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Arzneimittel und Therapie
Kann Spuren von Nüssen enthalten ...
Orale Immuntherapie schenkt Erdnuss-Allergikern Hoffnung auf ein Leben ohne Angst
Pharmazeuten wissen: Die Erdnuss (Arachis hypogaea) ist botanisch gesehen gar keine Nuss, sondern wird der Familie der Hülsenfrüchte (Fabaceae) zugeordnet. Im Gegensatz zu ihren Verwandten bleibt ihre Fruchtwand aber geschlossen, sodass sie morphologisch tatsächlich zu den Nüssen gehört. Die ursprünglich aus Südamerika stammende Nutzpflanze ist aus der Lebensmittelindustrie der westlichen Welt nicht mehr wegzudenken und erlangt auch als nachwachsender Rohstoff in der chemischen Industrie zunehmend an Bedeutung.
Allergiker dürften diese Entwicklung mit Sorge verfolgen. Vor 20 Jahren gab es in Deutschland kaum Erdnuss-allergische Patienten. Mittlerweile zählt die Erdnuss-Allergie zu den häufigsten Nahrungsmittelallergien. In den USA ist etwa 1% der Bevölkerung betroffen. In Deutschland sind die Zahlen etwas niedriger. Erdnuss-Allergiker reagieren beim Verzehr kleinster Mengen mit Urtikaria, Lippen- oder Lidschwellungen, Bauchschmerzen, Erbrechen und/oder Durchfall, in schweren Fällen mit lebensbedrohlicher Atemnot oder Schockzuständen. Für diese Szenarien sollten Patienten und Angehörige gewappnet sein: Das therapeutische Management umfasst die intramuskuläre Injektion von Adrenalin, die Anwendung von Antihistaminika, Glucocorticoiden in Form von Zäpfchen, Saft oder Tabletten und gegebenenfalls eines Salbutamol-Sprays.
Einzig der vollständige Verzicht auf Erdnüsse kann Betroffene vor diesen Situationen bewahren. Doch selbst bei strenger Diät besteht ein Restrisiko, da Erdnüsse auch in Lebensmitteln versteckt sein können, die eigentlich erdnussfrei hergestellt werden. Versehentliche Expositionen sind deshalb häufig. Eine kurative Behandlung könnte die Lebensqualität der Betroffenen deutlich erhöhen und Allergie-bedingte Notfälle verhindern.
Mit Erdnüssen „impfen“
Hoffnungen setzt man in die orale Immuntherapie, bei der das Allergen in steigender Konzentration mit der Nahrung verabreicht wird. Ziel ist es, im Laufe der Zeit eine Desensibilisierung, also eine Toleranz während der Behandlung zu erreichen, oder besser noch, die Immunantwort auch nach Therapieende vollständig zu unterdrücken. Erste Studien verliefen aussichtsreich, jedoch weiß man noch wenig über die Langzeiteffekte.
Die Autoren der PPOIT-Studie (Probiotic and Peanut Oral Immunotherapy) wollten Licht ins Dunkel bringen und begleiteten die Probanden vier Jahre nach Therapieende weiter. Die Ergebnisse der doppelblinden Hauptstudie wurden bereits im Jahr 2015 veröffentlicht. Damals wurden 56 Kinder mit Erdnuss-Allergie (1 bis 10 Jahre) auf zwei Gruppen randomisiert: Die eine Gruppe erhielt über 18 Monate einmal täglich 2 g Erdnuss-Protein in Form einer oralen Immuntherapie sowie 2 × 10¹⁰ Kolonie-bildende Einheiten von L. rhamnosus CGMCC 1.3724, die andere Gruppe Placebo. Am Ende der Behandlung zeigten 89,7% der Kinder in der PPOIT-Gruppe und 7,1% der Placebo-Gruppe eine Desensibilisierung, verbunden mit einer verminderten Reaktion im Haut-Prick-Test. Zwei bis fünf Wochen nach Therapieabbruch war die Immunantwort noch bei 82,1% resp. 3,6% unterdrückt (p < 0,001). Rein rechnerisch mussten neun Kinder behandelt werden, um sieben nachhaltig für Erdnüsse zu desensibilisieren (NNT 1,27). Doch wie „nachhaltig“ war der Schutz wirklich?
Vier Jahre später …
Nach Beendigung der Hauptstudie wurden 48 Patienten im Durchschnitt 4,2 Jahre weiter beobachtet: 24 aus der PPOIT-Gruppe und 24 aus der Placebo-Gruppe. Patienten, die damals nicht allergisch reagierten, durften Erdnüsse nach Belieben einnehmen. Allergiker sollten Erdnüsse strikt meiden. Die Erdnuss-Einnahme und allergische Reaktionen wurden systematisch über einen Fragebogen erfasst. Zusätzlich wurden die Probanden zu Haut-Prick-Tests und Blutuntersuchungen eingeladen.
Insgesamt vier PPOIT-Probanden und sechs Placebo-Probanden berichteten über allergische Reaktionen nach bewusster oder versehentlicher Erdnuss-Einnahme nach Beendigung der oralen Immuntherapie in Kombination mit einem Probiotikum. Es kam aber bei keinem zu Anaphylaxie. Zwei Drittel der PPOIT-Patienten konnten regelmäßig Erdnüsse konsumieren. Mehr als die Hälfte von ihnen tolerierten sogar moderate bis hohe Mengen Erdnuss-Protein (≥ 2 g), verglichen mit nur einem aus der Placebo-Gruppe (4%). Die PPOIT-Probanden entwickelten zudem kleinere Quaddeln im Haut-Prick-Test (8,1 mm vs. 13,3 mm).
Sieben von zwölf PPOIT-Patienten erreichten eine vollständig unterdrückte Immunantwort zwei Monate nach einer Erdnuss-Konfrontation, dagegen nur einer von 15 Placebo-Patienten (NNT 1,9). Damit waren 70% der PPOIT-Probanden, die am Ende der Hauptstudie vollständig unempfindlich waren, dieses auch noch vier Jahre später.
Ein Durchbruch?
Die Studienautoren schlussfolgern, dass eine orale Immuntherapie in Kombination mit einem Probiotikum einen klinischen Benefit hat und zu einer langanhaltenden Unterdrückung der Immunantwort bei Erdnuss-Exposition führt. Welchen Anteil der Lactobacillus-Stamm an diesem Ergebnis hat, ist unbekannt, da weder das Probiotikum noch die Immuntherapie separat betrachtet wurden. Von Probiotika erhofft man sich eine Sanierung der gestörten Darmflora und auf diese Weise Hilfe für den Körper, das Allergen zu tolerieren. Matthew J. Greenhawt, Kinderarzt an der University of Colorado, USA, spricht in einem Kommentar von einem Durchbruch, da für Personen mit Erdnuss-Allergie ein Leben wie ein Nicht-Allergiker in den Bereich des Möglichen rückt. Professor Dr. med. Kirsten Beyer von der Charité zeigt sich weniger enthusiastisch – warum, lesen Sie im Interview auf S. 33. |
Quelle
Hsiao KC et al. Lancet Child Adolesc Health 2017, published online 15. August, http://dx.doi.org/10.1016/ S2352-4642(17)30041-X
Tang ML et al. J Allergy Clin Immunol 2015;135:737–744
Greenhawt MJ. Lancet Child Adolesc Health 2017, published online 15. August; http://dx.doi.org/10.1016/ S2352-4642(17)30042-1
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