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Arzneimittel und Therapie
Opiate und Benzodiazepine unter Verdacht
Immer mehr ältere Menschen erkranken an Lungenentzündungen – aber warum?
Bei Personen über 65 Jahren zählen Lungenentzündungen zu den häufigsten Morbiditäts- und Mortalitätsursachen, in den letzten zehn Jahren sogar mit steigender Inzidenz. Im Süddeutsche Zeitung Magazin vom 11. Januar 2019 wurde Stefan Hippenstiel, Internist und Infektiologe an der Berliner Charité zitiert: Die Sterblichkeit bei Lungenentzündung liege seit 60 Jahren bei 13%, kein Fortschritt sei feststellbar.
Schon seit Längerem gibt es Hinweise darauf, dass Benzodiazepine und Opiate das Pneumonie-Risiko erhöhen könnten. In zwei Studien wurden diese Hinweise nun näher untersucht.
Benzodiazepine: Risiko nicht unterschätzen
Im Rahmen eines systematischen Reviews und einer Metaanalyse wurden Daten aus Beobachtungsstudien zum erhöhten Pneumonie-Risiko unter Benzodiazepin-Einnahme untersucht. Dabei wurde das Auftreten einer Lungenentzündung bei Patienten, die Benzodiazepine einnahmen, mit jenen Patienten verglichen, die keine entsprechende Therapie erhielten. Insgesamt konnten zehn Studien mit über 120.000 Pneumonie-Patienten für die Auswertung herangezogen werden. Das Risiko, an einer Lungenentzündung zu erkranken, war in der Benzodiazepin-Gruppe 1,25 mal höher als in der Vergleichsgruppe ohne Benzodiazepine. Nach genauerer Analyse zeigte sich, dass das Risiko bei „aktueller” Einnahme (bis zu 30 Tage vor dem Index-Datum) und vor Kurzem erfolgter Einnahme (31 bis 90 Tage vor Index-Datum) um das 1,4- bzw. 1,38-Fache erhöht war. Bei länger zurückliegender Einnahme (über 90 Tage vor Index-Datum) konnte kein erhöhtes Pneumonie-Risiko festgestellt werden. Die Autoren führen dieses leicht erhöhte Pneumonie-Risiko auf zwei Mechanismen zurück: Zum einen auf eine Suppression oder Modulation des Immunsystems, zum anderen auf eine Erschlaffung des Ösophagussphinkter und ein erhöhtes Aspirationsrisiko aufgrund der sedierenden Eigenschaften. Obwohl das allgemeine Risiko mit einer Odds Ratio von 1,25 bzw. 1,4 relativ gering ist, so sollte die Tragweite des Risikos aufgrund der hohen Zahl an Verordnungen dennoch nicht unterschätzt werden.
Immunsuppressive Opiate
Manche Opiate können das native und adaptive Immunsystem beeinträchtigen. Daneben haben Opiate eine hustenstillende und atemdepressive Wirkung, behindern die Sekretion von Bronchialschleim und die alveoläre Immunantwort auf Streptococcus pneumoniae. Diese Mechanismen machen das erhöhte Pneumonie-Risiko plausibel.
Daneben wurde in präklinischen und klinischen Studien das immunsuppressive Potenzial der Opiate untersucht, mit folgendem Ergebnis:
Opiate mit immunsuppressivem Potenzial:
- Codein
- Dihydrocodeinbitartrat
- Fentanyl
- Morphin
Opiate ohne immunsuppressives Potenzial:
- Buprenorphin
- Hydrocodon
- Hydromorphon
- Oxycodon
- Tramadol
Potenzial nicht bekannt:
- Methadon
- Tapentadol
Cave Opiate
Bei den Opiaten ist eine immunsuppressive Wirkung bereits bekannt (siehe Info-Kasten). In einer Fall-KontrollStudie wurde nun untersucht, ob diese immunsuppressive Wirkung bei HIV-Patienten zu einem erhöhten Risiko für ambulant erworbene Pneumonien führen kann. Kurz zum Hintergrund: HIV-Patienten werden bei Schmerzen öfter mit Opiaten behandelt als nicht infizierte Personen, obwohl sie aufgrund der Grunderkrankung einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Lungenentzündungen sind dabei besonders gefürchtet. Pneumonien sind auch in der heutigen Zeit ein wesentlicher Risikofaktor für Morbidität und Mortalität bei HIV-Patienten, vor allem mit zunehmendem Alter. Im Rahmen der Studie wurde nun untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen Opiat-Einnahme und Pneumonie-Risiko gibt, ob diese Kausalität auf die Opiat-Eigenschaften, Einnahmedauer und das immunsuppressive Profil des jeweiligen Opiats zurückzuführen ist und – zu guter Letzt – inwiefern das Ganze mit dem HIV-Status in Zusammenhang steht.
Nicht-infektiöse Pneumonie unter Ustekinumab
Benzodiazepine und bestimmte Opioide stehen im Verdacht, das Risiko für ambulant erworbene und damit infektiöse Pneumonien zu erhöhen. Auch für Ustekinumab wird eine Erhöhung des Pneumonie-Risikos diskutiert, allerdings nicht für ambulant erworbene, sondern für nicht-infektiöse Lungenentzündungen. Ustekinumab (Stelara®) ist ein Interleukin-Antagonist, der zur Behandlung von Psoriasis und Morbus Crohn eingesetzt wird. Zwischen den Jahren 2009 und 2017 wurden der FDA unter der Anwendung von Ustekinumab zwölf Fälle von nicht-infektiöser Pneumonie gemeldet. Die nicht-infektiöse Pneumonie, die unter anderem Arzneimittel-bedingt sein kann, zählt zur Gruppe der interstitiellen Lungenerkrankungen. Die arzneimittelinduzierte interstitielle Lungenkrankheit verläuft oft unerkannt, weil sie nur schwer diagnostizierbar ist. Sie betrifft 2,5 bis 3% aller interstitiellen Lungenerkrankungen.
Im Fall von Ustekinumab wurden alle zwölf Fälle als schwerwiegend eingestuft, in sieben Fällen war eine Hospitalisierung notwendig. Aufgrund der zeitlichen Koinzidenz und einem positiven Verlauf nach Absetzen in sieben Fällen erscheint die Kausalität wahrscheinlich. Bei Patienten, die mit Ustekinumab behandelt werden, kann ein starker persistierender Husten oder Dyspnoe ein Hinweis auf eine interstitielle Lungenerkrankung sein.
Als Datenquelle wurden Krankenakten von Veteranen quer durch die USA herangezogen. Dabei wurden 4246 Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie und dadurch bedingter Hospitalisierung in einem 1:5-Design mit Kontroll-Patienten ohne Pneumonie nach Alter, Geschlecht, Ethnie und HIV-Status gematcht.
Von den insgesamt rund 25.000 Veteranen waren 98,9% männlich mit einem Durchschnittsalter von 55 Jahren. Das höchste Risiko für eine ambulant erworbene Pneumonie mit einer Adjusted Odds Ratio von 3,18 trat bei hohen Opiat-Dosierungen (über 50 mg Morphin-Äquivalenten täglich) und bekannten immunsuppressiven Eigenschaften der eingesetzten Opiate auf. Hohe Dosierungen von Opiaten mit keinen bzw. nicht bekannten immunsuppressiven Eigenschaften waren mit einem zweifach erhöhten Risiko für eine ambulant erworbene Pneumonie assoziiert (Odds Ratio von 2,07). Das gleiche Risiko wurde für mittlere Opiat-Dosierungen (20 – 50 mg Morphin-Äquivalente) von Opiaten mit bekannten immunsuppressiven Eigenschaften ermittelt. Insgesamt war das Pneumonie-Risiko bei HIV-Patienten durchwegs höher als bei nicht infizierten Personen. Als Kernaussage lässt sich also ableiten, dass Opiate das Pneumonie-Risiko bei HIV- und Nicht-HIV-Patienten erhöhen, und zwar abhängig von der Dosierung und ihrem immunsuppressiven Potenzial. |
Quellen
Brinker A et al. Association of Noninfectious Pneumonia With Ustekinumab Use. JAMA Dermatol 2018; doi: 10.1001/jamadermatol.2018.4118
Edelman EJ et al. Association of Prescribed Opioids With Increased Risk of Community-Acquired Pneumonia Among Patients With and Without HIV. JAMA Intern Med 2019; doi: 10.1001/jamainternmed.2018.6101
Sun G et al. Benzodiazepines of Related Drugs and Risk of Pneumonia: A Systematic Review and Meta-Analysis. Int J Geriatr Psychiatry 2019; 1-9; doi: 10.1002/gps.5048
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