Arzneimittel und Therapie

Wie viel Eiweiß soll man essen?

Über die Vorteile einer proteinreichen Ernährung

Ein Meinungsbeitrag von Wilfried Dubbels | Wurde bislang diskutiert, ob ein Zuviel an Protein in der Nahrung ungesund sein kann, so geht man heute davon aus, dass Proteine den Stoffwechsel „auf Trab bringen“ [1, 2, 3]. Schädlich sind nicht die Proteine per se, es sei denn, sie werden exzessiv oder unausgewogen verzehrt, sondern vielmehr die Begleitstoffe proteinhaltiger Lebensmittel wie Purine, aus denen Harnsäure gebildet werden kann, und der hohe Anteil an gesättigten Fettsäuren in tierischen Lebensmitteln, während der Ballaststoff-Anteil bei Proteinen tierischer Herkunft häufig unterrepräsentiert ist.

Auch durch die Weiterverarbeitung, Konservierung und Erhitzung proteinhaltiger Lebensmittel können poten­ziell kanzerogene Stoffe entstehen.

Davon abgesehen haben Beobachtungsstudien der vergangenen Jahre gezeigt, dass leidenschaftliche Fleisch- und Wurstesser weniger Salate, Gemüse und Hülsenfrüchte verzehren als der Durchschnittsverbraucher und insgesamt ungesünder leben. Ist es also der hohe Eiweiß-Konsum per se oder vielmehr die einseitige Ernährungsweise und der ungesunde Lebensstil, der krank machen kann?

Die Frage nach der empfohlenen Protein-­Menge wurde bislang immer auf der Basis der sogenannten Stickstoffbilanz beantwortet. Seit einiger Zeit gibt es jedoch Überlegungen, stattdessen die Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates und des Stoffwechsels als Bewertungskriterium in den Vordergrund zu stellen [4, 5, 6]. Danach sind die Empfehlungen der „Deutschen Gesellschaft für Ernährung“ (DGE) mit 0,8 g Protein je Kilogramm Körpergewicht viel zu niedrig angesetzt. Legt man allein den Erhalt fettfreier Muskulatur und des Knochengerüsts zugrunde, so ergeben sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht wesentlich höhere Ansprüche an die Eiweiß-Versorgung. So kann ein degenerativer altersbedingter Abbau der Skelettmuskulatur bei älteren Menschen (Sarkopenie) erst durch die tägliche Eiweiß-Aufnahme von mindestens 1,0 g hochwertigem Eiweiß je Kilogramm Körpergewicht verhindert werden.

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Auf eine ausreichend hohe Protein-Zufuhr mit der Nahrung sollten vor allem Ältere achten, um einem Verlust der Muskelmasse im Alter entgegenzuwirken.

Durch Messung auf Basis der limitierenden Aminosäure erhält man ein Ergebnis, das dem tatsächlichen Eiweiß-Bedarf eher gerecht wird [7]. Bei dieser Methode nutzt man die Oxidation einer Indikator-Aminosäure für die Messung des Protein-Bedarfs (IAOO-Methode), erklärt Dr. med. Torsten Albers, Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement und Sport- und Ernährungsmediziner. Man geht davon aus, dass Aminosäuren nur aufoxidiert werden und nicht assimiliert werden können, wenn eine der essenziellen Aminosäuren für die Protein-Synthese fehlt (die sogenannte limitierende Aminosäure). Mit steigender Zufuhr der limitierenden Aminosäure nimmt die Oxidation der Indikator-Aminosäure (meistens markiertes Phenylalanin) ab, da diese mit dem Mehr an limitierender Aminosäure besser für die Protein-Synthese genutzt werden kann. Ist bei weiter ­steigender Zufuhr der limitierenden Aminosäure irgendwann der Bedarf gedeckt, so kommt es zu einem Minimum der Oxidation der Indikator-­Aminosäure, das auch bei noch höherer Zufuhr der limitierenden Aminosäure nicht unterschritten wird.

Bei Anwendung dieses Messverfahrens ergibt sich laut Albers für erwachsene Personen ein Protein-Bedarf, der um 40% höher liegt als bei der klassischen Messmethode. „Somit kann eine Zufuhrempfehlung von 1,2 g Protein/kg Körpergewicht täglich für Erwachsene ohne explizite sportliche Aktivität ausgesprochen werden.

Bei sportlicher Aktivität mehr Protein

Bei sportlicher Aktivität muss berücksichtigt werden, dass die Protein-Zufuhr im Sinne einer Optimierung der sportlichen Leistungsfähigkeit gestaltet wird und eine Deckung des Eiweiß-Bedarfs allein nicht die primäre Zielsetzung ist. Daher ist die Eiweiß-Zufuhr des Sportlers in jedem Fall höher anzusetzen“ so Albers, und „auch unter hypokalorischen Bedingungen nimmt der Bedarf zu“ [8, 9, 10, 11].

Die persönliche Empfehlung von Albers liegt für einen durchschnittlichen Menschen ebenfalls höher als die, die von den Österreichischen und Schweizer Ernährungsgesellschaften empfohlen wird, bei gleichzeitiger Reduktion der Kohlenhydrate. Zwei Gründe rechtfertigen die höhere Zufuhr aus Sicht von Albers: Einerseits kann bei erhöhter Zufuhr von Proteinen aus hochwertigen Quellen ein deutlich stärkerer Sättigungseffekt beobachtet werden, andererseits steigen auch die Thermogeneseprozesse im Körper, so dass Energie vom Körper vermehrt als Wärme abgegeben wird und weniger zur ATP-Resynthese genutzt werden kann. Dabei ist die Höhe der nahrungsinduzierten Thermogenese abhängig von den aufgenommenen Nährstoffen. Die einzelnen Nährstoffe verursachen eine unterschiedlich starke und lang anhaltende Wärmeproduktion im Körper. Bei Proteinen beträgt diese postprandiale Thermogenese 18 bis 25% der durch Protein aufgenommenen Energiemenge, bei Kohlen­hydraten 4 bis 7% der durch Kohlen­hydrate aufgenommenen Energiemenge, bei Fett 2 bis 4% der durch Fett aufgenommenen Energiemenge. Bei geringer sportlicher Aktivität kann man auf eine mögliche verschlechterte Glucosetoleranz mit einer Reduktion der Kohlenhydrat-Zufuhr reagieren.

Durch eine erhöhte Protein-Zufuhr kann die Gesamtenergieaufnahme gesenkt werden, wenn auch auf die Fett-Zufuhr geachtet wird. So kann eine Kontrolle des Körpergewichtes erleichtert werden. Sicherlich ein willkommener Effekt, wenn man sich die Zahlen der Nationalen Verzehrsstudie zur Übergewichts- und Adipositasprävalenz in Deutschland anschaut, die zeigen, dass ca. 60% der Bevölkerung als übergewichtig bzw. adipös einzustufen sind [12].

Positiver Einfluss auf Stoffwechselparameter

Viele Daten zu proteinreichen Kostformen wurden im Rahmen von Studien zur Gewichtsreduktion erhoben, in denen sich im Vergleich zu kohlen­hydratreicher Ernährung konsistent günstigere Auswirkungen auf die Blutfettwerte zeigten [13, 14, 15]. Diese positiven Effekte einer Erhöhung der Protein-Zufuhr bei Reduktion der Kohlenhydrate zeigen sich auch in einer Gewichtskonstanz und Lipid-Werten im Normbereich [16]. Dabei kommt es zu einer Senkung der LDL- und Gesamtcholesterol-Werte, der Triglyzeride sowie tendenziell zu einem Anstieg des gefäßgünstigen HDL-Cholesterols. Da sich in vielen Studien ein günstiger Effekt einer erhöhten Protein-Zufuhr auf kardiovaskuläre Risiken, inflammatorische Prozesse und Stoffwechselparameter gezeigt hat [14], wird vermutet, dass eine eiweißreiche Kost im Vergleich zu einer kohlenhydratreichen Kost sich positiv auf die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 auswirken kann. Selbst bei bereits bestehendem Typ-2-Diabetes können bei gesunden Nieren ein erhöhter Protein-Anteil und verringerter Kohlenhydrat-Anteil eine sinnvolle alternative Koststrategie zu den bestehenden Empfehlungen für Diabetiker seitens der Fachgesellschaften sein.

Die Vorteile kohlenhydratreduzierter und eiweißreicher Kostformen für Menschen mit Übergewicht, metabolischem Syndrom und Typ-2-Diabetes sind wissenschaftlich mittlerweile hinreichend belegt, erklärt auch Prof. Dr. Nikolai Worm, Dozent für Oecotrophologie an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement, in einem Schreiben an die DGE, und fordert die Gesellschaft auf, nicht weiterhin veraltetes Ernährungswissen zu verbreiten. Die traditionelle Ernährungspyramide mit über 50%-igem Kohlenhydrat-Anteil ist nicht für jeden geeignet. Wenn Menschen mit einer Kohlenhydrat-Stoffwechselstörung überwiegend kurzkettige Kohlenhydrate verzehren, überlasten sie mit der Zeit ihre Kompensationsmechanismen und überfordern ihre Bauchspeicheldrüse. Es kommt zu einer unphysiologisch hohen Insulin-Konzentration, die möglicherweise weitere Störungen fördern kann. Die besten Erfahrungen – insbesondere für Menschen mit „Bauch“-betontem Übergewicht (metabolisches Syndrom) – konnten in diabetologischen Praxen mit einer moderat kohlenhydratreduzierten Ernährung mit einem ca. 35%-igen Kohlen­hydrat-Anteil gesammelt werden. Bedingt durch die niedrige glykämische Last und die gleichzeitige Auswahl von Kohlenhydraten mit niedrigem glykämischem Index wird neben einem effektiven Gewichtsverlust gleichzeitig der Blutzuckerspiegel normalisiert, berichten auch Prof. Dr. Martin Halle (Ordinarius für Präven­tive und Rehabilitative Sportmedizin an der Medizinischen Fakultät der TU München) und Dr. med. Thorsten Siegmund (Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, am Isar Klinikum, Facharzt für allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie, Hypertensiologie, Ernährungsmedizin). Diese Erfahrungen und die Aussagen von Albers wurden durch eine erst kürzlich veröffentlichte Studie bestätigt [17], die zu dem Schluss kam, dass eine Ernährung mit 40%-igem Kohlenhydrat-Anteil und 30%-igem Eiweiß-­Anteil im Vergleich zu einer Ernährung mit 55% Kohlen­hydraten und nur 15% Eiweiß-Anteil bei übergewichtigen Menschen Insulin-Resistenzen deutlich verbesserten. Nach sechs Monaten hatten sich alle Stoffwechselparameter verbessert, und auch das Aufkommen inflammatorischer Prozesse konnte reduziert werden. |

Literatur

[1] Taylor EN et al.: Dietary factors and the risk of incident kidney stones in men: new insights after 14 years of follow-up. J Am Soc Nephrol 2004;15:3225-3232

[2] Darling AL et al. Dietary protein and bone health: a systematic review and meta-analysis. Am J Clin Nutr 2009;90:1674-1692

[3] Poortmans JR/Dellalieux O: Do regular high protein diets have potential health risks on kidney function in athletes? Int J Sport Nutr Exerc Metab 2000;10:28-38

[4] Barth Christian DAZ 8/2009 Wie viel Eiweiss ist gesund?

[5] Paddon-Jones D, Rasmussen BB. Dietary protein recommendations and the prevention of sarcopenia. Curr Opin Clin Metab Care 2009;12:86-90

[6] Roubenoff R. Sarcopenia and its implications for the elderly. Eur J Clin Nutr 2000;54(3):40-47

[7] Elango R,Ball RO, Pencharz PB. Indicator amino acid oxidation: concept and application. J Nutr 2008;138(2):243-246

[8] Elango R et al. Evidence that protein requirements have been significantly underestimated. Curr Opin Clin Nutr Metab Care 2010;13(1):52-57

[9] Campbell B et al. International Society of Sports Nutrition position stand: protein and exercise. J Int Soc Sports Nutr 2007;4:8-14

[10] Hoffman JR et al. Effect of protein intake on strength, body composition and endocrine changes in strength/power athletes. J Int Soc Sports Nutr 2006;3:12-18

[11] Interview mit Dr. Torsten Albers, Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement und Sport- und Ernährungsmediziner

[12] Nationale Verzehrsstudie II - Ergebnisbericht Teil 1. Max Rubner-Institut Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel 2008

[13] Layman DK et al. A reduced ratio of dietary carbohydrate to protein improves body composition and blood lipid profiles during weight loss in adult women, J Nutr 2003;133:411-417

[14] Layman DK et al. Protein in optimal health: heart disease and type 2 diabetes. Am J Clin Nutr 2008;87(Suppl):1571-1575

[15] Hu FB et al. Dietary protein and risk of ischemic heart disease in women. Am J Clin Nutr 1999;70:221-227

[16] Wolfe BM, Piché LA: Replacement of carbohydrate by protein in a conventional-fat diet reduces cholesterol and triglyceride concentrations in healthy normolipidemic sujects. Clin Invest Med 1999;22:140-148

[17] Frankie B, Stentz FB, Brewer A, Wan J, Garber C, Daniels B, Sands C, Kitabchi AE. Remission of pre-diabetes to normal glucose tolerance in obese adults with high protein versus high carbohydrate diet: randomized control trial. BMJ Open Diab Res Care 2016;4:e000258 doi:10.1136/bmjdrc-2016-000258

Autor

Wilfried Dubbels, Jahrgang 1950, studierte Chemie und Pharmazie in Hamburg und erhielt 1979 die Approbation als Apotheker. Ein Jahr später gründete er die St. Viti Apotheke in Heeslingen, die er inzwischen verkauft hat. Seitdem widmet sich Dubbels als Buchautor und Autor verschiedener Fachartikel intensiv der Ernährungsberatung von Leistungssportlern.

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