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Medizin
Drohender Verschluss
Koronarstents – gibt es einen wirklichen Fortschritt?
Nach der ersten Ballondilatation eines verengten oder verschlossenen Herzkranzgefäßes (perkutane transluminale Koronarangioplastie, PTCA) im Jahr 1977 stellt die Stentimplantation den bislang wichtigsten Fortschritt in der interventionellen Behandlung der koronaren Herzerkrankung dar: Mit der Einführung der unbeschichteten Metallstents (Bare Metal Stents, BMS) in den späten 1980er Jahren konnten Komplikationen, die aus der Reaktion der Gefäßwand auf die PTCA resultierten, zumindest teilweise vermindert werden. In erster Linie handelte es sich hierbei um Gefäßverschlüsse durch Dissektionen (Einreißen des Gefäßes durch alle Wandschichten) und Restenosen (Wiedereinengung nach Narbenbildung und Gewebeschrumpfung).
Frühe Thrombose bei unbeschichteten Metallstents
Mitte der 90er Jahre wurden die durch einen Ballon zu expandierenden BMS zugelassen. Allerdings kam es bei rund zehn Prozent der mit einem BMS behandelten Koronarpatienten zu einer neuen Komplikation, der Stentthrombose. Die meisten Stentthrombosen ereigneten sich in den ersten 30 Tagen nach der Stentimplantation. Einerseits wurde dieses Phänomen als Folge einer durch den metallenen Fremdkörper induzierten massiven lokalen Thrombozytenaktivierung verstanden, der mit einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung durch Acetylsalicylsäure und Clopidogrel wirksam begegnet wurde. Andererseits wurde bald klar, dass ein implantierter Metallstent zwar die Schrumpfung des Gefäßes mechanisch verhindern kann, nicht jedoch die Proliferation der Gefäßmuskelzellen, sondern diese durch die mechanische Reizung sogar stimulieren kann.
Sirolimus und Paclitaxel hemmen Zellwachstum
Sowohl die Proliferation als auch die Migration der Gefäßmuskelzellen werden durch verschiedene Mediatoren wie Zytokine und Wachstumsfaktoren reguliert. Die Tatsache, dass dieser Prozess durch immunsuppressive und zellwachstumshemmende Substanzen unterdrückt werden kann, führte zu dem Konzept, solche Substanzen direkt am Ort der Stentimplantation zu applizieren. Unter den arzneistofffreisetzenden Stents (Drug-Eluting Stent, DES) der ersten Generation waren die Stents mit Sirolimus bzw. mit Paclitaxel (ab 2002 bzw. 2003) am wichtigsten:
- Sirolimus (Rapamycin), isoliert aus Streptomyces hygroscopicus, ist ein potentes Immunsuppressivum mit Makrolidstruktur und hemmt eine Reihe von Zytokin-vermittelten Signaltransduktionswegen. Die Substanz bindet an das in den Gefäßmuskelzellen beim Wachstum hochregulierte Protein FKBP12; der dadurch gebildete Komplex wiederum inhibiert das Protein „mammalian target of rapamycin“ (mTOR). Als Folge unterbleibt die Aktivierung einer für das weitere Voranschreiten des Zellzyklus essenziellen Kinase. Neben seiner immunsuppressiven Wirkung hemmt Sirolimus dadurch auch die Gefäßmuskelzellproliferation und -migration.
- Das Zytostatikum Paclitaxel, ein Zellspindelgift aus der Gruppe der Taxane, hemmt eine Proteinkinase, die bei der Zellteilung (Mitose) für den Abbau der Mikrotubuli verantwortlich ist. Neben dem zytotoxischen Effekt führt die Unterbrechung des Zellzyklus auch hier zu einem Rückgang der Proliferation und Migration der Gefäßmuskelzellen.
Das Stentgerüst besteht aus rostfreiem Stahl. Träger des Arzneistoffs ist eine biostabile, also dauerhafte Polymerbeschichtung. In zahlreichen klinischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass mit Sirolimus oder Paclitaxel beschichtete Stents ein deutlich geringeres Risiko für eine Restenose und die Notwendigkeit eines erneuten Revaskularisationseingriffs (Bypassoperation oder PTCA) aufweisen als unbeschichtete Metallstents (BMS). So betrug in der multizentrischen amerikanischen SIRIUS-Studie nach zwölf Monaten der Prozentsatz mit dem summarischen Endpunkt „Versagen des Zielgefäßes“ (target vessel failure) in der BMS-Gruppe (n = 525) 20% gegenüber nur 4,9% in der Gruppe mit Sirolimus freisetzenden Stents (n = 533).
Unterstützt wurde dieses Resultat durch angiografische und intravaskuläre Ultraschallbefunde, nach denen das Ausmaß der hyperplastischen Neubildung von Gefäßendothel (innerste Gefäßwandschicht) in der Gruppe mit Sirolimus-Stents geringer war.
Hauptproblem: zu geringe Endothelialisierung im Stentsegment
Andererseits äußerten in den folgenden Jahren nicht wenige Experten die Auffassung, dass man sich die DES-bedingte Risikoreduktion in Bezug auf die Restenose mit einem erhöhten Risiko für eine späte Stentthrombose (mehr als ein Jahr nach der Implantation) erkauft habe (Abb. 1, s. Printausgabe der DAZ). Dann droht ein akuter Stentverschluss, der in rund 90% der Fälle zum Infarkt oder Tod führt. Die Ursachen einer Stentthrombose sind multifaktoriell:
- Sowohl Sirolimus (einschließlich seiner später zugelassenen Derivate) als auch Paclitaxel hemmen nicht nur die Proliferation und Migration der Gefäßmuskelzellen, sondern auch die Proliferation und Differenzierung von Vorläuferzellen des Gefäßendothels. So kann der Fall eintreten, dass es im Stentsegment zu keiner durchgehenden Endothelialisierung, also nicht zur kompletten Bedeckung der Stentstreben mit Gefäßendothel kommt.
- Zudem können die genannten Arzneistoffe in Endothelzellen die Freisetzung von Tissue Factor, einem Schlüsselenzym der Blutgerinnung, induzieren und dadurch potenziell prothrombotisch wirken.
- Weiterhin kann nicht nur das Stentgerüst, sondern auch die dauerhafte Polymerbeschichtung eine inflammatorische bzw. Hypersensitivitätsreaktion in der Gefäßwand provozieren, was durch histopathologische Befunde wie Fibrinablagerungen, eosinophile Infiltrationen und granulomatöse Zellansammlungen gestützt wird. Auch dies kann eine rasche, vollständige Bedeckung der Stentoberfläche mit Gefäßendothelzellen verhindern.
Viele Experten sind der Ansicht, dass der zuletzt genannte Faktor – die Entzündungsreaktion – die zentrale pathogenetische Rolle spielt.
Die klinische Erfahrung zeigt, dass selbst ein bis zwei Jahre nach der Implantation eines Drug-Eluting Stents akute Koronarverschlüsse auftreten können, insbesondere nach Absetzen der doppelten Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS und Clopidogrel. Tabelle 1 zeigt Risikofaktoren seitens des Patienten sowie des Eingriffs, die die Entwicklung einer Stentthrombose zusätzlich fördern können. Mit dem Ziel, das Risiko vor allem der späten Stentthrombose zu senken, wurden daher nicht nur neue Arzneistoffe entwickelt, sondern auch neue Stentmaterialien und Beschichtungstechnologien.
Weniger Stentthrombosen unter Everolimus
Ein Vertreter der zweiten Generation medikamentös beschichteter Koronarstents besteht aus einem dünnen Kobaltchromgerüst und setzt von einem biokompatiblen Polymer die Substanz Everolimus frei, ein semisynthetisches Sirolimusderivat mit demselben Wirkmechanismus der mTOR-Inhibition.
In der 2010 beim Kongress der European Society of Cardiology präsentierten LESSON-I-Beobachtungsstudie mit über 3000 Patienten zeigte sich eine Überlegenheit von Everolimus gegenüber Sirolimus, was den kombinierten primären Endpunkt aus Tod, Myokardinfarkt und Revaskularisationseingriff im Bereich des Zielgefäßes betrifft. Die Autoren führten das geringere Auftreten von Myokardinfarkten auf die niedrigere Rate an Stentthrombosen unter Everolimus bzw. dem neuen Polymer zurück.
Da in der randomisierten SPIRIT-IV-Studie der Everolimus-Stent auch dem Paclitaxel-Stent überlegen war (beim primären Endpunkt „target vessel failure“ 4,2% vs. 6,8%), wurde nach Ansicht der Autoren mit dem Everolimus-Stent ein neuer Standard geschaffen.
Stent mit abbaubarem Polymer
Der Verdacht, dass die späte Stentthrombose nicht zuletzt durch die inflammatorische Reaktion auf die dauerhafte Polymerbeschichtung verursacht wird, führte zu einem neuen Stentkonzept mit folgenden Merkmalen:
- Die Freisetzung des lipophilen Arzneistoffs erfolgt aus einem biologisch abbaubaren Polymer.
- Nach Beendigung der Arzneistofffreisetzung wird das Polymer innerhalb von sechs bis neun Monaten in Kohlendioxid und Wasser umgewandelt.
Fast alle Stents des neuen Typs haben ein Gerüst aus rostfreiem Stahl und setzen aus einem abbaubaren Polylactid den eigens für die DES-Anwendung entwickelten Wirkstoff Biolimus (Umirolimus) frei (Abb. 2). Dieses stark lipophile Derivat von Sirolimus zeichnet sich dadurch aus, dass es besonders schnell von der Gefäßwand resorbiert wird und dort sofort die Membran der Gefäßmuskelzellen durchdringt. Der Frage, ob diese Stents der dritten Generation tatsächlich das erhoffte neue „Benchmark“ darstellen, wurde in mehreren aktuellen Studien nachgegangen.
In Dänemark untersuchte die randomisierte multizentrische „Non-Inferiority“-Studie SORT OUT V, ob ein Biolimus-Stent mit abbaubarem Polymer (1229 Patienten) mindestens so wirksam und sicher ist wie ein Sirolimus-Stent mit dauerhaftem Polymer (1239 Patienten). Die primären Endpunkte berücksichtigten die Wirksamkeit (Revaskularisation des Zielgefäßes) und die Sicherheit (Herztod, Myokardinfarkt, Stentthrombose) nach zwölf Monaten. Es zeigte sich, dass die Ereignisrate unter Biolimus mit 5,4% höher war als unter Sirolimus mit 4,4%; allerdings war die Differenz nicht statistisch signifikant. Eine Stentthrombose erlitten 0,7% der Biolimus-Stent-Patienten und 0,2% der Sirolimus-Stent-Patienten.
Aufgrund dieser Resultate ist der Nachweis, dass der neue Biolimus-Stent dem klassischen Sirolimus-Stent nicht unterlegen sei, misslungen. Es besteht allerdings ein Widerspruch zu den Ergebnissen der LEADERS-Studie, in der ein nahezu identischer Biolimus-Stent getestet wurde. In einem Vier-Jahres-Follow-up der Endpunkte Tod, Myokardinfarkt und Revaskularisationseingriff am Zielgefäß war der Biolimus-Stent mit abbaubarem Polymer dem Sirolimus-Stent mit beständigem Polymer nicht unterlegen: Die Ereignisrate betrug 18,7% vs. 22,6%. Auch die Rate an späten Stentthrombosen war mit 2% unter Biolimus niedriger als unter Sirolimus mit 4%.
Biolimus- und Everolimus-Stent ebenbürtig
Von besonderem Interesse ist der Vergleich eines Biolimus-Stents der dritten Generation mit dem bisher als Goldstandard angesehenen Everolimus-Stent der zweiten Generation. In der randomisierten und kontrollierten COMPARE-II-Studie erhielten die Koronarpatienten entweder einen Biolimus freisetzenden Stent mit abbaubarer Polymerbeschichtung (n = 1795) oder einen Everolimus freisetzenden Stent mit dauerhafter Polymerbeschichtung (n = 912). Primäre Endpunkte waren die Revaskularisation des Zielgefäßes und kardiale Ereignisse (Herztod, Myokardinfarkt) nach zwölf Monaten. Zu kardialen Ereignissen kam es bei 5,2% der Patienten mit Biolimus-Stents und bei 4,8% der Patienten mit Everolimus-Stents, was keine statistisch signifikante Differenz bedeutet. Auch war die Rate von Stentthrombosen in beiden Gruppen zu jedem Zeitpunkt annähernd gleich (Abb. 3). Die Autoren interpretieren die Daten dahingehend, dass die neuen Biolimus-Stents mit abbaubarem Polymer dem bisherigen „Benchmark“ in puncto Wirksamkeit und Sicherheit ebenbürtig sind.
Zu demselben Ergebnis kommen die Autoren einer Untersuchung, in der ebenfalls ein Biolimus freisetzender Stent mit resorbierbarer Polymerbeschichtung (1617 Patienten) und ein Everolimus freisetzender Stent mit dauerhafter Polymerbeschichtung (1618 Patienten) verglichen wurden. Einziger primärer Endpunkt war die Notwendigkeit einer „target vessel revascularisation“, welche klinisch sowie angiografisch evaluiert wurde. Nach einem Jahr betrug die Ereignisrate in beiden Gruppen 4,2%. Die Rate an Stentthrombosen war in beiden Gruppen sehr niedrig: 0,25% beim Biolimus-Stent und 0,06% beim Everolimus-Stent.Die verschiedenen Resultate zeigen: Trotz der überzeugenden Argumente zugunsten der Stents mit abbaubarer Polymerbeschichtung stehen diese noch nicht als Gewinner fest. Möglicherweise entscheidet darüber als langfristiger Benefit ein weiterer Aspekt: Der Abbau des Polymers und die vollständige Bedeckung der Stentstreben mit Endothel ermöglichen, dass sich Tonus und Wandbewegung des betroffenen Koronargefäßes mit der Zeit wieder normalisieren. Dies kann mithilfe von Beobachtungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren verifiziert werden.
Neuer Stent mit zweifacher Wirkung
Eine vielversprechende Neuentwicklung ist ein Stent aus Hongkong mit einem dualen Wirkansatz. Als „konventioneller“ antiproliferativer Wirkstoff zur Vermeidung der Restenose dient Sirolimus. Neu ist die zusätzliche Beschichtung der Innenseite des Stents mit Anti-CD34-Antikörpern. Hierdurch lassen sich endotheliale Vorläuferzellen aus dem Blutstrom abfangen, die dann eine Zellschicht auf der inneren Stentoberfläche ausbilden und zu Endothelzellen differenzieren können. Ob hier das geringere Risiko für Stentthrombosen durch ein erhöhtes Risiko von Restenosierungen wegen einer überschießenden Gefäßwandneubildung aufgewogen wird, ist noch Gegenstand der Forschung.
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Autor
Clemens Bilharz ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und zusätzlich als wissenschaftlicher Fachzeitschriftenredakteur ausgebildet. Er ist als Autor und Berater für Fachverlage und Agenturen tätig.
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