Medikationsmanagement

Grundsteinlegung

ABDA definiert Medikationsanalyse und Medikationsmanagement

Von Doris Uhl | Mit der Verankerung des Begriffs Medikationsmanagement als pharmazeutische Dienstleistung in der Apothekenbetriebsordnung hat die Diskussion darüber Fahrt aufgenommen. Fragen wie was darunter zu verstehen ist, wie diese Dienstleistung auszuführen und wie sie zu honorieren ist, warten auf Antworten. Unterschiedlichste Dienstleister haben das Vakuum für eigene Angebote genutzt. Jetzt hat die ABDA ein Grundsatzpapier veröffentlicht, in dem sie näher erläutert, was unter Medikationsmanagement zu verstehen ist. Sie will damit der Trivialisierung der Dienstleistung entgegentreten, aber auch eine Basis für Antworten auf die offenen Fragen bieten.

Dabei differenziert die ABDA zwischen Medikationsanalyse und Medikationsmanagement. Begründet wird dies damit, dass unter dem Begriff Medikationsmanagement national und international verschiedenste Dienstleistungen angeboten werden. Die Medikationsanalyse (Medication Review) ist dabei ein wichtiger Teil der Dienstleistung Medikationsmanagement. Die Definitionen der ABDA basieren auf der Medication-Review-Definition des Pharmaceutical Care Network Europe (PCNE) vom März 2014 (s.u.) und der Begriffsbestimmung des Medikationsmanagements in der Apothekenbetriebsordnung.

„Medication review is an evaluation of all the patient‘s medicines with the aim of optimizing medicines use and improving health outcomes. This entails detecting drug-related problems and recommending interventions. Medication review is part of the patient`s medication management.“

PCNE-Definition, März 2014

Aus DPhG-Medikationsmanagement wird Medikationsanalyse

Schon im Mai 2013 hatte die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) eine Definition des Medikationsmanagements verabschiedet und dabei je nach vorhandenen Daten drei Stufen unterschieden: das einfache, das erweiterte und das klinische Medikationsmanagement. Diese Klassifizierung findet sich in dem Grundsatzpapier bei der Unterteilung der Medikationsanalyse wieder.

Medikationsanalyse = strukturierte Analyse der Gesamtmedikation

Unter Medikationsanalyse wird eine strukturierte Analyse der Gesamtmedikation in vier Hauptschritten verstanden (s. Kasten). Unterschieden werden entsprechend der DPhG-Definition

  • eine einfache,
  • eine erweiterte und
  • eine umfassende Medikationsanalyse.

Medikationsanalyse

Eine Medikationsanalyse ist eine strukturierte Analyse der aktuellen Gesamtmedikation eines Patienten. Sie umfasst die vier Hauptschritte

  • Identifikation von Datenquellen und Zusammentragen der Informationen,
  • Evaluation und Dokumentation von manifesten und potenziellen arzneimittelbezogenen Problemen,
  • Erarbeitung möglicher Lösungen sowie
  • Vereinbarung von Maßnahmen mit dem Patienten und gegebenenfalls mit dem/den behandelnden Arzt/Ärzten.

Ziele sind die Erhöhung der Effektivität der Arzneimitteltherapie und die Minimierung von Arzneimittelrisiken.

[aus ABDA – Grundsatzpapier zur Medikationsanalyse und zum Medikationsmanagement. 24. Juni 2014]

Die Zuordnung erfolgt in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden Informationen (s. Tab. 1, Abb. 1). Mithilfe eines standardisierten Formblattes soll erfasst werden, welche Informationen bei der Evaluation genutzt wurden, welche Arzneimittel-bezogenen Probleme (ABP) entdeckt, welche Lösungsvorschläge erarbeitet und welche Maßnahmen mit dem Patienten und ggf. auch mit dem Arzt getroffen worden sind. Hieraus ergibt sich, ob eine einfache, eine erweiterte oder eine umfassende Medikationsanalyse vorgenommen worden ist.

Abb. 1: Eine Frage der Information - die 3 Typen der Medikationsanalyse. Typ 1 = einfache Medikationsanalyse, Typ 2a und 2b = erweiterte Medikationsanalyse, Typ 3 = umfassende Medikationsanalyse [nach 1].

Typ 1 – einfache Medikationsanalyse. Liegen dem Apotheker eine Medikationsdatei sowie Basispatientendaten wie Alter und Geschlecht vor, kann er diese systematisch im Hinblick auf Doppelverordnungen, Interaktionen und Kontraindikationen überprüfen. Dosierungsangaben müssen nicht vorhanden sein. Liegen sie jedoch vor, ist eine systematische Überprüfung im Hinblick auf Dosierungsintervalle und Einnahmezeitpunkt möglich. Liegen Daten aus verschiedenen Quellen vor, können diese abgeglichen werden. Eine Bewertung der Medikation und die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen werden bei diesem Typ der Medikationsanalyse in der Regel nicht möglich sein.

Typ 2 – erweiterte Medikationsanalyse. Hier liegen im Unterschied zu Typ 1 Informationen aus zwei unterschiedlichen Quellen zur Verfügung. Unterschieden wird zwischen Typ 2a und Typ 2b.

Typ 2a beinhaltet immer Informationen aus einem strukturierten Patientengespräch. Die Medikationsdaten werden entweder mithilfe einer aktuellen Medikationsdatei oder einem Brown-Bag-Review erhoben. Ziel einer Typ-2a-Analyse ist dem Grundlagenpapier zufolge die Optimierung des Patientenverständnisses und der Arzneimittelanwendung. Mit der Typ-2a-Analyse sollen sich Anwendungs- und Adhärenzprobleme, Interaktionen von Arzneimitteln mit Nahrungsmitteln, Probleme mit Dosierungsintervallen und Einnahmezeitpunkten sowie Nebenwirkungen detektieren lassen.

Eine Typ-2b-Analyse kann mit Daten der Medikationsdatei und klinischen Daten durchgeführt werden. Im Vordergrund steht hier die systematische Hinterfragung des indikationsgerechten Einsatzes der Arzneimittel, aber auch die Frage, ob für jede Indikation die notwendige Arzneimitteltherapie vorhanden ist. Die Medikationsanalyse 2b erlaubt eine tiefergehende Analyse von Arzneimittelsicherheitsfragen als die Typ-2a-Analyse.

Typ 3 – umfassende Medikationsanalyse. Die Typ-3-Analyse wird mit Medikationsdaten, Informationen eines strukturierten Patientengesprächs und klinischen Daten durchgeführt. Somit kann auf alle arzneimittelbezogenen Probleme geprüft werden (Tab. 2.)

Entscheidung ist Sache des Arztes

Ist die Analyse durchgeführt und sind Probleme detektiert worden, müssen Lösungen erarbeitet und Maßnahmen vereinbart werden. Dabei macht der Apotheker Lösungsvorschläge gegebenenfalls nach Diskussion mit Arzt oder Pflegekraft. Ganz klar wird festgehalten, dass die patientenbezogene Bewertung therapeutischer Vorschläge und die Entscheidung über die Umsetzung Sache des verantwortlichen Arztes ist.

Medikationsmanagement =kontinuierliche multidisziplinäre Betreuung

Medikationsmanagement wird jetzt als kontinuierliche Weiterbetreuung des Patienten durch ein multiprofessionielles Team verstanden (s. Kasten). Die Medikationsanalyse bildet die Grundlage. Im Rahmen der Medikationsanalyse getroffene Maßnahmen und Vereinbarungen werden kontinuierlich nachverfolgt. Wird das gewünschte Ergebnis nicht erreicht, werden die Maßnahmen angepasst. Dabei kann theoretisch jeder Typ der Medikationsanalyse Grundlage für ein Medikationsmanagement sein.

Medikationsmanagement

Ein Medikationsmanagement baut auf einer Medikationsanalyse auf, an die sich eine kontinuierliche Betreuung des Patienten durch ein multidisziplinäres Team anschließt. Mit der kontinuierlichen Betreuung werden vereinbarte Maßnahmen zu detektierten Arzneimittel-bezogenen Problemen und deren Ergebnis nachverfolgt sowie gegebenenfalls angepasst. Neu auftretende, manifeste und potenzielle arzneimittelbezogene Probleme werden erkannt, gelöst oder vermieden. Ziele sind die fortlaufende und nachhaltige Erhöhung der Effektivität der Arzneimitteltherapie sowie die fortlaufende und nachhaltige Minimierung von Arzneimittelrisiken.

[aus ABDA – Grundsatzpapier zur Medikationsanalyse und zum Medikationsmanagement. 24. Juni 2014]

Medikationsmanagement nicht ohne Arzt

Damit geht die Definition des Medikationsmanagements in dem Grundlagenpapier über die in der Apothekenbetriebsordnung hinaus. Die Apothekenbetriebsordnung beschreibt das Medikationsmanagement als eine Tätigkeit, bei der die gesamte Medikation des Patienten, einschließlich der Selbstmedikation wiederholt analysiert wird mit den Zielen, die Arzneimittelsicherheit und die Therapietreue zu verbessern, indem Arzneimittel-bezogene Probleme erkannt und gelöst werden. Dies ist die Aufgabe des Apothekers, sie kann nicht delegiert werden, darauf legten ABDA-Präsident Friedemann Schmidt und BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer bei der Vorstellung des Grundsatzpapiers im Rahmen einer Fachpressekonferenz am 10. Juli 2014 in Berlin großen Wert. Im Grundsatzpapier wurde die Definition der Apothekenbetriebsordnung ergänzt. Begründet wird die Ergänzung damit, dass mit den Aspekten der Nachhaltigkeit durch eine kontinuierliche Betreuung und der interdisziplinären Zusammenarbeit die Effektivität der Arzneimitteltherapie erhöht werden solle. Ein Medikationsmanagement erfordere ein koordiniertes Zusammenwirken aller am Prozess Beteiligten. Das sind nach den Ausführungen im Grundsatzpapier neben Arzt und Apotheker Pflegende oder andere Angehörige von Gesundheitsberufen sowie Patienten und deren Angehörige. In einem Hintergrundgespräch mit der DAZ bestätigte Kiefer, dass bei dem multi- bzw. interprofessionellen Team immer der Arzt mit im Boot sein muss. Medikationsmanagement geht damit nicht ohne den Arzt.

Der Medikationsplan

Im Grundsatzpapier wird betont, dass ein vollständiger Medikationsplan von zentraler Bedeutung für den Medikationsprozess und die Arzneimitteltherapiesicherheit ist. Seine Erstellung und Aktualisierung wird für jedes Medikationsmanagement gefordert. Kiefer verwies in der Fachpressekonferenz dazu auf den Medikationsplan der Koordinierungsgruppe Aktionsplan AMTS des Bundesgesundheitsministeriums. Er listet Wirkstoffe und Handelsname, Stärke, Darreichungsform und Einheit sowie Dosierschemata auf und gibt zu jedem Wirkstoff Hinweise und Begründungen für die Verordnung.

Medikationsmanagement – für wen?

Medikationsanalyse und -management richten sich laut Grundsatzpapier an Patienten, die ein erhöhtes Risiko für Arzneimittel-bezogene Probleme haben. Die ABDA nennt folgende Charakteristika:

  • Multimorbidität und damit verbundene Polymedikation (meist ≥ 5 chronisch, systemisch wirkende Arzneimittel),
  • mehr als 12 Arzneimitteleinnahmen pro Tag,
  • mehr als 4 chronische Erkrankungen,
  • Symptom einer Nebenwirkung,
  • nicht ausreichendes Ansprechen auf Arzneimitteltherapie,
  • Verdacht auf mangelnde Therapietreue,
  • verschiedene Verordner,
  • Aufnahme ins oder Entlassung aus dem Krankenhaus (z.B. in den letzten 4 Wochen) oder
  • Alten- und Pflegeheimaufenthalt.

Was jetzt schon möglich ist

Im Grundsatzpapier ist zu lesen, dass eine einfache und eine erweiterte Medikationsanalyse Typ 2a heute schon in jeder Apotheke möglich sind. Eine umfassende Medikationsanalyse erfordere jedoch strukturelle Voraussetzungen, die bislang nur im Rahmen von Studien oder im stationären Bereich gegeben seien. Aufgeführt werden verschiedene Modellprojekte, in die die unterschiedlichen Formen der Medikationsanalyse Eingang gefunden haben. So zum Beispiel das ATHINA-Projekt der Apothekerkammer Nordrhein oder die PHARM-CHF-Studie der ABDA (Apothekenbasiertes interdisziplinäres Programm für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz: Eine randomisierte kontrollierte Studie). Diese Projekte basieren auf einer Medikationsanalyse Typ 2a. Auch die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN, vormals ABDA-KBV-Konzept) beinhaltet ein Medikationsmanagement mit einer Medikationsanalyse vom Typ 2a. Eine umfassende Medikationsanalyse findet derzeit in der WestGem-Studie (Westphalian study on a medication therapy management and home care based intervention under gender specific aspects in elderly multimorbid patients) statt. Das ApoAMTS-Projekt der Kammer Westfalen-Lippe hat alle Stufen der Medikationsanalyse und das Medikationsmanagement zum Inhalt.

Flächendeckendes Angebot – eine Pflicht

Mit Verweis auf die Festschreibung des Medikationsmanagements in der Apothekenbetriebsordnung sind laut Kiefer und Schmidt Medikationsanalyse und Medikationsmanagement keine Aufgabe für spezialisierte Apotheker. Jede Apotheke und damit jeder Apothekenleiter stehe in der Pflicht, durch Fort- und Weiterbildung dafür Sorge zu tragen, dass diese Dienstleistungen flächendeckend angeboten werden. Dabei erhebt Kiefer den Anspruch, dass auch ältere Apotheker ohne Ausbildung in Klinischer Pharmazie während des Studiums dazu in der Lage sind. Auf die Frage, ob vor diesem Hintergrund eine Pflichtfortbildung notwendig sein wird, stellte Kiefer klar, dass es eine Pflichtfortbildung schon gebe. Denn durch die Verankerung der Dienstleistung Medikationsmanagement in der Apothekenbetriebsordnung muss jeder Apothekenleiter nachweisen können, dass seine Apotheke diese Dienstleistung ordnungsgemäß durchführen kann. Das ist zum Beispiel durch den Nachweis regelmäßiger Fort- und Weiterbildungen sowie entsprechende Zertifizierungen möglich.

Heterogenes Studium

Allerdings sieht man vonseiten der ABDA auch Handlungsbedarf in der universitären Ausbildung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der doch sehr weit auseinanderklaffenden Ausbildungsqualität in Klinischer Pharmazie. Kiefer möchte sich in seiner Funktion als BAK-Präsident zusammen mit der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) und den Hochschullehrern dafür einsetzen, dass an jedem pharmazeutischen Institut ein Lehrstuhl für Klinische Pharmazie geschaffen wird. Zudem will er klären, wie die Ausbildung vor dem Hintergrund der veränderten Ansprüche in Sachen Medikationsmanagement angepasst werden kann. Das könne möglicherweise innerhalb der bestehenden Approbationsordnung geschehen, es könne aber auch eine Änderung der Approbationsordnung notwendig werden, so Kiefer gegenüber der DAZ.

Hoffen auf bundesweit einheitliches Vorgehen

Die Definition von Medikationsanalyse und Medikationsmanagement legt den Grundstein, jetzt sind strukturierte Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich. Die ABDA will, so Kiefer, bis Jahresende ein Curriculum vorlegen und eine Zertifikatsfortbildung implementieren. Darüber hinaus soll eine Leitlinie Medikationsanalyse erstellt werden. Zurzeit gibt es schon ganz unterschiedliche landesspezifische Projekte zur Fort- und Weiterbildung, teils mit Zertifikaten. Zu nennen sind hier das ApoAMTS-Projekt der Kammer Westfalen-Lippe mit der Zertifizierung als ApoAMTS-Manager oder das Projekt der Bayerischen Akademie für Klinische Pharmazie der Bayerischen Landesapothekerkammer, an der man sich zum Medikationsmanager ausbilden lassen kann. Kiefer hofft, dass langfristig die Fort- und Weiterbildung in Sachen Medikationsanalyse und Medikationsmanagement bundesweit vereinheitlicht werden kann.

„Auch die 65-Jährigen, die keinerlei Klinische Pharmazie hatten, können Pharmakologie-Lehrbücher lesen und sich dort reinschuften. Denn mit ihrem Pharmazie-Studium haben die Apotheker die Fähigkeit zum selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten erworben.“

Dr. Andreas Kiefer, Präsident der BAK

Nicht ohne Honorar

Mit der detaillierten Beschreibung der Dienstleistungen Medikationsanalyse und Medikationsmanagement wird auch die Basis für eine zukünftige Honorierung gelegt. Dem Grundsatzpapier ist zu entnehmen, dass in der öffentlichen Apotheke Medikationsanalyse und -management aufgrund des Ressourcenbedarfs nur als adäquate honorierte Dienstleistungen erbracht werden. Lediglich im Rahmen von Projekten und Studien sollen sie ohne (externes) Honorar möglich sein. 

Quelle

[1] ABDA – Grundsatzpapier zur Medikationsanalyse und zum Medikationsmanagement. 24. Juni 2014

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