Arzneimittel und Therapie

Der Streit um Fluorid geht weiter

Ein Gastkommentar

Prof. Dr. Dr. h. c. Helmut Schatz,Ruhr-Universität ­Bochum

Vermindert Fluorid während der Schwangerschaft den Intelligenz-Quotienten der Kinder? Diese Frage wurde im Jahr 2017 schon einmal heftig diskutiert. Damals antwortete die mexikanische ELEMENT-Studie mit „ja“. Die aktuelle kanadische Studie kommt 2019 zu dem gleichen Ergebnis, wird allerdings methodisch heftig kritisiert, sogar bis zur Frage, ob man sie hätte überhaupt publizieren sollen. Man unterschied zwischen kanadischen Regionen und Städten mit und ohne Trinkwasserfluoridierung. Es wurden über 30 mögliche Einflussfaktoren wie Ethnie, Alkohol, aktives und passives Rauchen, häusliche Umgebung, Haushaltseinkommen, Alter des Vaters etc. berücksichtigt („everything we possibly could“). In einem Editorial zu der hier präsentierten Studie führt David Bellinger, Professor für Neurologie und Psychologie an der Harvard Medical School, aus, dass das Gebiet der Umwelt-Epidemiologie voller Kontroversen sei. Besonders groß seien diese bei Fluorid und der Frage, ob man Trinkwasser zur Verminderung der Zahnkaries fluoridieren solle oder nicht. Die US Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zählen die Trinkwasserfluoridierung zu den zehn wichtigsten Gesundheitserrungenschaften des 20. Jahrhunderts, insbesondere zur Ka­ries­verhinderung und „zur Überwindung von sozioökonomischen Ungleichheiten“. Dass diese Maßnahme nicht nur Befürworter findet, beweist jedoch eine Klage, die in der US-amerikanischen Environmental Protection Agency (EPA) gegen eine Trinkwasserfluoridierung eingereicht wurde. Die Verhandlung findet am 3. Februar 2020 statt.

In Europa verfolgt man andere Fluorid-Strategien wie etwa Supplemente, insbesondere während der Schwangerschaft, Fluorid-Einsatz in der Zahnbehandlung oder Fluorid-Zusatz zu Milch und Salz („fortified food“). Die grundsätzliche Frage einer Toxizität von Fluorid für das Gehirn lautet nicht etwa „ob“, sondern „ab welcher Dosis“. Hierzu liegen über 2800 Studien vor. Die Pro- und Kontra-Diskussion wird gewiss noch viele Jahre anhalten.

Literatur

Schatz H. Vermindert Fluoridzufuhr bei werdenden Müttern den kindlichen Intelligenzquotienten? Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, 1. September 2019. https://blog.endokrinologie.net

Schatz H. Höhere Fluoridkonzentration im Mutterleib mit geringerer kindlicher Intelligenz assoziiert. Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, 10. Oktober 2017. https://blog.endokrinologie.net

Green R et al. Association Between Maternal Fluoride Exposure During Pregnancy and IQ Scores in Offspring in Canada. JAMA Pediatr 2019; doi:10.1001/jamapediatrics.2019.1729

Bellinger DC. Is fluoride potentially neurotoxic? JAMA Paediatrics 2019; doi:10.1001/jamapediatrics.2019.1728

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