Interpharm 2019 – Innovationen

Das kleine ABC der Gentherapie

Möglichkeiten von heute und Aufgaben für morgen

rr | Es klingt wie die ideale Therapie: Bei Erbkrankheiten, denen man bisher machtlos gegenüberstand, repariert man einfach das defekte Gen, und der Patient ist geheilt. Ganz so einfach ist es dann aber selbstverständlich nicht. Dr. Ilse Zündorf und Prof. Dr. Theo Dingermann von der Universität Frankfurt führten durch die Geschichte der Gentherapie, die vor etwa 30 Jahren begann und zunehmend an Fahrt gewinnt.

Gentherapie wird definiert als das „Einbringen von Genen in Gewebe oder Zellen mit dem Ziel, durch die Expression und Funktion dieser Gene therapeutischen oder präventiven Nutzen zu erlangen.“ Die große Frage dabei ist: Wie überträgt man genetisches Material am besten? Die Nukleinsäuren können zum Beispiel in Plasmide oder Kassetten mit oder ohne Adjuvans eingebunden, mit komplexierten Kationen, Proteinen oder Polymeren gekoppelt, in einer Zelle verpackt oder über einen Virus eingeschleust werden. Dann muss noch entschieden werden, ob der Gentransfer in vivo (Vektor wird in den Körper gebracht) oder in vitro (Zellen werden außerhalb des Körpers modifiziert) stattfindet und ob die Zellen vom Patienten selbst (autolog) oder von einem Spender (allogen) stammen. Keine Wahl besteht dagegen beim Zielort: In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz den Gentransfer in Keimbahnzellen. Damit ist ausschließlich der somatische Gentransfer erlaubt, bei dem die eingebrachte Information nicht auf Folgegenerationen weitergegeben werden kann.

Foto: DAZ/Matthias Balk
Dr. Ilse Zündorf

A wie Antisense-­Oligonukleotide

Antisense-Oligonukleotide sind synthetische, kurzkettige, einzelsträngige Nukleinsäuren, die über eine komplementäre Basenpaarung ein Hybrid mit einer körpereigenen Nukleinsäure bilden. Im Fall des Wirkstoffs Nursinersen (Spinraza®) führt dies zur Korrektur des fehlerhaften Spleißvorgangs (Exon-Skipping) bei der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie, im Fall von Inotersen (Tegsedi®) zur Hemmung der Expression des fehlerhaften Proteins Transthyretin bei der hereditären Transthyretin-vermittelten Amyloidose (hATTR). Zur Behandlung von hATTR steht außerdem das RNA-Interferenz(RNAi)-Therapeutikum Patisiran (Onpattro®) zur Verfügung, eine doppelsträngige, kleine interferierende Ribonukleinsäure, die an die mRNA des Gens für das fehlerhafte Protein Transthyretin bindet und dessen Expression stoppt. RNAi-Therapeutika zählen streng genommen nicht zu den Gentherapeutika, da bei diesen Nukleinsäuren nicht die genetische Information relevant ist, sondern allein die Basenabfolge.

„Wir befinden uns am ­Übergang von klassischer ­Interventionstherapie zur Zell­therapie/Gentherapie.“

Prof. Dr. Theo Dingermann

C wie CAR-T-Zellen

Die Abkürzung CAR-T steht für „chimärer Antigenrezeptor-T-Zellen“. Diese gentechnologisch veränderten T-Lymphozyten sind in der Lage, Tumorzellen zu erkennen, wenn diese eigentlich für das Immunsystem nicht sichtbar sind, und ihren Zelltod herbeizuführen. Dazu dockt die modifizierte T-Zelle über eine extrazelluläre Bindedomäne, die aus einem Anti­körperfragment besteht, an ein spezifisches Oberflächenmolekül auf der Tumorzelle. Im Fall der zugelassenen Wirkstoffe Tisagenlecleucel (Kymriah®) und Axicabtagene Ciloleucel (Yescarta®) zur Behandlung von B-Zell-Lymphomen betrifft dies das Oberflächenmolekül CD19. Bisher handelt es sich bei der Anwendung von CAR-T-Zellen ausschließlich um autologe Ansätze. Die Herstellung dauert etwa drei bis vier Wochen. In den Zulassungsstudien konnte eine Persistenz von zwölf Monaten und länger erreicht werden. Allerdings sind dramatische Nebenwirkungen möglich: Der sogenannte Zytokin-Sturm ist eine Entgleisung des Immunsystems und kann tödlich ver­laufen. Daneben existiert eine neurologische Toxizität.

Foto: DAZ/Matthias Balk
Prof. Dr. Theo Dingermann

B wie Blick in die Zukunft

Therapeutika auf Basis von Nukleinsäuren sind augenscheinlich nicht ohne Risiken. Sorge bereiten beispielsweise auch Fälle, bei denen sich Jahre nach initial erfolgreicher Behandlung des Immundefekts Tumore entwickelt haben. Vermutlich wurden durch die Gentherapie Protoonkogene aktiviert - dies gilt es noch genauer zu klären.

Bisher kommt die Gentherapie nur für seltene Erkrankungen infrage. Die Referenten prophezeiten jedoch, dass sie neue Möglichkeiten für ein weites Feld eröffnet. Als weiteres Beispiel für zugelassene Nukleinsäuren sei das Präparat Zalmoxis® zur Behandlung von Blutkrebs erwähnt, das Schutz vor der gefürchteten Graft-versus-Host-Disease nach der Stammzelltransplantation bietet.

Nach wie vor sprechen die immensen Behandlungskosten gegen eine breite Anwendung (ca. 380.000 Euro für Kymriah®, ca. 600.000 Euro für Zalmoxis®). Man darf gespannt sein, wie die Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ausfallen wird, die in Deutschland maßgeblich über die Zukunft dieser Therapien entscheidet. |

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