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Recht

Tatort Hüffenhardt

Rechtsgutachten: DocMorris erfüllt mit seiner Videoberatung Ordnungswidrigkeiten- und Straftatbestände

Der „Fall Hüffenhardt“ bewegt derzeit Apotheker in ganz Deutschland. Von Anbeginn stand das Konstrukt unter rechtlichem Beschuss. Die Videoberatung samt automatischer Abgabe sowohl verschreibungspflichtiger als auch apothekenpflichtiger Arzneimittel, die ohne Rezept zu haben sind, beschäftigt nun Verwaltungs- wie Zivilgerichte. Zu Recht, finden die Kölner Gesundheitsrechtsexperten Dr. Sabine Wesser und Dr. Valentin Saalfrank. Die Rechtsanwälte haben im Auftrag des Deutschen Apotheker Verlags ein Rechtsgutachten zum „Fall Hüffenhardt“ verfasst, das im Juli veröffentlicht werden wird. Im nachfolgenden Beitrag erklären die beiden Autoren vorab, zu welchen wesentlichen Ergebnissen sie kommen – und welche Konsequenzen diese nach sich ziehen.

Das wohl wichtigste Ergebnis unseres Gutachtens ist, dass die DocMorris N. V. in der „Beratungskabine“ ihres „stationären Abgabeterminals“ Arzneimittel nicht im Wege des Versandes abgibt. Die Arzneimittelabgabe erfolgt vielmehr, wie es eines ihrer Vorstandsmitglieder intuitiv richtig beschrieben hat, über den „digitalen Arm“ der in Herleen befindlichen Apothekenmitarbeiter. Bei jenen handelt es sich, so die DocMorris N. V., um Angehörige des pharmazeutischen Personals der Apotheke. Damit erfolgt die Arzneimittelabgabe – genauso, wie es § 17 Abs. 1a ApBetrO von den öffentlichen Apotheken Deutschlands verlangt – unmittelbar „durch pharmazeutisches Personal“ und nicht, wie es die Abgabe im Wege des Versandes kennzeichnet, unter Mitwirkung eines Versandunternehmens.

Der in Hüffenhardt betriebene Arzneimittelautomat lässt sich auch nicht als Abholautomat begreifen; denn dann müsste schon bei seiner Befüllung feststehen, welches Arzneimittel an welchen Verbraucher abzugeben ist. Die Arzneimittel müssten bei der Befüllung des Automaten mit den Adressdaten des Bestellers bzw. der von ihm angegebenen Empfangsperson versehen sein. Genau dies aber ist nicht der Fall. Die Bestimmung, welches Arzneimittel der Automat für welchen Verbraucher auswirft, mithin die Anbringung des „Labels“, erfolgt erst, nachdem der Automat vom Großhändler befüllt worden ist.

Was bisher geschah

Am 20. April 2017 hat die von einer niederländischen Kapitalgesellschaft betriebene Versandapotheke DocMorris im baden-württembergischen Hüffenhardt ihre „Videoberatung“ in Kombination mit einem Arzneimittel-Abgabeautomaten eröffnet. Die Räumlichkeiten, in denen die DocMorris N. V. ihre Dienste anbietet, gehörten zuletzt einer Apotheke. Der frühere Betreiber hatte diese jedoch schließen müssen, nachdem er das Rentenalter erreicht, aber keinen Nachfolger gefunden hatte. Auch entsprechende Bemühungen der Gemeinde selbst blieben erfolglos. Als die DocMorris N. V. das mitbekam, witterte sie die Gelegenheit, sich als „Retter“ für unterversorgte Regionen zu präsentieren. Hüffenhardts Bürgermeister sprang darauf an. Nach einigen Monaten Vorbereitungszeit war es dann soweit – unter großer medialer Beachtung startete die DocMorris N.V. ihre Video-Beratung. Doch kaum eröffnet, segelte den Niederländern eine Schließungsverfügung ins Haus. DocMorris ließ das nicht auf sich sitzen und ging gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vor. Mit dem Erfolg, dass nun wieder OTC in Hüffenhardt verkauft werden dürfen. Was die Rx-Abgabe angeht, hatte die Behörde den Sofortvollzug angeordnet, weshalb die DocMorris-Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Doch die Versender wollen mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe erreichen, dass ihnen auch die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneien wieder erlaubt wird bis eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache vorliegt. Parallel haben der Landesapothekerverband Baden-Württemberg und verschiedene Apotheker aus der Region einstweilige Verfügungen gegen die DocMorris N. V. beantragt – sie machen einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend. Das erste Urteil wurde für den 14. Juni – nach DAZ-Redaktionsschluss – erwartet.

Abgabe ohne Vorlage des Original-Rezepts in der Apotheke

Ein zweites wichtiges Ergebnis ist, dass in der „Beratungskabine“ verschreibungspflichtige Arzneimittel abgegeben wurden bzw. abgegeben werden sollen, ohne dass der abgebenden Apotheke die hierfür nach dem Gesetz erforderliche ärztliche Verschreibung im Original vorliegt. Das ist ein Vorgang, der nicht nur nach dem Arzneimittelgesetz einen Straftatbestand darstellt, sondern auch einen Abrechnungsbetrug begründen kann; denn bei Verstoß gegen eine gesetzliche Abgabebestimmung steht der abgebenden Apotheke kein Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse zu. § 48 Abs. 1 AMG, gegen den in einem solchen Fall verstoßen wird, stellt eine solche gesetzliche Abgabebestimmung dar.

Es verwundert schon, dass die Betreiber ausländischer Versandapotheken in Deutschland Narrenfreiheit zu genießen scheinen: So schreiten etwa die für die Durchführung des Arzneimittelgesetzes zuständigen Behörden bei deutschen Apotheken unverzagt ein, wenn sie einen Verstoß gegen arzneimittelrechtliche Preisvorschriften ausmachen, mag der einheitliche Apothekenabgabepreis auch nur um einen halben Euro unterschritten sein. Dies zeigen zahlreiche Verwaltungsgerichtsentscheidungen zu Kuschelsocken, Regentalern oder Bonus-Bons. Dagegen ist uns keine einzige Entscheidung eines Verwaltungsgerichts bekannt, bei der es um die Rechtmäßigkeit einer Ordnungsverfügung geht, deren Adressat eine ausländische Versandapotheke ist. Angesichts der Prozessierfreudigkeit der DocMorris N. V. ist dies unseres Erachtens ein starkes Indiz dafür, dass es solche Ordnungsverfügungen bislang nicht gegeben hat. Auch nicht, als alle Welt noch davon ausging, dass einheitliche Apothekenabgabepreise kein Problem sind für das Unionsrecht. Die Staatsanwaltschaften und die Gesetzlichen Krankenkassen scheinen sich ebenfalls nicht mit der DocMorris N. V. anlegen zu wollen. Wenn dagegen bei einer deutschen Apotheke der Verdacht besteht, diese könnte verschreibungspflichtige Arzneimittel vorsätzlich ohne Vorliegen der erforderlichen Verschreibung abgegeben haben, wird ohne Zögern die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen angeordnet und „auf Null“ retaxiert.

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

DocMorris behauptet, seine Pläne seien juristisch geprüft. Dabei habe man sich vor allem auch mit dem Visavia-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auseinandergesetzt. Offenbar sind die DocMorris-Vertreter überzeugt, die hier aufgestellten Hürden mit der konkreten Gestaltung überwunden zu haben. Indes sprechen sowohl das Visavia-Urteil als auch weitere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts unserer Meinung nach eindeutig gegen das Konstrukt Hüffenhardt. So stellt das Bundesverwaltungsgericht in seiner Visavia-Entscheidung fest, dass beim Versandhandel „die Bindung der Arzneimittelabgabe an eine Apotheke und deren Personal“ unberührt bleiben. In seiner Autoschalter-Entscheidung von 2005 und seiner Selbstbedienungsverbots-Entscheidung von 2012 führt es aus, dass das Gesetz bei der Abgabe von Arzneimitteln im Wege des Versandes auf die „räumliche Bindung des Abgabevorgangs an die Apotheke“ verzichte. Was beim Arzneimittelversandhandel ­entfällt, ist also allein die räumliche Bindung des „Abgabevorgangs“ an die Apotheke. Bei allen anderen Tätigkeiten der Apotheke, welche dem Abgabevorgang vorausgehen oder ihm nachfolgen, besteht die räumliche Bindung da­gegen fort.

Das leuchtet auch ohne Weiteres ein: Die Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung in Bezug auf Größe, Ausstattung usw. von Apothekenbetriebsräumen und die Überwachung des in diesen Räumen tätigen Apothekenpersonals durch den Apothekenleiter oder einen von ihm beauftragten Apotheker wären sinnlos, wenn Teile dieses Apothekenbetriebs einfach auf andere Räume als die von der Behörde genehmigten ausgelagert werden könnten. Der Erlaubnisvorbehalt des Apothekengesetzes und die Raumbezogenheit der Apothekenbetriebserlaubnis, die ja gerade auch eine Überwachung des Apothekenbetriebs durch die zuständigen Behörden ermöglichen sollen, machten wenig Sinn, wäre nicht nur der Abgabevorgang als solcher, sondern jede mit ihm irgendwie in Zusammenhang stehende Tätigkeit nicht mehr räumlich an die Apotheke gebunden.

Was alles in der Apotheke stattfinden muss

Alle Tätigkeiten, die nicht Bestandteil des Abgabevorgangs sind, müssen daher „in“ der Apotheke stattfinden. Das betrifft zum einen das Lagern, das Prüfen und das Vorrätighalten der im Wege des Versandes abzugebenden Arzneimittel. Aber auch die Beurteilung, ob das bestellte Arzneimittel überhaupt im Wege des Versandes abgegeben werden darf, ob die ärztliche Verschreibung die Abgabe des bestellten Arzneimittels rechtfertigt (d. h. den Anforderungen des § 2 Arzneimittelverschreibungsverordnung – AMVV – genügt), ob sie Unklarheiten enthält oder sich sonstige Bedenken ergeben. Gegebenenfalls ist die ärztliche Verschreibung nach Rücksprache mit dem Arzt – im Ausnahmefall auch ohne – zu ändern oder zu ergänzen (vgl. §§ 17 Abs. 5 Satz 3 ApBetrO, § 2 Abs. 6 und 6a AMVV). Ebenso dürfen die Entnahme des bestellten Arzneimittels aus dem Lager, sein Verpacken und Beschriften mit den für den Versand erforderlichen Daten sowie die Dokumentation nur in den in der Erlaubnisurkunde genannten Räumen stattfinden. Zwar erlaubt die Apothekenbetriebsordnung, Räume auszulagern, die den Versandhandel betreffen – doch ändert dies nichts daran, dass auch ein solcher „externer“ Raum ein Apothekenbetriebsraum, d. h. ein in der Erlaubnisurkunde genannter Raum sein muss. Erst 2016 hat das Bundesverwaltungsgericht dies so entschieden.

Versandbefugnis und räumliche Bindung

Allein daraus, dass eine Apotheke befugt ist, apothekenpflichtige Arzneimittel im Wege des Versandes abzugeben, folgt daher nicht ihre Befugnis, den Apothekenbetrieb irgendwo im – behördlicher Kontrolle nicht zugänglichen – Nirgendwo zu vollziehen. Dass insoweit weder für inländische noch für ausländische „Versandapotheken“ Sonderregelungen gelten, zeigt sich daran, dass die deutsche Rechtsordnung „Versandapotheken“ gar nicht kennt: In Deutschland gibt es nicht zwei verschiedene Arten von Apotheken – „Präsenzapotheke“ auf der einen und „Versandapotheke“ auf der anderen Seite –, sondern (Spezialfälle wie Krankenhaus- und Bundeswehrapotheken außen vorgelassen) ausschließlich öffentliche Apotheken. Zwar werden diese öffentlichen Apotheken oft als „Präsenzapotheken“ bezeichnet, doch kann es nur der Inhaber einer öffentlichen Apotheke sein, der die (weitere) Erlaubnis bekommt, „zusätzlich“ zu seinem üblichen („Präsenz-“) Apothekenbetrieb apothekenpflichtige Arzneimittel im Wege des Versandes abzugeben. Wer in Deutschland Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln betreibt, betreibt also notwendigerweise immer auch eine „Präsenzapotheke“. „Reine“ Versandapotheken gibt es hier nicht. Die öffentlichen („Präsenz“-) Apotheken wiederum dürfen nur in den in der Erlaubnisurkunde genannten Räumen betrieben werden.

Wenn der Betreiber einer in den Niederlanden niedergelassenen Apotheke Arzneimittel im Wege des Versandes an Endverbraucher in Deutschland abgeben möchte, ohne im Besitz einer Versanderlaubnis nach deutschem Recht zu sein, muss auch er – so die Länderliste des Bundesgesundheitsministeriums – in den Niederlanden eine „Präsenzapotheke“ betreiben, andernfalls besteht nicht die vom Gesetz geforderte Gleichwertigkeit der Sicherheitsstandards. Darüber hinaus schreibt das Arzneimittelgesetz ausdrücklich vor, dass die zum Versand nach Deutschland befugte ausländische Apotheke diesen Versand „entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel“ betreiben muss. Das deutsche Recht erlaubt einer niederländischen Versandapotheke daher nicht, über den Abgabevorgang hinaus Apothekentätigkeit außerhalb der Räume ihrer „Präsenz­apotheke“ auszuüben.

Die Visavia-Entscheidung im Speziellen

Kommen wir zurück zur Visavia-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 2010. In dieser Entscheidung hat das Gericht ausgeführt, dass es nicht unzulässig sei, über ein „an der Außenwand der Apotheke“ angebrachtes Terminal Arzneimittel „nach außen“ abzugeben. Es verweist auf seine Autoschalter-Entscheidung von 2005, in der es bereits ausgeführt hat, dass die Einführung des Versandhandels die Vorgaben an eine „in“ der Apotheke erfolgende Abgabe geändert hat. Es geht insoweit also gerade nicht um die Abgabe von Arzneimitteln im Wege des Versandes, sondern um die Abgabe von Arzneimitteln „in den Apothekenbetriebs­räumen“, wie es das Gesetz (§§ 43 Abs. 1 AMG, 17 Abs. 1a ApBetrO) als Regelfall für die Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel für den Endverbrauch vorschreibt. In der Autoschalter-Entscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht hierzu aus, dass nicht mehr „das gesamte Geschäft der Arzneimittelversorgung“ in den Apothekenbetriebsräumen abgewickelt werden müsse, sondern es dem Kunden freistehe, die Apothekenbetriebsräume zu betreten. Der Autoschalter- und der Visavia-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich mithin entnehmen, dass eine Arzneimittelabgabe „in den Apothekenbetriebsräumen“ auch dann noch vorliegt, wenn der letzte Teilakt der Arzneimittelabgabe – Begründung der tatsächlichen Sachherrschaft durch den Kunden – nicht in den Apothekenbetriebsräumen, sondern außerhalb derselben stattfindet. Nicht dagegen lässt sich diesen Entscheidungen entnehmen, dass auch der andere Teilakt der Arzneimittelabgabe – die Aufgabe der tatsächlichen Sachherrschaft über das Arzneimittel – außerhalb der Apothekenräume stattfinden dürfte. Erst recht nicht ist die Rede davon, dass die dem Abgabevorgang vorausgehenden Tätigkeiten – die Begründung der tatsächlichen Sachherrschaft und deren Aufrechterhaltung durch das Lagern der Arzneimittel – außerhalb der Apothekenbetriebsräume stattfinden dürften. Kurzum: Die Visavia-Entscheidung enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich nicht nur der Kunde, sondern auch Arzneimittel und Kommissionierungsautomat außerhalb der Apothekenbetriebsräume befinden dürften. Im Gegenteil: Das Gericht legt als selbstverständlich zugrunde, dass über ein solches Terminal Arzneimittel „nach außen“ abgegeben werden, was nur möglich ist, wenn der erste Teilakt des Abgabevorgangs in den Apotheken­betriebsräumen stattfindet.

Welche Normen DocMorris verletzt

Doch welche Normen werden nun in Hüffenhardt konkret verletzt? Da sind zum einen § 1 Apothekengesetz (ApoG), wonach der Erlaubnis der zuständigen Behörde bedarf, wer eine Apotheke betreiben will und § 48 Arzneimittelgesetz (AMG), wonach verschreibungspflichtige Arzneimittel nur bei Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung abgegeben werden dürfen. Letzteres verlangt wegen der für die Gültigkeit der Verschreibung geforderten eigenhändigen Unterschrift (§ 2 AMVV), dass der Person, die das Arzneimittel abgibt, die ärztliche Verschreibung im Original vorliegt; es genügen also weder eine gefaxte noch eine eingescannte Verschreibung. Zwar lässt das Gesetz auch elektronische Fassungen einer ärztlichen Verschreibung zu, aber nur dann, wenn sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des verschreibenden Arztes nach dem Signaturgesetz versehen sind.

Des Weiteren wird gegen § 43 (AMG) verstoßen. Danach dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel nur in Apotheken und ohne behördliche Erlaubnis nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht werden. Für ein In-Verkehr-Bringen in diesem Sinne reicht schon das Vorrätighalten zum Verkauf. In der „Beratungskabine“ des Abgabeterminals werden Arzneimittel nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht. Es werden dort aber Arzneimittel zum Verkauf vorrätig gehalten, ohne dass es sich bei der „Beratungskabine“ um einen zu einer Apotheke gehörenden Raum handelt. Damit stellt sich auch die Frage, ob die mithilfe des Kommissionierungsautomaten abgegebenen Arzneimittel zum Zeitpunkt ihrer Abgabe überhaupt noch verkehrsfähig sind. Denkbar ist, dass ihnen diese Verkehrsfähigkeit wegen Verlassens des vom Arzneimittelgesetz für apothekenpflichtige Arzneimittel vorgeschriebenen Vertriebswegs fehlt.

Weiterhin wird gegen § 24 ApBetrO verstoßen – die Norm, die die Voraussetzungen von Rezeptsammelstellen regelt. Diese findet nach der – inzwischen aber auch schon von einigen Obergerichten als überholt infrage gestellten – Abhol­station-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 2008 nur dann keine Anwendung, wenn ein außerhalb der Apothekenbetriebsräume stattfindendes Rezeptsammeln der Abgabe von Arzneimitteln im Wege des Versandes dient. In Hüffenhardt aber werden Arzneimittel nicht im Wege des Versandes abgegeben.

Und schließlich verstößt es gegen § 73 AMG, wenn Arzneimittel nach Deutschland verbracht werden, ohne dass sie hier entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel abgegeben werden. Möglicherweise verstößt die DocMorris N. V. auch schon allein deswegen gegen § 73 Abs. 1 Nr. 1a AMG, weil sie gar nicht Arzneimittel nach Deutschland verbringt. Denn wenn der Automat durch einen deutschen Großhändler befüllt wird, wie DocMorris behauptet, spricht einiges für die Annahme, dass die DocMorris N. V. die in dem Automaten befindlichen Arzneimittel weder in den Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes befördert, noch aus diesem Geltungsbereich herausbefördert hat. Ein solches physisches und grenzüberschreitendes Befördern aber ist nach dem Arzneimittelgesetz Voraussetzung für die Annahme eines Verbringens.

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Der „Abgabeautomat“ in Hüffenhardt, mit dem DocMorris gegen diverse apotheken- und arzneimittelrechtliche Regelungen verstößt, wie die Gesundheitsrechtsexperten Wesser und Saalfrank meinen.

Und nun?

Angesicht dieser Verstöße ist es nur richtig, dass die für die Überwachung des Arzneimittelverkehrs zuständige Behörde Konsequenzen gezogen und eine Untersagungsverfügung erlassen hat. Diese hindert die DocMorris N. V. natürlich nicht daran, es in einem anderen Ort in Deutschland erneut zu versuchen. Wie die Vorgänge um Zuwendungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel gezeigt haben, besitzt eine Kapitalgesellschaft einen viel längeren Atem als ein einzelner Apotheker oder eine einzelne Apothekerin: Sie kann ihre Interessen so lange vor Gericht tragen, bis sie irgendwann das bekommt, was sie begehrt. Selbst dann, wenn eine solche Gerichtsentscheidung – worauf der Bundesgerichtshof jüngst in Bezug auf die Entscheidung des EuGH zur mangelnden Rechtfertigung einheitlicher Apothekenabgabepreise hingewiesen hat – „maßgeblich auf ungenügenden Feststellungen“ beruht (mit der Folge, dass diese Feststellungen nunmehr im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Köln nachzuholen sind, siehe hierzu auch DAZ 2017, Nr. 21, S. 26 ff.).

Doch welche weiteren Konsequenzen sind denkbar? Zu beachten ist: Betreiberin der DocMorris Apotheke ist eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts, eine Naamloze Vennootschap (N. V.). Eine juristische Person kann in Deutschland nicht die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke erlangen. Wäre die Betreiberin der DocMorris Apotheke keine juristische Person, sondern – wie es für deutsche öffentliche Apotheken vorgeschrieben ist – eine natürliche Person, also ein Apotheker aus Fleisch und Blut, würde sie eine solche Erlaubnis ebenfalls nicht erlangen. Denn dies setzt nach dem Gesetz unter anderem die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit voraus. Eine solche wiederum ist zu verneinen, wenn strafrechtliche Verfehlungen vorliegen oder wenn gröblich oder beharrlich gegen das Apothekengesetz, die Apothekenbetriebsordnung oder die für den Verkehr mit Arzneimitteln erlassenen Rechtsvorschriften verstoßen wird.

Länderliste auf dem Prüfstand

Führen aber eine unterschiedliche Ausgestaltung des Apothekenrechts in den Niederlanden und in Deutschland und eine fehlende Kongruenz behördlicher Überwachungszuständigkeiten dazu, dass in Deutschland eine Person Arzneimittel im Wege des Versandes für den Endverbrauch abgeben kann, die gar nicht die für den Betrieb einer Apotheke benötigte Zuverlässigkeit aufweist, könnte (und sollte) eine weitere Konsequenz sein, dass das Bundesministerium für Gesundheit seine Länderliste überprüft und revidiert. Was nutzt es, die Vergleichbarkeit der Sicherheitsstandards davon abhängig zu machen, dass die Versandapotheke zugleich eine Präsenzapotheke unterhält, wenn aufgrund einer „faktischen Überwachungslücke“ nicht gewährleistet ist, dass das Handeln dieser Präsenz- und Versandapotheke auch tatsächlich den deutschen Sicherheitsstandards genügt? Soll gerade im hochsensiblen Arzneimittelrecht ein Papiertiger ausreichen, die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten? Der Fall Hüffenhardt belegt das Gegenteil. Wie das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden hat, sorgt das Gesetz mit seinem Leitbild „des Apothekers in seiner Apotheke“, mit der Verpflichtung des Erlaubnisinhabers zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung dafür, dass der Erlaubnisinhaber die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Betrieb seiner Apotheke nicht nur „rechtlich“ trägt, sondern auch „tatsächlich“ wahrnimmt. Es leuchtet nicht ein, wieso dies für ausländische Versandapotheken nicht gelten sollte.

Geldbußen und Strafen

Als weitere Konsequenz kommt die Festsetzung von Geldbußen in Betracht. Das Höchstmaß für eine Geldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit nach dem Apothekengesetz oder der Apothekenbetriebsordnung beträgt im Ausnahmefall 20.000 Euro, im Regelfall 5000 Euro und nach dem Arzneimittelgesetz bis zu 25.000 Euro. Eine Kapitalgesellschaft, die wie die DocMorris N. V. nach eigenem Bekunden „größte Versandapotheke“ Europas ist mit einem Umsatz von über 331 Millionen Euro im Jahr 2016 und bei der allein der Etat für die von ihr ständig bundesweit und in allen Medien betriebenen Werbung einen sechsstelligen Betrag umfassen dürfte, wird sich von solchen Geldbußen kaum beeindrucken lassen.

Strafrechtliche Verantwortlichkeit

Strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann eine juristische Person hingegen nicht. Strafbar machen kann sich nur eine natürliche Person, wie zum Beispiel Mitglieder des Vorstands der DocMorris N. V. Allerdings sieht § 30 OWiG vor, dass dann, wenn der Vorstand oder ein Vorstandsmitglied einer juristischen Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch welche Pflichten, die diese juristische Person betreffen, verletzt worden sind, gegen die juristische Person eine Geldbuße festgesetzt werden kann. Diese kann im Falle einer vorsätzlichen Straftat immerhin bis zu zehn Millionen Euro und im Falle einer fahrlässigen Straftat bis zu fünf Millionen Euro betragen. Es ist daher durchaus denkbar, dass gegen die DocMorris N. V. eine Geldbuße festgesetzt wird, weil der für sie handelnde Vorstand in Hüffenhardt unerlaubt eine Apotheke betreibt und zudem die in Herleen befindlichen Mitarbeiter der „Präsenzapotheke“ dazu bestimmt, über den Automaten verschreibungspflichtige Arzneimittel abzugeben, obwohl ihnen nicht die ärztliche Verschreibung im Original vorliegt.

Eine weitere, allerdings überschießende Wirkung erzeugende, weil jede über eine Versanderlaubnis verfügende Apotheke treffende Konsequenz ist das Verbot eines Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

Ist alles Nötige getan?

Vor diesem Hintergrund kann man sich fragen, ob schon alles Erforderliche getan ist, um DocMorris Einhalt zu ge­bieten. Aus unserer Sicht hätte das Regierungspräsidium die Anordnung des Sofortvollzugs seiner Verfügung nicht auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel beschränken müssen, sondern auch auf die OTC-Abgabe erstrecken können. Fraglich ist auch, ob die Arzneimittel, die von dem „Apothekenautomaten“ ausgeworfen werden, überhaupt noch verkehrsfähig sind. Denn da sie dort für den Endverbrauch abgegeben werden, diese Abgabe aber weder in einer Apotheke, noch durch eine Apotheke im Wege des Versandes erfolgt, ist der gesetzlich vorgeschriebene Vertriebsweg verlassen.

Auch die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, die der Landesapothekerverband Baden-Württemberg und verschiedene Apotheker gestellt haben, sind richtige Schritte. Bei einstweiligen Verfügungen sollte es aber nicht bleiben. Notwendig sind rechtskraftfähige Entscheidungen. Dafür muss auch in der Hauptsache Klage erhoben werden.

Unseres Erachtens sollte überdies eine weitere Behörde aktiv werden: die für den Tatort Hüffenhardt zuständige Staatsanwaltschaft. Es ist dabei auch denkbar, Strafanzeige gegen die Mitglieder des Vorstands der DocMorris N. V. zu erstatten.

Die Sache mit dem Vorsatz

Was die Straftatbestände anbelangt, dürfte es auch weder am Vorsatz noch am Unrechtsbewusstsein fehlen: Für Vorsatz reicht das Wissen und Wollen um die tatsächlichen Umstände. Dass dem Personal der DocMorris Apotheke in Herleen, das den Arzneimittelautomaten in Hüffenhardt steuert, keine ärztlichen Verschreibungen im Original, sondern nur in eingescannter Form vorliegen, wissen und wollen die Vorstandsmitglieder. Genauso, dass in Hüffenhardt Arzneimittel „über den digitalen“ Arm von in Herleen befindlichen Personen abgegeben werden.

Eine rechtliche Beratung kann sich lediglich auf das Bewusstsein auswirken, mit der Tat Unrecht zu tun. Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte er den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe gemildert werden.

Die aus den genannten strafrechtlich relevanten Normen (§§ 73 Abs. 1, 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 AMG, § 1 ApoG) folgenden Vorgaben an die Abgabe von Arzneimitteln für den Endverbrauch sind unseres Erachtens nicht so komplex, als dass ein Verbotsirrtum hinsichtlich der Zulässigkeit der Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel in einem „stationären Abgabeterminal“ mit Videoberatung angenommen oder als unvermeidbar gewertet werden müsste. Schon die in der Medienberichterstattung zum Ausdruck kommende „Laienwertung“ des Abgabeterminals als „Automatenapotheke“ oder „Apothekenautomat“ belegt, dass es sich um ein Vertriebsmodell handelt, bezüglich dessen Rechtmäßigkeit bei auch nur rudimentären Kenntnissen des deutschen Arzneimittel- und Apothekenrechts erhebliche Zweifel bestehen. Nach der Rechtsprechung entbinden auch anderslautende Expertenmeinungen nicht von der strafrechtlichen Verantwortung. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof vor gar nicht langer Zeit entschieden, dass der Täter mit dem Einholen eines Rechtsrates bei einem auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt zwar vielfach das zunächst Gebotene getan hat, es jedoch auch erforderlich ist, dass er auf die Richtigkeit dieser Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit seines Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier nicht ein. Daher darf sich – so ausdrücklich der Bundesgerichtshof – der Täter auf die Auffassung eines Rechtsanwalts nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist.

Fazit

Mit dem Fall Hüffenhardt hat die DocMorris N. V. den Bogen nun wirklich überspannt. Dies lässt sich auch nicht mit der unionsrechtlichen Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen. Vielmehr handelt es sich bei den durch das Arzneimittel- und Apothekenrecht im Interesse der Gesundheit und des Lebens von Menschen gemachten Vorgaben, dass eine Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel für den Endverbrauch entweder in Apotheken oder durch Apotheken im Wege des gesondert erlaubten Versandes zu erfolgen hat, um Verkaufsmodalitäten, die die Betreiber ausländischer Apotheken nicht in stärkerem Maße berühren wie die Betreiber inländischer Apotheken. |

Autoren

Dr. habil. Sabine Wesser, Rechtsanwältin, Köln, Expertin für Arzneimittel- und Apothekenrecht, Co-Autorin der im Deutschen Apotheker Verlag erschienenen Kommentare zum Apothekengesetz (Kieser/Wesser/Saalfrank) und der Apothekenbetriebsordnung (Cyran/Rotta)

Dr. Valentin Saalfrank, Anwaltskanzlei Dr. Saalfrank, Berrenrather Straße 393, 50937 Köln

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

4 Kommentare

Länderliste

von Uwe Hüsgen am 17.06.2017 um 14:18 Uhr

Nun stellt die (scheidende) Gesundheitsministerin von NRW, Barbara Steffens, aktuell fest (s. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/06/16/gesundheitsministerium-eu-versandapotheken-muessen-nicht-ordnungsgemaess-beliefern/chapter:all):
„Die Vorschriften der ApBetrO finden nur im Geltungsbereich des Apothekengesetzes Anwendung, nicht im Ausland [gemeint sind hier speziell die NL]. Ausländischen Apotheken obliegt daher nicht die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung.“ Eine behördliche Maßnahme sei daher nicht möglich.
Ein Wink mit dem Zaunpfahl aus dem NRW-Ministerium, die Niederlande von der Länderliste zu streichen?

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Was wollen die holländischen Apopiraten wirklich?

von Heiko Barz am 15.06.2017 um 11:43 Uhr

Bei aller Bewertung juristischer Winkelzüge muß aber klar sein, dass die holländische Apopiraten nie von ihrem Weg abgehen werden, die gutgehende Deutsche Arzneimittelversorgung zu ihrem Nutzen zu unterwandern.
Einstweilige Verfügungen, Unterlassungsklagen und Strafbefehle haben bisher und werden auch in Zukunft bei den besagten Protagonisten, die ausschließlich um Aktionärsgewinne kämpfen und denen die Deutschen Patienten völlig 'wurscht' sind, keinen sichtbaren Eindruck hinterlassen.

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(evtl.) kleine Gutachtenkorrektur

von SimBo am 14.06.2017 um 18:14 Uhr

Das Gutachten stellt einen Sachverhalt leider nicht ganz korrekt dar: "Möglicherweise verstößt die DocMorris N. V. auch schon allein deswegen gegen § 73 Abs. 1 Nr. 1a AMG, weil sie gar nicht Arzneimittel nach Deutschland verbringt. Denn wenn der Automat durch einen deutschen Großhändler befüllt wird, (...) spricht einiges für die Annahme, dass die DocMorris N. V. die in dem Automaten befindlichen Arzneimittel weder in den Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes befördert, noch aus diesem Geltungsbereich herausbefördert hat. Ein solches physisches und grenzüberschreitendes Befördern aber ist nach dem Arzneimittelgesetz Voraussetzung für die Annahme eines Verbringens."

Nach §4 (32) AMG ist das Verbringen jedoch "jede Beförderung in den, durch den oder aus dem Geltungsbereich des Gesetzes."
Das heißt auch die Beförderung *durch* Deutschland fällt unter den Begriff Verbringen.
Ansonsten stellt das Gutachten die wesentlichen Ding sehr übersichtich dar.

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AW: (evtl.) kleine Gutachtenkorrektur

von Dr. Valentin Saalfrank am 15.06.2017 um 11:32 Uhr

Es ist richtig, dass auch die Durchfuhr unter den Begriff des Verbringens fällt, jedoch setzt dies ebenfalls voraus, dass die Beförderung mit Grenzübertritten verbunden ist. Falls es tatsächlich zutreffen sollte, dass der deutsche Großhändler die Ware erst nach Heerlen befördert und sodann wieder zurück nach Hüffenhardt, liegt zwar ein Verbringen im Sinne des AMG vor, das aber durch keinen der Ausnahmetatbestände des § 73 AMG gerechtfertigt ist.

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