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Management

Aus Fehlern richtig lernen

Warum man die Ursache und nicht den Sündenbock suchen sollte

Fehler passieren – ob wir wollen oder nicht. Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen sowie sich häufig ändernden Beschlüssen während der Corona-Pandemie ist es schwierig, immer den Durchblick zu behalten. Aber warum ist vor allem der rich­tige Umgang mit Fehlern im Berufsalltag so wichtig? Einen Fehler zu benennen und bestmöglich zu nutzen kann helfen, die eigentliche Ursache zu bekämpfen.

In der Politik ist es leider höchst selten, dass jemand einen Fehler zugibt. Das wurde besonders in der Corona-Pandemie mit den fast täglich neuen und zum Teil falschen Entscheidungen deutlich. Umso bemerkenswerter war die öffentliche Entschuldigung und das ehrliche Bedauern unserer Bundeskanzlerin für ihren heftig diskutierten Vorschlag eines Oster-Shutdowns am vergangenen Mittwoch. Ihre Worte „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“ zeigen deutlich, dass ein offener Umgang mit Fehlern nicht nur in der Politik helfen kann, schlimmere Folgen zu vermeiden.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt soll einmal gesagt haben: „Wenn man einen Fehler gemacht hat, muss man sich als erstes fragen, ob man ihn nicht sofort zugeben soll. Leider wird einem das als Schwäche angekreidet.“ Doch sollte es nicht eigentlich eine Stärke sein, einen Fehler ehrlich zuzugeben und zu korrigieren? Das Dilemma ist, dass niemand davor gefeit ist, Fehler zu machen. Wie dann aber damit umgegangen wird – wie man selbst damit umgeht und wie die anderen damit umgehen – hat oft Dimensionen, die weit über das Persönliche hinausgehen. Deshalb machen wir es uns gerne einfach: Wir reduzieren Fehler darauf, dass sie das Ergebnis einer bestimmten Handlung einer konkreten Person sind. Und die ist schuld! Doch genau dieser Umgang mit Fehlern führt in eine Sackgasse.

Furcht vor dem Vorgesetzten

Obwohl Fehler im Job jedem einmal passieren, sind sie häufig ein Tabuthema. Laut einer Umfrage der Talent- und Karriereberatung Rundstedt fürchten immer noch viele Mitarbeiter die Reaktionen von Vorgesetzten, wenn sie Fehler beichten. Jeder Vierte hat bereits die Erfahrung gemacht, dass nicht nach der Ursache, sondern nach dem Sündenbock gesucht wird. Etwa 20 Prozent haben sogar den Eindruck, dass ihr Chef ihnen bestimmte Aufgaben nicht mehr zuteilt, nachdem sie in der Ver­gangenheit etwas falsch gemacht haben. Kein Wunder, dass die Angst vor Fehlern groß ist.

Doch in vielen Unternehmen ist bereits ein Wandel zu beobachten. Durch flachere Hierarchien und weniger Kontrolle arbeiten die Mitarbeiter heute viel selbststän­diger und selbstverantwortlicher als früher. Dabei passieren Fehler – wichtig ist vor allem, wie damit umgegangen wird. Noch sind Pannen im Alltag häufig mit der Schuldfrage verknüpft, es wird zunächst gefragt „Wer hat den Fehler gemacht?“ statt „Wie kam es zu dem Fehler?“. Ein gravierender Denkfehler! Denn so werden nur die Symptome, nicht aber die Ursachen bekämpft. Fragt man jedoch zunächst nach dem „Was ist passiert?“, entdeckt man häufig ganze Kaskaden von „Teilfehlern“ – Missverständnisse oder Infor­mationen, die nicht weitergegeben wurden, Unwissenheit (womöglich aller Beteiligten) oder Unterlassungen. Und plötzlich ist er da, der Fehler. Einem „sichtbaren“ Fehler sind häufig viele „unsichtbare“, da unbemerkte Fehler vorausgegangen. Möglicherweise hätte die Vermeidung eines einzelnen Schrittes davon die Fehlerkaskade wirksam unterbrochen. Dabei tragen Fehler in Betrieben häufig dazu bei, Abläufe zu optimieren und Verbesserungsprozesse ins Rollen zu bringen – zumindest in der Theorie.

Fehler fördern Innovationen

Wir werden von klein auf dazu erzogen, dass Fehler negativ sind. In der Schule werden die Fehler rot angestrichen und führen häufig zu schlechten Noten. Kein Wunder, dass sich auch viele Erwachsene scheuen zuzugeben, wenn etwas schiefgegangen ist. Wir haben Angst vor möglichen negativen Konsequenzen. Doch diese Angst blockiert schon bei Kindern die eigene Weiterentwicklung. Es ist ein Umdenken erforderlich: Wir müssen anfangen, Fehler – egal ob in der Schule, im Studium, in der Familie oder im Arbeitsleben – nicht als absoluten Endpunkt zu betrachten, sondern vielmehr als Ereignis in einem laufenden Lernprozess. Wer Fehler verbietet, erhält dadurch – wenn auch ungewollt – immer häufiger eine Fehlervertuschung. Wenn wir gegenseitig aber ehrlich sind und auch Fehler oder falsche Entscheidungen zugeben bzw. verzeihen können, erfahren wir Respekt und Verständnis.

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Ein schwarzes Schaf ist schnell gefunden. Aber um aus Fehlern zu lernen, sollte man sich weniger auf den Schuldigen, sondern mehr auf den Fehler selbst und die zu seiner Entstehung beitragenden Strukturen konzen­trieren. So kann eine neue Fehlerkultur im Apothekenteam etabliert werden.

Über Fehler zu sprechen und sie nüchtern analysieren zu können, fällt leichter, wenn nicht gleich mit Schuldzuweisungen reagiert wird. Gründer in der Start-up-Szene gehen hier mit einem guten Beispiel und einer offenen Fehlerkultur voran: Bei ihnen gehört Scheitern zum guten Ton und einige Jung­unternehmer berichten sogar vor großem Publikum in sogenannten FuckUp Nights von ihren schlimmsten Pannen. Denn so manche Manager haben erkannt, dass es ohne Fehler keine Innovationen gibt.

In einem gut funktionierenden Team zählt, was Tag für Tag gelebt wird. Daher ist es wichtig, dass Führungskräfte lernen, sachlich zu bleiben, wenn ein Mitarbeiter einen Fehler beichtet. Wutausbrüche oder Vorwürfe sind hier wenig hilfreich und absolut fehl am Platz. Idealerweise bedankt sich ein Chef als erstes für die Offenheit des jeweiligen Mitarbeiters. Eine gemeinsame Ursachenforschung und die Fehlerbeseitigung sind als zweiter Schritt wichtig und können helfen, ähnliche Fehler zukünftig zu vermeiden. Bei einem gravierenden Fehler ist es am besten, möglichst sofort ruhig und sachlich die Fakten zu benennen und dabei die Verantwortung zu übernehmen. Eine ehrlich gemeinte Entschuldigung und ein offenes Gespräch sind dabei unerlässlich.

Multitasking begünstigt Fehler

Unser Leben ist hektischer geworden. Den Berufsalltag, besonders zu Pandemiezeiten, empfinden mehr und mehr Menschen als Herausforderung. In einem Alltag, in dem man ständig von einer Tätigkeit zur nächsten springt, werden sowohl konzentriertes Arbeiten als auch echtes Entspannen immer schwieriger. Nicht nur die zunehmende Digitalisierung vermittelt einem das Gefühl, vieles zugleich erledigen zu können, mehr noch: zu müssen. Gerade im Apothekenalltag werden begonnene Arbeiten häufig nicht komplett erledigt, sondern durch das Bedienen des nächsten Kunden oder durch die Beantwortung von Telefonanfragen bzw. E-Mails unterbrochen. Das Fatale daran: Multitasking macht uns nicht, wie lange Zeit angenommen, effizienter und produktiver. Studien erweisen inzwischen das Gegenteil: Wer seinen Gedankenstrom immer wieder unterbricht, benötigt deutlich länger für die Erledigung der eigentlichen Aufgaben und macht mehr Fehler. Dabei ist es besonders wichtig, Prioritäten zu setzen und die einzelnen Aufgaben möglichst konzentriert und ohne Ablenkung nacheinander abzu­arbeiten. Der nächste Kunde muss dann eben mal kurz warten – dafür bekommt er dann auch die volle Aufmerksamkeit.

Eine lebendige und konstruktive Sicherheitskultur kommt dabei allen Beteiligten zugute und ist in Gesundheitsberufen besonders wichtig. Wo Fehler offen und ohne Zeit zu verlieren kommuniziert werden, kann Schlimmeres oftmals abgewendet werden. Oder Fehler können ganz vermieden werden, weil ihre Ursachen erkannt und ausgeschaltet wurden.

Gegenseitige Unterstützung ist wichtig

Ganz gleich, in welcher schwierigen Situation man steckt oder wie hektisch es manchmal im Berufsalltag zugeht: Ein wichtiger Faktor, der konzentriertes und möglichst fehlerfreies Arbeiten fördert, ist die Unterstützung durch andere Menschen – sowie die Fähigkeit, deren Hilfe zu erbitten und auch anzunehmen. Bei besonders wichtigen oder fehleranfälligen Vorgängen bzw. beim Umgang mit Arzneimitteln mit hohem Risikopotenzial lohnt es sich, nach dem Vier-Augen-Prinzip zu arbeiten und lieber einen Kollegen zu bitten, z. B. vor der Abgabe des Medikamentes an den Kunden mit auf das BtM-Rezept zu schauen oder die knifflige Rezeptur nochmals genau zu überprüfen. Denn die Arzneimitteltherapiesicherheit hat oberste Priorität und auch eine Verwechslung sollte weitestgehend ausgeschlossen werden.

Überhaupt sind eine gute, offene Kommunikation und die gegen­seitige Unterstützung im Team wichtige Voraussetzungen für die Vermeidung von Fehlern. Deutlich formulierte Notizen für die Kollegen, für alle gut sichtbare Ablageplätze von noch nicht fertig be­arbeiteten Vorgängen und klare Zuständigkeitsbereiche helfen ebenfalls dabei, dass möglichst wenig im turbulenten Berufsalltag unter den Tisch fällt. Idealerweise sollten alle wichtigen Arbeitsabläufe und Regeln in einem umfassenden Qualitätsmanagementsystem festgehalten werden und dort für jeden nachvollziehbar sein. Kommt es wiederholt zu Fehlern oder gibt es neue Arbeitsabläufe, so können auch regelmäßige Teambesprechungen zu einer verbesserten Kommunikation und zur Problemlösung beitragen. Das gesamte Team wird so aufmerksamer und auch beinahe passierte Fehler können zukünftig vermieden werden.

Eine neue Fehlerkultur ist gefragt

Die Berufsanfänger von heute stellen immer häufiger Forderungen nach mehr Verantwortung und Entscheidungsfreiräumen. Durch einen offenen und fairen Umgang mit Fehlern im Arbeitsalltag und der gemeinsamen Suche nach Lösungen können sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter dazu beitragen, dass jeder weiterhin gerne Verantwortung übernimmt und sich an seinem Arbeitsplatz wohlfühlt. Damit sich Fehler nicht wiederholen, sollten sie als das erkannt werden, was sie eigentlich sind: Hinweise auf eine notwen­dige Verbesserung. Eine solche neue Fehlerkultur ist eine herausragende Stärke und ein Zeichen von Professionalität. Vor allem die Zuverlässigkeit der Mitarbeiter wertzuschätzen und sich nicht allzu sehr auf die Fehler zu fokussieren, schafft eine angenehme Arbeits­atmosphäre und ist für ein gut funktionierendes und verantwortungsbewusstes Team unerlässlich. Denn man kann Fehler weder verbieten noch hundertprozentig vermeiden. Man kann nur aus ihnen lernen. |

Apothekerin Dr. Irina Treede, Heidelberg

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