Pharmakovigilanz

Neuroaktive Steroide im Visier

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Michael Zitzmann zu den Hintergründen des Post-Finasterid-Syndroms

du | Das „Post-Finasterid-Syndrom“ sorgt zurzeit für Aufregung. Vor allem junge Männer, die mit Finasterid einem Haarausfall entgegenwirken wollten, klagen darüber. Neben sexuellen Funktionsstörungen treten kognitive und psychische Probleme auf, die so massiv sein können, dass die Arbeitsfähigkeit eingeschränkt und der Alltag oft nur schwer zu bewältigen ist. Besonders irritierend: Die Beschwerden dauern trotz Absetzen der Medikation und bei schon wieder normalisierten Dihydrotestosteron-Spiegeln an. Was ist der Hintergrund?

Darüber haben wir mit Prof. Dr. Michael Zitzmann, Oberarzt am Universitätsklinikum Münster, gesprochen. Professor Zitzmann ist Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Andrologie sowie für Diabetologie und Sexualmedizin. Er betreut zurzeit über 100 Patienten mit den Symptomen eines Post-Finasterid-Syndroms. Sie kommen aus allen Regionen Deutschlands und auch aus Österreich, um sich bei ihm Hilfe zu holen.

Foto: privat
Prof. Dr. Michael Zitzmann

DAZ: Herr Professor Zitzmann, die Beschwerden, über die Ihre Patienten klagen, sind vielfältig und lassen sich auf den ersten Blick nicht nur der reduzierten Dihydrotestosteron(DHT-)-Bildung zuschreiben. Wie lassen sie sich erklären?

Zitzmann: Für diese Beschwerden gibt es eine eindeutige Kausalität, und sie ergibt sich aus dem Wirkungsmechanismus. Finasterid hemmt irreversibel die 5α-Reduktase, ein Enzym, von dem wir inzwischen drei Isoformen kennen. Typ 1 ist vor allem in der Haut aktiv, Typ 2 ist die Form, die wir bevorzugt in der Prostata finden, aber auch in Leber, Nieren und Muskel – und Typ 3 ist vor allem in Haut und Gehirn lokalisiert. Finasterid ist ein selektiver Inhibitor der Typ-2- und Typ-3-Isoformen. Die Hemmung von Typ 3 in der Haut führt dazu, dass das Kopfhaar wieder wächst, allerdings nehmen gleichzeitig Bartwuchs und auch die Brustbehaarung ab. Wir wissen, dass es im Gehirn Rezeptoren für DHT gibt, und wir wissen, dass ein erniedrigter DHT-Spiegel mit Angst und Depression einhergehen kann. So könnten sich psychische Nebenwirkungen erklären.

DAZ: Nun klagen ja die Betroffenen darüber, dass die Beschwerden nach Absetzen anhalten. Sie verschwinden auch nicht, wenn der DHT-Spiegel wieder im Normbereich ist. Und auch eine Testosteron-Substitution lindert die Symptome nur unzureichend.

Zitzmann: Um das zu verstehen, muss man sich klar machen, dass die 5α-Reduktase auch in den Cortisol- und Neurosteroid-Metabolismus eingreift, was wiederum Auswirkungen auf den Neurotransmitter-Stoffwechsel hat (s. Abb. auf S. 27). So wird zum Beispiel die Reduktion von Progesteron in 5α-Dihydroprogesteron und in der weiteren Folge in 3α,5α-Pregnanolon (Allopregnanolon) unterbunden. Allopregnanolon ist ein Metabolit, der einen ausgeprägt dämpfenden, anxiolytischen und antidepressiven Effekt hat. Sein Ausfall könnte die psychischen Symptome des Post-Finasterid-Syndroms erklären. Allerdings handelt es sich hier um Hypothesen, ob das wirklich so ist, wissen wir nicht.

DAZ: Nun wird ja auch diskutiert, dass es sich bei Auftreten des Post-Finasterid-Syndroms um einen ausgeprägten Nocebo-Effekt handeln könnte. Also alles nur Einbildung?

Zitzmann: Das sicher nicht. Aber es ist richtig, dass ein Nocebo-Effekt nicht auszuschließen ist. Auffallend ist, dass es sich bei den betroffenen Patienten um einen besonderen Typus handelt, die sich sehr intensiv mit sich selber beschäftigen, die sehr viel recherchieren und vieles infrage stellen. Ungeachtet dessen berichten die gut 100 Patienten, die bei mir Rat gesucht haben, alle das Gleiche, so dass eine bestimmte physiologische Konstellation wohl das Auftreten dieser Nebenwirkungen begünstigen könnte.

„Jüngeren Patienten, die unter Haarverlust und Glatzenbildung leiden, rate ich dringend, vor einem Finasterid-Einsatz erst alle anderen Optionen auszuschöpfen!“

DAZ: Finasterid wird ja in einer höheren Dosierung (5 mg/d) zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie eingesetzt, in der Allopezie-Behandlung sind die Dosierungen mit 1 mg/d deutlich niedriger. Sind BPH-Patienten besonders gefährdet, ein PFS zu entwickeln?

Zitzmann: Das wäre naheliegend. Doch überraschenderweise sind es nicht die älteren BPH-Patienten, die über ein PFS klagen, sondern die jungen Patienten, die wegen Haarausfall zu Finasterid gegriffen haben. Möglicherweise ist der Neurotransmitter-Stoffwechsel hier vulnerabler als im Alter. Möglicherweise tolerieren die älteren Patienten aber auch die Nebenwirkungen besser.

DAZ: Müssen diese überwiegend jungen Patienten denn auf Dauer mit ihren Symptomen leben, oder gibt es doch einen therapeutischen Hoffnungsschimmer?

Zitzmann: Es sieht ja so aus, als könne der Neurotransmitter-Stoffwechsel durch Finasterid-induzierte Veränderungen im Neurosteroid-Stoffwechsel aus den Fugen geraten sein. Deshalb setze ich bei nachgewiesenem Mangel entsprechende Vorläuferhormone wie Androstendion, DHEA oder humanes Choriongonadotropin (hCG) ein. Hiermit lassen sich durchaus Erfolge erzielen.

DAZ: Erfolgt diese „Hormon-Ersatztherapie“ im Rahmen von kontrollierten Studien?

Zitzmann: Nein, das ist so gut wie nicht machbar. Dafür liegen die ethischen und auch die finanziellen Hürden für eine Placebo-kontrollierte Studie viel zu hoch. Es wird kaum jemand bereit sein, für eine solche Studie das notwendige Geld in die Hand zu nehmen.

DAZ: Nun wird Finasterid ja auch bei Frauen, die unter Hirsutismus leiden, eingesetzt. Müssen auch sie mit einem Post-Finasterid-Syndrom rechnen?

Zitzmann: Interessanterweise ist diese Problematik hier bislang nicht aufgetreten. Das könnte daran liegen, dass bei Hirsutismus eine verstärkte DHT-Bildung wieder auf ein physiologisches Niveau gesenkt wird. Bei Männern senken wir ja die DHT-Spiegel unter dieses Niveau.

DAZ: Welche Konsequenzen müssen nach Ihren Erfahrungen für den Einsatz von Finasterid bei Männern gezogen werden?

Zitzmann: Finasterid hat in jedem Fall einen festen Platz in der Therapie der benignen Prostatahyperplasie. Zwar muss auch hier durch den Androgenentzug, der ja im Prinzip einer Teilkastration entspricht, mit Nebenwirkungen gerechnet werden. Diese Nebenwirkungen entsprechen dem klinischen Bild eines Hypogonadismus und äußern sich beispielsweise in Form von Muskelschwund, Gynäkomastie, Libidoverlust oder Insulinresistenz bis hin zur manifesten Ausprägung eines Typ-2-Diabetes.

Jüngeren Patienten, die unter Haarverlust und Glatzenbildung leiden, rate ich dringend, vor einem Finasterid-Einsatz erst alle anderen Optionen auszuschöpfen.

DAZ: Herr Professor Zitzmann, wir danken Ihnen für das Gespräch! |

Prof. Dr. med. Michael Zitzmann, Oberarzt, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Andrologie, Diabetologie und Sexualmedizin (FECSM), Universitätsklinikum Münster, Albert-Schweitzer-Campus 1, 48149 Münster

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