Arzneimittel und Therapie

Antirheumatikum gegen Alopezie

JAK-Inhibitor Tofacitinib wirkt Haarverlust entgegen

Januskinasen (JAK) sind als zytoplasmatische Enzyme an der Rezeptor-vermittelten Signalweiterleitung beteiligt und gelten als wichtige Regulatoren diverser Entzündungsreaktionen. Inhibitoren solcher Kinasen werden bereits seit einiger Zeit als mögliche Wirkstoffe gegen Autoimmunerkrankungen erforscht. Tofacitinib (Xeljanz®), ein selektiver Hemmstoff der JAK1 und JAK3, ist seit 2012 in den USA als Therapieoption bei rheumatoider Arthritis zugelassen. Das Immunsuppressivum zeigte darüber hinaus weitere interessante Effekte, wie ein Fallbericht eines Patienten mit Alopecia universalis zeigt.

Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises umfassen mehr als 100 verschiedene Krankheitsbilder, die durch Entzündungen oder Stoffwechselstörungen hervorgerufen werden und sich vor allem im Bereich der Gelenke und den umgebenden Weichteilen manifestieren. Die rheumatoide Arthritis stellt dabei eine besonders bedeutsame chronisch-entzündliche Systemerkrankung dar, welche die Synovia der Gelenke befällt und hierdurch das klinische Bild einer Polyarthritis hervorruft. Als eigentliche Krankheitsursache wird eine Autoimmunreaktion angenommen, bei der das körpereigene Abwehrsystem durch die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine ein chronisches Entzündungsgeschehen hervorruft. Dadurch wird die Degeneration des Gelenkknorpels und des angrenzenden Knochens vermittelt. Als Basistherapeutika der rheumatoiden Arthritis gelten unter anderem sogenannte Immunbiologika (Biologicals). Diese biotechnologisch erzeugten Arzneistoffe blockieren in Form von löslichen Rezeptoren oder monoklonalen Antikörpern die Zytokinaktivität selektiv und wirken der Progression des Entzündungsgeschehens entgegen. Als neuartiges therapeutisches Target in der Behandlung der rheumatoiden Arthritis gilt seit einigen Jahren der intrazelluläre Signalweg der Januskinasen (JAK). Diese Tyrosinkinasen sind unter anderem mit Zytokin-Rezeptoren assoziiert. Im Gegensatz zur extrazellulären Hemmung eines einzelnen Signalmoleküls durch Biologicals können JAK-Inhibitoren somit die Effekte verschiedener Zytokine unterdrücken [1].

Oral applizierbarer JAK-Inhibitor

Ein Vertreter dieser Januskinasen-Inhibitoren ist Tofacitinib, das eine funktionelle Spezifität für JAK-1 und JAK-3 aufweist und die ATP-Bindungsstelle reversibel und kompetitiv hemmt. Hierdurch unterbleibt die Transkription spezifischer Gene, die für die Produktion, Differenzierung, Aktivität und Rekrutierung von Immunzellen verantwortlich sind, sodass eine akute Immunsuppression vermittelt wird. Weltweit wurde die Wirksamkeit der Substanz bereits in einem großen Phase-III-Programm (ORAL, Oral rheumatoid arthritis phase 3 trials) untersucht. Bestätigt wurde hierbei eine vergleichbare Effektivität von Tofacitinib gegenüber Adalimumab (Humira®), einem monoklonalen Antikörper gegen TNF-α, sowie eine überlegene Wirkung gegenüber dem Basistherapeutikum Methotrexat (MTX), einem Folsäure-Analogon [2, 3]. Die Wirksamkeit des Präparats war jedoch mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden, was sich durch die immunsupprimierende Eigenschaft des JAK-Inhibitors erklären lässt. Darüber hinaus wurde auch das vermehrte Auftreten von Magen-Darm-Perforationen, Leberschäden sowie unterschiedlichen Krebserkrankungen (Malignom, Non-Hodgkin-Lymphom und Darmkrebs) beobachtet. Diese zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen waren letztlich ausschlaggebend für die negative Bewertung von Tofacitinib durch den Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA, die im Jahr 2013 eine EU-weite Inverkehrbringung versagte, obwohl die FDA den Wirkstoff bereits 2012 für den amerikanischen Arzneimittelmarkt zuließ [4]. Trotz des bedenklichen Sicherheitsprofils von Tofacitinib ist dieses in den USA zur Behandlung von mittelschwerer bis schwerer aktiver rheumatoider Arthritis indiziert, sofern die Erst-Linien-Behandlung erfolglos blieb.

Die Anwendung von Tofacitinib in den USA hat nun überraschenderweise auch andere Effekte offengelegt [5]. Dermatologen der Yale University School of Medicine in New Haven/Connecticut haben im Journal of Investigative Dermatology den Fallbericht eines 25-jährigen Mannes beschrieben, der bereits als Kind an Alopecia universalis erkrankte und seit dem 18. Lebensjahr keinen Haarwuchs mehr am Körper zeigte außer an einigen psoriatrischen Läsionen auf der Kopfhaut. Die Symptome sowie das Ausbreiten einer Psoriasis vulgaris ließen sich trotz unterschiedlichster Therapien, einschließlich der Gabe von Adalimumab, nicht ausreichend kontrollieren, sodass ein alternativer Behandlungsversuch mit Tofacitinib erfolgte. In den USA wird dieses bereits zulassungsüberschreitend bei psoriatrischen Erkrankungen angewandt. Darüber hinaus indizierten tierexperimentelle Studien eine mögliche Wirksamkeit von JAK-Inhibitoren bei Alopecia areata. Eine zweimonatige Behandlung mit zweimal täglich 5 mg Tofacitinib besserte zunächst die psoriatrischen Plaques auf der Kopfhaut. Nachdem die morgendliche Dosis auf 10 mg erhöht wurde, kehrte nach drei Monaten auch das Haarwachstum auf dem Kopf zurück, wobei sich nach acht Monaten der Patient komplett von der Alopecia universalis erholte. Die Symptomatik der Psoriasis vulgaris besserte sich weiter, ging jedoch nicht vollständig zurück. Bezüglich des bedenklichen Sicherheitsprofils von T ofacitinib zeigten die Blut- und Leberwerte des Patienten im beobachteten Behandlungszeitraum von acht Monaten keine Abnormalitäten, wobei bei einer Langzeitbehandlung das Auftreten von unerwünschten Effekten weiterhin nicht ausgeschlossen werden kann.

Trotz der hier beschriebenen Wirksamkeit von Tofacitinib bei Alopecia universalis sowie Psoriasis vulgaris ist es eher unwahrscheinlich, dass die EMA zukünftig eine neue Nutzenbewertung des JAK-Inhibitors durchführt, da weiterhin die Gefahr schwerwiegender Nebenwirkungen zu massiven Sicherheitsbedenken in der Therapie führt. Nichtsdestotrotz bestätigt diese Studie den postulierten Effekt aus tierexperimentellen Studien nun auch erstmalig am Menschen und weist damit auf neuartige therapeutische Targets. Sie sollten zukünftig verstärkt untersucht werden, da bisher keine erfolgversprechenden Standardtherapien gegen Alopecia universalis existieren.

Quelle

[1] Heinzl S. Rheumatoide Arthritis. Die Hemmung der Januskinase als neues Therapieprinzip. Deutsches Ärzteblatt 2012;109(26)A1389

[2] Lee EB et al. Tofacitinib versus Methotrexate in Rheumatoid Arthritis. N Engl J Med 2014;370(25):2377–2386

[3] van Vollenhoven RF et al. Tofacitinib or adalimumab versus placebo in rheumatoid arthritis. N Engl J Med 2012;367(6):508–519

[4] Versagung der Genehmigung für das Inverkehrbringen von Xeljanz (Tofacitinib). Mitteilung der EMA 460814/2013 vom 26. Juli 2013

[5] Craiglow BG, King BA. Killing Two Birds with One Stone: Oral Tofacitinib Reverses Alopecia Universalis in a Patient with Plaque Psoriasis. J Invest Dermatol 2014;doi:10.1038/jid.2014.260

Apotheker André Said

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