwerster Krankheit sinnlos verlängert wird. Ein verantwortungsvoller Arzt müsse die kurative Therapie in eine palliative Therapie ändern, wenn eine Heilung nicht mehr möglich erscheint. Dann stelle sich auch nicht die Frage der aktiven Sterbehilfe, die Huber selbstverständlich ablehnt.

Mehr Solidarität und richtig verstandene Ökonomie

An ein ideales Gesundheitssystem stellte Huber folgende Ansprüche: Es dürfe niemanden benachteiligen, und die einzelnen Akteure sollten solidarisch handeln, d. h. dass sie sich an den Bedürfnissen der Patienten orientieren und keine Partikularinteressen verfolgen.

Die Gesundheitsethik impliziert, dass die Ressourcen effizient genutzt werden. Dies geschieht mithilfe der Ökonomie; die häufig beklagte "Ökonomisierung des Gesundheitswesens" zielt deshalb am eigentlichen Problem vorbei. Problematisch ist laut Huber vielmehr die Verschiebung des ökonomischen Paradigmas in Richtung Ertragsmaximierung. Es sei alarmierend, dass manche Krankenhausträger ihren Chefärzten Boni zahlen, wenn sie lukrative Patienten akquirieren. Diese (legale) Praxis unterhöhle das Vertrauen in die Moral der Ärzteschaft ebenso wie die (illegale) Bevorzugung bestimmter Patienten bei der Organtransplantation.

Zudem kritisierte Huber, dass das Großkapital im Gesundheitswesen Fuß gefasst hat und dort die Mentalität des "share holder value" verbreitet. Dies gehe zulasten der kleineren Akteure, zu denen auch die Vor-Ort-Apotheken gehören. Huber wörtlich: "Man muss ihnen die Luft zum Atmen lassen."

Fürsorge und Selbstbestimmung

Mehrmals in seinem Vortrag mahnte Huber eine bessere Kommunikation der Heilberufler mit den Patienten an. Information und Beratung seien keine beliebige Zugabe, sondern ein essenzieller Bestandteil der Therapie, weshalb sie auch in die Kostenkalkulation eingehen müssten. Auf der Basis von Transparenz und Vertrauen müsse eine neue Balance gefunden werden zwischen Fürsorge einerseits und Selbstbestimmung andererseits. Diese scheinbar gegensätzlichen Prinzipien gehören zusammen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wenn man den Patienten umfassend informiert, sodass dieser darauf aufbauend seine individuelle Entscheidung treffen kann, ist dies laut Huber "praktizierte Nächstenliebe".


cae



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DAZ 2012, Nr. 42, S. 94

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