Arzneimittel und Therapie

Probiotika – Fluch und Segen

Ein Gastkommentar von Prof. Dr. med. Thomas Frieling

Prof. Dr. med. Thomas Frieling

Probiotika als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel (z. B. probiotische Joghurts) erfreuen sich zunehmender Beliebtheit in Klinik und Praxis. Sie werden breit für das subjektive Wohlbefinden und bei zahlreichen Erkrankungen eingesetzt. Sie erfahren durch die aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse, die Veränderungen des gastrointestinalen Mikrobioms bei verschiedensten Erkrankungen aufzeigen, einen regelrechten Hype. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Placebo-Effekte bis 40% nicht zu vernachlässigen sind und dass die Datenlage sehr heterogen ist, wie dies exemplarisch beim Reizdarmsyndrom gezeigt werden konnte [1].

In diesem Zusammenhang lassen zwei hervorragend publizierte Studien in der Zeitschrift Cell aufhorchen [2, 3] und an der These „Antibiotika schaden dem Mikrobiom, Lactobacillus und Co. helfen, das natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen“ zweifeln. Diese Gleichung scheint nicht ganz aufzugehen. Neue Studienergebnisse legen nahe, dass die Einnahme von Probiotika den Wiederaufbau der natürlichen Darmflora nach einer Antibiotika-Therapie hemmen könnte [3]. Es ist also nicht auszuschließen, dass Probiotika im Einzelfall sogar eine schädigende Wirkung entfalten können. Diese zurückhaltende Ein­stellung wird mittlerweile auch bei der Antibiotika-assoziierten Diarrhö gesehen. Entgegen früheren, durch Cochrane-Analysen gestützten Auffassungen einer prophylaktischen Wirkung von Probiotika bei Anti­biotika-assoziierter Diarrhö bzw. Clostridium-difficile-induzierter Kolitis [4 – 6] wurden bereits 2013 erste Hinweise auf schädigende Wirkungen beschrieben [7].

„Zurzeit ist anhand der ak­tuellen und unzureichenden Datenlage eine fundierte Zurückhaltung bezüglich der Gabe von Probiotika geboten.“

Auch eine große Metaanalyse [8] und eine prospektive Studie [9] wiesen 2018 auf die unzureichende Datenlage und die potenziellen Risiken hin. In diesem Zusammenhang ist auf die Ergebnisse zum Einsatz von Probiotika bei der akuten Pankreatitis zu verweisen [10]. Die Infectious Disease Society of America (IDSA) und die Society for Healthcare Epidemiology of America (SHEA) gehen daher in ihrer aktuellen Leitlinie auch auf die potenziellen Risiken einer Probiotika-Therapie ein und empfehlen keine pri­märe Prävention der Clostridium-­difficile-Infektion außerhalb von Studien [11].

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der neuen Studien ist, dass zurzeit kein klinischer Biomarker zur Voraussage eines Ansprechens auf Probiotika verfügbar ist [2]. Ebenfalls von erheblicher klinischer Relevanz ist die Tatsache, dass die konventionelle Stuhldiagnostik völlig ungeeignet ist, da die Ausscheidung der probiotischen Bakterienstämme nicht mit der tatsächlichen Bakterienbesiedlung im Darm korreliert [2]. Hier können also viel Geld gespart und falsche Erwartungen verhindert werden.

Was bedeutet dies für den klinischen Alltag? Zurzeit ist anhand der aktuellen und unzureichenden Datenlage eine fundierte Zurückhaltung bezüglich der Gabe von Probiotika geboten. Alle Leitlinien geben keine klaren Empfehlungen für eine Probiotika-Gabe. Positive Wirkungen auf das Allgemeinbefinden sind häufig Placebo-Effekte. Stuhluntersuchungen sind unnötig. Potenzielle Nebenwirkungen sind in ihrer Tragweite noch nicht abzuschätzen.

Quelle

[1] Mazurak N et al. Probiotic Therapy of the Irritable Bowel Syndrome: Why Is the Evidence Still Poor and What Can Be Done About It? Neurogastroenterol Motil 2015;21(4):471-85

[2] Zmora N et al. Personalized Gut Mucosal Colonization Resistance to Empiric Probiotics Is Associated with Unique Host and Microbiome Features. Cell 2018;174(6):1388-1405

[3] Suez J et al. Post-Antibiotic Gut Mucosal Microbiome Reconstitution Is Impaired by Probiotics and Improved by Autologous FMT. Cell 2018;174(6):1406-1423

[4] Allen SJ et al. Probiotics for treating acute infectious diarrhoea. Cochrane Database Syst Rev 2010;(11):CD003048

[5] Goldenberg JZ et al. Probiotics for the prevention antibiotic-associated diarrhea in children. Cochrane Database Syst Rev 2015;(12):CD004827

[6] Goldenberg JZ et al. The use of probiotics to prevent Clostridium difficile diarrhea associated with antibiotic use. Cochrane Database Syst Rev 2017;12:CD006095

[7] Allen SJ et al. Lactobacilli and bifidobacteria in the prevention of antibiotic-associated diarrhoea and Clostridium difficile diarrhoea in older inpatients (PLACIDE): a randomised, double-blind, placebo-controlled, multicentre trial. Lancet 2013;382(9900):1249-57

[8] Bafeta A et al. Harms Reporting in Randomized Controlled Trials of Interventions Aimed at Modifying Microbiota: A Systematic Review. Ann Intern Med 2018;169(4):240-247

[9] Satish S et al. Brain fogginess, gas and bloating: a link between SIBO, probiotics and metabolic acidosis. Clin Transl Gastroenterol 2018;9(6):162

[10] Sun S et al. Probiotics in patients with severe acute pancreatitis: a meta-analysis. Langenbecks Arch Surg 2009;394(1):171-7

[11]  McDonald LC et al. Clinical Practice Guidelines for Clostridium difficile Infection in Adults and Children: 2017 Update by the Infectious Diseases Society of America (IDSA) and Society for Healthcare Epidemiology of America (SHEA). Clin Infect Dis 2018;66(7):987-994

 



Prof. Dr. med. Thomas Frieling,
Direktor der Medizinischen Klinik II, Allgemeine Innere Medizin mit Gastroenterologie, Hepatologie, Neuro­gastroenterologie, Infektiologie, Hämato­logie, Onkologie und Palliativmedizin,
Helios Klinikum Krefeld,
autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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