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Pharmazeutische Dienstleistungen
Dienstleistungen im Schwebezustand
Wo stehen wir? Was ist zu tun? - Eine Analyse der Pläne, Chancen und Risiken
Dienstleistungen werden jeden Tag in den Apotheken erbracht, aber für ein eigenständiges Honorar fehlt die Rechtsgrundlage. Daher können Krankenkassen derzeit – außer in Modellversuchen – nicht einmal freiwillig Honorare für Dienstleistungen zahlen, die von der Arzneimittelabgabe unabhängig sind. Mit dem VOASG sollen solche honorierten Leistungen eingeführt werden. Zugleich soll ein Rahmen für die Finanzierung geschaffen werden (zum Stand des VOASG siehe Kasten: „Geplante Inhalte des VOASG“). Allerdings bleiben zwei fundamentale Fragen bisher offen:
1. Welche Leistungen sollen die Apotheken erbringen?
2. Wie sollen die Apotheken für die einzelnen Leistungen honoriert werden?
Geplante Inhalte des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes (VOASG)
Am 17. Juli 2019 wurde der Kabinettsentwurf für das Gesetz mit folgenden wesentlichen Inhalten beschlossen:
- sozialrechtliche Preisbindung für alle an GKV-Versicherte abgegebenen Rx-Arzneimittel bei Anwendung des Sachleistungsprinzips, auch bei Lieferung aus dem Ausland
- Rahmen für Vertragsstrafen bei Verstößen gegen die sozialrechtliche Preisbindung
- Streichung des § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG, der die arzneimittelrechtliche Preisbindung auf ausländische Versender überträgt
- Sicherung der freien Apothekenwahl, auch bei E-Rezepten
- Verbot der Zuweisung von E-Rezepten, auch für ausländische Versender
- neue honorierte pharmazeutische Dienstleistungen mit einer Honorierung über einen Aufschlag von 20 Cent auf jede Rx-Packung (angestrebtes Finanzvolumen jährlich etwa 150 Millionen Euro)
- Modellvorhaben für Grippeschutzimpfungen in Apotheken
- Einführung von Wiederholungsverordnungen
- Regelungen zu automatisierten Ausgabestationen für Arzneimittel
Regelungen außerhalb des VOASG
Zusätzlich zum Gesetzentwurf wurde ein Verordnungsentwurf beschlossen, der einige der vorherigen Eckpunkte und weitere Aspekte enthielt. Die wesentlichen Inhalte waren:
- Erhöhung des Zuschlags für den Notdienstfonds von 16 auf 21 Cent pro Rx-Packung
- Erhöhung der Dokumentationsgebühr für Betäubungsmittel und T-Rezepte von 2,91 auf 4,26 Euro
- Neuregelung des Botendienstes als Regelleistung
- bedarfsabhängige Temperaturkontrollen für Versand und Botendienst
- Recht der Apotheken zur Aut-idem-Substitution bei PKV-Verordnungen
Diese Änderungsverordnung zur Arzneimittelpreisverordnung und zur Apothekenbetriebsordnung wurde bald darauf beschlossen und gilt seit dem 22. Oktober 2019. Die beiden Honoraränderungen traten am 1. Januar 2020 in Kraft.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für das VOASG beschäftigte sich auch der Bundesrat damit und sprach sich beim zentralen Aspekt der Preisbindung für einen anderen Weg aus. Am 20. September 2019 empfahl der Bundesrat ein Rx-Versandverbot. Das Bundesgesundheitsministerium änderte den Gesetzentwurf daraufhin nicht. Mittlerweile hat sich das Gesetzgebungsverfahren verzögert. Der Gesetzentwurf wurde noch immer nicht in den Bundestag eingebracht, sondern der EU-Kommission zur Stellungnahme zugeleitet. Diese steht bisher aus. Doch wollte das Bundesgesundheitsministerium bei einigen geplanten Regelungen nicht länger warten und verlagerte diese daraufhin in andere Gesetze. Die Modellvorhaben für Grippeschutzimpfungen in Apotheken und die Einführung von Wiederholungsverordnungen wurden in das Masernschutzgesetz überführt, das im Dezember 2019 beschlossen wurde und am 1. März 2020 in Kraft tritt.
Die Bekräftigung der freien Apothekenwahl und das Zuweisungsverbot für E-Rezepte einschließlich Auslandsgeltung wurden in den Referentenentwurf für das Patientendaten-Schutzgesetz übernommen, der am 30. Januar 2020 veröffentlicht wurde. Allerdings enthält dieser Entwurf nicht das umfassende Makelverbot für E-Rezepte, das bereits der Deutsche Apothekertag 2019 gefordert hatte. Die bisher vorgesehene Regelung wendet sich nur an Krankenkassen und Vertragsärzte, aber nicht an Dritte. Beispielsweise internationale Internetkonzerne werden nicht adressiert, sodass die Regelung ins Leere laufen kann. Noch besteht jedoch die Chance, die Regelung im Gesetzgebungsverfahren nachzubessern.
Noch offene Pläne
Der verbliebene, noch nicht weiter bearbeitete Rest des VOASG-Entwurfs besteht damit aus der sozialrechtlichen Preisbindung, der Streichung des § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG, den Regelungen zu automatisierten Ausgabestationen für Arzneimittel und den honorierten Dienstleistungen. Davon werden nur Letztere von den Apothekern allgemein begrüßt. Der Deutsche Apothekertag 2019 hatte beschlossen, das VOASG mit der sozialrechtlichen Preisbindung „konstruktiv kritisch zu begleiten“, aber zugleich das Votum des Bundesrates für das Rx-Versandverbot „ergänzend einzubringen“. Die Streichung von § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG wird gemäß ABDA-Beschlusslage abgelehnt. Außerdem hat sich die ABDA für ein komplettes Verbot automatisierter Ausgabestationen ausgesprochen. Der Gesetzentwurf beschreibt dagegen Bedingungen für den Betrieb solcher Stationen. Dabei ist vorgesehen, solche Stationen für Versandapotheken getrennt von ihren Betriebsräumen zuzulassen.
Geplante gesetzliche Grundlage
Der Kabinettsentwurf des VOASG enthält einen neuen Absatz 5d des § 129 SBG V als Grundlage für die neuen Leistungen. Demnach sollen die Versicherten einen Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheken haben, die über die bisherige Beratungspflicht hinausgehen und die Versorgung verbessern. Zum Inhalt der Leistungen heißt es:
„Diese pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie, insbesondere bei
- 1. der Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden,
- 2. der Behandlung chronischer schwerwiegender Erkrankungen,
- 3. der Behandlung von Patienten mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation und
- 4. der Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen.
Diese pharmazeutischen Dienstleistungen können auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sein und sollen insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen.“
Anspruchsvoraussetzungen, Vergütung und Abrechnung sollen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband ausgehandelt werden. Diese Vereinbarung soll schiedsstellenfähig sein. Für die Finanzierung soll in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) ein weiterer Zuschlag von 20 Cent pro Rx-Fertigarzneimittelpackung ähnlich wie für den Notdienstfonds vorgesehen werden.
Konsequenzen aus der geplanten Vorschrift
Demnach sollen künftig honorierte pharmazeutische Dienstleistungen nicht nur ermöglicht werden, sondern es soll sogar ein Anspruch der Versicherten darauf bestehen. Dabei ist unklar, auf welche Leistungen sich der Anspruch bezieht und gegen wen er gerichtet ist. Der Anspruch soll für GKV-Versicherte gelten, aber die Finanzierung stützt sich auch auf PKV-Versicherte und Selbstzahler. Da sich der Verhandlungsauftrag an den GKV-Spitzenverband richtet, geht es offenbar um alle GKV-Versicherten, aber nicht um Satzungsleistungen oder Selektivverträge. Die Verteilung der Mittel auf die Apotheken bleibt den Verhandlungen überlassen. Für die Auswahl der Leistungen lässt das Gesetz sehr viel Spielraum.
Etablierte oder neue Leistungen?
Bei dieser Auswahl stehen die Apotheker vor einer Gratwanderung. Wenn künftig Leistungen honoriert werden, die bisher ohne Honorar erbracht werden, wäre dies faktisch eine Honorarerhöhung. Der Gesetzeswortlaut eröffnet einen Spielraum dafür, denn einige der dort genannten Leistungen sind schon jetzt üblich und gehen über die Beratungspflicht hinaus. Doch sprechen die gesellschaftliche Erwartungshaltung und der eigene berufspolitische Anspruch der Apotheker dafür, das neue Honorar für neue Leistungen zu verwenden, die den Patienten zusätzlichen Nutzen bringen und insbesondere die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern.
Die ABDA hat die Einführung der pharmazeutischen Dienstleistungen in ihren Stellungnahmen zum Referentenentwurf und zum Kabinettsentwurf des VOASG begrüßt, aber sie lässt viele Fragen zur praktischen Umsetzung offen (siehe „Pharmazeutische Dienstleistungen – die Zukunft?“, DAZ 2019, Nr. 24, S. 22). Insbesondere gibt sie nicht bekannt, welche Dienstleistungen die Apotheker anbieten werden. Die ABDA argumentiert, die Vorschläge sollten nicht vorab diskreditiert werden. Doch einige Überlegungen der ABDA stellte Cynthia Milz, Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand der ABDA, beim Forum zu pharmazeutischen Dienstleistungen während des Deutschen Apothekertages 2019 vor (siehe „Dienstleistungen für alle – aber welche?“, DAZ 2019, Nr. 40, S. 64 ).
Auswahlkriterien für neue Leistungen
Milz bekräftigte dort, dass alle Patienten profitieren sollen. Es gehe daher nicht nur um einzelne Krankenkassen oder einzelne Apotheken. Außerdem müssten die Leistungen angemessen honoriert werden, sodass sie mehr als die Kosten einbringen. Die ABDA habe über 100 Vorschläge für Dienstleistungen geprüft und sich auf Auswahlkriterien verständigt. Milz nannte den Nutzen für die Patienten, die Akzeptanz der Versicherten, die Möglichkeit zur einfachen und retaxsicheren Abrechnung und die Stärkung der Apotheken vor Ort. Außerdem müssten die Dienstleistungen apothekenspezifisch, nur durch Vor-Ort-Apotheken zu erbringen, kurzfristig implementierbar und in bestehende Apothekenprozesse integrierbar sein. Es werde ein „Mischportfolio“ aus kleinen und großen Leistungen geben, die unterschiedlichen Aufwand verursachen und unterschiedliche Qualifikationen erfordern. Entscheidend sei die „Gesamtpraktikabilität“.
Bei der anschließenden Diskussionsrunde wurde erkennbar, dass für die Krankenkassen ein Anreiz besteht, Leistungen von anderen Leistungserbringern zu verlagern, beispielsweise Impfungen oder einfache Kontrollen wie Blutdruckmessungen an Patienten in ländlichen Regionen. Denn so könnten Krankenkassen das künftig vorgeschriebene Honorar für pharmazeutische Dienstleistungen an anderen Stellen einsparen. Den Apothekern geht es dagegen um zusätzlichen Nutzen für die Patienten durch neue genuin pharmazeutische Leistungen. Außerdem zeigte sich, dass Krankenkassen für ihr Marketing eher an Exklusivleistungen für ihre Versicherten interessiert sind (siehe auch „Woran arbeitet die TK bei den pharmazeutischen Dienstleistungen?“, DAZ.online, 13. Februar 2020). Doch die Apotheker möchten Patienten verschiedener Krankenkassen nicht unterschiedlich versorgen.
Sinnvolle Rahmenbedingungen
Für die Position der Apotheker zeichnen sich inzwischen einige weitere Eckpunkte ab. So sollen die Leistungen nicht schon jetzt durch den Festzuschlag auf Rx-Arzneimittel abgegolten sein. Die Abrechnung und die Dokumentation sollen möglichst wenig zusätzliche Bürokratie auslösen und es soll kein Kontrahierungszwang für die Apotheken bestehen. Damit alle Apotheken profitieren, sollen zumindest einige Leistungen von allen Apotheken erbracht werden können. Aus Äußerungen von Vertretern der Apothekerkammern zeichnet sich eine Dreiteilung des Leistungsangebotes ab:
- Leistungen, die von allen Apotheken bereits erbracht werden oder kurzfristig erbracht werden können
- Leistungen, die alle Apotheken nach einigen Vorbereitungen erbringen können
- Leistungen, die zusätzliche Infrastruktur oder Spezialisierungen erfordern
Die Frage nach der Gewichtung bleibt offen.
Einzelne Leistungen im Blick
Aufgrund der fundamentalen Bedeutung von Medikationsanalysen für die im Perspektivpapier „Apotheke 2030“ angestrebten Ziele, ist zu erwarten, dass die ABDA diese auf jeden Fall in ihr Verhandlungsangebot aufnehmen wird. Auch die angemessene Honorierung für das Stellen und Verblistern stellt eine berufspolitische „Baustelle“ dar. Einen wesentlichen Teil des verfügbaren Honorars für eine so spezielle Patientengruppe aufzuwenden, liefe aber dem Ziel zuwider, viele Patienten und viele Apotheken zu adressieren. Bisher ist auch offen, wie das Ausstellen und Aktualisieren des E-Medikationsplans in der Apotheke honoriert werden soll. Wenn dies aus den Mitteln für die neuen Dienstleistungen finanziert werden müsste, bliebe erheblich weniger Geld für kreative neue Angebote. Außerdem hat Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, ein Honorar für die Nicht-Abgabe von Arzneimitteln vorgeschlagen (siehe „Wenig Geld, viele Fragen“, DAZ 2019, Nr. 38, S. 54). Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, und Dr. Frank Diener haben zudem angeregt, einen Teil der Mittel für den Aufbau einer technischen Infrastruktur für die Dienstleistungen zu verwenden (siehe „Investieren statt alles sofort verteilen“, DAZ 2019, Nr. 16, S. 17).
Sonderfall Grippeimpfungen
Einen Sonderfall bilden Grippeschutzimpfungen in Apotheken. Diese sollten mit dem VOASG eingeführt werden, wurden aber aus dem Gesetzentwurf herausgelöst und im Dezember 2019 mit dem Masernschutzgesetz geregelt, das im März 2020 in Kraft tritt. Damit werden Modellvorhaben zu Grippeschutzimpfungen in Apotheken zugelassen. Einzelne Apotheken oder Gruppen von Apotheken dürfen künftig diesbezüglich Verträge mit Krankenkassen schließen. Doch diese Modellversuche müssen neben den geplanten Regelleistungen als eigenständiges Thema betrachtet werden. Dies gilt insbesondere für die Honorierung. Denn es wäre nicht schlüssig, wenn alle Krankenkassen gemeinsam Modellversuche einzelner Krankenkassen finanzieren würden. Außerdem würde damit der Finanzierungsspielraum für genuin pharmazeutische Leistungen eingeschränkt.
Wenig Geld für viele Ideen
Als Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass sehr viele Ideen für mögliche honorierte Dienstleistungen in Apotheken kursieren. Dieser Vielzahl steht ein begrenztes Honorarvolumen gegenüber. Das Bundesgesundheitsministerium und die ABDA erwarten jährlich etwa 150 Millionen Euro. Eine Hochrechnung anhand der Ausschüttungen des Notdienstfonds ergibt nur 144 Millionen Euro (siehe „Nachgerechnet: Was bringt das Apotheken-Stärkungsgesetz wirklich?“, DAZ 2019, Nr. 31, S. 9) und damit rechnerisch jährlich 1,73 Euro pro Einwohner in Deutschland. In der ersten Fassung der Eckpunkte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war noch ein Zuschlag von 32 Cent pro Rx-Packung und damit ein Fondsvolumen von 240 Millionen Euro vorgesehen. Die ABDA fordert in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf einen Zuschlag von 43 Cent und eine morbiditätsabhängige Dynamisierung, „damit sich die pharmazeutischen Dienstleistungen als langfristiger Bestandteil der apothekerlichen Leistungen durchsetzen“. Bisher sind im Gesetzentwurf keine Anpassungen an steigenden Bedarf oder erhöhte Kosten vorgesehen.
Drohender Ruin bei erfolgreichen Leistungen
Welche Apotheken wie viel Geld für welche Leistungen erhalten sollen, ist bisher vollkommen ungeklärt und soll zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband ausgehandelt werden. Dies dürfte maßgeblich über den Erfolg der neuen Leistungen entscheiden. Denn dabei droht der Hamsterradeffekt. Wenn das Budget feststeht und die Nachfrage nicht begrenzt ist, kann das Projekt an seinem eigenen Erfolg scheitern. Wenn die Patienten viele neue Leistungen nachfragen, könnte das Honorar für jede einzelne Leistung so sinken, dass es nicht einmal die Kosten deckt. Die neuen Leistungen würden dann zu einer zusätzlichen wirtschaftlichen Belastung für die Apotheken. Besonders tückisch daran ist: Je besser die Leistungen von den Patienten empfunden werden, umso eher droht den Apotheken eine ruinöse Falle.
Um Verluste zu verhindern, müssten die Apotheken dann die Leistungen begrenzen, was ihren eigenen Zielen zuwiderliefe. Nach den Regeln der Ökonomie würde sich ein Gleichgewicht einstellen, bei dem einige Apotheken so viele Leistungen anbieten, dass sie gerade noch eine akzeptable Honorierung erzielen. Das böte den Apotheken kein wirtschaftliches Potenzial und der Anspruch vieler Patienten liefe ins Leere. Dies alles spricht gegen ein Punktesystem, bei dem der Punktwert erst nachträglich ermittelt wird. Gerade weil die Nachfrage bei einem neuen Angebot nicht gut geschätzt werden kann, ist für die Apotheken nur eine Regelung mit festen Preisen für einzelne Leistungen zu akzeptieren. In der Anfangsphase nicht abgerufene Mittel sollten für später im Fonds verbleiben können. Doch auch bei dieser Regelung ist zu fragen, wie bei hoher Nachfrage vorzugehen ist und was nach dem Aufbrauchen des Budgets geschehen soll. Dafür drängt sich ein Mechanismus zur aktiven Steuerung auf. Dabei könnten sich die Vertragspartner verständigen, die Anspruchsvoraussetzungen für die Patienten bei Bedarf kurzfristig nachzujustieren. Noch wirksamer wäre eine Steuerung, bei der die Krankenkassen potenzielle Nutzer auswählen oder die Ärzte Leistungen verordnen. Dem Verlust an Autonomie stünde für die Apotheken ein Schutz vor ruinösen Entwicklungen gegenüber.
Teil- oder Vollkostenrechnung?
Um Preise für einzelne Leistungen festzulegen, muss zunächst die Kalkulationsmethode geklärt werden. Dabei ist zu bedenken, dass neue Leistungen auch neue Kosten verursachen, die erwirtschaftet werden müssen. Verhandlungspartner der Apotheker könnten bei kurzfristiger Betrachtung argumentieren, dass die Fixkosten der Apotheken durch das Honorar für die Arzneimittelabgabe gedeckt sind. Dann müssten nur die Teilkosten für die Einsatzzeit des Personals, gegebenenfalls zusätzliche Kosten für Sachmittel und Qualifizierungsmaßnahmen sowie ein Gewinnzuschlag kalkuliert werden. Doch eine solche Betrachtung würde zu kurz greifen. Denn der politische Anspruch an die neuen Leistungen ist, langfristig zu einer neuen tragenden Säule für die Apotheken zu werden. Auch Politiker fordern immer wieder, die Apotheken sollten langfristig weniger für die Abgabe von Packungen und stattdessen für patientenbezogene Leistungen honoriert werden. Dann darf diese Honorierung aber nicht voraussetzen, dass das Packungshonorar die Apothekeninfrastruktur finanziert, die auch für das Erbringen von Dienstleistungen notwendig ist. Stattdessen müssen die neuen Leistungen die Fixkosten mitfinanzieren. Bei der Preisbildung müssen daher die Personalkosten mit einem Aufschlag für eine Vollkostenrechnung, ein Gewinnzuschlag und die Sachkosten für die neuen Leistungen kalkuliert werden. Letztere sind zu berücksichtigen, weil der Aufschlag auf die Personalkosten nur die Fixkosten abbildet, aber keine zusätzlichen Teilkosten für Sachmittel aufgrund der neuen Leistungen (siehe „Wenig Geld, viele Fragen“, DAZ 2019, Nr. 38, S. 54).
Als Zwischenfazit lässt sich feststellen: Mit einem Honorar unter den Teilkosten würden die neuen Dienstleistungen zu einer zusätzlichen Belastung für die Apotheken. Eine langfristige Perspektive bieten die Dienstleistungen nur, wenn sie ohne Quersubventionierung finanziert werden und selbst einen Gewinn erwirtschaften. Dazu ist ein Honorar in Höhe der Vollkosten plus Gewinnzuschlag nötig.
Zwei Sonderfälle
Dabei sind zwei Sonderfälle auszunehmen:
- Wenn künftig Leistungen honoriert werden, die bereits jetzt ohne zusätzliches Honorar erbracht werden, wirkt dies wie eine Honorarerhöhung. Dies gilt sogar, wenn das neue Honorar nicht kostendeckend ist. Denn in diesem Fall entstehen keine neuen Kosten und auch das kleinste Honorar ist besser als nichts.
- Das Honorar für das Impfen wird sich vermutlich auch an der Honorierung der Ärzte orientieren, die dafür keine zusätzlichen Strukturen aufbauen müssen und daher günstiger kalkulieren können. Ein solcher, teilweise politisch begründeter Preis in Modellprojekten muss zwar auch ökonomische Mindestanforderungen erfüllen, kann aber nicht unmittelbar auf neue Regelleistungen übertragen werden (siehe oben).
Ergebnisse einer Vollkostenrechnung
Eine Kalkulation für Dienstleistungen auf der Grundlage von Vollkosten und Gewinnzuschlag hat der Verfasser dieses Beitrags bereits 2016 vorgestellt (siehe „Ertragsbringend oder nur kostendeckend?“, DAZ 2016, Nr. 41, S. 50) und später aktualisiert, zuletzt Anfang 2019 (siehe „Wie verteilt man 240 Millionen Euro?“, DAZ 2019, Nr. 8, S. 26; weitere Rechnungen siehe „Wenig Geld, viele Fragen“, DAZ 2019, Nr. 38, S. 54). Mit dem jüngsten Tarifabschluss für 2020 und den Daten des ABDA-Wirtschaftsberichts für 2018 ergeben sich bei sonst unveränderter Kalkulationsweise nun Teilkosten von 0,68 Euro pro Minute für Apotheker (für PTA 0,42 Euro) und Vollkosten zuzüglich Gewinnzuschlag von 1,71 Euro pro Minute für Apotheker (für PTA 1,05 Euro).
Im ARMIN-Modell wurde einst 1,00 Euro pro Minute für Apotheker (für PTA 0,75 Euro) angesetzt. Dieser ohnehin veraltete Ansatz ist nur als Teilkostenrechnung mit Gewinnzuschlag anzusehen.
1,4 Stunden pro Apotheke und Woche finanzierbar
Die zu erwartenden 144 Millionen Euro können mit den zeitgemäßen 1,71 Euro pro Minute theoretisch etwa 1,4 Millionen Apothekerstunden finanzieren, sofern bei den neuen Dienstleistungen keine zusätzlichen Sachkosten anfallen. Bei etwa 1700 Arbeitsstunden pro Jahr sind dafür etwa 825 Vollzeitapotheker oder dementsprechende Erhöhungen der Arbeitszeit von Teilzeitapothekern nötig. Durchschnittlich ergibt dies etwa 1,4 zusätzliche Apothekerstunden pro Apotheke und Woche.
Zum Weiterlesen
Die Apotheken vor Ort sollen gestärkt werden, und zwar durch die Etablierung von pharmazeutischen Dienstleistungen.
Rund 150 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. Welche Tätigkeiten davon konkret bezahlt werden können, ist noch offen. In der DAZ Nr. 38 haben wir 2019 dem Thema einen Schwerpunkt gewidmet.
Fazit 1: Honorierungsmethode entscheidet über Zukunftsaussichten
Damit werden von den vielen Ideen für Dienstleistungen nur wenige finanzierbar sein, aber immerhin ergibt sich der wichtige erste Schritt auf einem möglichen neuen Weg. Allerdings müssen gleich am Anfang dieses Weges die Weichen für eine tragfähige Honorierung gestellt werden. Denn anderenfalls drohen ruinöse Fallen für die Apotheken. Dies würde auch die Aussicht der Patienten auf zukunftsweisende Angebote der Apotheken zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit zunichtemachen. Den Verhandlungspartnern kommt damit bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Dienstleistungen große Verantwortung zu.
Fazit 2: Anpassung des Festzuschlags bleibt nötig
Doch auch bei umsichtigen Regelungen kann ein neues Dienstleistungshonorar mit dem vorgesehenen Volumen kein Ersatz für die lange überfällige Anpassung des Festzuschlags für Rx-Arzneimittel sein. Ein Dienstleistungshonorar bietet auf absehbare Zeit keinen Ansatz, die bisherige Honorierung der Apotheken zu ersetzen. Denn die bisherigen Leistungen bei der Arzneimittelabgabe müssen weiterhin erbracht und finanziert werden. Unabhängig von den Dienstleistungen bleibt damit die Aufgabe bestehen, den Festzuschlag auf Rx-Arzneimittel anzupassen oder eine zusätzliche Honorarkomponente für Apotheken einzuführen. |
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