Arzneimittel und Therapie

Ein Grund mehr zur Vorsicht

Ein Gastkommentar von Prof. Dr. med. Alexandra Philipsen

Prof. Dr. med. Alexandra Philipsen, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Karl-Jaspers-Klinik Oldenburg

In der Studie von Shin et al. wurden anhand von Krankenversicherungsdaten Behandlungsphasen mit Methylphenidat (definiert als mindestens einmalige Gabe) mit Phasen ohne Behandlung bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS und kardiovaskulären Ereignissen verglichen [1]. Einschlusskriterien dabei waren eine ADHS-Diagnose, mindestens ein kardiovaskuläres Ereignis und die Verschreibung von Methylphenidat. Die Besonderheit der Studie liegt in der Analyse von definierten Zeiträumen nach Verschreibungsbeginn.

Das Risiko für Arrhythmien war in allen Phasen der Medikation mit Methylphenidat signifikant erhöht (Inzidenzratenverhältnis (IRR) 1,61) – mit dem höchsten Risiko in den ersten drei Tagen nach Verschreibungsbeginn (IRR 2,01). Das Risiko für arterielle Hypertonie lag nur in den ersten Tagen nach Verschreibung (Tag 4 bis 7) höher als in Phasen ohne Methylphenidat (IRR 1,29). Für Myokardinfarkte ergab sich ein höheres Risiko nach der ersten Verschreibungswoche (IRR 2,50) über die Dauer der ersten zwei Monate. Analog zu Voruntersuchungen war das Risiko für Arrhythmien unter Methylphenidat insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit kongenitalen Herzfehlern erhöht. Fünf Kinder verstarben nach kardiovaskulären Ereignissen. Es zeigte sich kein Dosiseffekt von Methylphenidat hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse.

Etwas einschränkend bei der Interpretation der Ergebnisse sind die für die Diagnose zwar repräsentativ häufigen, doch ebenfalls mit kardiovaskulären Ereignissen per se behafteten Komorbiditäten wie Depressionen (hier 15% bei Patienten mit Myokardinfarkt), die Komedikation mit Antidepressiva und Neuroleptika (15 bis 27%), die ihrerseits das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse erhöhen können [2], sowie die fehlende Information zu weiteren häufig mit ADHS und Depressionen einhergehenden Risikofaktoren wie Adipositas oder Substanzkonsum und fehlende Angaben zur Compliance der Behandelten. Zu beachten ist zudem, dass bei einigen der untersuchten Kinder trotz vorheriger kardiovaskulärer Ereignisse und damit eventuell bestehender Kontraindikation Methylphenidat verordnet wurde.

Nichtsdestotrotz weist diese Studie nochmals auf die Notwendigkeit einer gründlichen kardiovaskulären (Familien-)Anamnese und Abklärung bei Patienten mit ADHS vor einer geplanten Methylphenidat-Behandlung sowie kardiovaskulärer Kontrolle unter der Medikation insbesondere in den ersten Behandlungstagen und -wochen hin. Analog empfehlen die Leitlinien die Erfragung von Synkopen, Kurzatmigkeit und anderen kardiovaskulären Symptomen, die Erhebung von Puls und Blutdruck, eine gründliche Familienanamnese in Bezug auf Herzerkrankungen (einschließlich plötzlicher Todesfälle) und -untersuchungen, ein EKG bei möglichen Hinweisen auf familiäre oder eigene kardiovaskuläre Erkrankungen sowie die Kontrolle von Blutdruck und Puls bei Dosisänderung und routinemäßig alle drei Monate [3].

Quelle

[1] Shin JY et al. BMJ 2016;353:i2550, published online 31. Mai

[2] Rottenberg J et al. Psychosom Med 2014;76(2):122-127

[3] NICE (2008) Attention Deficit Hyperactivity Disorder: Diagnosis and Management of ADHD in Children, Young People and Adults. NICE clinical guideline 72, verfügbar unter www.nice.org.uk/CG72

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