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Gesundheitspolitik
Europa kratzt an der Macht der Kassen
EU-Kommission legt Verordnungsentwurf für gemeinsame Nutzenbewertung vor
Die Länder sollen bei den Nutzenbewertungen künftig ein auf EU-Ebene abgestimmtes Verfahren anwenden, wobei sich die Zusammenarbeit über die vier folgenden Gebiete erstreckt: gemeinsame klinische Nutzenbewertungen, gemeinsame wissenschaftliche Konsultation von EU-Behörden (z. B. durch Hersteller), gemeinsame Analysen über entstehende, neue Therapiefelder sowie freiwillige Kooperation in weiteren Gebieten. Organisiert werden soll dies über eine Koordinierungsgruppe mit Sitz bei der EU-Kommission.
Kein Eingriff bei Preisbildung und Erstattung
Die EU-Kommission betont, dass die EU-Staaten weiterhin allein verantwortlich sein werden „für nicht-klinische Aspekte der Gesundheitstechnologie (z. B. ökonomische, soziale oder ethische Aspekte)“ und „auch weiterhin eigene Entscheidungen über Arzneimittelpreise und Erstattung treffen dürfen“.
Der Richtlinienentwurf soll nun vom EU-Parlament und vom EU-Ministerrat beraten werden. Drei Jahre nach dem Inkrafttreten soll die Verordnung angewendet werden, in einer Übergangsphase von weiteren drei Jahren sollen die Länder die Regelungen umsetzen.
Der GKV-Spitzenverband läuft Sturm gegen die Pläne: „Diesen Schritt können wir nicht gutheißen, denn wir befürchten die Absenkung der hohen Standards, die wir in Deutschland für die Bewertung von neuen Medikamenten haben.“ Europaweit werde die Folgebewertung von Arzneien sehr unterschiedlich angegangen, was zu verschiedenen Vergleichsgrößen führe. Eine verpflichtende Vereinheitlichung sei so nicht sinnvoll.
Auch Martin Litsch, Vorsitzender des AOK-Bundesverbands, übt heftige Kritik: „Die EU-Pläne würden unser bewährtes Verfahren zur Bewertung des Zusatznutzens neuer Arzneimittel und Medizinprodukte aushebeln und den Patientenschutz gefährden.“ Und weiter: „Deutschland ist das Land in Europa, in dem Patienten unmittelbar Zugang zu allen neuen zugelassenen Arzneimitteln haben. Die Nutzenbewertung ist daher unsere einzige Möglichkeit, wirklich innovative und gute Arzneimittel von Nachahmerprodukten zu trennen und die Preise zu verhandeln. Wird uns hierzulande die eigene frühe Nutzenbewertung genommen, sind alle auf EU-Ebene zugelassenen Arzneimittel und Medizinprodukte nicht nur schnell, sondern langfristig auch ohne differenzierte Bewertung auf dem Markt, mit allen Nachteilen, die das für Patienten haben kann.“
Beifall von der Industrie
Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen begrüßte hingegen den Vorschlag: „Vor allem die engere Verzahnung von Zulassungsbehörden und Nutzenbewertungsinstanzen im Arzneimittelsektor wäre ein echter Schritt nach vorne.“ Und auch der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) zeigte sich erfreut. „Einheitliche Anforderungen bei der klinischen Bewertung von Arzneimitteln werden den Patientenzugang zu innovativen Arzneimitteln in Europa verbessern und Komplexität und Kosten für Arzneimittelhersteller verringern“, so BAH-Hauptgeschäftsführer Martin Weiser.
Auch das Bundesgesundheitsministerium sieht den Vorschlag grundsätzlich positiv und wird ihn gründlich prüfen und bewerten. Wichtig sei, so das BMG gegenüber der AZ, „dass den unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme auch künftig ausreichend Rechnung getragen wird“. Gerade in Deutschland habe die Bewertung des Zusatznutzens eine sehr hohe Bindungswirkung auch für die Preisverhandlung für Arzneimittel. Die Bewertung des Zusatznutzens hänge zudem immer von den Vergleichstherapien ab und könne sich daher zwischen den Mitgliedstaaten z. B. abhängig von den Therapiestandards und Versorgungsstrukturen unterscheiden. „Die abschließende Gesamtbewertung der klinischen Aspekte muss den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben.“ |
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