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- Rinderwahn beim Menschen
Arzneimittel und Therapie
Rinderwahn beim Menschen
Nur ein Relikt der Vergangenheit?
Ein Problem aus dem letzten Jahrhundert ...
Die nicht mehr ganz so jungen unter uns erinnern sich noch sehr genau an die erschreckenden Aufnahmen torkelnder Rinder mit verdrehten Augen und hängender Zunge – „wahnsinnige“ Rinder, deren Gehirne bei einer genaueren Post-mortem-Analyse schwammartig aufgelöst waren. Es handelte sich dabei um die bovine spongiforme Encephalopathie (BSE), die zu den sogenannten transmissiblen spongiformen Encephalopathien (TSE) gehört und erstmals Mitte der 1980er Jahre an damals 16 Rindern beobachtet wurde. Inzwischen geht man von weltweit insgesamt ca. 190.000 betroffenen Tieren aus, die überwiegend in Europa gehalten wurden. Neben BSE gehört z.B. auch noch die bereits 1732 beschriebene Scrapie bei den Schafen, chronic wasting disease bei Elchen und Kuru sowie Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) beim Menschen zu diesen Erkrankungsformen (Tab. 1). Gekennzeichnet sind diese Krankheiten durch eine unspezifische Nervenzelldegeneration des Groß- und Kleinhirns, der Basalganglien und des Rückenmarks, die zur schwammartigen Morphologie und – mit Fortschreiten der Krankheit – zu entsprechenden funktionellen Ausfällen führt. Im elektronenmikroskopischen Bild der untersuchten Gehirne erkannte man abnorme fibrilläre Strukturen, die als „Scrapie assoziierte Fibrillen“ (SAF) bezeichnet werden.
Das Problem wurde vermutlich durch Tiermehl verursacht, das dem Rinderfutter zugesetzt war und mit einem neuartigen infektiösen Agens kontaminiert war, einem Prion, also einem „proteinaceous infectious particle“. Vor allem betraf es das Vereinigte Königreich (UK): Dort stieg die Zahl der an BSE erkrankten Rinder in den frühen 1990er Jahren rapide an (Tab. 2).
... mit dramatischen Konsequenzen
Als Konsequenz aus den BSE-Fällen wurde bereits 1988 in Großbritannien die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer verboten. Im Juli 1989 verhängte die EU ein Exportverbot für britische Rinder, die vor dem 18. Juli 1988 geboren wurden, sowie für Kälber von BSE-verdächtigen Kühen. Dieses Exportverbot wurde im März 1990 dahingehend erweitert, dass keine britischen Rinder, die älter als sechs Monate waren, exportiert werden durften. Rindfleisch war davon zunächst nicht betroffen. Gleichzeitig wurde das Auftreten von Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen sorgfältig überwacht. Und tatsächlich fanden sich in den Jahren 1994/1995 bei den insgesamt 207 untersuchten CJK-Fällen in Großbritannien zehn Fälle, die sich deutlich von den sporadischen Erkrankungen unterschieden (Tab. 1). Damit lag der Verdacht nahe, dass von BSE auch eine Gesundheitsgefahr für den Menschen ausgehen könnte. Daraufhin verhängte die EU 1996 ein Exportverbot für britische Rinder und Rinderprodukte, das erst 1999 wieder aufgehoben wurde. Außerdem wurde Großbritannien von der EU verpflichtet, vier Millionen Rinder, die älter als 30 Monate waren, zu töten und zu vernichten. Seit 2001 müssen im Rahmen der EU-weiten BSE-Schutzmaßnahmen gesund geschlachtete Rinder ab einem bestimmten Alter auf BSE getestet werden. Diese Testpflicht galt zunächst für alle Rinder ab einem Alter von 30 Monaten. 2008 wurde das Testalter auf 48 Monate angehoben, 2011 schließlich auf 72 Monate. In Deutschland hat es 2009 den letzten positiven BSE-Befund gegeben (Tab. 3). Gemäß EU-Recht könnten die EU-Staaten ab März 2013 gänzlich auf verbindliche BSE-Tests bei gesund geschlachteten Rindern verzichten. In Deutschland wird jedoch weiter an der routinemäßigen Testung festgehalten, wobei allerdings das Testalter der Rinder von 72 auf 96 Monate angehoben wurde. Vom 1. Januar 2001 bis zum 31. August 2013 wurden in Deutschland insgesamt 22.510.976 Rinder auf BSE untersucht. Innerhalb des Zeitraumes 1. Januar 2001 bis 22. Juni 2009 wurden 406 Fälle von BSE amtlich festgestellt. Danach konnte kein weiterer Fall mehr nachgewiesen werden (siehe Tab. 3).
Ein ungewöhnliches infektiöses Partikel
Als Verursacher der Erkrankung wurde ein Protein identifiziert, das in Form der Scrapie-assoziierten Fibrillen in den Gehirnen betroffener Tiere gefunden wurde. Und als Stanley Prusiner postulierte, dass sich dieses Protein auch noch weiter „vermehrt“ und eine neue Variante eines infektiösen Partikels darstellt, stand die Wissenschaft Kopf – Proteine als Pathogen, die in eine Art Domino-Effekt zur Ausbildung der Fibrillen führen, hielt man damals für schier undenkbar! Und dennoch erhielt Prusiner 1997 genau für diese Hypothese den Nobelpreis für Medizin und Physiologie, denn seine Theorie hatte sich eindeutig als korrekt erwiesen.
Das Prion-Protein (PrP) sitzt in seiner nativen Form auf der Oberfläche von Nervenzellen und scheint dort in die Funktion der synaptischen Plastizität und strukturellen Integrität der Myelinscheide eingebunden zu sein. Normalerweise ist PrP aus mehreren alpha-Helices aufgebaut, die sich jedoch zu beta-Faltblätter umlagern können (Abb. 1). Diese Konformationsänderung hat zur Folge, dass das Protein sehr stabil gegenüber Proteasen und anderen Protein-degradierenden Agenzien wird. Zudem lagert sich die modifizierte Variante, die wegen der Entdeckung bei Scrapie-Schafen mit PrPSc bezeichnet wird, in Form von Fibrillen ab und fungiert quasi als Katalysator, um unverändertes PrPc in PrPSc umzulagern.
BSE als Gefahr für den Menschen
Zu Beginn der BSE-Krise schien es unmöglich, dass Menschen durch den Verzehr von Fleisch infizierter Tiere erkranken könnten. Das spiegelt sich auch im eher zögerlichen Exportverbot von britischem Rindfleisch vonseiten der Europäischen Union wider. Erst als 1996 über zehn Fälle der varianten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit in Großbritannien berichtet wurde, wurden die EU-weiten BSE-Schutzmaßnahmen verstärkt. Bereits 1990 wurde in Großbritannien eine Überwachung der CJK-Fälle initiiert, die dann auch tatsächlich die bereits erwähnten ersten Fälle aufdeckte. Seitdem sind insgesamt 177 Fälle der varianten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit in Großbritannien aktenkundig, die alle innerhalb von zwei Jahren tödlich endeten. Nur drei dieser Krankheiten könnten eventuell auch durch eine Bluttransfusion verursacht worden sein. Die übrigen hatten immer wieder Rindfleischprodukte konsumiert. Das Durchschnittsalter der betroffenen Patienten lag bei 28 Jahren, während die sporadische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit eher bei über 60-Jährigen auftritt.
Weltweit sind außerhalb von Großbritannien nur 51 vCJK-Fälle registriert (Tab. 4). Auffällig war, dass bis Dezember 2009 alle vCJK-Fälle, von denen genetische Daten verfügbar waren, am Codon 129 des PrP-Gens homozygot für den Genotyp Methionin/Methionin (M/M) waren. In Großbritannien kommt dieser Genotyp bei 43% der Normalbevölkerung vor, während 45% am Codon 129 den Genotyp Methionin/Valin (M/V) und 13% den Genotyp Valin/Valin (V/V) aufweisen. Eventuell beeinflusst der Polymorphismus an diesem Codon die Suszeptibilität für eine Prionen-Infektion und/oder die Inkubationszeit bis zum Auftreten der Krankheitssymptome.
In Deutschland besteht seit 1994 eine gesetzliche Meldepflicht für humane spongiforme Enzephalopathien. Bisher sind allerdings keine Fälle von varianter Creutzfeldt-Jakob-Krankheit aufgetreten, durchaus jedoch Fälle der sporadischen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und auch einzelne Fälle einer genetischen und iatrogenen CJK (Tab. 5).
Wie viele Menschen sind in Großbritannien tatsächlich mit BSE-Prionen infiziert?
Die Anzahl an vCJK-Fällen in Großbritannien ist seit 2004 deutlich rückläufig (Tab. 2). Aber ist dadurch tatsächlich die Gefahr für die Bevölkerung gebannt? Die Inkubationszeit bis zum Auftreten erster Symptome beträgt wahrscheinlich mehrere Jahre. Es wäre also interessant zu wissen, wie viele Menschen eigentlich Prionen-Träger sind.
Nachdem vier vorangegangene Studien mit Blinddarm- und Mandel-Biopsien unsichere Ergebnisse geliefert hatten, wurde 2008 eine weitere Studie initiiert. Dazu wurden 40.000 Proben von Blinddarmresektionen aus den Jahren 2000 bis 2012 gesammelt und in zwei Patientengruppen eingeteilt, die entweder in den Jahren 1941 bis 1960 oder 1961 bis 1985 Geborene umfassten. Insgesamt 32.441 Proben konnten in die Studie aufgenommen und genauer untersucht werden, wobei 16 Proben positiv für PrPSc waren. Daraus folgerten die Wissenschaftler, dass die Prävalenz für eine Infektion mit Prion-Protein bei 1:2000 liegt. Von den 16 positiven Proben wiesen acht den M/M-Genotyp am PRP-Codon 129 auf und jeweils vier waren M/V-heterozygot beziehungsweise V/V-homozygot.
Die beiden nach Geburtsjahr unterschiedenen Patientengruppen zeigten keine signifikanten Unterschiede in der Prävalenz einer Prionen-Infektion. Ebenso wenig war ein geschlechtsspezifischer oder geografischer Unterschied feststellbar. Wenn aber relativ viele Menschen abnormales PrP tragen, weshalb sind bisher nur 177 vCJK-Fälle manifest geworden?
Eine Diskrepanz zwischen geschätzter Prävalenz und vCJK-Inzidenz
Bezogen auf die geschätzte Prävalenz müssten nach den Autoren der veröffentlichten Studie eigentlich bereits ungefähr 6000 vCJK-Fälle in Großbritannien aufgetreten sein. Und diese Zahl wäre noch größer, würde man nicht nur diejenigen mit einem M/M-Genotyp an Codon 129 einbeziehen. Wie es zu dieser Diskrepanz kommen könnte, diskutieren die Autoren der Studie sehr umfassend: Zum einen ist es wahrscheinlich wesentlich schwieriger für Prionen, eine spongiforme Enzephalopathie auszulösen, als das periphere Lymphsystem zu infizieren, was ja letztlich bei den untersuchten Proben analysiert wurde. Inwieweit der jeweilige Genotyp an Codon 129 relevant für die Ausbildung der vCJK ist oder aber sogar vor einer Erkrankung schützt, ist bisher völlig unklar. Ebenso wie die Frage, ob das Alter der Infizierten bei der Exposition mit dem Pathogen relevant ist. Kritisch ist hingegen, inwieweit von Prionen-Trägern bei Operationen oder Blut- bzw. Gewebespenden eine Gefahr für Gesunde ausgeht.
Es bleiben also auch nach der umfangreichen Studie mit Blinddarmgewebematerial viele Fragen zur varianten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit offen, die nur durch sorgfältige Beobachtung der Prionen-Träger und eventuell durch weitere Screenings gesunder Personen beantwortet werden können. In Großbritannien ist die BSE-Krise noch nicht wirklich ausgestanden. In Deutschland wurden entsprechende Vorkehrungen getroffen und Empfehlungen ausgesprochen, um eine iatrogene Übertragung von Prionen zu minimieren. Betroffen sind vor allem Maßnahmen bei Operationen und Blutspenden. Insofern wird wahrscheinlich auch noch weiterhin bei Blutspenden abgefragt werden, ob man in der Zeit zwischen 1980 und 1996 länger als sechs Monate in Großbritannien gelebt und dort Rindfleischprodukte konsumiert hat. Zumindest wird das wohl noch so lange abgefragt werden, bis die Forscher in Großbritannien weitere relevante Informationen zu Prionen und vCJK gesammelt haben, um die Risiken noch besser beschreiben zu können.
Quelle
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, www.bmelv.de.
The National Creutzfeldt-Jakob Disease Research & Surveillance Unit, www.cjd.ed.ac.uk.
Nationales TSE-Referenzzentrum in Göttingen. www.cjd-goettingen.de
World Organisation for Animal Health. www.oie.int.
unabhängiges Internetportal für Tiergesundheit und Tiermedizin, www.vetion.de.
Beekes, M. Die variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) – Epidemiologie und Schutzmaßnahmen gegen eine Übertragung von Mensch zu Mensch. Bundesgesundheitsbl (2010), 53; 597–605.
Gill ON, Spencer Y., Richard-Loendt, A et al. Prevalent abnormal prion protein in human appendixes after bovine spongiform encephalopathy epizootic: large scale survey. BMJ (2013) 347 doi: 10.1136/bmj.f5675.
Lee J, Kim, SY, Hwang, KJ, Ju, YR, Woo, H.-J. Prion Diseases as Transmissible Zoonotic Diseases. Osong Public Health Res Perspect (2013), 4; 57–66.
Prusiner, SB. Prions – Nobel Lecture. Proc. Natl. Acad. Sci. USA (1998), 95; 13363–13383.
Salmon, R. How widespread is variant Creutzfeldt-Jakob disease? BMJ 347 (2013)
Will R, Ironside J, Zeidler M., Cousens, S et al. A new variant of Creutzfeldt–Jakob disease in the UK. Lancet (1996), 347; 921–925.
Autoren
Institut für Pharmazeutische Biologie
Biozentrum
Max-von-Laue-Straße 9
60438 Frankfurt/Main
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