Arzneimittel und Therapie

Testosteron-Substitution – aber wann?

Diskussion sensibilisiert für Risiken

Mit einem Testosteron-Präparat, das unter die Achsel appliziert wird, erweitern sich derzeit die Möglichkeiten der Hormonsubstitution beim Mann. Erst kürzlich aber meldete die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) Sicherheitsbedenken gegen die Testosteron-Substitution an. Zwei deutsche Urologen nehmen Stellung zu den Indikationen sowie zum Nutzen und den potenziellen Risiken der Hormonbehandlung.

Die Testosteron-Substitution beim Mann ist zunehmend in die Diskussion geraten, nachdem es im vergangenen Jahr Sicherheitsbedenken aufgrund der retrospektiven Auswertung einer großen US-Kohortenstudie gab. Bei 8700 Veteranen, die wegen niedriger Testosteron-Spiegel mit dem Hormon behandelt wurden, war eine deutlich erhöhte Rate kardiovaskulärer Ereignisse dokumentiert worden. „Es handelt sich bei der Untersuchung allerdings nicht um eine prospektive kontrollierte Studie, so dass die Daten mit der gebotenen Vorsicht zu interpretieren sind“, erklärt dazu Dr. Wolfgang Bühmann, Keitum/Sylt, Facharzt für Urologie und Sprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e.V. Es gibt nach seinen Worten auch vor dem Hintergrund der aktuellen Befunde klare Indikationen für eine Testosteron-Substitution wie das Vorliegen eines Klinefelter Syndroms oder eines manifesten Hypogonadismus. Auch wenn Männer mit erniedrigten Testosteron-Spiegeln über entsprechende Symptome klagen, ist eine Hormonsubstitution zu erwägen.

Testosteron-Abfall ab 35

Das Problem: Bereits ab dem 35. Lebensjahr geht der Testosteron-Spiegel beim Mann physiologisch um rund ein Prozent pro Jahr zurück. Dies geschieht in aller Regel unbemerkt, doch kommt es zwangsläufig zu einem zunehmenden Androgendefizit, das sich bei einigen Männern mit klinischen Symptomen manifestiert. Der Testosteron-Mangel kann sich in einem Rückgang der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit zeigen, in einer zunehmenden Antriebsschwäche, nachlassender Libido, depressiven Verstimmungen, einem Abbau der Muskelmasse bei gleichzeitiger Zunahme der Fettmasse im Körper, insbesondere des Bauchfetts, sowie einem Rückgang der Knochendichte.

Testosteron

Das wichtigste männliches Sexualhormon wird zu über 90% in den Hoden und zu einem geringen Anteil auch in den Nebennieren aus Gestagenen und Dehydroepiandrosteron (DHEA) gebildet. Reguliert wird die Hormonbildung über die hypothalamisch-hypophysär-gonadale Achse. Testosteron erreicht via Blutbahn die Zielorgane und wird dort direkt oder nach Metabolisierung zu Dihydrotestosteron (DHT) wirksam. Es ist verantwortlich für die Ausprägung des männlichen Phänotyps und die Spermienreifung. Zudem hat es anabole Wirkung.

Ob aber ein beklagter Vitalitätsverlust auf einen erniedrigten Testosteron-Wert zurückgeht oder möglicherweise andere Ursachen hat, ist nicht einfach durch eine Spiegelbestimmung zu fassen. Denn beim 20- bis 29-jährigen Mann gilt eine Range von 3,1 bis 8,3 ng/ml und beim 50- bis 59-jährigen von 2,4 bis 6,3 ng/ml als normal. Hat ein Mann in jungen Jahren einen hohen Testosteron-Spiegel, so kann 20 bis 30 Jahre später durchaus ein Wert am unteren Ende der normalen Spannbreite bereits einen pathologisch erniedrigten Testosteron-Wert signalisieren und Symptome hervorrufen. „Wir unterscheiden deshalb einen eindeutig normalen, einen pathologischen und außerdem einen Graubereich bei den ermittelten Werten“, berichtet dazu Prof. Dr. Wolfgang Weidner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie des Universitätsklinikums Gießen. Der im Labor ermittelte Testosteron-Wert muss nach Weidner stets auch in Relation zum Bauchumfang des Patienten gesehen werden, da Testosteron im viszeralen Fettgewebe metabolisiert wird. Es wäre laut Bühmann davon abgesehen sinnvoll, routinemäßig bei Männern um das 30. Lebensjahr herum den Testosteron-Spiegel zu bestimmen, um später eine pathologische Entwicklung besser erfassen zu können.

Wann ist eine Substitution indiziert?

Andererseits stellt ein erniedrigter Testosteron-Spiegel nicht per se eine Behandlungsindikation dar, denn, so Bühmann, „wir behandeln nicht Laborwerte, sondern Menschen“. Angezeigt ist eine Testosteron-Substitution aus seiner Sicht jedoch, wenn die klinische Symptomatik auf einen Testosteron-Mangel hindeutet und sich dieser durch die Spiegelmessung bestätigt. Eine Behandlung sollte deshalb erst nach einer differenzierten Abklärung durch den urologischen Andrologen oder gegebenenfalls durch einen Endokrinologen erfolgen. Denn es gibt klare Kontraindikationen für die Substitution wie etwa das Vorliegen eines manifesten Prostatakarzinoms. Vor der Einleitung einer Hormonsubstitution sollte somit versucht werden, per PSA-Bestimmung und digitaler Untersuchung ein Prostatakarzinom möglichst auszuschließen.

Eine medizinische Indikation zur Substitution liegt nach Bühmann außerdem keinesfalls vor, wenn Testosteron quasi als Bremse des Alterns fungieren und der Entwicklung von Bauchansatz und Libidoverlust entgegenwirken soll. Außerdem sollte stets sichergestellt werden, dass die Testosteron-Gabe dem Defizit entspricht, dass also das Hormon nicht über den physiologischen Bereich hinaus „substituiert“ wird.

Nutzen und Risiken abwägen

Gut dokumentiert ist, dass unter der Testosteron-Gabe die Zahl der Erythrozyten steigt. Ein Effekt, der neben der anabolen Wirkung mit für den Missbrauch des Hormons als Dopingmittel verantwortlich ist, da sich so auch die Sauerstoffbindungskapazität erhöht. Es steigt somit der Hämatokrit, das Blut dickt quasi ein, was beim älteren Mann durchaus ein erhöhtes vaskuläres Risiko bedingen kann.

Wissenschaftlich eindeutig belegt ist ein kausaler Zusammenhang zwischen der Testosteron-Substitution und einem erhöhten Risiko für Herz- und Gefäß-Komplikationen jedoch nicht. Bei der Nutzen-Risiko-Abwägung zu berücksichtigen ist ferner, dass es sich bei den Studienteilnehmern in der retrospektiven Kohortenstudie um US-Veteranen mit zum Teil hinsichtlich der kardiovaskulären Gefährdung relevanten Begleiterkrankungen wie einem Diabetes oder auch einem Myokardinfarkt in der Anamnese handelte. Bedenken, es könnten bei Kindern erhöhte Testosteron-Spiegel resultieren, wenn diese Kontakt mit ihrem Vater haben, nachdem ein Testosteron-Gel aufgetragen wurde, sind nach Bühmann irrelevant: „Es handelt sich lediglich um ein theoretisches Risiko, wenn ein Gel appliziert wurde, das nicht richtig in die Haut eingezogen ist.“

Neue Testosteron-Darreichungsform

Foto: Lilly Deutschland GmbH

Axiron® ist zugelassen für erwachsene Männer zur Testosteron-Ersatztherapie bei männlichem Hypogonadismus, wenn der Testosteron-Mangel klinisch und labormedizinisch bestätigt wurde. Die Testosteron-Lösung befindet sich in einer Flasche mit Dosierpumpe. Pro Hub werden 1,5 ml Testosteron-Lösung (entspricht 30 mg Testosteron) in den Applikator gegeben. Damit wird die Lösung einmal täglich ungefähr zur gleichen Uhrzeit in einem Zug vom unteren bis zum oberen Bereich der Achsel verstrichen. So wird ein Auftragen möglich, ohne dass die Hände in Berührung mit dem Wirkstoff kommen. Die empfohlene Anfangsdosierung beträgt 60 mg Testosteron/Tag (3 ml Lösung), maximale Dosis: 120 mg Testosteron/Tag (6 ml Lösung). Innerhalb von ca. zwei bis drei Minuten ist die aufgetragene Testosteron-Lösung vollständig getrocknet. Der Applikator wird nach dem Auftragen unter fließendem Wasser ausgespült. Die Lösung sollte nicht auf anderen Körperstellen aufgetragen werden. Wird ein Deodorant verwendet, sollte der Patient dies zuerst auftragen und erst danach Axiron®. So soll eine Verunreinigung des Deodorants vermieden und das Risiko der Übertragung auf andere reduziert werden. In der Fachinformation wird darauf hingewiesen, dass die Testosteron-Lösung nach dem Auftragen zu jeder Zeit durch engen Hautkontakt auf andere Personen übertragen werden und bei diesen Personen zu erhöhten Testosteron-Konzentrationen im Serum und nach wiederholtem Kontakt möglicherweise zu Nebenwirkungen führen. Durch Waschen kann das Testosteron wieder von der Haut entfernt werden, daher sollten Patienten nach der Anwendung über einen Zeitraum von sechs Stunden sich nicht waschen, duschen oder schwimmen.

Quelle: Fachinformation Axiron® Stand September 2013.

Gel, Spritze oder Deo

Die Applikation des Hormons als Gel ist eine weit verbreitete Form der Testosteron-Substitution. Es sind laut Weidner verschiedene Präparate mit gleichwertiger pharmakologischer Qualität im Handel, die Akzeptanz bei den Patienten ist allgemein gut. Die Einnahme von Tabletten ist wegen des hohen First-pass-Effektes in der Leber obsolet, und die transdermale Applikation war bei den Männern wenig beliebt, was nach Weidner ganz pragmatische Gründe hatte: „Früher mussten Pflaster auf die Haut des Hodensacks geklebt werden, damit eine adäquate Resorption gewährleistet ist. Inzwischen ist die Option der transdermalen Substitution durch Aufbringen von Gelen auf den Oberarm sehr populär.“

Zunehmender Beliebtheit aber erfreut sich nach den Erfahrungen des Urologen auch die intramuskuläre Injektion von Testosteron alle drei Monate. Die Depotspritze hat den Vorteil, dass der betreffende Mann nicht täglich mit der Substitutionstherapie befasst ist, sie ist jedoch ungeeignet, wenn der Patient eine Spritzenphobie aufweist. Ob sich die neue Darreichungsform – eine Lösung, die mit einem Applikator in der Achselhöhle aufgetragen wird – durchsetzen wird, bleibt laut Bühmann abzuwarten, denn, so seine Bedenken: „Die Haut in der Achselhöhle ist recht empfindlich und es ist zudem offen, wie sich die zusätzliche Anwendung des üblichen Deodorants in dieser Region auswirkt – in puncto Hautreizungen, potenzieller Interaktionen und auch hinsichtlich der Geruchsentwicklung, da Testosteron selbst keineswegs geruchsneutral ist.“ 

Medizinjournalistin Christine Vetter, Köln

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