Arzneimittel und Therapie

„3000 ASS-Todesfälle pro Jahr!“

Steigendes Blutungsrisiko bei älteren Patienten lässt den Ruf nach PPI-Dauertherapie lauter werden

„ASS-Studie: Aspirin Schuld an 3000 Todesfällen pro Jahr!“ Diese und ähnliche Schlagzeilen verunsicherten in den letzten Wochen sicher manch einen mit ASS behandelten Patienten. Hintergrund sind Erkenntnisse, die im Rahmen der Oxford Vascular Study gewonnen wurden. Danach muss vor allem bei über 75 Jahre alten Menschen mit einem erhöhten Blutungsrisiko gerechnet werden, wenn sie mit ASS behandelt worden waren. Die Forderung: Unbedingt Protonenpumpeninhibitoren auch in dieser Altersgruppe einsetzen. Eine notwendige und sinnvolle Forderung? Diese Frage diskutieren der Gastroenterologe Prof. Dr. Thomas Frieling vom Helios Klinikum Krefeld und der Pharmakologe Prof. Dr. Thomas Herdegen von der Universität Kiel.

Im Lancet wurden kürzlich die Ergebnisse einer prospektiven Kohortenstudie (2002 – 2012) im Rahmen der Oxford Vascular Study (OXVASC) an 3166 Patienten publiziert [1]. Hierbei waren 50% der Patienten über 75 Jahre und 18% über 85 Jahre alt. Die Patienten erhielten nach folgenden Ereignissen eine Sekundärprophylaxe: Schlaganfall (42%), TIA = transitorische ischämische Attacke (27%), Myokardinfarkt (31%, davon 23% NSTEMI und 8% STEMI). Zur Sekundärprophylaxe dienten bei Zustand nach Schlaganfall 75 mg ASS täglich plus zweimal täglich 200 mg Dipyridamol, nach Myokardinfarkt erhielten sie täglich 75 mg ASS. Die initiale Therapie nach Ereignis waren bei Risikopatienten für einen Re-Insult 75 mg ASS plus 75 mg/Tag Clopidrogel über 30 Tage, und nach Myokardinfarkt ASS und Clopidrogel über sechs bis zwölf Monate.

Die Patienten erhielten routinemäßig keine Protonenpumpenhemmer (PPI) oder andere Magenschutzmaßnahmen. 32% der Patienten hatten aber vor dem Ereignis einen PPI eingenommen, 52% der Patienten einen Thrombozytenaggregationshemmer (TAH). Patienten mit gleichzeitiger Einnahme von oralen Antikoagulanzien wurden ausgeschlossen.

Die Patienten wurden 30 Tage, 6 Monate, 1, 5 und 10 Jahre nach Initialereignis nachbeobachtet. Die Schwere der Blutungen wurde anhand der „Clopidrogel in Unstable angina to prevent Recurrent Events“ (CURE) als schwer und lebensbedrohlich („disabling“) bzw. tödlich („fatal“) eingeteilt. Dabei wurde zwischen intrakranial (intrazerebral, subdural, subarachnoidal) und extrakranial (oberer bzw. unterer Gastrointestinaltrakt, Nasenbluten, urogenital, sonstige) differenziert.

Es wurden insgesamt 405 Blutungsereignisse (n = 218 gastrointestinal, n = 45 intrakranial, n = 142 sonstige) mit 187 schweren Blutungen während 13.509 Patientenjahren registriert. Von den 218 gastrointestinalen Blutungen waren 162 Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt lokalisiert, in 97 Fällen (60%) wurden die Blutungen als schwer eingestuft.

Doppeltes relatives Risiko

Das Blutungsrisiko ist multifaktoriell und wird u. a. erhöht durch metabolisches Syndrom, Tumorerkrankungen, chronische Lebererkrankungen oder anamnestischen Ulkus.

Das jährliche Risiko aller Blutungen betrug 3,4%. Die schweren (major) Blutungen stiegen von 1% bei den unter 75-Jährigen auf 2% bei den unter 79- und auf 4% bei den unter 89-Jährigen.

Zehnfach erhöhtes relatives Risiko für schwere Blutungen

Während das Risiko einer geringeren Blutung vom Alter unabhängig war, stieg das Risiko für schwere Blutungen mit dem Alter an. Diese Beziehung bestand auch, wenn die Analyseperiode 90 Tage nach dem Initialereignis begonnen wurde. Das erhöhte Blutungsrisiko traf insbesondere für die schweren gastrointestinalen Blutungen zu, die bei den über 75-Jährigen überwiegend im oberen Gastrointestinaltrakt lokalisiert waren. Blutungen in diesem Alter waren auch von einem schlechteren Outcome begleitet. Das Risiko für schwere Blutungen aus dem oberen Gastrointestinaltrakt war bei den älteren Patienten über 75 Jahre im Vergleich zu den Jüngeren unter 75 Jahre um das Zehnfache erhöht, wobei das absolute Risiko bei 9,15/1000 Patientenjahre lag. Das Blutungsrisiko war bei Patienten ≥ 75 Jahre im ersten Jahr mit 74 Blutungen/1186 Patientenjahren deutlich höher als im Verlauf von vier Jahren (43/2285) bzw. zehn Jahren (13/1313). Das altersbedingte erhöhte Risiko einer schweren oberen gastrointestinalen Blutung war unabhängig vom Geschlecht, vaskulären Vorerkrankungen und Ulkusanamnese.

PPI-Begleittherapie

Der kalkulierte Vorteil einer prophylaktischen Einnahme von PPI zur Blutungsprophylaxe über fünf Jahre lag bei einer Number Needed to Treat (NNT) von 338 für Patienten unter 65 Jahre und fiel auf 25 bei Patienten über 85 Jahre. Die Autoren folgern, dass bei Patienten über  75 Jahren und ASS-Einnahme eine PPI-Begleittherapie durchgeführt werden sollte. |

Quelle

[1] Li L, Geraghty OG, Mehta Z, Rothwell PM on behalf of the Oxford Vascular Study. Age-specific risks, severity, time-course and outcome of bleeding on long-term antiplatelet treatment after vascular events. Lancet 2017;June13,http://dx.doi/10.1016/S0140-6736(17)30770-5

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