Arzneimittel und Therapie

Lichtblick Thrombektomie

Die neue Hoffnung in der Behandlung des akuten Schlaganfalls

Nachdem sich die mechanische Entfernung von Blutgerinnseln im Gehirn mithilfe eines Katheters (Thrombektomie) in mehreren Studien als vorteilhaft erwiesen hat, wurde diese Methode in die Leitlinie zur Therapie des akuten Schlaganfalls aufgenommen. In bestimmten Fällen wird nun eine Kombination aus medikamentöser Thrombolyse und Thrombektomie empfohlen.

Pharmakotherapeutische Maßnahmen zur Behandlung des ischämischen Insults wie die Gabe von Alteplase (rt-PA) führen bei der Rekanalisierung verschlossener Gefäße nur zu einem mäßigen Erfolg. Eine zusätzliche Option ist die invasiv-mechanische Öffnung des Gerinnsels mithilfe der endovaskulären mechanischen Thrombektomie. Dabei wird von der Leiste aus ein Katheter bis an die Stelle des Gehirns geschoben, an der das Blutgerinnsel eine Arterie blockiert hat. Der Katheter durchbohrt den Thrombus und umschließt das Gerinnsel mit einem Stent. Anschließend kann es über einen Hohlkatheter abgesaugt werden. Ob die Kombination beider Methoden zu additiven Effekten führt, wurde in mehreren Studien untersucht. Die Empfehlung der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) für ein kombiniertes Vorgehen beruht unter anderem auf der HERMES-Studie.

Prinzip „Drip-and-ship“

Da eine Katheterbehandlung derzeit nur an bestimmten Kliniken möglich ist, wird der akute Schlaganfallpatient zuerst in die nächste Stroke Unit gebracht, um ohne Zeitverzug mit der Lysetherapie zu beginnen („drip“). Dann wird entschieden, ob eine mechanische Thrombektomie infrage kommt und der Patient mit dem Rettungswagen in eine Klinik transportiert wird („ship“), in der eine Katheterbehandlung möglich ist.

Foto: sudok1 – Fotolia.com

HERMES-Studie überzeugt

Die HERMES-Studie (Highly Effective Reperfusion evaluated in Multiple Endovascular Stroke Trials-Studie) ist eine Analyse individueller Patientendaten aus fünf aktuellen großen randomisierten Studien (teilweise unter deutscher Beteiligung) zur Therapie des Schlaganfalls. Eingeschlossen wurden knapp 1300 Patienten, die einen ischämischen Schlaganfall (Verschluss in der proximalen vorderen arteriellen Zirkulation) erlitten hatten. Etwa die Hälfte der Patienten (n = 634) erhielt eine Lysetherapie mit Alteplase und innerhalb von zwölf Stunden eine Thrombektomie, die Kontrollgruppe (n = 653) nur eine Lysebehandlung (falls möglich). Der primäre Endpunkt der Untersuchung war eine reduzierte Behinderung nach 90 Tagen, ermittelt durch die modifizierte Rankin-Skala mRS, die das Ausmaß der Behinderung nach einem Schlaganfall beschreibt (Werte von 0 bis 6).

Die kombinierte Therapie führte zu geringeren neurologischen Schäden als die alleinige Lysetherapie (Odds-Ratio [OR] 2,49; p < 0,0001) (siehe Abb.). Die aus diesen Ergebnissen berechnete Number Needed to Treat (NNT) betrug 2,6 für die kombinierte Therapie zur Reduktion des neurologischen Schadens um einen Skalenwert auf der modifizierten Rankin-Skala für einen Patienten. Subgruppenanalysen zeigten einen Vorteil der kombinierten Behandlung für Patienten im Alter über 80 Jahre (OR 3,68), für Patienten, die fünf Stunden nach Einsetzen der Symptome randomisiert wurden (OR 1,76), und für Patienten, die keine Alteplase erhalten konnten (OR 2,43). Zwischen der kombinierten Therapie- und der Lysetherapie-Gruppe fand sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich Mortalität (15,3 vs. 18,9%), parenchymaler Hämatome (5,1 vs. 5,3%) und symptomatischer intrazerebraler Blutungen (4,3 vs. 4,3%).

Abb: Neurologische Behandlungsergebnisse am Tag 90 nach Schlaganfall Je größer der Wert auf der modifizierten Ranking-Skala (mRS), desto höher der Grad der Behinderung (Lysetherapie wenn möglich) [mod. nach Goyal M, et al. Lancet 2016].

Weitere Metaanalyse mit ähnlichem Ergebnis

Eine portugiesische Metaanalyse griff auf zehn randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 2925 Patienten zurück. Bei einem Teil der Patienten wurde der ischämische Schlaganfall mithilfe einer systemischen Lyse (Gabe von Alteplase) behandelt, bei dem anderen Teil war zusätzlich eine mechanische Behebung des Gefäßverschlusses – meist durch eine Thrombektomie – erfolgt. Primäre Studienendpunkte waren die Wahrscheinlichkeit eines guten funktionellen Out­comes sowie die Mortalität 90 Tage nach der Behandlung. Auch diese Auswertung zeigte für das kombinierte Vorgehen bessere Therapieergebnisse als die alleinige systemische Lyse. Da die Studien sehr heterogen waren, wurden Subgruppenanalysen durchgeführt. Eine Auswertung der sieben neueren Studien zeigte ein deutlich verbessertes funktionelles Outcome (relatives Risiko [RR] 1,56) und eine verringerte Sterblichkeit (RR 0,86) unter der kombinierten Therapie. Auch die Studienautoren der portugiesischen Metaanalyse raten daher, das kombinierte Verfahren in die klinische Praxis umzusetzen.

Weitere News in der Schlaganfall-Therapie

+++ Weniger Blutungen unter niedrig dosierter Alteplase, dafür mehr Behinderungen +++

In der ENCHANTED-Studie konnte nicht zweifelsfrei bewiesen werden, dass niedrig dosierte Alteplase (0,6 mg/kg) der Standarddosis (0,9 mg/kg) zur Lysetherapie nicht unterlegen ist (Odds Ratio [OR] 1,09) [1]. Endpunkt war ein modifizierter Rankin-Score von 2 bis 6 Punkten am Tag 90. Eingeschlossen wurden 3310 Patienten aus 13 Ländern, in der Hauptsache aus Asien stammend. Unter „Low dose“-Therapie ereigneten sich aber hochsignifikant weniger intrakranielle Blutungen, eine gefürchtete Komplikation unter Lysetherapie. Auch traten weniger tödliche Zwischenfälle in den sieben Tagen nach Behandlung auf. Bezogen auf 1000 Patienten überlebten unter der niedrigen Alteplase-Dosis mehr Patienten den Schlaganfall als unter Standarddosierung, allerdings stieg die Zahl der Patienten mit Behinderungen. Ein klares Fazit steht noch aus.

+++ Ticagrelor schützt nicht besser als ASS +++

In der SOCRATES-Studie war Ticagrelor Acetylsalicylsäure (ASS) in der Sekundärprävention nach Schlaganfall oder schwerer transitorischer ischämischer Attacke nicht sicher überlegen [2]. Der kombinierte primäre Endpunkt (Zeit bis zum Auftreten von Schlaganfall, Herzinfarkt oder Tod innerhalb von 90 Tagen) trat unter Ticagrelor aber tendenziell seltener auf (Hazard Ratio [HR] 0,89). Deutliche Unterschiede zu ASS zeigten sich beim sekundären Endpunkt: Ischämische Schlaganfälle traten unter Ticagrelor signifikant seltener auf. Ticagrelor ist in Deutschland zugelassen zur Sekundärprävention nach akutem Koronarsyndrom oder Herzinfarkt, aber nicht nach Schlaganfall.

+++ Sekundärprävention: Therapie mit ASS früh einleiten +++

Eine Re-Analyse früherer randomisierter klinischer Studien kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem eine frühzeitig begonnene Therapie mit ASS vor erneuten transitorischen ischämischen Attacken (TIA) und Schlaganfall schützt [3]. Diese Erkenntnis basiert auf den Daten von 15.778 Patienten aus insgesamt zwölf randomisierten Studien, in denen ASS gegen eine Kontrolle zur Sekundärprävention untersucht wurde. ASS reduzierte das Risiko für einen weiteren ischämischen Schlaganfall nach den ersten sechs Wochen um etwa 60% im Vergleich zur Kontrolle (HR 0,42). Am meisten von einer sofortigen ASS-Gabe profitierten Patienten mit einer TIA und solche, bei denen der Schlaganfall nur leichte Schäden ausgelöst hatte.

Quelle

[1] Johnston SC, et al. Ticagrelor versus aspirin in acute stroke or transient ischemic attack. N Engl J Med 2016, published online 10. Mai

[2] Anderson CS, et al. Low-dose versus standard-dose intravenous alteplase in acute ischemic stroke. N Engl J Med 2016, published online 10. Mai

[3] Rothwell PM, et al. Eff ects of aspirin on risk and severity of early recurrent stroke after transient ischaemic attack and ischaemic stroke: time-course analysis of randomised trials. Lancet 2016, published online 18. Mai

Leitlinien-Empfehlungen zur Thrombektomie ergänzt

  • Eine mechanische Thrombektomie ist zur Behandlung von akuten Schlaganfallpatienten mit klinisch relevantem neurologischem Defizit und großem arteriellem Gefäßverschluss im vorderen Kreislauf bis zu sechs Stunden (Zeitpunkt der Leistenpunktion) nach Auftreten der Symptome empfohlen. Bei fehlenden Kontraindikationen sollen die Patienten im 4,5-Stunden-Zeitfenster auch systemisch mit Alteplase behandelt werden.
  • Die mechanische Thrombektomie sollte nicht die Einleitung der intravenösen Thrombolyse verzögern, und die intravenöse Thrombolyse darf die mechanische Thrombektomie nicht verzögern, insbesondere wird nicht empfohlen, einen möglichen Alteplase-Effekt vor der Thrombektomie abzuwarten.
  • Die mechanische Thrombektomie sollte möglichst rasch nach der Indikationsstellung erfolgen.
  • Für die mechanische Thrombektomie sollten Stent-Retriever verwendet werden.
  • Wenn eine intravenöse Thrombolyse kontraindiziert ist, wird die mechanische Thrombektomie als Erstlinien-Therapie bei Patienten mit Verschluss einer proximalen Hirnbasisarterie empfohlen.
  • Hohes Alter allein ist kein Grund, auf eine mechanische Thrombektomie zu verzichten.
  • Die mechanische Thrombektomie ist ein kompliziertes interventionelles Verfahren, das Zentren mit entsprechender Erfahrung vorbehalten ist. |

Quelle

Pressemitteilung „Behandlung des akuten Schlaganfalls: Neue Leitlinie empfiehlt interventionelle Thrombektomie“ vom 12. April 2016, Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR)

S2k-Leitlinie „Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls“, Ergänzung „Rekanalisierende Therapie“, Stand Oktober 2015

Goyal M, et al. Lancet 2016, published online 18. Februar 2016; doi: 10.1016/S0140-6736(16)00163-X

Rodrigues F. BMJ 2016, published online 18. April 2016; doi: http://dx.doi.org/10.1136/bmj.i1754

Diener HC. Akt Neurol 2016;43(02):81

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr


Lesen Sie dazu auch den Kommentar "Größter Fortschritt seit 30 Jahren"

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.