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Toxikologie
Bitte nicht stören!
Wie endokrine Disruptoren den Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht bringen können
Der Blick in ein Lehrbuch der Pharmakologie zeigt, dass natürliche und synthetische Hormone in einer Reihe mit anderen Arzneimittelgruppen stehen. Obwohl gewisse Besonderheiten bei Hormonen zu beachten sind, gelten die Grundprinzipien der Pharmakodynamik und Pharmakokinetik ebenso wie für andere Wirkstoffe. Eine der am weitesten verbreiteten Formen der Therapie mit hormonaktiven Substanzen sind die oralen Kontrazeptiva. Wenn man die pharmakologische Sichtweise einmal verlässt und diese Arzneistoffe mit den Worten der Toxikologie beschreibt, handelt es sich um oral wirksame Fremdstoffe, die bei regelmäßiger Einnahme bereits in niedrigen Mikrogramm-Dosierungen bei Frauen zu einem vollständigen Verlust der Fertilität führen. Bei unterbrochener Zufuhr der Stoffe mit Estrogen- und Gestagen-Wirkung kann die Fertilität wieder hergestellt werden, also eine Schwangerschaft eintreten. Bereits geringe Änderungen der Hormonkonzentrationen im Blut können zum „Versagen“ der Kontrazeptiva führen. Beispielsweise kann eine durch Rifampicin verursachte Cytochrom-P450-Induktion den Abbau von Hormonen beschleunigen und damit bereits die Wirkung gleichzeitig eingenommener Kontrazeptiva aufheben.
Vor dem Hintergrund dieses pharmakologischen Wissens ist es verwunderlich, wie heftig in der öffentlichen Diskussion – aber auch unter Wissenschaftlern – über die möglichen Gefahren, den Umgang und die Regulation von sogenannten „endokrinen Disruptoren“ gestritten wird. Oft kann man hören oder lesen, dass für solche Stoffe kein Schwellenwert existiert oder dass die Wirkungen bei niedriger Exposition ausgeprägter sind als bei höheren Dosen. Dies widerspricht den Grundprinzipien der Pharmakologie und Toxikologie. Oder verhalten sich Stoffe pflanzlicher Herkunft oder synthetische Chemikalien doch anders, als wir es von pharmakologisch angewandten Hormonen her kennen? Diese zentralen Fragen gilt es zu klären.
Was sind endokrine Disruptoren?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert chemische Substanzen als endokrine Disruptoren, wenn die folgenden drei Kriterien erfüllt werden [39]:
- Der Stoff hat eine schädigende Wirkung für die menschliche Gesundheit.
- Er weist eine endokrine Wirkung auf.
- Es besteht eine Kausalbeziehung zwischen der schädigenden Wirkung und der endokrinen Wirkungsweise.
Als schädigende Wirkung bzw. „Disruption“ werden in diesem Zusammenhang „eine Veränderung der Morphologie, der Physiologie, des Wachstums, der Entwicklung, der Fortpflanzung oder der Lebensdauer eines Organismus, eines Systems oder einer (Teil-)Population, die Funktionseinschränkungen, eine Einschränkung der Fähigkeit zur Bewältigung erhöhten Stresses oder eine erhöhte Anfälligkeit für andere Einflüsse“ gesehen [12].
Das Hormonsystem kann über verschiedene Wirkmechanismen sowie auf mehreren Ebenen durch chemische Substanzen beeinflusst werden (Abb. 1). Die Interaktion mit körpereigenen Rezeptoren kann dabei direkt oder indirekt, beispielsweise durch Hemmung der Steroidhormon-Biosynthese, erfolgen.
Laut WHO sind nahezu 800 Substanzen bekannt, die nachweislich oder in Verdacht stehend Einfluss auf Hormonrezeptoren, Hormonsynthese oder Hormonumbau nehmen und somit endokrin aktiv sind [38]. Darunter fallen beispielsweise Industriechemikalien und Wirkstoffe in Bioziden oder Pflanzenschutzmitteln, aber auch Inhaltsstoffe von Kosmetika und Pflegeprodukten. Einige hormonell wirksame Substanzen kommen auch natürlicherweise vor, z. B. Phytoestrogene, die in Pflanzen wie Soja oder Hülsenfrüchten enthalten sind. Aber nur ein Bruchteil dieser Stoffe wurde hinsichtlich der endokrinen Wirkungen im Säugetierorganismus untersucht, und nicht jeder endokrin aktive Stoff wirkt sogleich schädigend auf den Organismus.
Die Identifizierung eines hormonaktiven Stoffs, der in relevanten Expositionen zu unerwünschten Wirkungen führt, ist daher schwieriger als vielleicht angenommen. Endokrine Disruptoren sind keine klar definierbare Substanzgruppe, die man anhand von charakteristischen Strukturmerkmalen als solche identifizieren könnte. Für eine direkte Bindung am Estrogen-Rezeptor sind jedoch gewisse strukturelle Voraussetzungen nötig, z. B. eine phenolische Hydroxylgruppe. Abbildung 2 zeigt die Strukturformeln einiger endokrin aktiver Substanzen, die am Estrogen-Rezeptor binden können, aber sich trotzdem in ihrer Struktur zum Teil sehr unterscheiden.
Zwar können schon einfache In-vitro-Screening-Tests hormonähnliche Aktivitäten und deren Potenzial für mögliche endokrine Effekte aufzeigen, jedoch haben nur Studien mit Säugetieren eine echte Aussagekraft für den Menschen über Auswirkungen und Toxizität. Der entscheidende Unterschied entsteht meist durch den Metabolismus und insgesamt im kinetischen Verhalten eines Stoffs. Aber selbst Ergebnisse aus tierexperimentellen Studien lassen sich nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen. Viele kritische Ereignisse, die im Zusammenhang mit Störungen des Hormonsystems beim Menschen diskutiert werden, können während der prä- oder postnatalen Entwicklung, also in der fetalen Lebensphase, während der Kindheit oder der Pubertät aufgetreten sein. Expositionen in lange zurückliegenden Zeiten sind oft schwer zu rekonstruieren, sodass Kausalbeziehungen „verschleiert“ werden. Darüber hinaus können Beeinträchtigungen des Hormonsystems als sekundäre, nicht-spezifische Effekte allgemeiner Toxizität auftreten und sind nicht als direktes Ergebnis von Störungen des Hormonsystems zu bewerten.
Es ist unerlässlich, international geltende, validierte Testsysteme für eine Vielzahl von Wirkmechanismen mit eindeutigen Bewertungskriterien zu erstellen. Dadurch wird der wissenschaftliche Austausch verbessert. Zudem verhindert dies auch Missverständnisse in der Öffentlichkeit. Vorschnell geäußerte Meinungen können bei toxikologischen Laien Besorgnis gegenüber den vermeintlich schädlichen Substanzen hervorrufen, wie die Diskussion über Parabene in den vergangenen Jahren deutlich gemacht hat.
Parabene – endokrine Disruptoren in Kosmetika?
Parabene sind Konservierungsmittel und werden aufgrund ihrer antimikrobiellen Wirkung und des geringen allergenen Potenzials bevorzugt in der pharmazeutischen Industrie, in Kosmetika und sogar in einigen Lebensmitteln eingesetzt. In den letzten Jahren wurden Parabene in der Presse immer häufiger als „gefährlich“ oder „schädlich“ bezeichnet und als Beispiel für endokrine Disruptoren angeführt. Diese Annahme beruht unter anderem auf einer Studie, in der Parabene mit langen Seitenketten wie Butylparaben bei Ratten eine schwache estrogene Aktivität aufwiesen, wenn sie in hohen Dosen subkutan, also in einer Weise, die für den Menschen irrelevant ist, appliziert werden [29]. Verabreicht man die Wirkstoffe oral oder dermal, sind keine estrogenen Wirkungen nachweisbar.
In anderen Studien wurde berichtet, dass wiederholte oral verabreichte Dosen von Butyl- und Propylparaben die Fertilität männlicher junger Ratten beeinträchtigen [27]. Jedoch zeigte sich in Wiederholungen dieser Studien unter den standardisierten Bedingungen der Guten Laborpraxis (GLP), dass orale Dosen von bis zu 1000 mg/kg/Tag unwirksam waren. Propyl- und Butylparaben können damit nicht als endokrine Disruptoren bezeichnet werden [14, 17]. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass eine zweiwöchige Ganzkörperanwendung mit einer Creme mit 2,0% Butylparaben – dies entspricht der zehnfachen Menge der maximal erlaubten Konzentration in der EU – keinen Einfluss auf die Konzentrationen der Sexual- sowie Schilddrüsenhormone beim Menschen hatte [19]. Auch hier spielt offenbar der Metabolismus eine entscheidende Rolle: Es gibt immer mehr Hinweise, dass Parabene nach dem Auftragen auf die Haut durch Esterasen hydrolysiert werden, wodurch der Metabolit 4-Hydroxybenzoesäure entsteht [1, 6, 21]. 4-Hydroxybenzoesäure ist eine natürliche Substanz, die in Obst und Gemüse und anderer menschlicher Nahrung vorkommt [16, 34].
Zwar kann auch eine systemische Exposition nach Auftragen einer Paraben-haltigen Creme erfolgen, jedoch beträgt sie weniger als 1%, wie eine Studie zeigte [20]. Gelangen Parabene in den Blutkreislauf, werden sie wie viele andere exogene Substanzen rasch in der Leber hydrolysiert, anschließend mit Sulfaten bzw. Glucuronsäure konjugiert und über die Niere ausgeschieden [32, 33]. Daher ist das von den Parabenen ausgehende Risiko für die menschliche Gesundheit praktisch zu vernachlässigen.
Auch der amerikanische Cosmetic Ingredient Review (CIR) untersuchte die Sicherheit der Parabene eingehend und stellte fest, dass Parabene, die in den Körperpflegeprodukten verwendet werden, sicher sind [6]. Die EU-Kommission dagegen legte den maximalen Gehalt von Propyl- und Butylparaben auf 0,2% fest [31]. Diese eher konservative Entscheidung beruht jedoch auf dem Umstand, dass entscheidende Daten hinsichtlich der dermalen Resorption, des Metabolismus und der Expositionsabschätzung beim Menschen fehlen und somit keine abschließende Bewertung möglich war [2, 31].
Es ist aber festzuhalten, dass die estrogene Wirksamkeit der Parabene etwa um den Faktor 1000 niedriger ist als die der physiologischen Estrogene. Entscheidend für die Frage der Sicherheit von Substanzen mit hormonähnlicher Aktivität ist primär ihre hormonelle Potenz [4, 5, 35]. Zur Erinnerung: Estradiol, das natürliche Sexualhormon, aber auch synthetische Estrogene in oralen Kontrazeptiva sind extrem potent und im menschlichen Blut bereits im Nanogramm-Bereich aktiv. Tatsächlich sind natürliche oder synthetische Hormone wie das Ethinylestradiol 10.000 bis 1.000.000-fach wirksamer als künstlich hergestellte Chemikalien mit estrogener Aktivität, wie langkettige Parabene oder UV-Filter [15, 36] (Tabelle 1).
Substanz |
Verwendung/Herkunft |
Effektive Dosis (mg/kg/Tag) |
Relative Wirkstärke |
---|---|---|---|
Diethylstilbestrol (DES) |
Arzneistoff |
0,0001 |
3.000.000 |
Ethinylestradiol |
Arzneistoff |
0,0003 |
1.000.000 |
Estron |
humanes Estrogen |
0,0012 |
250.000 |
Coumestrol |
Hülsenfrüchte (Klee) |
0,03 |
10.000 |
Genistein |
Sojabohnen |
8 |
37 |
Daidzein |
Sojabohnen |
12 |
25 |
4-Methylbenzylidencampher (4-MBC) |
UV-Filter |
300 |
1,0 |
Butylparaben |
Konservierungsstoff |
600* |
0,5 |
Benzylparaben |
Konservierungsstoff |
2500 |
0,12 |
* subkutane Dosen, Ratte |
Phytoestrogene – Pflanzeninhaltsstoffe mit hormoneller Wirkung
Heutzutage werden vermehrt Produkte entwickelt und vermarktet, die reich an Isoflavonen und anderen Phytoestrogenen sind. Diese oft als „natürliche Hormonersatztherapie“ beworbenen Nahrungsergänzungsmittel sollen unter anderem Symptome des Klimakteriums lindern. Isoflavone sind per Definition endokrine Disruptoren. In Screening-Assays besitzen sie eine relativ hohe estrogene Aktivität, die zu negativen Auswirkungen auf die Fortpflanzung in tierexperimentellen Studien führt [10, 24]. Allerdings erzeugen Isoflavone keine estrogenen Wirkungen beim Menschen oder nicht-menschlichen Primaten, wenn sie mit der Nahrung aufgenommen werden [7]. Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kommt in einem wissenschaftlichen Gutachten vom Oktober 2015 zu dem Schluss, dass Isoflavone in Konzentrationen, die üblicherweise in Nahrungsergänzungsmitteln zu finden sind, für postmenopausale Frauen nicht schädlich sind [11].
Im Gegenteil: Die asiatische Bevölkerung mit ihrem vergleichsweise hohen Konsum Isoflavon-haltiger Nahrung weist in der Regel niedrigere Krebsraten der Fortpflan-zungsorgane oder der Brust auf als die europäische oder US-Bevölkerung [28]. Von Fachleuten wird sogar diskutiert, Phytoestrogene zur Prävention von Brustkrebs und anderen Krebsarten einzusetzen [18, 25].
Schwellenwerte und „low-dose“-Effekte
Gibt es einen Schwellenwert für endokrine Disruptoren, und welche Bedeutung haben die sogenannten „low-dose“-Effekte? Dies sind die kritischen Streitpunkte in der Diskussion um endokrine Disruptoren. Die Beantwortung dieser Fragen ist aufgrund der lückenhaften Datenlage schwierig. Aber es gibt eindeutige Befunde, dass auch bei hormonaktiven Substanzen eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung besteht.
Ein Beispiel dafür ist Diethylstilbestrol (DES). DES ist ein synthetisches Hormon und um ein Vielfaches wirksamer als Phytoestrogene und sogar potenter als das körpereigene Estradiol. DES gehört zur Gruppe der selektiven Estrogen-Rezeptormodulatoren (SERM) und war in den 1950er sowie 1960er-Jahren unter anderem zur Behandlung von Schwangerschaftskomplikationen und zur Abortprävention eingesetzt worden. Zur Therapie wurden zum Teil monatelang extrem hohe Gesamtdosen von 1,5 g bis 18 g DES verabreicht [23]. Dabei ist zu beachten, dass DES eine 100- bis 5.000.000-fach höhere Affinität zum Estrogen-Rezeptor zeigt als alle anderen Substanzen, die als endokrine Disruptoren diskutiert werden (Tabelle 1).
Anfang der 1960er-Jahre wurde beobachtet, dass bei den Töchtern der mit DES behandelten Mütter gehäuft vaginale Adenokarzinome im Jugend- und frühen Erwachsenenalter auftraten [23]. Dies ist für diese Altersgruppe eine extrem seltene Erkrankung, daher reichten einige wenige Fälle aus, um einen Verdacht auf einen Kausalzusammenhang zu postulieren. Weitere Untersuchungen wiesen bei den Töchtern eine höhere Inzidenz für kongenitale Fehlbildungen nach, die auch eine erheblich erhöhte Infertilitäts- und Abortrate zur Folge haben. Zudem zeigen sie ein 2,5-fach höheres Risiko, an Brustkrebs zu erkranken [23].
Trotz der hohen Potenz des synthetischen Estrogens und der schwerwiegenden Folgen dieser Arzneimittelkatastrophe lässt sich auch für DES eine Dosierung ermitteln, bei der keine toxischen Wirkungen mehr auftreten. Eine Exposition in utero mit mütterlichen Dosen von insgesamt 1,4 g DES über 101 Tage – eine sehr hohe Dosis unter Berücksichtigung der estrogenen Potenz – führte nicht zu urogenitalen Anomalitäten oder abnormalen Spermienparametern bei den männlichen Nachkommen. Erst ab einer Dosis von 2,1 g DES konnten negative Auswirkungen festgestellt werden [13]. Auch für Ethinylestradiol, den Wirkstoff der Kontrazeptiva, konnte ein NOEL (No Observed Effect Level) festgelegt werden: Wurden erwachsenen Männern hohe Dosen (60 µg/Tag) injiziert, hatte dies eine Reduktion der Beweglichkeit und Dichte ihrer Spermien zur Folge. Bei 20 µg/Tag konnte dagegen keine Wirkung auf die Spermienmotilität und -dichte beobachtet werden [22]. Somit widersprechen diese Ergebnisse der Annahme, dass für endokrine Disruptoren kein Schwellenwert wie für andere Substanzen existiere.
Seit Jahrhunderten ist bekannt, dass von jeder Substanz eine gewisse Dosis nötig ist, um Effekte im Organismus hervorzurufen. Endokrine Disruptoren sollen dagegen bereits in sehr geringen Konzentrationen zu negativen Auswirkungen führen, was auch als „low-dose“-Effekt bezeichnet wird. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass mit abnehmender Dosis bzw. Expositionskonzentration auch die Wahrscheinlichkeit für adverse Effekte abnimmt. Auch die EFSA prüfte die Hypothese der Niedrigdosis. In ihrem wissenschaftlichen Gutachten verweist sie auf „einen Mangel an internationaler Übereinstimmung hinsichtlich des Vorhandenseins bzw. der Relevanz von Wirkungen niedriger Dosen“. Sie empfiehlt daher, unter Verdacht stehende chemische Substanzen von Fall zu Fall zu bewerten, wobei beim Auftreten ungewöhnlicher Befunde umfangreichere Untersuchungen hinsichtlich Dosis-Wirkungsbeziehung durchgeführt werden sollen. Empfehlenswert ist zudem, die üblichen Ermittlungen der Dosis-Wirkungskurve durch mechanistische Untersuchungen zu ergänzen. Denn das Erkennen eines Schwellenwerts hängt im besonderen Maße von dem verwendeten Testsystem und seiner Empfindlichkeit ab. Darüber hinaus ist bei den Entwicklungs-toxikologischen Effekten die Identifizierung einer „sensiblen Phase“, das heißt eines Empfindlichkeitsfensters, bedeutsam. Die Kenntnisse werden nicht als Voraussetzung für die Identifizierung von „endokrinen Disruptoren“ angesehen, sie sind jedoch notwendig für eine Risikoabschätzung.
Krank durch „Weichmacher“?
Phthalate sind wohl die bekanntesten Vertreter der sogenannten „endokrinen Disruptoren“ und bestimmen häufig die Schlagzeilen. Sie werden dem Polyvinylchlorid (PVC) beigemischt, um dem Kunststoff mehr Elastizität und Flexibilität zu verleihen. Bei extrem geringer akuter Toxizität sind es die reproduktionstoxischen Wirkungen dieser Verbindungen, die Anlass zur Beunruhigung geben. Mehr dazu lesen Sie in der DAZ 2015, Nr. 44, S. 58.
Diskussion auf politischer Ebene
Inwieweit die endokrin aktiven Substanzen mit vergleichsweise geringem Wirkpotenzial die menschliche Gesundheit negativ beeinflussen, beschäftigt seit geraumer Zeit auch die Politik. Es bestehen Unklarheiten in der Definition endokriner Disruptoren und Uneinigkeiten in der Gewichtung der tierexperimentellen und epidemiologischen Ergebnisse. Wissenslücken in Exposition und Metabolismus führen zu Unsicherheiten in der Extrapolation vom Versuchstier auf den Menschen. Dies erschwert die Bewertung und Regulation von hormonell aktiven Stoffen immens.
Um weitere Klarheiten in der Identifizierung und Bewertung endokriner Disruptoren zu schaffen, trafen sich im April 2016 mehrere international renommierte Wissenschaftler auf einer vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin organisierten Veranstaltung. Es wurde als Konsens festgestellt, dass die nach wie vor erheblichen Wissenslücken durch wissenschaftliche Untersuchungen systematisch gefüllt werden sollten, um die regulatorischen Bemühungen zu verbessern. Die Forschung auf diesem Gebiet der Toxikologie sollte sich demnach in Zukunft bevorzugt mit den folgenden Themen befassen:
- Genauere Untersuchungen zur Exposition des Menschen durch endokrine Disruptoren.
- Epidemiologische Studien mit möglichst genauer Bestimmung der Exposition.
- Experimentelle Studien, um die Wirkmechanismen der Substanzen besser zu verstehen, insbesondere die Vorgänge auf molekularer Ebene, die zu adversen Effekten führen. Dabei steht die Frage im Blickpunkt, ob es Schwellenwerte für die irreversible Wirkungen gibt, die während der prä- und postnatalen Entwicklung ausgelöst werden können.
- Entwicklung und Validierung neuer Methoden, um endokrine Disruptoren zuverlässig und mit der gebotenen Empfindlichkeit zu identifizieren.
Die Europäische Kommission legte im Juni 2016 einen Entwurf vor mit harmonisierten, wissenschaftlichen Kriterien für die Identifizierung von hormonell schädigenden Stoffen in Wirkstoffen für Pflanzenschutzmittel und Biozidprodukte [3]. Der Entwurf enthält nicht nur die im April erarbeiteten Vorschläge zur Gefahrenidentifizierung, sondern sieht auch vor, dass eine umfassende wissenschaftliche Betrachtung nach der Definition der WHO bei der Identifizierung endokrin schädigender Stoffe erfolgen muss und die Ergebnisse nach ihrer Beweiskraft in einem „Weight-of-evidence“-Ansatz gewichtet werden sollten.
Grundsätzlich sollte bei der Bewertung und Klassifizierung von Chemikalien auch das Risiko beachtet werden, mit diesen Stoffen in Kontakt zu kommen. Eine pauschale Beurteilung ohne Berücksichtigung der Expositionshöhe ist nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht unsinnig, sondern widerspricht auch dem vor Jahrhunderten von Paracelsus postulierten Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung. |
Literatur
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[3] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Mitteilung vom 17.06.2016. BfR begrüßt wissenschaftliche Kriterien der EU-Kommission für die Identifizierung endokriner Disruptoren. Mitteilung Nr. 015/2016.
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