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Arzneimittel und Therapie
Betablocker auf dem Prüfstand
Postinfarkt-Patienten mit normaler Herzfunktion können möglicherweise verzichten
Ohne Betablocker läuft heutzutage fast nichts mehr: Sie haben sich bei Bluthochdruck, koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen bewährt und auch in zahlreichen Bereichen abseits der Kardiologie Bedeutung erlangt, beispielsweise bei Migräne und Angststörungen.
Es gibt genügend Evidenz dafür, dass Betablocker nach einem akuten Myokardinfarkt weiteren klinischen Ereignissen vorbeugen und die Überlebenschancen deutlich verbessern können. Allerdings wurde dies nur für Patienten bewiesen, deren Herz nach der Attacke dauerhaft geschädigt ist. Bei Patienten ohne Einschränkungen lassen immer mehr Studien an der Sinnhaftigkeit von Betablockern zweifeln. Zuletzt zeigte eine französische Beobachtungsstudie, dass eine frühzeitige Gabe von Betablockern die Mortalität innerhalb der ersten 30 Tage zwar senkte, eine Fortsetzung der Einnahme über das erste Jahr hinaus jedoch keine Überlebensvorteile brachte (mehr dazu lesen Sie in DAZ 2016, Nr. 41, S. 56). Allerdings wurde die Aussagekraft der Studie durch ihr retrospektives Design und die kleine Patientenzahl limitiert.
Andere Studie, gleiches Ergebnis
Eine Kohortenstudie aus England und Wales wollte es besser machen: Prospektiv wurden die Daten von fast 180.000 Überlebenden eines akuten Herzinfarkts ausgewertet, mit oder ohne ST-Erhebung (STEMI bzw. NSTEMI), aber ohne Anzeichen einer Herzinsuffizienz oder einer eingeschränkten linksventrikulären Dysfunktion (LVSD). Für die Studienautoren interessant war, ob die Personen nach dem Infarkt Betablocker verordnet bekamen und ob diese Therapie ihre Überlebenschancen erhöhte. Die Analyse basiert auf MINAP, einem Register von Hospitalisierungen infolge akuter Koronarsyndrome, das seit dem Jahr 2000 in Großbritannien geführt wird. Insgesamt konnten somit mehr als 163.772 Personenjahre (maximal ein Jahr Follow-up) beobachtet werden, in denen sich 9373 Todesfälle (5,2%) ereigneten.
Bei der Auswertung schien es zunächst, als würde die Ein-Jahres-Mortalität durch die Einnahme von Betablockern gesenkt werden (4,9% vs. 11,2%, p < 0,001). Nach Bereinigung der Daten mittels zweier Propensity-Score-Analysen und einer Statistik-Methode der Instrumentenvariablen war jedoch kein Unterschied mehr feststellbar. Die Ergebnisse waren ähnlich für Postinfarkt-Patienten mit und ohne ST-Erhebung.
Das Fazit lautete somit: Bei Patienten, die einen akuten Myokardinfarkt ohne Herzinsuffizienz oder LVSD überlebten, verringerte die Gabe von Betablockern nicht das Risiko, innerhalb eines Jahres nach dem Ereignis zu sterben.
Die Dauertherapie nach einem akuten Herzinfarkt
- Acetylsalicylsäure: lebenslang
- Thrombozytenaggregationshemmer: Einnahme für zwölf Monate, sofern kein erhöhtes Blutungsrisiko besteht
- Betablocker: bei reduzierter linksventrikulärer Funktion (LVEF ≤ 40%), wenn nicht kontraindiziert
- ACE-Hemmer/AT1-Rezeptorantagonisten: bei reduzierter linksventrikulärer Funktion (LVEF ≤ 40%), ggf. auch bei Patienten mit erhaltener linksventrikulärer Funktion
- Aldosteronantagonist/Eplerenon: bei reduzierter linksventrikulärer Funktion (LVEF ≤ 35%) und entweder Diabetes mellitus oder klinischen Zeichen der Herzinsuffizienz, ohne signifikante Niereninsuffizienzsystolischen Blutdruck < 140 mmHg und diastolischen Blutdruck von < 90 mm Hg anstreben (< 85 mmHg bei Diabetikern)
- Statin: Dosisanpassung mit dem Ziel eines LDL-Cholesterol < 70 mg/dl (1,8 mmol/l)
Beweise fehlen nach wie vor
Ob Betablocker in der Ära moderner Akutbehandlung des Herzinfarkts mittels Kathetertechnik (primäre perkutane Koronarintervention, PCI), die den Erhalt von funktionsfähigem Myokard wahrscheinlicher macht, noch zeitgemäß sind, wird unter Experten schon länger diskutiert. Die Evidenz dazu ist widersprüchlich, was sich im abgeschwächten Empfehlungsgrad in den Europäischen Leitlinien widerspiegelt. Betablocker sind demnach nur bei eingeschränkter Herzfunktion eindeutig indiziert. Die US-Amerikaner empfehlen sie dagegen unabhängig davon, ob nach einem Myokardinfarkt eine Herzinsuffizienz und eine linksventrikuläre Dysfunktion vorliegt oder nicht.
Diese Ungewissheit führt zu Verunsicherung bei den Therapeuten. Im Zweifel werden Betablocker deshalb fast schon routinemäßig nach einem Herzinfarkt verordnet, auch wenn das Herz keinen messbaren Schaden davongetragen hat. Doch auch Betablocker sind nicht frei von Risiken und sollten wie jedes andere Arzneimittel nur dann zum Einsatz kommen, wenn ihr Nutzen überwiegt. Die Studienlage spricht derzeit eher gegen die Sinnhaftigkeit dieser Therapie bei Postinfarkt-Patienten ohne Herzinsuffizienz und mit normaler Ejektionsfraktion.
Die Autoren der vorliegenden Studie erhoffen sich durch eine Verschlankung der Medikation nach dem Krankenhausaufenthalt auch eine bessere Adhärenz der Patienten.
Trotz Stärken wie prospektives Studiendesign und große Patientenzahl handelt es sich allerdings auch bei der aktuellen Analyse um eine Registerstudie – mit all den damit verbundenen Limitationen. So wurde beispielsweise nicht erfasst, ob die Patienten nach Entlassung aus dem Krankenhaus eine Herzinsuffizienz entwickelt haben. Unter diesen Bedingungen hätten Betablocker durchaus einen Benefit. Auch fehlen Informationen über Neuverordnungen und Dosierung.
Im Kommentar auf Seite 27 lesen Sie, was diese Ergebnisse vorläufig für die Praxis bedeuten. Um endgültig jedoch entscheiden zu können, ob man auf Betablocker nach Myokardinfarkt bei bestimmten Patientengruppen verzichten kann, wird man um eine randomisierte, kontrollierte Studie wohl nicht herumkommen. |
Quelle
Dondo TB et al. Betablocker and mortality after acute myocardial infarction in patients without heart failure or ventricular dysfunction. J Am Coll Cardiol 2017;69(22):2710-2720
Puymirat E, et al. β blockers and mortality after myocardial infarction in patients without heart failure: multicentre prospective cohort study. BMJ 2016;354:i4801
ESC-Leitlinie „Akutes Koronarsyndrom ohne ST-Hebung“, European Society of cardiology. Eur Heart J 2016;37:267-315
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