Arzneimittel und Therapie

Wie sicher sind Gliptine?

Sensitivitätsanalyse einer Studie zu Saxagliptin wirft Fragen zu den Risiken auf

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA untersucht derzeit den Verdacht einer infektionsbedingten Mortalitätserhöhung unter Saxa­gliptin [1]. Dies geschieht nach Bekanntwerden der Ergebnisse einer Sensitivitätsanalyse der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA einer großen Studie (SAVOR), die die kardiovaskuläre Sicherheit der Substanz belegen sollte.

Idealerweise sollten antidiabetische Arzneimittel nicht nur sicher und effektiv den Blutzuckerspiegel, sondern auch das kardiovaskuläre Risiko senken, da Typ-2-Diabetes generell das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Jedoch konstatierten frühere Metaanalysen zur Therapie mit dem Insulin-Sensitizer Rosiglitazon sogar ein gesteigertes Herzinfarktrisiko. Seit 2008 (amerikanische Zulassungsbehörde FDA) bzw. 2010 (EMA) fordert der Gesetzgeber daher die Arzneimittelhersteller dazu auf, neben der Untersuchung der Wirksamkeit auch eine Postmarketing-Analyse zu Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System durchzuführen, um die sog. kardiovaskuläre Sicherheit einzelner Antidiabetika zu bewerten.

Im Falle des DPP-4-Inhibitors Saxa­gliptin (Onglyza® und Komboglyze®) zeigten sich im Rahmen der multi­nationalen und multizentrischen, randomisiert-placebokontrollierten Doppelblindstudie SAVOR (Saxagliptin Assessment of Vascular Outcomes Recorded in Patients with Diabetes Mellitus Study) bezüglich der primären Endpunkte, dem Auftreten von Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulär-bedingtem Tod keine Unterschiede zu Placebo. Die kardiovaskuläre Sicherheit von Saxagliptin war also zunächst bestätigt, jedoch ergab sich auch kein positiver Effekt [2]. Tatsächlich wurde eher ein erhöhtes Risiko für Krankenhauseinweisungen aufgrund von Herzinsuffizienz beobachtet sowie eine nicht signifikante Zunahme der Gesamtmortalität, was nun auch in der Fachinformation zu Saxagliptin dokumentiert ist. Eine anschließende Sensitivitätsanalyse der FDA zeigte, dass sich dies in einem eingeschränkten Beobachtungszeitraum bis sieben Tage nach Therapieende sogar als statistisch signifikant herausstellte [3]. Laut BfArM ist derzeit jedoch nicht bekannt, ob es sich bei der Häufung der Todesfälle um einen Zufallsbefund handelt, eine auswertungsbedingte Verfälschung vorliegt oder ob ein tatsächlicher Kausalzusammenhang zur Therapie besteht. Die Daten werden daher auf europäischer Ebene noch weiter analysiert.

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Wie sicher sind Antidiabetika? Studien zum kardiovaskulären Risiko werden von den Zulassungsbehörden für alle Wirkstoffe seit einigen Jahren gefordert.

Infektionen als Todesursache

Zudem zeigte sich, dass die geringfügig erhöhte Gesamtmortalität möglicherweise durch Infektionen, statt wie bisher angenommen, durch kardiovaskuläre Ereignisse begründet ist. Zwar verstarben insgesamt die meisten Patienten an letzteren, doch entstand durch Infektionen das größte Ungleichgewicht zwischen Verum- und Placebogruppe. Derzeit rät das BfArM, die Behandlung mit Saxagliptin nicht ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt abzusetzen. Ärzte sollen die in der Fachinformation aufgeführten Sicherheitsinformationen bei der Verordnung und Überwachung der Patienten berücksichtigen.

Dass das signifikant erhöhte Risiko der Gesamtmortalität bei der Primäranalyse der Studiendaten so nicht aufgefallen war, wirft jedoch die Frage auf, ob auch bei anderen Vertretern dieser Substanzklasse solch eine Assoziation möglich erscheint oder dies ausschließlich auf Saxagliptin beschränkt ist.

Blick auf die anderen Gliptine

Auch wenn die EMA noch keine endgültige Aussage zur Kausalität der Beobachtungen machen kann, lohnt sich ein Blick auf die Ergebnisse anderer Studien zur kardiovaskulären Sicherheit von Gliptinen. Tatsächlich zeigte sich auch in der EXAMINE-Studie (Examination of Cardiovascular Outcomes: Alogliptin vs. Standard of Care) ein nicht signifikantes Ungleichgewicht bezüglich der Hospitalisierungsrate aufgrund von Herzinsuffizienz bei Patienten mit Alogliptin-Therapie im Vergleich zu Placebo [4]. Im Rahmen der TECOS-Studie (Trial Evaluating Cardiovascular Outcomes With Sitagliptin) wiederum, welche in diesem Jahr veröffentlicht wurde, ist die Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen unter Sitagliptin-Behandlung im Vergleich zu Placebo analysiert worden [5]. Dabei zeigte sich wie bei anderen Gliptinen kein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulär-bedingten Tod. Im Unterschied zu Saxagliptin oder Alogliptin fand sich jedoch auch kein Ungleichgewicht in der Anzahl an Hospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz bzw. der Gesamtmortalität. Bei Sitagliptin scheint sich somit kein weiterer Hinweis für mögliche Sicherheitsbedenken zu finden.

Die Autoren der TECOS-Studie diskutieren verschiedene Ursachen für die Unterschiede in den Resultaten zur kardiovaskulären Sicherheit von Sitagliptin gegenüber Saxagliptin bzw. Alogliptin. Einerseits die Annahme, dass die vorher beschriebenen Befunde der Sensitivitätsanalyse tatsächlich auf Zufällen beruhen und somit womöglich keine realen Sicherheitsbedenken für die gesamte Substanzklasse existieren. Oder aber die Unterschiede sind auf verschiedene intrinsische Aktivitäten der Substanzen und somit auf pharmakodynamische Aspekte zurückzuführen. Aber auch mögliche Unterschiede in der jeweiligen Patientenpopulation sowie in der antidiabetischen Basismedikation werden angeführt.

Unterschiede beim Patientenkollektiv

Für klinische Studien der Postmarketing-Evaluation zur Rate kardiovaskulär-bedingter Ereignisse während einer medikamentösen Therapie sind die Auswahl und Anzahl an geeigneten Probanden von entscheidender Bedeutung, um statistisch fundierte Aussagen zur Sicherheit der Behandlung treffen zu können. Im Rahmen der SAVOR-Studie wurden insgesamt 16.492 Patienten im Alter von durchschnittlich 65 Jahren mit Typ-2-Diabetes und einem HbA1c-Wert von 6,5 bis 12% untersucht, wobei die Probanden zudem entweder diagnostizierte Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie Dyslipidämie oder Hypertonie, oder eine dokumentierte Krankheitshistorie mit kardiovaskulären Ereignissen aufweisen mussten. Auch besaßen ca. 15% der Patienten mäßige bis starke Nierenfunktionsstörungen (eGFR ≤ 50 ml/min), sodass bereits zu Therapiebeginn eine Dosisreduktion von Saxagliptin indiziert war. Bezüglich der Basismedikation fällt zudem auf, dass etwa 40% der Patienten mit Insulin-Analoga behandelt wurden, was bei Typ-2-Diabetikern bereits auf ein fortgeschrittenes Stadium der Erkrankung schließen lässt.

Im Vergleich hierzu wurden im Rahmen der TECOS-Studie 14.671 Patienten im Alter von ebenfalls durchschnittlich 65 Jahren mit Typ-2-Diabetes und einem HbA1c-Wert von 6,5 bis 8% untersucht, die ebenso entweder diagnostizierte Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eine kardiovaskuläre Krankheitshistorie aufwiesen. Auffällig ist jedoch, dass neben den enger gefassten Werten für glykiertes Hämoglobin auch die Basismedikation mit Insulin-Analoga nur bei etwa 23% der Patienten indiziert war, sodass sich die hier untersuchte Population über ihren Langzeit-Blutzuckerspiegel und Erkrankungszustand von den Patienten der SAVOR-Studie unterscheidet. Zudem galt eine eGFR von ≤ 30 ml/min bereits als Ausschlusskriterium, wohingegen ca. 2% der Patienten in der SAVOR-Studie eine solch geringe Nierenfunktion aufwiesen und erst bei chronischer Dialyse oder Nierentransplantation die spezifischen Ausschlusskriterien erfüllten.

Prospektive Studien benötigt

Ob die hier gezeigten Unterschiede tatsächlich maßgeblichen Einfluss auf den allgemeinen Gesundheitsstatus der jeweiligen Patientenpopulation zu Studienbeginn besaßen und somit möglicherweise zu verschiedenen Resultaten bezüglich der kardiovaskulären Sicherheit von Sitagliptin gegenüber Saxagliptin führten, lässt sich retrospektiv schwer beurteilen. Um solche Aspekte tatsächlich zu analysieren, bedarf es letztlich direkter prospektiver Vergleichsstudien der einzelnen Gliptine an einem gemeinsamen Studienkollektiv (siehe auch Interview S. 24). Sollte die Analyse der EMA zur kardiovaskulären Sicherheit von Saxagliptin auf eine mögliche Kausalität zur Therapie hindeuten, könnten weitere Vertreter der Gliptine erneut in Verdacht geraten, die Gesamtmortalität bei Risikopatienten zu erhöhen, sodass zukünftig tatsächlich entsprechende Vergleichsstudien notwendig werden könnten.

Die Tatsache, dass die Unterschiede der SAVOR-Studie bezüglich der Gesamtmortalität nur in einem begrenzten Zeitfenster statistische Signifikanz erreichten, wird möglicherweise dazu führen, dass zukünftige Postmarketing-Analysen unabhängig vom erreichten Follow-Up einer tiefgehenden und umfassenden Post-hoc-Evaluation bedürfen, um eventuelle Risiken nicht zu übersehen. |

Literatur

[1] http://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RI/2015/RI-saxagliptin.html (vom 06.07.2015)

[2] Scirica, B. M., et al. (2013). „Saxagliptin and Cardiovascular Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes Mellitus.“ New England Journal of Medicine 369(14):1317-1326.

[3] http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/CommitteesMeetingMaterials/Drugs/EndocrinologicandMetabolicDrugsAdvisoryCommittee/UCM442060.pdf (von 06.07.2015)

[4] White WB, Cannon CP, Heller SR, et al. Alogliptin after acute coronary syndrome in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2013;369:1327-35.

[5] Green, J. B., et al. „Effect of Sitagliptin on Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes.“ New England Journal of Medicine 0(0): null.

Apotheker Dr. André Said

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