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Arzneimittel und Therapie
Alle Zeit der Welt?
WHO kritisiert den Trend zu früher Geburtseinleitung
Die meisten Frauen wünschen sich nach wie vor einen natürlichen Geburtsvorgang. Zu Recht, denn die Geburt ist ein physiologischer Prozess, den gesunde Frauen mit gesunden Babys ohne Komplikationen bewältigen können. Bei 20 bis 25 Prozent aller Schwangerschaften wird die Geburt allerdings eingeleitet. Generell besteht eine Indikation dann, „wenn das Risiko für Mutter und Kind, eine Schwangerschaft fortzuführen, höher eingeschätzt wird als das Risiko einer verfrühten Geburt“, so Professor Dr. Sven Kehl, Frauenklinik am Universitätsklinikum Erlangen. Doch zu welchem Zeitpunkt und wie sollte die Geburt eingeleitet werden?
Gegen die „Medikalisierung“ des Geburtsvorgangs
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Trend zu immer häufigeren medizinischen Interventionen während der Geburt deutlich kritisiert. Insbesondere wandte sie sich gegen den zunehmenden Einsatz von Wehenmitteln zur Beschleunigung des Geburtsvorgangs selbst bei unkomplizierten Geburten. Dies sei meist nicht notwendig, wenn Mutter und Kind gesund sind. „Wenn die Wehen sich normal entwickeln und Mutter und Kind bei guter Gesundheit sind, sind Interventionen, um die Geburt zu beschleunigen, nicht nötig,“ so Princess Nothemba Simelela, Leiter der WHO-Abteilung Familien, Frauen, Kinder und Jugendliche. Um dieser „Medikalisierung“ des Geburtsvorgangs entgegenzuwirken, hat die WHO 56 Empfehlungen für die Betreuung von Mutter und Kind während der Geburt herausgegeben. Ein wichtiger Aspekt für die WHO ist dabei auch das positive Geburtserlebnis für Mutter und Kind.
„Standard-Geburt“ gibt es nicht
Danach sollen schwangere Frauen darüber informiert werden, dass es keine „Standard-Geburt“ gibt. Das gilt insbesondere auch für die Öffnung des Muttermunds. Hier räumt die WHO mit der Annahme auf, dass sich der Muttermund nach einer normalen Schwangerschaft bei Einsetzen der Wehen etwa einen Zentimeter pro Stunde öffnet. Dies sei für einige Frauen „unrealistisch schnell und deshalb nicht geeignet den Geburtsverlauf zu beurteilen“. Die Zervixdilatation verlaufe sehr individuell. Eine langsamere Dilatation sei kein Hinweis auf Komplikationen und bedeute nicht, dass eine medizinische Intervention erforderlich sei. Zudem wendet sich die WHO gegen einen routinemäßigen oder allzu liberal durchgeführten Dammschnitt.
Eine Frage der Zervixreife
Für die Geburtseinleitung stehen vor allem medikamentöse Optionen, aber auch mechanische Verfahren zur Verfügung. Was eingesetzt wird, hängt in hohem Maße vom Bishop-Score ab, mit dem anhand verschiedener Parameter, darunter Portiolänge und Muttermundöffnung, die Zervixreife ermittelt werden kann: Ein Bishop-Score < 6 bedeutet eine unreife Zervix, darüber liegende Werte eine reife Zervix. Bei reifer Zervix kann das Uterotonikum Oxytocin eingesetzt werden, das vorrangig über die Induktion von Wehen wirkt. Es wird intravenös appliziert und gilt als gut steuerbar. Bei unreifer Zervix lässt sich mit Oxytocin allein wenig ausrichten. Effektiver ist das Prostaglandin E2 Dinoproston. Es induziert die Zervixreifung und stimuliert das Myometrium. Je nach Präparat kann es intrazervikal (Gel) oder vaginal (Gel, Tablette, Insert) eingesetzt werden. In den jeweiligen Fachinformationen finden sich die genauen Indikationen, teilweise mit Angabe des Bishop-Scores. Das Prostaglandin-E1-Analogon Misoprostol wurde nie für die Geburtseinleitung zugelassen. Es kann deshalb nur off label eingesetzt werden. Als Vorteile gelten die orale und vaginale Anwendung bei unreifer und reifer Zervix, sowie die Thermostabilität und die geringen Kosten. Misoprostol steht auch als vaginales Wirkstofffreisetzungssystem zur Verfügung. Zu den Nebenwirkungen der medikamentösen Geburtseinleitung gehören die Überstimulation („Wehensturm“) und gastrointestinale Beschwerden. Auch Fieber ist möglich.
Wer am Thema „Geburtseinleitung“ interessiert ist: Genaue Informationen und Empfehlungen zum „Vorgehen bei Terminüberschreitung und Übertragung“ bietet die S1-Leitlinie AWMF-Register Nr. 015/065.
Schmerzhafte Prozeduren
Eine Geburt lässt sich auch mit mechanischen Verfahren voranbringen. Dazu gehört für Frauen am Entbindungstermin und einem fingerdurchlässigen Muttermund, die Eipol(ab)lösung: Hebamme oder Arzt massieren den inneren Muttermund und lösen die Eihäute, also die äußere Hülle der Fruchtblase, vom Rand der Gebärmutter. Damit sollen natürliche Prostaglandine freigesetzt werden. Der Prozess kann für die Schwangere aber äußerst unangenehm sein. Eine Freisetzung von Prostaglandinen soll auch durch eine Amniotomie, also dem Öffnen der Fruchtblase, erreicht werden. Zur Verbesserung der Wirksamkeit kann sie mit einer sequenziellen Oxytocin-Gabe kombiniert werden. Ebenfalls möglich ist eine Dehnung des Muttermunds mit einem Ballonkatheter mit der endogenen Freisetzung von Prostaglandinen. Dabei besteht kein Risiko der Überstimulation. Allerdings ist die Erfolgsquote mit 20 bis 30% gering und erfordert meist zusätzlich eine medikamentöse Intervention.
Fragliche Alternativen
Nur unzureichend untersucht und deshalb nicht empfehlenswert sind alternative Methoden, mit denen versucht wird, dem Baby den Weg ins Leben schmackhaft zu machen. Dazu gehören Nelkenöltampons, Geschlechtsverkehr und Mamillenstimulation oder auch der homöopathische Einsatz von Caulophyllum. Besonders gewarnt wird vor Rizinusöl, das zu Uteruskontraktionen und Überstimulation führen kann. |
Quelle
Weltgesundheitsorganisation (WHO). WHO recommendations: intrapartum care for a positive childbirth experience; www.who.int/reproductivehealth/publications/intrapartum-care-guidelines/en/, Abruf am 27. März 2018
Kehl S. Methoden der Geburtseinleitung. gynäkologie + geburtshilfe 2018;23(1):16-19
dpa. WHO kritisiert zu häufigen Einsatz von Wehenmitteln. Ärzte Zeitung online vom 15.02.2018; www.aerztezeitung.de, Abruf am 27. März 2018
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