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Pandemie Spezial

Über 40 Kandidaten

Wann kommt der erste Impfstoff gegen COVID-19?

Auf der Homepage der Weltgesundheitsorganisation WHO findet sich eine Liste mit immerhin 41 Vakzin-Kandidaten. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa) geht von mindestens 47 Impfstoff-Projekten weltweit aus. Man könnte also den Eindruck haben, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir uns gegen das Virus mit dem Kürzel SARS-CoV-2 schützen können. Wie sieht das aber in der Wirklichkeit aus? | Von Ilse Zündorf und Robert Fürst 

Eine gewisse Ernüchterung stellt sich ein, wenn man sieht, wie weit die Entwicklung der einzelnen Impfstoffe ist: Alle befinden sich in einem sehr frühen Stadium, die meisten noch in der Präklinik, einer wird jetzt seit wenigen Tagen in Phase I an gesunden Probanden getestet, weitere sollen im April und Frühsommer folgen. Stimmen werden bereits laut, dass entsprechende Vakzine eventuell in einem beschleunigten Verfahren zugelassen werden sollten – eventuell auch mit dem Risiko von Nebenwirkungen.

Relativ schnell nach den ersten COVID-19-Fällen in China war SARS-CoV-2 sequenziert und die geringen Unterschiede zu SARS-CoV aus dem Jahr 2003 aufgeklärt worden. Bereits im Nachgang zu SARS-CoV waren verschiedene Impfstoffe getestet worden, allerdings wurde die weitere Entwicklung eingestellt – zu groß war der Aufwand und als zu gering sah man damals den weiteren Bedarf für einen Impfstoff. Mit den Erfahrungen von damals und mit neuen Ideen sind jetzt eine Vielzahl neuer Kandidaten in der präklinischen Erprobung. Als spezifisches Virus-Antigen ist das Spike(S)-Protein das Hauptziel vieler Impfstoffkandidaten (Abb. 1). Das im Elektronenmikroskop kronenartige Aussehen der SARS-CoV-2-Partikel geht auf dieses weit aus der Hüllmembran herausragende Oberflächenprotein zurück. Im Vermehrungszyklus des Virus hat das trimere S-Protein eine wichtige Funktion beim Eintritt in die Wirtszelle. Bildet der Körper nach einer Immunisierung entsprechend neutralisierende Antikörper gegen dieses Protein könnte dadurch nicht nur das Virus gebunden, sondern auch der Vermehrungs­zyklus effektiv unterbrochen werden.

Grafik: Zündorf

Abb. 1: Schematische Darstellung eines Coronavirus mit den wichtigen Strukturproteinen in der Membran.

Corona-, Transportviren und Co.

Klassische Vakzinierungsstrategien mit inaktivierten oder mit lebend-attenuierten Viren, die z. B. gegen Hepatitis A bzw. Masern erfolgreich eingesetzt werden, wurden von der chinesischen Firma Sinovac bzw. Codagenix in Zusammenarbeit mit dem Serum Institute of India aufgegriffen. Etliche Impfstoffkandidaten in der Entwicklung benutzen nicht replizierende Viren als Vektoren, um Epitope des SARS-CoV-2 zu präsentieren. Verwendet werden dafür z. B. das modifizierte Vaccinia-Virus Ankara (MVA), das Adenovirus Serotyp 26 (Ad26) oder das Schimpansen-Adenovirus Oxford 1 (ChAdOx1). In die genetische Information dieser verschiedenen Trägerviren wird das Gen für das S-Protein integriert und dann auf der Oberfläche präsentiert. Damit kann eine nachhaltige Immunantwort induziert werden, ohne dass die Gefahr besteht, eine Impfstoff-assoziierte Erkrankung auszulösen. Während die meisten Impfstoffe intramuskulär oder selten auch subkutan verabreicht werden, zielt die Firma Altimmune mit ihrer Adenovirus-basierten Vakzine auf eine nasale Applikation ab und Stabilitech Biopharma Ltd. verpackt ihre modifizierten Adenoviren sogar in eine Kapsel zur oralen Einnahme (s. Tab. 1). Interessant ist der Ansatz, vermehrungs­fähige Masern- oder Pferdepocken-Viren mit dem Coronavirus-Spike-Protein auszustatten und als Impfstoff zu verwenden. Dadurch könnte eine nachhaltigere Immunantwort auch in Älteren mit einem schwächeren Immunsystem erzielt werden.

Tab. 1: Impfkandidaten gegen SARS-CoV und MERS-CoV
Impfstoff
Herstellung
Vorteil
Nachteil
inaktivierte Viren
Virionen, durch Hitze, Chemikalien oder Strahlung inaktiviert
leicht herzustellen,Virusstruktur bleibt erhalten, neutrali­sierende Antikörper werden indu­ziert
eventuell ungeeignet für Immunsupprimierte, möglicherweise fehlende zelluläre Immunantwort
lebend-attenuierte Viren
Virulenz wird durch Muta­genese oder gezielte Deletion verringert
preiswert herzustellen, nachhaltige Aktivierung des Immunsystems
Reversion des Phänotyps oder Genotyps möglich, ausreichende Virusreplikation nötig
vektor-basierter Impfstoff
S- und N-Protein in nicht-­replizierendem Trägervirus­partikel
sicherer Impfstoff, starke Induk­tion der humoralen und zellulären Immunantwort
eventuell unwirksam bei älteren Personen, möglicherweise fehlende zelluläre Immunantwort, eventuell unvollständiger Schutz
Subunit-Impfstoff
S- und N-Protein als Impf-Antigene ohne Trägervirus
sehr sicherer Impfstoff, Induktion der humoralen und zellulären Immunantwort, hoher Titer an neutralisierenden Antikörpern
relativ geringe Immunogenität, Adjuvans nötig, unklare Kosten­effektivität
DNA- bzw. RNA-Impfstoff
genetische Information für das S- und gegebenenfalls N-Protein zur Antigenexpression in Zellen der geimpften Person
einfach zu entwickeln, sehr sicher, hohe Titer an neutra­lisierenden Antikörpern
schlechte Immunantwort, möglicher­weise fehlende zellu­läre Immunantwort, eventuell Überempfindlichkeitsreaktion

Ein ganz anderer Impfstoff soll jetzt in Deutschland in einer Phase III an älteren Menschen und an Beschäftigten im Gesundheitswesen getestet werden: VPM1002 ist eigentlich ein Impfstoff gegen Tuberkulose und enthält ein genetisch verändertes Bacillus Calmette Guérain – es hat also gar nichts mit SARS-CoV-2 zu tun. Aber diese Vakzine scheint das Immunsystem als eine Art Bystander-Impfstoff auch gegen eine Virusinfektion zu mobilisieren.

Subunit-Vakzine und Do-it-yourself-­Antigenproduktion

Analog zu Influenza-Impfstoffen oder dem Hepatitis-B-Impfstoff kann das Spike-Protein rekombinant hergestellt und als Subunit-Vakzine eingesetzt werden. Die verschiedenen Hersteller sind erfindungsreich, indem sie das Spike-Protein in voller Länge oder nur die Rezeptorbindestelle einsetzen, an Nanopartikeln binden oder als Trimer mit einem anderen SARS-CoV-2-Strukturprotein assoziieren. Der Nachteil der Subunit-Vakzine ist, dass sie oft keine starke Immunantwort induzieren, weshalb sie häufig adjuvantiert werden müssen, um einen ausreichenden Schutz zu gewähren. Das könnte bei der von COVID-19 besonders gefährdeten Gruppe der Älteren weniger erfolgversprechend sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Ansatz, den die Firma Heat Biologics zusammen mit der University of Miami verfolgen: Das Spike-Protein wird zusammen mit dem Glykoprotein 96 (gp96) appliziert. Gp96 gehört zu den sogenannten Heat­shock-Proteinen und sorgt für eine starke Induktion des angeborenen Immunsystems, was dann wiederum auch die spezifische Immunantwort aktiviert.

Sehr große Hoffnungen werden derzeit in die verschiedenen Nukleinsäure-basierten Vakzin-Kandidaten gesetzt. Das Prinzip dahinter ist, die genetische Information für das Spike-Protein und/oder andere SARS-CoV-2-spezifische Strukturproteine entweder als DNA oder RNA intramuskulär zu injizieren. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dringt diese Nukleinsäure in Körperzellen ein und wird dort für die Expression des viralen Proteins genutzt, das dann wiederum dem Immunsystem präsentiert wird. Sollte es später zu einem Kontakt mit dem Virus kommen, sind dann Antikörper und hoffentlich auch zytotoxische T-Zellen vorhanden, die den Eindringling abwehren und infizierte Zellen töten. Der Vorteil ist, dass diese Nukleinsäuren schnell in größeren Mengen herstellbar sind. Deshalb startete kürzlich eine erste Phase-I-Studie mit dem RNA-Impfstoff der Firma Moderna. Ein DNA-Impfstoff der Firma Inovio soll im April in Phase I gehen, und die Tübinger Firma CureVac plant im Frühsommer den Beginn der Phase-I-Studie mit ihrem RNA-Impfstoff gegen SARS-CoV-2.

Bewährungsproben

Große Hoffnungen werden momentan in die schnelle Verfügbarkeit von Impfstoffen zur aktiven Immunisierung gesetzt, es fließen derzeit Unmengen Geld in deren Entwicklung. Um ausreichend Virus- oder Vektor-Virus-basierte Vakzine zur Verfügung zu haben, muss erst die entsprechende Produktion in geeigneten Zellsystemen gestartet und hochgefahren werden – das dauert. Schneller geht es sicher mit Nuklein­säure-basierten Impfstoffen, die „einfach“, aber doch mit einigen Kosten, synthetisiert werden können. Kein Wunder, dass genau diese Vakzine sehr schnell mit der Phase I der klinischen Entwicklung beginnen können. Bei aller Euphorie über Produkte, die z. B. von CureVac entwickelt werden, sollte man nicht vergessen, dass sich das System bisher noch nie in einem zugelassenen Impfstoff bewährt hat. Es klingt sehr plausibel, dass das Prinzip funktioniert und dass unser Immunsystem auf das selbst hergestellte Antigen ausreichend reagiert, aber die Schutzwirkung im Menschen wurde bisher nicht gezeigt. Und ob es in der hauptsächlich betroffenen Gruppe der über 60-Jährigen, deren Immunreaktion bereits eingeschränkt ist, zu einem ausreichenden Schutz kommt, steht in den Sternen. Auch wenn es momentan natürlich sehr dringend ist, einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 auf den Markt zu bringen, sollten neben den Wirksamkeits- auch die Sicherheitsaspekte nicht zu großzügig übergangen werden. Gefürchtet wird mittlerweile bei jeder Impfstoffentwicklung der Effekt des antibody-dependent enhancement (ADE), also die Bildung sogenannter infektionsverstärkender Antikörper. Dieser Effekt ist zwar selten, wurde aber bei der Entwicklung einer Vakzine gegen Dengue-Viren beobachtet: Geimpfte Personen litten bei einer späteren Infektion mit dem Virus unter sehr viel schwereren Symptomen. Im Zusammenhang mit einem Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV beobachtete man in immunisierten Frettchen, dass sie zwar einen Immunschutz gegen eine Infektion mit dem Coronavirus bildeten, allerdings führte die anschließende Infektion mit dem Virus auch zu einer Hepatitis. Derartige Komplikationen wären für einen Impfstoff gegen eine Infektion, die in den meisten Fällen recht harmlos verläuft, völlig inakzeptabel. Zweifellos ist es wichtig, gute und sichere Impfstoffe zu entwickeln, aber sicherlich dauert es noch etliche Monate und man sollte sich auch die dafür nötige Zeit nehmen.

Passive Immunisierung

Übrigens hört man hierzulande momentan noch viel zu wenig über mögliche passive Immunisierungsstrategien, die in der akuten Infektionsphase besser helfen würden, als auf einen schnell verfügbaren Impfstoff zu hoffen. Gegen das MERS-CoV wurde beispielsweise das humane polyklonale Serum aus transgenen Rindern SAB-301 und auch die gegen das Spike-Protein gerichteten monoklonalen Antikörper REGN3048 und REGN3051 in Phase-I-Studien getestet. Gegen SARS-CoV-2 wurde bereits ein humaner monoklonaler Antikörper identifiziert, der zumindest in Zellkulturen eine Infektion mit dem Virus verhindern konnte. Und das Serum von genesenen Personen, von denen es ja mittlerweile etliche gibt, könnte doch durchaus als Quelle für eine passive Impfung dienen – zumindest für die schwer Erkrankten. In Japan entwickelt die Takeda Pharmaceutical Co. mit TAK-888 ein intravenöses Immunglobulin aus dem Blutplasma genesener COVID-19-Patienten und in Kalifornien testet die Firma Vir Pharmaceuticals, ob die 2003 aus dem Blutserum von SARS-Patienten gewonnenen Antikörper auch bei COVID-19 helfen. |

 

Literatur

Callaway E. Coronavirus vaccines: five key questions as trials begin. Nature, News Explainer 18. März 2020, doi: 10.1038/d41586-020-00798-8

Chen W-H, Strych U, Hotez PJ, Bottazzi ME. The SARS-CoV-2 Vaccine Pipeline: an Overview. Curr Trop Med Rep https://doi.org/10.1007/s40475-020-00201-6

Weingartl H, Czub M, Czub S et al. Immunization with modified vaccinia virus Ankara-based recombinant vaccine against severe acute respiratory syndrome is associated with enhanced hepatitis in ferrets. J Virol 2004;78:12672-12676

Wang C, Li W, Drabek D et al. A human monoclonal antibody blocking SARS-CoV-2 infection. bioRxiv 2020, www.biorxiv.org/content/10.1101/2020.03.11.987958v1.full

DRAFT landscape of COVID-19 candidate vaccines – 13 März 2020, Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO, www.who.int/blueprint/priority-diseases/key-action/novel-coronavirus-landscape-ncov.pdf?ua=1

Impfstoffe zum Schutz vor Covid-19, der neuen Coronavirus-Infektion. Informationen des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller vfa, www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/impfstoffe-zum-schutz-vor-coronavirus-2019-ncov

Autoren

Prof. Dr. Robert Fürst ist Professor für Pharmazeutische Biologie am In­stitut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

 

Dr. Ilse Zündorf ist am Institut für Pharmazeutische Biologie als akademische Oberrätin tätig.

Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum, Max-von-Laue-Straße 9, 60438 Frankfurt/Main

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