DAZ aktuell

Honorargutachten veröffentlicht

40.000 Euro weniger pro Apotheke

tmb | Am 21. Dezember hat das ­Bundeswirtschaftsministerium das lange erwartete Gutachten zur Apothekenhonorierung ohne Ankündigung ins Internet gestellt. Es unterscheidet sich in einigen Daten und weiteren Details von den zuvor bekannten Versionen, aber die Hauptaussagen und die daraus entstehenden Probleme sind unverändert.
Foto: Soeren Stache/picture alliance/dpa

Die Gutachter empfehlen massive Änderungen der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), die eine durchschnittliche Apotheke mit 40.000 Euro pro Jahr belasten würden. Die Gutachter betrachten eine solche Honorierung als kostendeckend, weil sie die Subventionierung der OTC-Arznei­mittel und Freiwahlartikel durch die Rx-Arzneimittel beenden würde.

Der Auftrag für das Gutachten sieht die „Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung geregelten Preise“ vor. Der Kern des Gutachtens besteht aus den Berechnungskonzepten für die Aufschläge der Apotheken und des pharmazeutischen Großhandels gemäß der AMPreisV und in der Anwendung dieser Konzepte. Die Grundlage der Kostenrechnung bilden Daten aus der „Jahresstatistik im Handel“ für Apotheken, die vom Statistischen Bundesamt ermittelt werden. Insbesondere die Rezeptur- und BtM-Tarife werden aus der Apothekenumfrage der Gutachter vom Februar 2017 abgeleitet. Den Apothekenleitern wird ein Unternehmerlohn in Höhe des Einkommens eines Leiters einer Krankenhausapotheke zugestanden (derzeit 99.000 Euro).

Empfehlungen zur AMPreisV

Aus ihrem Kostenrechnungsmodell leiten die Gutachter folgende Empfehlungen zur Änderung der AMPreisV ab:

  • Festzuschlag für Rx-Fertigarzneimittel und -Rezepturen: 5,84 Euro statt bisher 8,35 Euro,
  • prozentualer Aufschlag auf Rx-­Fertigarzneimittel: 5 Prozent statt bisher 3 Prozent,
  • Zuschlag für Nacht- und Notdienstfonds: 33 Cent statt bisher 16 Cent pro Rx-Fertigarzneimittel und -Rezeptur,
  • prozentualer Aufschlag auf Rezepturinhaltstoffe: 5 Prozent statt bisher 90 Prozent,
  • Arbeitspreise für Standardrezep­turen: 31 bis 61 Euro statt bisher 3,50 bis 8 Euro,
  • Arbeitspreise für Parenteralia: 26 bis 38 Euro statt bisher über 50 Euro,
  • Festzuschlag auf unverarbeitete Stoffe: 14 Euro (davon 6 Euro für die Handhabung in der Rezeptur) statt bisheriger Aufschlag von 100 Prozent,
  • BtM-Gebühr: 14 Euro statt bisher 2,91 Euro.
  • Festzuschlag des pharmazeutischen Großhandels für Rx-Fertigarzneimittel: 0,96 Euro statt bisher 0,70 Euro,
  • prozentualer Aufschlag des pharmazeutischen Großhandels für Rx-Fertigarzneimittel: 0,53 Prozent statt bisher 3,15 Prozent.

So sollen Gemeinwohlpflichten wie Notdienst, Rezeptur und BtM-Abgabe mit ihren Vollkosten honoriert werden, sodass die bisherige Mischkalkulation entfallen würde. Die Gutachter sehen darin eine Stärkung der Vor-Ort-Apotheken gegenüber Versendern.

1,24 Milliarden Euro weniger

Obwohl für einige Tarife erhebliche Steigerungen empfohlen werden, würde die Gesamthonorierung für Rx-Arzneimittel um etwa 1,24 Milliarden Euro pro Jahr sinken. Diese Einbußen würden sich auf etwa 250 Millionen Euro für Zyto-Apotheken, etwa 780 Millionen Euro für die übrigen Apotheken und etwa 210 Millionen Euro für den Großhandel verteilen.

Kostenschlüsselung über Packungen

Der entscheidende Schritt in der Kostenrechnung ist die Verteilung der weitaus meisten Kosten anhand der Zahl der in allen Apotheken abgegebenen Packungen. Dabei werden Rx- und OTC-Arzneimittel sowie das Ergänzungssortiment gleich behandelt. Daraufhin werden die weitaus meisten Kosten nur zu etwa 40 Prozent den Rx-Arzneimitteln und damit der AMPreisV zugeordnet. Die Gutachter argumentieren, dass OTC-Arzneimittel und Freiwahlartikel bisher aus den Rx-Arzneimitteln subventioniert würden. Doch die Kostenträger seien dazu verpflichtet, die Apotheken nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip zu honorieren. Im Gutachten heißt es dazu: „Bereiche, die bisher über Kostendeckung hinaus finanziert wurden, wie die Zubereitung parenteraler Lösungen oder die Querfinanzierung von OTC und Freiwahl sowie die Wettbewerbsspielräume des Großhandels führen zu einer Reduktion der Vergütung. Diese Reduktion kann und sollte von Apotheken, Großhandel und pharmazeutischer Industrie innerhalb ihrer aktuellen Rabattspielräume ausgeglichen werden, damit auch in den Bereichen ohne Preisbindung, d. h. OTC und Freiwahl, kostendeckend gearbeitet wird.“

Unterschiede zur Vor-Version

Der Rechenweg wurde bereits anhand einer Vor-Version vorgestellt und analysiert (siehe „Das Honorargutachten“, DAZ 2017, Nr. 50, S. 11). Unterschiede dazu ergeben sich in dem nun veröffentlichten Gutachten insbesondere bei den Nicht-Personalkosten gemäß dem Statistischen Bundesamt, den Notdiensttarifen der Adexa, den kalkulatorischen Kosten für den Notdienst und dem Abrechnungsaufwand für Rezepte. Es werden etwa 47 Millionen Euro mehr Nicht-Personalkosten angesetzt. Außerdem wird den Apothekerleitern ein zusätzlicher kalkulatorischer Unternehmerlohn für selbst geleistete Notdienste in Höhe von 54,5 Millionen Euro zugestanden. Beides soll jedoch nur zu etwa 40 Prozent über die AMPreisV finanziert werden. Durch höhere Abrechnungskosten für Rezepte ergibt sich ein höherer empfohlener prozentualer Zuschlag pro Rx-Einheit von 5 Prozent (statt 4,8%, derzeit 3%). Durch höhere Adexa-Tarife steigt der empfohlene Aufschlag für den Notdienstfonds auf 33 Cent (statt 26 Cent, derzeit 16 Cent). Für Standardrezepturen empfehlen die Gutachter Arbeitspreise zwischen 31 und 61 Euro, im gewichteten Mittel über alle Darreichungs­formen 37 Euro.

Das vollständige Gutachten

Sie gelangen zum vollständigen Gutachten, wenn Sie bei DAZ.online den Webcode P4JL5 in das Suchfeld eingeben.

Massive Einbußen

Doch von 11.138,6 Millionen Euro Kosten, die nicht auf gesondert honorierte Leistungen umgelegt werden, gehen nur 4.835,9 Millionen Euro in die weitere Betrachtung ein. Daraus ergibt sich bei 5 Prozent Aufschlag (siehe oben) nur ein Festzuschlag von 5,84 Euro pro Rx-Packung oder -Rezeptur. Insgesamt empfehlen die Gutachter, die Apotheken über die AMPreisV mit 5.692,5 Millionen Euro (ohne Parenteralia: 5.534,9 Millionen Euro) zu honorieren, während sie nach der geltenden AMPreisV 6.727,1 Millionen Euro (ohne Parenteralia: 6.316,7 Millionen Euro) erhalten würden.

Nach Berechnungen der Gutachter würden Apotheken ohne Parenteralia-Herstellung 2018 nach Umsetzung der Empfehlungen einen durchschnittlichen Rohertrag von 282.253 Euro aus Rx-Arzneimitteln erzielen – im Vergleich zu 322.117 Euro aufgrund der geltenden AMPreisV. Das ergäbe eine Einbuße von etwa 40.000 Euro für eine Durchschnittsapotheke ohne Parenteralia-Herstellung (statt 45.000 Euro in der Vor-Version). Wegen der Erhöhung der Notdienstpauschale wären Apotheken mit vielen Notdiensten unterdurchschnittlich betroffen. Die Gutachter gehen davon aus, dass erhöhte Erträge von 71 Cent pro OTC- und Freiwahl­packung die Einbußen kompensieren würden. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass der Anteil der OTC-Arzneimittel und Freiwahlartikel in vielen Apotheken sehr niedrig ist und viele Freiwahlartikel sehr geringe Preise haben. Außerdem käme die Einbuße durch wegfallende Rabatte aufgrund der Belastung des Großhandels hinzu.

Zyto-Apotheken noch mehr belastet

Als Arbeitspreise für Parenteralia-Rezepturen empfehlen die Gutachter nur noch 26 bis 38 Euro, im Durchschnitt 33 Euro (statt 33 bis 49 Euro in der Vor-Version, bisher mindestens 50 Euro). Die Angabe von 22 bis 32 Euro in der Zusammenfassung des Gutachtens beruht vermutlich auf einem Übertragungsfehler. Die Werte wurden gegenüber der Vor-Version gesenkt, weil die Gutachter für Zyto-Apotheken nur noch um 30 Prozent höhere Gemeinkosten (statt 47 Prozent in der Vor-Version) ansetzen. Damit würden die Apotheken für die Parenteralia-Herstellung nur noch mit 157,6 Millionen Euro honoriert (statt 177 Millionen Euro in der Vor-Version, derzeit 410 Millionen Euro nach Berechnungen der Gutachter).

Keine Bedrohung durch Versand

Außer den Berechnungen zur AMPreisV enthält das Gutachten Betrachtungen zur flächendeckenden Versorgung und einige „Reformansätze“. Diese wurden teilweise anhand der Vor-Version dargestellt (siehe „Gutachter wollen Landapotheken-Fonds“, DAZ 2017, Nr. 51, S. 21). Der Versandhandel wird nun ausführlicher betrachtet. Einen Marktanteil des Rx-Versandes von 10 Prozent für 2026 anzunehmen, sei aus Sicht der Versender bereits optimistisch, heißt es im Gutachten. Für eine Vor-Ort-Apotheke mit bisher 140.000 Euro Betriebsüberschuss sei jedoch erst ein Marktanteil des ­Rx-Versandes von 18 Prozent problematisch, weil dann nicht mehr der ­Unternehmerlohn von 99.000 Euro erwirtschaftet werde. Dabei lassen die Gutachter die von ihnen selbst empfohlenen Kürzungen allerdings unbeachtet. Weiter erklären die Gutachter, die grundsätzliche Gefährdung der Apotheken, die sich schon 2015 wirtschaftlich nicht tragen, sei unabhängig vom Versand zu betrachten.

Kaum Skaleneffekte

Die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass das Verhältnis der Kosten zum Umsatz der Apotheken bei Umsätzen zwischen 1 und 10 Millionen Euro relativ stabil ist und damit nur geringe Skaleneffekte bestehen. Die Gutachter betrachten die packungsbezogene Vergütung daher als angemessen. Demnach würde die bestehende Struktur der AMPreisV große Apotheken nicht besonders begünstigen. Eine weitere Konsequenz dieser Erkenntnis wird dagegen nicht ausgeführt: Dieser Befund spricht gegen die insbesondere von Krankenkassen immer wieder vorgebrachte These, eine „kleinteilige“ Versorgungsstruktur der Apotheken wäre wirtschaftlich ­ineffektiv. |



Apotheken leisten mehr

Ein Kommentar von Dr. Thomas Müller-Bohn

Das Honorar-Gutachten ist nun veröffentlicht. Die empfohlenen Honorarkürzungen sind etwas geringer als in der vorab bekannt gewordenen Version. Doch ob eine Durchschnittsapotheke 40.000 oder 45.000 Euro pro Jahr einbüßen soll, ist für das System nicht entscheidend. Bei solchen Kürzungen wäre zu erwarten, dass sehr viele Apotheken schließen und die verbleibenden Offizinen das gewohnte Versorgungsniveau für GKV-Versicherte nicht aufrecht erhalten können. Das zentrale Problem war schon in der Vor-Version des Gutachtens erkennbar. Die Gutachter verteilen die weitaus meisten Kosten der Apotheken anhand der Packungszahlen auf Rx- und OTC-Arzneimittel und Freiwahlartikel. Damit ignorieren sie die Ganzheitlichkeit des Versorgungsauftrags. Sie übersehen, dass die weitaus meisten Gemeinkosten der Apotheken wegen des Versorgungsauftrags und wegen der Rx-Arzneimittel anfallen. Sie negieren, dass der Versorgungsauftrag auch für OTC-Arzneimittel gilt. Stattdessen empfehlen die Gutachter den Apothekern, die Einbußen durch höhere Preise auf OTC-Arzneimittel und Freiwahlartikel zu kompensieren.

Doch viele Apotheken haben kein relevantes OTC-Geschäft und die verbleibenden Apotheken würden sich bei forciertem Freiwahlgeschäft in Drugstores nach amerikanischem Muster verwandeln. Die Gutachter sehen auch die Halbierung der Apothekenzahl, von der sie sogar ohne Honorarkürzungen mittelfristig ausgehen, nicht als Problem für die Versorgung. Die Gutachter akzeptieren demnach erhebliche Veränderungen des Systems und machen sogar Vorschläge für zusätzliche Einsparungen. Beispielsweise schlagen sie nur noch einmal tägliche Großhandelslieferungen vor, ohne die Folgen für die Patienten und für die Umsetzbarkeit der Rabattverträge gegenzurechnen.

Die Empfehlungen würden offenbar zu einem anderen Versorgungsniveau führen. Doch es war nicht der Auftrag, ein neues Versorgungssystem zu gestalten. Vielmehr soll die Honorierung für das bestehende System angemessen fortgeschrieben werden. Damit hat das Gutachten sein Thema verfehlt. Doch gerade die Fragen, die das Gutachten nicht beantwortet, machen deutlich, was für eine faire Bewertung pharmazeutischer Leistungen nötig ist. Offensichtlich ist der Versorgungsauftrag, der im Selbstverständnis der Apotheker verwurzelt ist, zumindest für einige Betrachter nicht deutlich genug erkennbar. Vielen Gesunden, die nur selten eine Apotheke brauchen, ist wohl zu wenig bewusst, was Apotheken leisten. Politik und Apotheker sind daher gemeinsam gefordert, den Versorgungsauftrag klarer zu formulieren. Diesen normativen Festlegungen muss die Honorierung folgen. Es darf sich nicht umgekehrt das Versorgungsniveau aus der Honorierung ergeben.

Das Gutachten misst die Leistungen der Apotheken in abgegebenen Packungen. Doch die Apotheken leisten mehr. Diese Gesamtleistung der Apotheken für die Patienten und die Kostenträger muss gesundheitsökonomisch bewertet und politisch gewürdigt werden. Daraus sollte sich eine Orientierung für die Honorierung der Apotheken ergeben. Die Verteilung des Honorars auf Leistungen, Packungen und Strukturen ist erst der nächste Schritt.

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