Therapien im Gespräch

Mit vereinten Kräften gegen Migräne

Neue Leitlinie, neue Wirkstoffklasse, neue App

cst | Heftige Kopfschmerzattacken, Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit – diese Symptome quälen Migränepatienten oft in regelmäßigen Abständen. Rund 20% aller Frauen und 8% aller Männer in Deutschland leiden an der chronisch-rezidivierenden Kopfschmerzform. Dieses Jahr wurde nicht nur eine S1-Leitlinie zur Therapie und Prophylaxe der Migräne veröffentlicht, mit dem CGRP-Antikörper Erenumab hielt auch ein neuer Wirkansatz Einzug in den Behandlungsalltag.

Wie akute Beschwerden wirksam gelindert und zukünftige Attacken vermieden werden können, erläutert die S1-Leitlinie „Therapie der Migräne­attacke und Prophylaxe der Migräne“, die Ende April 2018 publiziert wurde (DAZ 19, S. 32). So hat sich insbesondere bei der Prophylaxe einiges getan. Die Wirkung der Betablocker Meto­prolol und Propranolol, des Calcium-Antagonisten Flunarizin, der Antikonvulsiva Topiramat und Valproat sowie des trizyklischen Antidepressivums Amitriptylin konnte in klinischen Studien bei Erwachsenen eindeutig nachgewiesen werden. Auch andere medikamentöse Therapien wie ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptorblocker können Migräneattacken vorbeugen, allerdings ist die Datenlage hier dünner. Bei der chronischen Migräne, die durch eine episodische Migräne in der Vorgeschichte sowie während mindestens der letzten drei Monate durch Kopfschmerzen an 15 und mehr Tagen im Monat sowie migräneartigen Kopfschmerzen an mehr als sieben Tagen gekennzeichnet ist, kommen gemäß Leitlinie lediglich zwei Wirkstoffe zur Prophylaxe infrage: das Antikonvulsivum Topiramat und das Neurotoxin Onabotulinumtoxin A.

Impfen gegen Migräne

Mit der Entwicklung von CGRP-Antikörpern und CGRP-Antagonisten (Gepante) wird ein neuer zielgerich­teter Therapieansatz verfolgt, der das medikamentöse Arsenal zur Migräneprävention erweitert (DAZ 28, S. 38). Das Neuropeptid Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) ist an der Entstehung der Migräne beteiligt, die CGRP-Blocker greifen somit an den Ursachen des Migränekopfschmerzes an (s. Abbildung 1).

Abb. 1: Wirkweise von CGRP-Antagonisten und CGRP-Antikörpern. Während einer Migräneattacke wird CGRP aus trigeminalen afferenten Nervenfasern freigesetzt und führt zu einer Vasodilatation und neurogenen Entzündung. CGRP-Antikörper und CGRP-Ant­agonisten (Gepante) führen zu einer Senkung von CGRP, wobei CGRP-Antikörper peripher, CGRP-Antagonisten zentral wirken. [Quelle: Russell FA et al. Physiol Rev 2014]

Als erster Vertreter der neuen Wirkstoffklasse kam Erenumab (Aimovig®) dieses Jahr in den Handel (DAZ 48, S. 34). Zugelassen ist der monoklonale Antikörper, der einmal im Monat subkutan appliziert wird und sich gegen den CGRP-Rezeptor richtet, zur Migräneprophylaxe bei Erwachsenen mit mindestens vier Migränetagen pro Monat. Die bisher verfügbaren Daten zeigen jedoch, dass man nicht davon ausgehen darf, dass jeder Patient von der „Impfung gegen Migräne“ profitiert. Rund 70% – und möglicherweise noch mehr – der Patienten mit episodischer Migräne mit bisher erfolglosen anderen Therapieversuchen werden wahrscheinlich auch auf den neuen Wirkmechanismus nicht ansprechen.

Foto: frenta – stock.adobe.com
Stellen die neuen CGRP-Antikörper wirklich den lang ersehnten Durchbruch in der Migräneprophylaxe dar?

Beratungsintensive Triptane

In der Akuttherapie von Migräne­attacken haben 5-HT1B/1D-Agonisten – die Triptane – in Bezug auf die Wirksamkeit nach wie vor die Nase vorne. Doch bevor ein Triptan in der Beratung empfohlen wird, sind zunächst die Kontraindikationen auszuschließen (siehe Kasten „Hinweise zur Ab­gabe von Triptanen“, DAZ 28, S. 44).

Da in seltenen Fällen auch kardiovaskuläre Nebenwirkungen auftreten können, sollten Patienten mit bekannten schwerwiegenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen bzw. Patienten mit entsprechenden Risikofaktoren keine Triptane einnehmen. Auch die Migräne selbst könnte ein kardiovaskulärer Risikofaktor sein. So war in einer großen Kohortenstudie das Risiko für Myokardinfarkt, ischämischen und hämorrhagischen Schlaganfall, venöse Thromboembolien, Vorhoffflimmern und -flattern bei Migränepatienten gegenüber der Vergleichsgruppe signifikant erhöht. (DAZ 7, S. 29)

Hinweise zur Abgabe von Triptanen

  • Die Diagnose „Migräne“ muss von einem Arzt gestellt werden.
  • Triptane nicht prophylaktisch einnehmen.
  • Triptane sind zu jedem Zeitpunkt der Migräneattacke wirksam, aber je frühzei­tiger sie eingenommen werden, desto besser wirken sie.
  • Treten die Kopfschmerzen nach initialer Wirksamkeit eines Triptans wieder auf, darf eine zweite Dosis nach frühestens zwei Stunden gegeben werden.
  • Ist die erste Gabe eines Triptans unwirksam, hat auch eine zweite Dosis meist keinen Effekt.
  • Ist eine Monotherapie nicht ausreichend wirksam, kann ein Triptan mit einem NSAR kombiniert werden.
  • Triptane nie miteinander kombinieren.

Quelle: S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“

Bei leichteren und mittelstarken Migräneattacken ist allerdings erst einmal ein Therapieversuch mit Acetylsalicylsäure (ASS) oder nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) angezeigt, die oft eine ausreichende Linderung der Beschwerden verschaffen. Auch die Fixkombination aus ASS, Paracetamol und Coffein wird in der S1-Leitlinie aufgeführt. Teilweise helfen Analgetika auch Patienten mit schweren Migräneattacken. Mutterkornalkaloide wie Ergotamin werden aufgrund der geringeren Wirkung und des ungünstigeren Nebenwirkungsprofils nur noch in Ausnahmefällen empfohlen.

Nichtmedikamentöse Therapie

Während es für die Wirksamkeit nichtmedikamentöser Maßnahmen während der akuten Migräneattacke wenig Evidenz gibt, empfiehlt die Leitlinie zur Prophylaxe ausdrücklich die gleichzeitige medikamentöse und nichtmedikamentöse Therapie. (DAZ 28, S. 44) So kann eine Verhaltenstherapie als alleinige Alternative zur medikamentösen Prophylaxe eingesetzt werden. Empfohlen werden zudem regelmäßiger, aerober Ausdauersport und Entspannungstechniken.

Im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung werden auch Migräne-Apps und internetbasierte Angebote immer beliebter. Sie dienen der Dokumentation des Krankheitsverlaufs, die dem Arzt die Therapiekontrolle erleichtert, können Entspannungstechniken anleiten oder die Arzneimitteleinnahme kontrollieren. Beispiels­weise hilft die Migräne-App, die von Schmerzexperten der Schmerzklinik Kiel in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Versorgungsexperten der Techniker Krankenkasse (TK) ­sowie Selbsthilfegruppen entwickelt wurde, den Patienten im Umgang mit ihren Beschwerden. (DAZ 35, S. 27) |

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