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Beratung
„Einmal Ibu vegan, bitte!“
Beratungswissen für eine gut informierte Kundengruppe
Vegane Ernährung bedeutet nicht nur Verzicht auf Fleisch und Fisch, sondern auf alle tierischen Produkte: auf Milch von Tieren und Erzeugnisse daraus, auf Eier, Honig und Kaviar. Wer konsequent vegan lebt, lehnt außerdem Erzeugnisse aus Tierfell und -häuten, aus Federn, Seide und Wolle ab. Demzufolge akzeptieren Veganer auch keine Arzneimittel sowie Medizinprodukte und Nahrungsergänzungsmittel mit Bestandteilen tierischer Herkunft. Bei Wirkstoffen wie beispielsweise Pankreas-Enzymen vom Rind oder Schwein ist die Sachlage klar. Weniger eindeutig ist oft die Herkunft von Hilfsstoffen zu identifizieren. Besondere Herausforderungen können sich im Beratungsgespräch ergeben, wenn vegane Kunden ein Arzneimittel ablehnen, weil für seine Entwicklung Tierversuche durchgeführt wurden. In solchen Situationen eine kompetente Antwort zu finden ist nicht leicht, zumal Vertreter dieser besonderen Kundengruppe meistens gut informiert sind.
Arzneistoffe tierischer Herkunft
Bei diesen Arzneistoffen lassen sich drei Gruppen unterscheiden:
- Für Veganer „unproblematische“ Arzneistoffe, die historisch aus Tieren gewonnen wurden, heute aber ausschließlich gentechnisch hergestellt werden,
- Substanzen, die sowohl von Tieren als auch aus biotechnischer Erzeugung stammen können,
- Wirkstoffe, für die es noch keine tierfreie Alternative gibt.
Prominentester Vertreter der ersten Gruppe sind die Insuline. In Deutschland werden keine Präparate mit Rinder- und Schweine-Insulinen zur Anwendung am Menschen mehr hergestellt. Sie dürften auch nicht zulasten der GKV verordnet werden. Humaninsulin wird heute mittels rekombinanter DNA-Technologie mithilfe von Mikroorganismen wie Saccharomyces cerevisiae oder Escherichia coli produziert. Insuline für an Diabetes erkrankte Haussäugetiere (z. B. Hunde und Katzen) sind weiterhin verfügbar.
Zur zweiten Gruppe gehört beispielsweise Hyaluronsäure, die sowohl aus Hahnenkämmen stammen als auch biotechnisch aus Hefe durch Fermentation mit Bakterien (Streptococcus) gewonnen werden kann. Ein weiteres Beispiel sind Östrogene, die entweder aus dem Harn trächtiger Stuten stammen oder synthetisch hergestellt werden.
Für einige Präparate sind noch keine Alternativen ohne Stoffe tierischer Herkunft verfügbar. Dazu zählen solche mit dem Wirkstoff Pankreatin. Zwar gibt es für Patienten mit gestörter Bauchspeicheldrüsenfunktion ein Enzympräparat, bei dem Lipase, Protease und Amylase aus Aspergillus- und Rhizopus-Stämmen stammen (Nortase®). Wegen des Hilfsstoffs Lactose ist dieses jedoch keine vegane Alternative.
Auch der Wirkstoff Tannalbin eignet sich nicht für Veganer. Er wird aus Galläpfeln gewonnen, die durch die Eiablage der Gemeinen Eichengallwespe (Cynips quercusfolii) auf der Unterseite von Eichenblättern entstehen. Außerdem enthält Tannalbin Albumin. Tannine sind jedoch im Pflanzenreich weit verbreitet, sodass sich für die Selbstmedikation bei Diarrhö andere Phytopharmaka als Alternative finden lassen (s. Tab. 1).
Inhaltsstoffe (alphabet.) | Präparate (Beispiele) | Herkunft / Gewinnung | Alternative |
---|---|---|---|
Arzneistoffe | |||
Chondroitinsulfat, Chondroitinpolysulfat | Mobilat® DuoAktiv Schmerzgel | aus Knorpelgewebe z. B. von Rindern und Schweinen, Chondroitinpolysulfat aus Rindertracheen | gegebenenfalls anderer Wirkstoff, z. B. Diclofenac |
Glucosamin | Glucosamin-ratiopharm® Pulver | Krebse | gegebenenfalls andere Therapie, z. B. Eigenbluttherapie |
Heparine, niedermolekular (NMH) | Enoxaparin (Clexane®) Fertigspritzen | aus Schweinedarm-Mukosa | Fondaparinux (Arixtra®) |
Hyaluronsäure | Hyalart® Fertigspritze | aus Hahnenkämmen | Hya-ject® Fertigspritzen u. a. |
Östrogen, konjugiert | Presomen® 28/0,6 mg Tabletten | Harn trächtiger Stuten; Hilfsstoff Lactose | transdermales Estradiol |
Pankreas-Enzyme | Pankreatan®Hartkapseln | Pulver aus Schweine-Pankreas, Hilfsstoff Gelatine | noch keine |
Tannin-Eiweiß | Tannalbin® Tabletten | Verbindung aus Ovalbumin und Tannin, Hilfsstoff Gelatine | gegebenenfalls anderer Wirkstoff, z. B. Uzarawurzel-Trockenextrakt |
Hilfsstoffe | |||
Bienenwachs | Momecutan® Creme | aus Bienenwaben | Momecutan® Lösung |
Gelatine | Ferro sanol®überzogene Tabletten | aus Häuten, Sehnen, Knorpel und Knochen von Schlachttieren | Ferro sanol® Tropfen |
Lactose | B12 Ankermann®überzogene Tabletten | aus Kuhmilch (Molke) | B12-Tropfen Ankermann® |
Wollwachs, -alkohole | Eulatin® NH Salbe | Ursprung: Schafwolle | Zäpfchen mit Hamamelis-Extrakt |
Homöopathika | |||
Apis mellifica | Apis mellifica Globuli | aus ganzen Honigbienen | abhängig von den Leitsymptomen |
Bufo | Bufo Globuli, Tabletten | getrocknetes Sekret von Kröten-Hautdrüsen | abhängig von den Leitsymptomen |
Calcium carbonicum | Calcium carbonicum Tabletten, Dilution | Teile zerbrochener Schalen von Ostrea edulis L. (Europäische Auster) | abhängig von den Leitsymptomen |
Sepia | Sepia Globuli | Tinte des Tintenfischs Sepia offic. | abhängig von den Leitsymptomen |
sonstiges | |||
chirurgisches Nahtmaterial | Sehnen aus Tierdarm (Catgut), Naturseide | Fäden aus Polyamid, Polyvinylalkohol, Polyglykolsäure |
Hilfsstoffe tierischer Herkunft
Zu den häufigsten Hilfsstoffen tierischer Herkunft in oralen Arzneimitteln gehören Gelatine, Lactose und Magnesiumstearat. Letzteres kann jedoch sowohl aus tierischen Quellen (z. B. Rindertalg, Schweineschmalz) stammen oder pflanzlicher Herkunft (z. B. aus Soja- oder Rapsöl) sein. Bei Zweifeln lohnt sich eine Anfrage beim Hersteller (z. B. per E-Mail), die in der Regel kurzfristig beantwortet wird. Bei Präparaten, die in Kapselform (mit Gelatine) oder als Lactose-haltige Tabletten für Veganer ungeeignet sind, ist häufig ein weiteres Arzneimittel in einer anderen Darreichungsform auf dem Markt, auf das ausgewichen werden kann (s. Tab. 1). Bei Homöopathika sind Globuli zu bevorzugen, die als Hilfsstoff Saccharose enthalten. Bei einigen Homöopathika ist jedoch nicht der Hilfsstoff, sondern der tierische Ausgangsstoff das Problem (s. Tab. 1). Ebenfalls nicht vegan sind äußerlich anzuwendende Zubereitungen, die Wollwachs oder Bienenwachs enthalten. Auf den ersten Blick mag dies unverständlich erscheinen, da Schafe und Bienen bei der Gewinnung dieser Rohstoffe nicht getötet werden. Dennoch lehnen viele Veganer Produkte mit diesen Hilfsstoffen mit der Begründung ab, dass den Tieren bei der Gewinnung Leid zugefügt wird.
Pro und contra Tierversuche
Veganer möchten durch ihre Lebensweise Tierleid vermeiden. Bei der Entwicklung eines neuen Arzneimittels kann jedoch noch nicht auf Tierversuche verzichtet werden. Anders verhält es sich bei Generika, für deren Zulassung keine toxikologischen Untersuchungen oder klinische Studien notwendig sind, sondern nur noch der Nachweis der Bioäquivalenz erbracht werden muss. Bei der Beratung von Veganern im Rahmen der Selbstmedikation können daher Generika empfohlen werden. Allerdings könnte das Apothekenteam mit dem Argument konfrontiert werden, dass für die Zulassung des Originalpräparats dennoch Tierversuche notwendig waren. Dieselbe Problematik besteht bei Impfstoffen. Impfviren werden derzeit in tierischen Zellen oder in bebrüteten Hühnereiern vermehrt. Vegane Impfstoffe gibt es daher nicht. Es laufen jedoch Forschungsprojekte zur Herstellung von Impfstoffen mithilfe transgener Pflanzen. Letztendlich muss jeder Veganer selbst entscheiden, wie er damit umgeht. An dieser Stelle ist anzumerken, dass Veganismus keinen einheitlichen Verhaltenskodex darstellt. Vielmehr umfasst er ein Spektrum von Verhaltensweisen, die das Ziel haben, den Konsum und die Verwendung von Produkten tierischen Ursprungs zu vermeiden. Wo das derzeit noch nicht möglich ist, müssen Kompromisse gefunden werden.
Weitere Beratungsinhalte: Allergierisiken und Supplemente
Obwohl die Beratung von Veganern in der Apotheke an Grenzen stoßen kann, gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese Kundengruppe zu unterstützen. So können beispielsweise Birkenpollenallergiker auf die Möglichkeit einer Kreuzreaktion mit Sojaeiweiß hingewiesen werden. Diese Information ist deshalb besonders relevant, da Veganer Sojaprodukte, vor allem Tofu, als Fleischalternative schätzen. Eine Alternative sind Produkte aus Süßlupine (z. B. Lupinus albus). Allerdings besteht auch hier das Risiko für Kreuzreaktionen, beispielsweise bei Erdnussallergie. Eine weitere Soja-Alternative ist Seitan, der aus Weizenmehl hergestellt wird. Seitan lässt sich zu Fleisch-imitierenden Produkten wie veganen Würstchen oder Braten verarbeiten, darf jedoch bei Glutenunverträglichkeit nicht verzehrt werden.
Veganer werden häufig damit konfrontiert, dass ihre Ernährungsweise keine ausreichende Versorgung mit Makro- und Mikronährstoffen gewährleisten kann. Tatsächlich birgt jede Form der Ernährung – auch eine fleischhaltige – das Risiko für Mangelerscheinungen. Wer seine Ernährung auf vegan umstellen möchte, findet eine Vielzahl von Informationsquellen für eine ausgewogene Zusammensetzung der Mahlzeiten. Apotheken, die sich auf Ernährungsberatung spezialisiert haben, könnten ebenfalls ihre Unterstützung anbieten.
Auf einen Blick
- Veganismus ist eine Lebensweise die anstrebt, den Konsum und die Nutzung aller Produkte tierischen Ursprungs zu vermeiden.
- Die Apotheke kann Veganer bei der Suche nach Präparaten mit tierfreien Wirk- und Hilfsstoffen unterstützen.
- Weitere Beratungsfelder sind Allergierisiken, ausgewogene Ernährung und Nahrungsergänzungsmittel.
Neue Erkenntnisse zu Vitamin B12
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für Jugendliche und Erwachsene eine Zufuhr von 4 µg Vitamin B12 (Cobalamine) pro Tag. Durch den Verzicht auf Vitamin-B12-Quellen wie Fleisch, Leber, Eier und Milch erreichen Veganer diese Zufuhrmenge nicht und supplementieren dieses Vitamin. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat für die Aufnahme über Nahrungsergänzungsmittel eine Tageshöchstmenge von 25 µg festgelegt. Tatsächlich sind – auch in Drogeriemärkten – viele Präparate verfügbar, bei denen diese Höchstmenge um ein Vielfaches überschritten wird. Entgegen der früheren Annahme, dass wasserlösliche Vitamine wie die B-Vitamine praktisch nicht überdosiert werden können, weisen aktuelle Studien auf bestimmte Risiken einer überhöhten Vitamin-B12-Zufuhr hin, beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Hüftfrakturen.
Mikronährstoff | Präparate (Beispiele) | Gehalt | Zufuhrmenge für Erwachsene pro Tag (Empfehlung lt. DGE) |
---|---|---|---|
Vitamin B12(Cobalamine) | B12-Asmedic® Tropfen | 2,5 µg/Tropfen | 4 µg |
Vitasprint® B12Trinkfläschchen | 500 µg | ||
B12-Tropfen Ankermann® | 2,6 µg/Tropfen | ||
Vitamin B12 Lutschtabletten Zein Pharma® | 500 µg/Tablette | ||
Ortho Doc® Vitamin B12 Lutschtabletten | 1000 µg/Tablette | ||
Vitamin D (Colecalciferole) | Vitamin D Verla® purKaps | 25 µg D3/Kapsel | 800 IE (20 µg)** |
InnoNature® Vitamin D3 | 1000 IE/Tropfen | ||
Orthomol® Vitamin D3 Plus | 25 µg/Kapsel | ||
Eisen | Vitaferro® Brausetabletten | 80,5 mg/Brausetablette | 10 mg 15 mg* |
Ferro sanol® Tropfen | 30 mg/20 Tropfen | ||
Ferrotone® Brausetabletten | 5 mg/Brausetablette | ||
* für menstruierende Frauen zwischen 19 und 50 Jahren, ** bei fehlender endogener Synthese |
Klarheit durch Blutspiegel-Bestimmung
Auch Vitamin D und Eisen werden oft als kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung bezeichnet. Tatsächlich sind aber viele Bevölkerungsgruppen – aus den unterschiedlichsten Gründen – von Vitamin D- und Eisenmangel betroffen. Eine sinnvolle Empfehlung in der Beratung ist daher, im halbjährlichen Rhythmus beim Hausarzt die Blutspiegel der Mikronährstoffe Vitamin D, Vitamin B12 und Eisen bestimmen zu lassen und je nach Ergebnis Supplemente einzunehmen (Tab. 2). Bei der Auswahl entsprechender Nahrungsergänzungsmittel lohnt sich wieder ein Blick auf die Hilfsstoffliste, denn nicht selten enthalten Kapseln Gelatine und Tabletten Lactose. Veganer achten außerdem darauf, dass das Colecalciferol in Nahrungsergänzungsmitteln nicht aus Wollwachs, sondern aus Flechten gewonnen wurde. |
Literatur
Borsch J. Problematische Hilfsstoffe, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2015/daz-46-2015/problematische-hilfsstoffe
Weber-Fina U. Es geht auch ohne. PTAheute 2019;13&14:84-88
Gebrauchsinformation Nortase®, www.nortase.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Nortase/GIF-Nortase.pdf, Abruf am 13. Januar 2020
Roth HJ. Arzneimittel – vegan oder nicht vegan? Dtsch Apoth Ztg 2015;155(40):81ff
Iss was, Deutschland – TK-Ernährungsstudie 2017, Hrsg.: Techniker Krankenkasse
Smollich M. Hüftfrakturen unter Vitamin B6 und B12. Dtsch Apoth Ztg 2019;159(30):24-25
Neuer Referenzwert für die Vitamin-B12-Zufuhr. Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, DGE aktuell 02/2019 vom 22. Januar 2019
Ausgewählte Fragen und Antworten zu Vitamin B12. www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/faqs/vitaminb12/#c7162, Abruf am 23. Januar 2020
Eisen – Empfohlene Zufuhr. www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/eisen/, Abruf am 23. Januar 2020
Schätzwerte für eine angemessene Vitamin-D-Zufuhr bei fehlender endogener Synthese. www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/vitamin-d/, Abruf am 23. Januar 2020
Blasius H. Pflanzen produzieren sichere Polio-Vakzine. DAZ.online-Meldung vom 23. August 2017, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/08/22/pflanzen-produzieren-sichere-polio-vakzine/
4 Kommentare
„Geeignete“ Vitamin-B12-Präparate?
von Dr. Georgios Pandalis am 05.02.2020 um 11:10 Uhr
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AW: „Geeignete“ Vitamin-B12-Präparate
von Claudia Bruhn am 05.02.2020 um 16:43 Uhr
Arzneimittel vegan
von Manfred Frisch am 03.02.2020 um 15:15 Uhr
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AW: Arzneimittel vegan
von Claudia Bruhn am 05.02.2020 um 16:51 Uhr
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