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Interpharm 2017 – Wirtschafts-Interpharm
Durchblick für die Digitalisierung
Viele Optionen für unternehmerische Apotheker
Was die ABDA zur Digitalisierung unternimmt, erläuterte Sören Friedrich, der dort als Abteilungsleiter für IT und Telematik tätig ist. Er beschrieb die Telematik als Möglichkeit, Computer zu vernetzen und Informationen zu übertragen. Im Gesundheitswesen solle dies Informationen flächendeckend verfügbar machen, um den Versorgungsauftrag besser erfüllen zu können. In Deutschland steht dabei die elektronische Gesundheitskarte mit ihren vielfältigen Anwendungen im Mittelpunkt. Doch hält Friedrich es kaum noch für möglich, bis zum vorgesehenen Termin Anfang 2019 alle Apotheken mit einem Konnektor auszustatten. Für das elektronische Rezept gibt es noch nicht einmal einen Termin im Gesetz. Doch schon jetzt wolle die ABDA an der Struktur für die elektronische Patientenakte mitarbeiten.
Ohnehin ließ Friedrich erkennen, dass er in den Optionen für weitere, gesetzlich nicht vorgeschriebene Anwendungen der Telematik das größere Potenzial sieht. Es gehe um patientenfreundliche Anwendungen, die auch den Apotheken etwas bringen. Zentrale Bedeutung für viele Anwendungen hat für Friedrich ein eigenes sicheres Netz der Apotheken, das die ABDA derzeit aufbaut. Ideen für die Anwendung der Telematik hat Friedrich viele, beispielsweise individuell zusammengestelltes Begleitmaterial für Patienten, die Kommunikation mit Patienten und die Vorbestellung von Arzneimitteln, jeweils über einen sicheren Kommunikationsweg.
Auf den Kunden fokusieren, nicht auf die Packung
Doch die Anwendung moderner Informationstechnologie allein bietet keine Erfolgsgarantie. Denn „IT ist ein Werkzeug, kein Selbstzweck“. – Dies sagte Gunther Böttrich, der in seiner Burg-Apotheke in Volkmarsen viele Möglichkeiten der Digitalisierung bereits umgesetzt hat. Dabei gehe es ihm darum, sich auf den Kunden zu fokussieren und die Stärken der Apotheke bei der persönlichen Zuwendung zum Patienten zu nutzen. Darum habe er die Prozesse des Apothekenbetriebs untersucht und verändert. Technisch steht bei ihm die digitale Sichtwahl im Mittelpunkt, die mit einem Kommissionierautomaten verknüpft ist und die er mit seiner Firma promosi auch anderen Apothekern anbietet. Dabei werden keine Packungen in Regale geräumt, sondern Fotos der Packungen oder vielfältige andere Bildmotive gezeigt, die mit Blick auf das Marketing ausgewählt werden können. So können an jedem Beratungsplatz dem jeweiligen Kunden individuell relevante Produktempfehlungen präsentiert werden.
Die größten Vorteile sieht Böttrich jedoch in den veränderten Prozessen. Außerdem verändere sich das Warenlager. Mit weniger Packungen entstehe ein breiteres Lager mit besserer Lieferfähigkeit. Der Mehrumsatz sei dagegen nicht so groß, wie die Pharmaindustrie dies meist prognostiziere. Böttrichs Umstrukturierungen zielen darauf, dass das Apothekenteam nur bei der Abgabe Kontakt mit Packungen haben sollte. „Mitarbeiter sollen sich nicht um Packungen kümmern, sondern um Kunden“, rät Böttrich. Weiteres Potenzial sieht er in den Warenwirtschaftssystemen, die eigentlich Apothekenmanagementsysteme seien. „Wir haben Ferraris und nutzen sie wie Käfer“, erklärte Böttrich und ermunterte die Apotheker zum intensiven Controlling. Das helfe, Verknüpfungen festzustellen, Aktionen zu gestalten und Zielgruppen herauszufiltern.
Licht und Schatten
Auch Prof. Dr. Andreas Kaapke, Stuttgart, mahnte, die Digitalisierung nicht als Selbstzweck zu verstehen. Jede Maßnahme müsse einen pharmazeutischen oder ökonomischen Nutzen haben. Die Digitalisierung sei eine individuelle unternehmerische Aufgabe und könne nicht zentral von Verbänden bearbeitet werden. „Nicht jedes Thema ist für jeden an jedem Standort ein Muss“, erklärte Kaapke. Mit Blick auf die beiden vorangegangenen Vorträge forderte Kaapke stets zu klären, wann es um betriebsinterne Prozesse und wann es um die Beziehung zu den Kunden geht. Außerdem müssten Entscheidungen stets von Menschen getroffen werden und nicht von Algorithmen, denn der persönliche Kontakt sei die Stärke der Apotheke. Auch Informationen, die der Kunde allein über das Internet ebenso abrufen könne, müssten in Apotheken nicht präsentiert werden.
Kaapke betonte die Vielfalt der Digitalisierung, die als Begriff schwer zu fassen sei. Dazu würden disruptive Veränderungen gehören, die bestehende Geschäftsmodelle, Produkte oder Wertschöpfungsketten obsolet machen könnten. An anderer Stelle erweise sich der Fortschritt dagegen als eine Schnecke. Zur Auswertung großer Datenmengen – oft als „Big data“ bezeichnet – mahnte Kaapke zu prüfen, wie valide Daten beispielsweise aus sozialen Netzwerken seien. In einer Gesamtbetrachtung zur Digitalisierung konstatierte Kaapke große Chancen für bessere Versorgung, höhere Qualität und transparentere Dokumentation. Risiken lägen in möglichem Datenmissbrauch, zusätzlicher Bürokratie, der zunehmenden Informationsflut und den Kosten. Viele Entwicklungen seien letztlich Aspekte des allgemeinen technischen Fortschritts. Digitalisierung im engeren Sinn sei die Vernetzung mit anderen Akteuren. Diese sollte dazu dienen, die Wertschöpfungskette zu stabilisieren.
Zur lokalen Plattform werden
Wie Apotheken vor Ort von der Digitalisierung profitieren können – das war das Thema von Tino Niggemeier, Geschäftsführer der Online-Marketing-Agentur Xeomed in Nürnberg. Zunächst stellte Niggemeier grundsätzlich klar: Teile der Digitalisierung sind keineswegs visionär, sondern passieren heute. Wichtig bei allen Bemühungen sei, sich in die Situation der Kunden zu versetzen. Dazu präsentierte Niggemeier die Daten aus einer Umfrage unter Google-Nutzern. Dabei gab der Großteil der Befragten an, dass in der Vor-Ort-Apotheke die Beratung wichtiger sei als der Preis, und umgekehrt beim Versandhändler der Preis wichtiger als die Beratung. Daher sei es paradox, dass öffentliche Apotheken mit Preisflyern Werbung machten, da sie sich in den Augen der Kunden durch Nähe und Beratung und nicht durch günstige Preise auszeichneten.
Niggemeier betonte, dass Internet-Plattformen „Game Changer“ seien, die Märkte radikal veränderten. Ein Beispiel hierfür sei Amazon, das versuche, auf den Apothekenmarkt zu drängen. Niggemeier empfiehlt daher: „Werden Sie die lokale Plattform!“ und fordert dazu auf, Kompetenz, Spezialisierung und Service ins Netz zu tragen, aber auch Sichtbarkeit, Verfügbarkeit und Nähe. Niggemeier verweist auf den ROPO-Effekt: Research online, Purchase offline – quasi das Gegenteil zu Kunden, die sich in der öffentlichen Apotheke beraten lassen und dann online kaufen.
2016 gab es bei Google 37 Mio. Suchanfragen mit dem Stichwort „Apotheke“, das waren 100.000 Anfragen pro Tag. Oft gebe es dabei einen lokalen Bezug. Bemerkenswerterweise komme die Frage nach der nächsten Apotheke an dritter Stelle nach der Frage „nächste Tankstelle“ und „nächste Sparkasse“. Die Aufgabe sei deshalb, dass die eigene Apotheke im Internet gefunden werde.
Damit der Webauftritt gelingt und die Apotheke bei der Suche über Google gut auffindbar ist, muss Folgendes beachtet werden: Die Website sollte mobilfähig sein, da die Suche zu einem großen Teil über Smartphones erfolgt, wichtig sind ein responsives Design (stellt sich auf das Endgerät ein) und eine hohe Ladegeschwindigkeit. Beim „Content“ sollten Fachkompetenz/Services/Dienstleistungen enthalten sein. Von Google „abgestraft“ wird dagegen die Verwendung von Textbausteinen, die auf anderen Websites bereits veröffentlicht sind (Duplicate Content). Google habe, so Niggemeier, das Interesse, der bestmögliche Navigator bei Suchanfragen zu sein, deshalb orientiere sich die Reihenfolge der ausgewählten Apotheken an der Qualität der Website.
In vier Schritten gelingt es, die Auffindbarkeit in Suchmaschinen zu optimieren. Im Einzelnen sind dies die Vorbereitung der NAP-Daten (Name, Adress, Phone Number), der Eintrag in das Unternehmensverzeichnis „Google My Business“, die Optimierung des Profils bei Google My Business und der Eintrag der Apotheke in handverlesene Branchenverzeichnisse. Wie hier genau vorgegangen werden sollte, wird ausführlich in DAZ 2017, Nr. 13, S. 72 ff geschildert.
Auf einen weiteren für die Apotheker als Arbeitgeber nicht unwichtigen Punkt machte Niggemeier beim Thema „Social-Media-Präsenz“ aufmerksam. Diese diene nicht nur der Kommunikation mit den Kunden, sondern auch beim „Kampf um PTAs“. Seine Erfahrung sei, dass sich die Bewerber auf der Facebook-Seite über die potenziellen Arbeitgeber informierten.
Diskussion: WhatsApp – beliebt, aber unsicher
Die abschließende Diskussion eröffnete Moderator Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ, mit einem Zitat von Gunther Böttrich: Digitalisierung sei ein Instrument, das die Mensch-Mensch-Kommunikation erleichtere. Böttrich erläuterte dies folgendermaßen: Digitalisierung mache effizienter, deshalb sei das Personal vorne beim Kunden und könne kommunizieren. Zudem ermögliche die Digitalisierung, dass die Kommunikation durch Visualisierung belebt werde, getreu dem Motto: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.
Prof. Dr. Andreas Kaapke stellte fest, dass die Digitalisierung eine Technik sei, die Standardisierung möglich mache, wo Standardisierung nötig sei, und Individualisierung möglich mache, wo Individualisierung nötig sei. Die Digitalisierung stelle das Geschäftsmodell der Apotheken nicht auf den Kopf und könne in „überschaubaren Dosierungen“ Einzug halten.
Eine interessante Diskussion entwickelte sich beim Thema WhatsApp. Sören Friedrich betonte, er würde kein Rezept über WhatsApp verschicken, da er nicht wolle, dass es bei Facebook lande. Sicherer sei der Weg über eine Apotheken-App. Aus dem Publikum wurde dazu eingewandt, dass jeder WhatsApp habe und explizit danach gefragt werde. Die Apps würden den Kunden nicht schmecken, und die Apotheke habe die Kosten. Ein anderer Kollege hielt dem entgegen, dass Arzneimittel Waren der besonderen Art seien und deshalb Bestellungen nicht „wie bei Zalando“ laufen dürften.
Böttrich schilderte dazu die Situation in seiner Apotheke: Natürlich würden WhatsApp-Rezept beliefert, er bewerbe das aber nicht aktiv und versuche, diese Kunden bei der Abholung der Medikamente auf die Apotheken-App zu lenken, auch unter Hinweis auf weitere Informationen via App, z. B. über Vorträge. Tino Niggemeier verwies darauf, dass die Downloadzahlen von Gesundheits-Apps oft sehr klein seien, der Trend gehe dahin, dass eher eine Website besucht werde.
Zum Schluss widmete sich die Diskussion noch den älteren Patienten. Hier müsse man, so Böttrich, „alles bespielen“, telefonisch erreichbar sein, über die Website Bestellungen annehmen, einen umfassenden Botendienst anbieten. Kaapke fügte dem hinzu, dass Ältere die Digitalisierung „eher stärker“ brauchten. Die Frage sei: Wo drängelt sich die Apotheke rein? |
Zum Weiterlesen
Ausführliche Beiträge von Sören Friedrich, Prof. Dr. Andreas Kaapke und Tino Niggemeier zu den hier angesprochenen Themen, einen Beitrag von Peter Ditzel über die Erfahrungen von Gunther Böttrich mit der virtuellen Sicht- und Freiwahl sowie weitere Beiträge zur Digitalisierung finden Sie in der DAZ 2017, Nr. 13, S. 55 bis 85.
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