Arzneimittel und Therapie

Interaktion Hochsommer

Bei vielen Arzneimitteln ist Vorsicht geboten

cst | Die erste Hitzewelle des Jahres ist da. Vergangene Woche wurden vielerorts die Temperaturrekorde geknackt. Und auch die Meldungen über gesundheitliche Probleme häufen sich. Ältere Menschen, Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Kinder sind besonders gefährdet. Bestimmte Arzneimittel können die Situation noch verschärfen.

Letztes Jahr erlebte Deutschland den zweitheißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Und auch 2019 verspricht, wieder ein heißes Jahr zu werden. So wurden bereits Ende Juni ungewöhnlich hohe Temperaturen von über 38° Celcius gemessen. Freibäder und Eisdielen haben Hochkonjunktur. Doch die hochsommerliche Wetterlage ist für einige Personengruppen mit ernsten Risiken verbunden. Gelingt es dem Körper nicht, sich den hohen Umgebungstemperaturen anzupassen, droht ein lebensbedrohlicher Hitzschlag. Schätzungen des Robert Koch-Instituts zufolge verstarben 2018 allein in Berlin 490 und in Hessen 740 Menschen an den Folgen der Hitzewelle.

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Warnsignale erkennen

Anzeichen eines klassischen (passiven) Hitzschlags sind ein beschleunigter Puls, eine erhöhte Atemfrequenz und ein Blutdruckabfall. Im Gegensatz zum anstrengungsbedingten Hitzschlag, der unabhängig von der Umgebungstemperatur durch extreme körperliche Herausforderungen ausgelöst werden kann, fühlt sich die Haut bei der klassischen Form aufgrund der unzureichenden Schweißproduktion oft trocken an. Verhaltensänderungen, Verwirrtheit, undeutliches Sprechen, Schwindel, Schwäche, Agitation, Übelkeit und Erbrechen sind frühe Symptome eines Hitzschlags, da das Gehirn besonders empfindlich auf eine Hyperthermie reagiert. Im weiteren Verlauf droht ein Multiorganversagen.

Arzneimittel bergen Risiken

Bei älteren Menschen ist die thermo­regulatorische Kapazität vermindert. Kommen bestimmte physiologische, soziale und medizinische Faktoren hinzu, gelingt es dem Körper unter Umständen nicht mehr, die Unterschiede in der Umgebungstemperatur und in der körpereigenen Wärme­produktion auszugleichen. Auch bestimmte Arzneimittel können das Risiko erhöhen, darauf weist die Deutsche Allianz Klimawandel & Gesundheit hin und beruft sich dabei auf ein Dokument der UK Medicines Information (UKMi) pharmacists aus dem Jahr 2017. So gibt es zwar wenig Daten zu negativen Auswirkungen einer medikamentösen Therapie während einer Hitzwelle, dennoch ist bei zahlreichen Arzneimitteln Vorsicht geboten. Aufgrund des Wirk- bzw. Nebenwirkungsprofils können Reaktionen hervorgerufen werden, die bei einer hohen Umgebungstemperatur zum Problem werden können:

Erhöhte Körpertemperatur. Neuroleptika greifen an verschiedenen Stellen in die Thermoregulation ein. Zudem bergen die Psychopharmaka das Risiko eines malignen neuroleptischen Syndroms. Eine Hyperthermie ist ein Kernsymptom dieser seltenen Nebenwirkung.

Auch das Serotonin-Syndrom, das durch grippeähnliche Symptome gekennzeichnet ist, geht mit einer Hyperthermie einher. Serotonerge Substanzen (z. B. Antidepressiva) sind mit einem erhöhten Risiko behaftet.

Fieberhafte Hypersensitivitätsreaktionen sind zudem bei zahlreichen Arzneimitteln möglich.

Hitzegefühl. Hormone übernehmen eine Schlüsselrolle in der Regulation der Körpertemperatur. So können Arzneimittel, die die Wirkung von Sexualhormonen beein­flussen, zu Hitzegefühlen und Hitzewallungen führen. Dazu zählen Analoga des Gonadotropin-Releasing-Hormons (GnRH) wie Goserelin, das nichtsteroidale Antiandrogen Bicalutamid, das Progesteron-Derivat Cyproteron, der Aromatasehemmer Ana­strozol und der Estrogen-Modulator Tamoxifen.

Doch auch für eine Reihe von anderen Arzneimitteln sind Hitzegefühle als mögliche Nebenwirkung beschrieben worden (z. B. Atomoxetin, Dipyridamol, Duloxetin, Methadon, PEG-Interferon, Sertralin, Topiramat, Triptane, Venlafaxin).

Verringertes Durstgefühl. Bei hohen Temperaturen muss auf eine adäquate Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Doch Angiotensin-Converting-Enzyme(ACE)-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten, Neuroleptika, Carbamazepin und Parkinsonmittel können das Durstgefühl beeinträchtigen und dazu führen, dass Patienten nicht ausreichend trinken.

Verringertes Schwitzen. Anticholinergika (Parasympatholytika) hemmen die Schweißproduktion und können so die Körpertemperatur erhöhen. Dazu zählen Arzneimittel wie Chlorpromazin, Amitriptylin, Scopolamin, Oxybutynin und Procyclidin.

Auch das Antiepileptikum Topiramat wurde mit einer Hypohidrose in Zusammenhang gebracht: In einer Studie mit 151 Kindern wurde bei knapp 40% von einer verringerten Perspiration berichtet.

Sedierung. Verschiedene Substanzen können aufgrund ihrer sedierenden Wirkung die Wahrnehmung einer Hitzeerschöpfung reduzieren. Hierbei sind nicht nur klassische Sedativa wie Benzodiazepine und Z-Substanzen (z. B. Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon) problematisch. Auch Antihistaminika, Anticholinergika, Antiepileptika, Antidepressiva, dopaminerge Arzneimittel und Parkinson-Medikamente können müde machen und das Urteilsvermögen beeinträchtigen.

Dehydratation oder Elektrolyt-­Imbalance. Diuretika und Hemmer des Renin-­Angiotensin-Aldosteron-Systems (ACE-Hemmer, Angiotensin‑II-Rezeptorantagonisten) greifen in den Wasser- und Elektrolythaushalt ein. Dabei ist zu beachten, dass sich eine Hyponatriämie unter Diuretika durch eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme verschlimmern kann.

Bei Arzneimitteln, die Übelkeit und Erbrechen hervorrufen können, ist im Hinblick auf einen Volumenmangel und Elektrolytstörungen ebenfalls Vorsicht geboten.

Verringerte Herzleistung. Arzneimittel, die das Herzzeitvolumen verringern (z. B. Betablocker), können die Hitzeadaption beeinträchtigen.

Erhöhte Toxizität. Eine Dehydratation kann bei Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite (z. B. Lithium) besonders gefährlich werden. So können durch die Konzentrationserhöhung im Blut Symptome einer Überdosierung auftreten.

Auch Träger transdermaler Systeme müssen aufpassen: Bei direkter Hitzeexposition ist eine verstärkte Wirkstofffreisetzung möglich – beispielsweise bei Fentanyl-Pflastern.

Hypotonie. Bei hohen Umgebungstemperaturen kann der Blutdruck unter Einwirkung von Alkohol, Antihypertensiva, Vasodilatatoren (z. B. Nitrate, Calcium-Antagonisten) und trizyklischen Antidepressiva so weit sinken, dass die Betroffenen bewusstlos werden können.

Medikation bei Bedarf anpassen

Patienten, die potenziell riskante Arzneimittel einnehmen, sollten eng­maschig überwacht werden. Gegebenenfalls muss die Medikation in Absprache mit dem behandelnden Arzt angepasst werden. Als allgemeine Vorsichtsmaßnahmen werden das Tragen leichter Kleidung und der Aufenthalt in kühlen Gebäuden empfohlen. Zudem ist auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten. Dass „genügend“ aber nicht „zu viel“ bedeutet, daran erinnert Prof. Andresen in einer Pressemitteilung der Deutschen Herzstiftung: „Denn eine übermäßige Flüssigkeitszufuhr kann bei herzkranken Patienten zur Verschlechterung ihrer Herzleistung führen.“ Die tägliche Trinkmenge sollte mit dem behandelnden Arzt abgestimmt werden. Zur Kontrolle der Trinkmenge kann tägliches Wiegen morgens vor dem Frühstück nach dem ersten Gang zur Toilette und am Abend hilfreich sein. Bei einer Gewichtszunahme von mehr als einem halben Kilogramm ist die Flüssigkeitszufuhr zu hoch. |

Literatur

Höchstwerte/Tiefstwerte Deutschland. www.wetterdienst.de; Abruf am 27. Juni 2019

Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin 2019;2:139-202. www.rki.de; Abruf am 28. Juni 2019

Epstein Y, Yanovich R. Heatstroke. N Engl J Med 2019;380(25):2449-2459

Deutsche Allianz Klimawandel & Gesundheit. Hintergrundinformation Klimawandel: Hitze. Mitteilung vom 24. Juni 2019. www.klimawandel-gesundheit.de; Abruf am 28. Juni 2019

UK Medicines Information (UKMi) pharmacists. Which medicines could cause problems for patients during a heatwave? www.sps.nhs.uk; Abruf am 28. Juni 2019

Extreme Hitze: Was müssen Herzpatienten beachten? Pressemitteilung der Deutschen Herzstiftung vom 25. Juni 2019; www.herzstiftung.de; Abruf am 28. Juni 2019

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