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Beratung

Mehr als nur ein Blues

Depressionen im Wochenbett bleiben oft unentdeckt und unbehandelt

Wenn Mütter nach der Geburt antriebslos und reizbar sind, ist schnell vom Babyblues die Rede. Bei schweren und lang anhaltenden Symptomen handelt es sich hingegen um eine postpartale Depression. Unbehandelt sind die Folgen dieser Krankheit schwerwiegend für die ganze Familie. Eine umfassende Therapie, bestehend aus psychotherapeutischen Maßnahmen und gegebenenfalls einer passenden Medikation, ist zentral für das Wohl von Mutter und Kind. | Von Tony Daubitz

Die Geburt eines Kindes ist meist ein schönes und emotional tiefgreifendes Ereignis, doch nicht immer will sich die Freude über den Nachwuchs sofort einstellen. Die zurückliegende Schwangerschaft und die Geburt sind für die Mütter anstrengend und bedeuten oft eine physische und psychische Herausforderung. Nicht selten kommt es vor, dass sich Frauen in den Tagen nach der Entbindung nicht nur glücklich fühlen, sondern auch traurig, überfordert oder depressiv. Gerade der Erwartungsdruck, „jetzt muss doch alles schön“ sein, kann überwältigend sein. Dabei ist der sogenannte „Babyblues“ weitverbreitet. Die Hälfte aller Mütter ist davon betroffen [1]. In diesem postpartalen Stimmungstief sind Frauen oft traurig, reizbar und antriebslos. Normalerweise klären sich die trüben Wolken allerdings recht schnell und nach ein paar Tagen fühlen sich die Mütter deutlich besser. Davon zu unterscheiden ist eine postpartale Depression. Im Vergleich zum Babyblues sind die Symptome deutlich schwerwiegender sowie lang anhaltender und entsprechen denen einer typischen Depression (siehe Kasten „Depression nach ICD-10-Kriterien“). Die betroffenen Frauen leiden unter einer gedrückten Stimmung und verlieren ihr Interesse an Dingen, die sonst Freude bereiten. Der Appetit ist vermindert und die Mütter leiden unter Schlaflosigkeit und werden von Schuldgefühlen und Suizidgedanken heimgesucht. Manche Frauen entwickeln sogar Vorstellungen, ihr Kind zu verletzen [1]. Bei der Diagnosestellung muss auch an eine postpartale Psychose gedacht werden, da depressive Symptome in der Zeit nach der Entbindung ebenso eine depressive Phase der Psychose darstellen können. Solche postpartalen Psychosen treten zwar selten auf (0,1 bis 0,2% aller Mütter), stellen aber eine akute Lebensgefahr für Mutter und Kind dar [2].

Depression nach ICD-10-Kriterien

Hauptsymptome

  • gedrückte, depressive Stimmung
  • Interessenverlust, Freudlosigkeit
  • Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit

Zusatzsymptome

  • verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit
  • negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
  • Suizidgedanken/-handlungen
  • Schlafstörungen
  • verminderter Appetit

10 bis 15% aller Mütter sind von Wochenbettdepressionen betroffen. Die Hälfte zeigt erste Symptome bereits während der Schwangerschaft [3]. Oft wird eine Depression nach der Entbindung jedoch nicht erkannt und bleibt undiagnostiziert, da die Symptome mit den Strapazen der Geburt erklärt werden. Unbehandelt haben Wochenbettdepressionen allerdings schwerwiegende Folgen für Mutter, Kind und Familie. Gerade die sonst so enge Bindung zwischen Mutter und Kind nach der Geburt leidet massiv unter der Erkrankung [2]. Depressiven Müttern fällt es schwerer, auf die Bedürfnisse und Kommunikationsversuche ihrer Kinder einzugehen, sie schenken ihnen weniger Berührung und verhalten sich oft passiv und gleichgültig ihrem Kind gegenüber. Auch das Stillen ist häufig beeinträchtigt. Babys, die auf die enge Kommunikation mit ihren Müttern angewiesen sind, stehen dadurch unter starkem Stress. Ihre Herzfrequenz und Cortisol-­Spiegel sind erhöht, sie weinen häufiger und sie sind weniger aktiv [2]. Langfristig können diese Bindungsprobleme beim Kind zu kognitiven, sozialen und emotionalen Einschränkungen wie z. B. einer verminderten Stresstoleranz und unsicheren Bindungsmustern führen. Betroffene Mütter leiden darunter, dass sie nicht für ihre Kind sorgen können und geraten in einen Teufelskreis, der die Symptome nur noch verstärkt oder chronifiziert und die Suizidalität erhöhen kann [2].

Sind die Hormone schuld?

Wie postpartale Depressionen entstehen, ist noch nicht vollständig verstanden. Man nimmt an, dass ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren die Krankheit zum Ausbruch bringt [1]. Eine prominente Rolle in der Pathogenese des Krankheitsbildes spielen womöglich die Hormone. Östrogene und Gestagene haben vielfältige Funktionen im Organismus und beeinflussen beispielsweise die Kognition, die Schilddrüsenfunktion, die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse und das Immunsystem, die allesamt wichtig für die mentale Gesundheit sind [4]. Daher erscheint es logisch, dass die schnellen Änderungen der Spiegel dieser Hormone während der Schwangerschaft und nach der Geburt Ungleichgewichte auslösen und Depressionen begünstigen können. Ein genereller Zusammenhang konnte allerdings nicht bestätigt werden. Mehreren Studien zufolge waren die Levels der Sexualhormone nicht mit dem Entstehen von Depressionen assoziiert [5, 6]. Eine Estradiol-Substitution lieferte in kleinen klinischen Studien mit Frauen, die unter postpartalen Depressionen litten, vielversprechende Ergebnisse, bewährte sich aber nicht in der Praxis [1]. Es ist möglich, dass nur bestimmte Frauen durch eine genetische Prädisposition besonders vulnerabel sind für solche hormonellen Schwankungen, nicht nur in der Schwangerschaft, sondern auch während ihres Zyklus und der Menopause [4]. In einer entsprechenden Studie wurden Frauen mit und ohne einer Vorgeschichte an postpartalen Depressionen hochdosiertes Estradiol und Progesteron verabreicht. Nachdem die Hormonbehandlung unterbrochen wurde, zeigten Frauen mit bereits früher überstandener Wochenbettdepression stärkere depressive Symptome im Vergleich zu Frauen ohne diese Diagnose [7]. Möglicherweise sind es auch nicht die Hormone selbst, sondern deren Stoffwechselprodukte, die die Depression auslösen. Allopregnanolon, ein Metabolit des Progesteron, ist ein anxiolytisches Neurosteroid, das seine Wirkung über die GABA-Rezeptoren vermittelt. Nach der Geburt sind die Allopregnanolon-Spiegel bei Frauen vermindert und dadurch könnten möglicherweise depressive Episoden ausgelöst werden [4].

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Eine gute Mutter-Kind-Bindung ist gerade bei unsicheren Müttern besonders wichtig. Ob unter Antidepressiva abgestillt werden muss, sollte individuell entschieden werden.

Auch das Immunsystem scheint involviert zu sein. Während der Schwangerschaft schüttet der Körper verstärkt antiinflammatorische Zytokine aus, die das Immunsystem supprimieren, um den wachsenden Fötus zu schützen. In den Wochen nach der Geburt ändert sich das dramatisch und das Gleichgewicht verlagert sich hin zu einem proinflammatorischen Status. Ein verstärktes Entzündungsgeschehen wurde in der Vergangenheit immer wieder mit Depressionen in Verbindung gebracht und könnte auch in der Zeit nach der Schwangerschaft eine wichtige Rolle spielen [1].

Der größte Risikofaktor für das Auftreten einer postpartalen Depression ist allerdings eine bereits zurückliegende psychische Erkrankung, vor allem, wenn die Symptome während der Schwangerschaft auftraten [1]. Weitere Faktoren wie eine geringe Unterstützung, Beziehungsprobleme, Gesundheitsprobleme des Säuglings, ein schwieriges Temperament des Babys oder zurückliegende negative Erlebnisse wie bspw. eine Misshandlung können das Entstehen postpartaler Depressionen fördern. Das Risiko scheint außerdem in der Familie zu liegen. Waren Mutter oder Schwester betroffen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass eine Frau im Wochenbett eine Depression entwickelt [1]. Auch die Väter sind nicht gefeit vor der Erkrankung. Die Prävalenz von postpartalen Depressionen bei Partnern wird auf ca. 8% ­geschätzt [8]. Das Krankheitsbild bei Männern ist weniger beschrieben, aber man geht von ähnlichen psychosozialen Risikofaktoren und möglicherweise auch Hormonschwankungen als Ursache aus [1, 9].

Screening-Tools können bei der Diagnose helfen

Um Patientinnen frühzeitig zu identifizieren, existieren verschiedene Screening-Tools. Am verbreitetsten ist die sogenannte Edinburgh-Postpartal-Depressions-Skala. Die frischgebackenen Mütter füllen einen einfachen, zehn Punkte beinhaltenden Fragebogen aus, der verschiedene depressive Symptome wie Ängste, Schuldgefühle, Anhedonie oder Suizidgedanken abfragt (siehe Kasten „Eine Wochenbettdepression erkennen“). Dieser Test kann einer neuen Metaanalyse zufolge eine schwangerschaftsassoziierte Depression mit einer hohen Spezifität und Sensitivität feststellen [10]. Eine niedrigschwellige Methode ist zudem der sogenannte Zwei-Fragen-Test nach Whooley, welcher sich in der Erfassung depressiver Störungen bewährt hat [3]. Mütter werden gefragt, ob sie sich im letzten Monat niedergeschlagen, bedrückt oder hoffnungslos gefühlt haben und ob sie im letzten Monat weniger Interesse und Freude an Dingen empfanden, die sie sonst gerne tun. Werden diese Fragen positiv beantwortet, sollte eine tiefer gehende Diagnostik, z. B. anhand des Edinburgh-Fragebogens erfolgen (siehe Kasten „Eine Wochenbettdepression erkennen“). Britische Leitlinien schlagen generell solch ein zweistufiges Screening-Schema vor [11]. Beide Whooley-Fragen können aber auch im Rahmen eines Patientengesprächs in der Apotheke gestellt werden. Bei einer entsprechenden positiven Antwort sollte umgehend ein Besuch des Hausarztes angeraten werden. Apothekerinnen und Apotheker können so dazu beitragen, mögliche Betroffene für die Erkrankung zu sensibilisieren und zu identifizieren.

Eine Wochenbettdepression erkennen

Um eine postpartale Depression zu erkennen, reicht oft der niedrigschwellige Zwei-Fragen-Test nach Whooley:

1. Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig bedrückt oder hoffnungslos?

2. Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

Gibt die Frau positive Antworten, so ist eine tiefer gehende Diagnostik erforderlich.

Mit der Edinburgh-Postnatal-Depressions-Skala (EPDS) steht ein Fragebogen zur Verfügung, der mit zehn Fragen versucht, die Stimmungslage der letzten sieben Tage zu erheben. Der Fragebogen ersetzt keine Diagnose, aber er kann Hinweise darauf geben, ob eine genauere Abklärung notwendig sein könnte. Der Verein Postpartale Depression Schweiz stellt auf seinen Internetseiten (https://postpartale-depression.ch/de/) neben vielen Informationen den Fragebogen in 17 Sprachen zum Download zur Verfügung. Geben Sie den Webcode Y6RW6 in die Suchfunktion auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de ein und Sie gelangen direkt zur Downloadmöglichkeit.

Psychotherapie vor Pharmakotherapie

Die Behandlung der Wochenbettdepression erfolgt multimodal. Mit psychotherapeutischen Interventionen und antidepressiver Medikation sowie zusätzlichen psychosozialen Maßnahmen lassen sich gute Erfolge erzielen. Zuallererst ist es wichtig, den betroffenen Frauen die Erkrankung ausführlich zu erklären, um zu versuchen, die Scham und Schuldgefühle, die mit der Diagnose oft einhergehen, zu nehmen. Unter Einbeziehung des sozialen Umfelds, also Partner, Familie und der Hebamme wird versucht, die Mutter zu entlasten und gleichzeitig die Versorgung des Kindes sicherzustellen. Dies unterstützt Mütter dabei, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen. Vor allem der Kontakt zu den Hebammen, die mit Rat und Tat zur Seite stehen, als auch Gespräche mit anderen Müttern, helfen Betroffenen [1]. Schlafmangel hingegen kann die depressiven Symptome verstärken, sodass möglichst sichergestellt werden soll, dass die Mütter ausreichend Ruhe finden [1]. Bewegung wirkt sich ebenso günstig auf das Krankheitsgeschehen aus und sollte empfohlen werden [3]. Leichte Depressionen lassen sich mit solchen unterstützenden Interventionen oft schon recht gut kontrollieren.

Neben diesen psychosozialen Maßnahmen kommt vor allem der Psychotherapie eine große Bedeutung zu. Die S3-Therapieleitlinie „Unipolare Depression“ gibt der Psychotherapie den Vorzug in der Therapie der Wochenbettdepression und führt aus, dass eine medikamentöse Therapie der Psychotherapie meist nicht überlegen ist. Die kognitive Verhaltenstherapie und die interpersonelle Psychotherapie, bewährte Verfahren bei Depressionen, zeigen auch postpartal eine gute Wirkung [3]. Die kognitive Verhaltenstherapie zielt darauf ab, falsche und belastende Überzeugungen zu erkennen und zu verändern. Sie zeigt sowohl als Einzeltherapie und im Gruppenformat eine gute Wirkung [3]. Eine interpersonelle Psychotherapie hilft dabei, den Übergang zur Mutterschaft zu reflektieren und Strategien für den Umgang mit den vielen neuen Herausforderungen zu entwickeln. Bei schweren Depressionen und vor allem einer Suizidgefährdung werden Frauen stationär aufgenommen. Spezielle Mutter-Kind-Stationen bieten den Vorteil, dass Mütter und Kinder nicht getrennt werden. Innovative Therapieverfahren können dabei helfen, die Mutter-Kind-Beziehung zu verbessern. Bewährt haben sich zum Beispiel Videoaufnahmen von Mutter und Kind in alltäglichen Situationen, sei es beim Wickeln oder Spielen, die psychotherapeutisch aufgearbeitet werden [12]. Neben den psychosozialen Interventionen und der Psychotherapie bildet eine antidepressive Medikation die dritte Therapiekomponente. Bei mittelschweren und vor allem bei schweren Depressionen können Antidepressiva zum Einsatz kommen, insbesondere wenn psychotherapeutische Maßnahmen nicht ausreichend anschlagen. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und trizyklische Antidepressiva gelten als Mittel der Wahl bei postpartalen Depressionen [3].

Antidepressiva in der Stillzeit

Nutzen und Risiken einer pharmakologischen Therapie in der Stillzeit sind sehr sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Bevorzugt wird eine Monotherapie in der geringsten effektiven Dosis nach einem langsamen Aufdosieren. In die Therapieentscheidung sollte die Vorgeschichte der Patientin einfließen ebenso wie die bisherige Erfahrung und Verträglichkeit von Antidepressiva in der Vergangenheit. Von besonderer Wichtigkeit ist eine mögliche Exposition des Kindes über die Muttermilch. Gerade für die Mütter ist dies ein wichtiger Punkt und auch in der Apotheke sollte ausführlich dazu beraten werden. Alle Antidepressiva gehen zu einem bestimmten Teil in die Muttermilch über (siehe Tabelle), aber vom Stillen ist trotzdem nicht generell abzuraten. Die positiven Effekte des Stillens überwiegen meist das Risiko einer Exposition mit Antidepressiva [1]. Mit der richtigen Auswahl des Präparats lässt sich die Gefahr für das Kind so niedrig wie möglich halten. Aufgrund der langen Halbwertszeiten der Antidepressiva lässt sich die Passage in die Muttermilch zeitlich kaum steuern. Besonders hohe Serumspiegel der Mutter zum Stillzeitpunkt können aber mit einer Einnahme direkt nach dem Stillen bzw. nach dem letzten abendlichen Stillen vermieden werden [2]. Für zusätzliche Sicherheit sollten Mütter genauer auf Zeichen von Sedierung, Unruhe oder geändertem Trinkverhalten bei ihrem Kind achten und bei Veränderungen sofort den Arzt aufsuchen.

Tab.: Antidepressiva in der Stillzeit (nach Embryotox [17])
Antidepressivum
Halbwertszeit
Milch-Plasma-­Quotient
relative Dosis
Empfehlung
selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
Citalopram
1,5 Tage
1,16 bis 3
3 bis 5
(max. 10%)
akzeptabel
Escitalopram
30 Stunden
2,2
5,3%
akzeptabel
Fluoxetin
1 bis 7 Tage
(Metaboliten 7 bis 9 Tage)
0,25
6,5%
(max. 18%)
abzuraten
Fluvoxamin
17 bis 22 Stunden
0,3
0,5 bis 1,6%
Mittel der Wahl
Paroxetin
24 Stunden
0,2
0,5 bis 2%
Mittel der Wahl
Sertralin
26 Stunden
0,89
2%
Mittel der Wahl
Trizyklika
Amitriptylin
10 bis 28 Stunden
1
1 bis 2,5%
Mittel der Wahl
Clomipramin
16 bis 60 Stunden
0,4 bis 1,6
1,8 bis 4,3%
akzeptabel
Doxepin
15 bis 20 Stunden
(bis 80 Stunden für N-Desmethyldoxepin)
1 bis 2
0,3 bis 2,5%
kritisch, schwere ­Symptome beobachtet
Imipramin
12 bis 25 Stunden
(15 bis 25 für Metabolit Desipramin)
0,7 bis 2,3
< 5%
Mittel der Wahl
Nortriptylin
27 Stunden
1 – 3,7
1 bis 3%
Mittel der Wahl
Trimipramin
24 Stunden
?
?
abzuraten
Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
Venlafaxin
5 Stunden
(11 Stunden für Metaboliten O-Desmethylvenlafaxin)
1,8 bis 4,5
3,2 bis 11,3%
akzeptabel
Duloxetin
8 bis 17 Stunden
0,27 bis 2,3
< 1%
akzeptabel
andere
Mirtazapin
20 bis 40 Stunden (max. bis 65 Stunden)
0,76
1,5%
akzeptabel

Allgemein hängt das Ausmaß der Passage von Arzneistoffen in die Muttermilch von verschiedenen Parametern ab [13]. Ausschlaggebend sind die physikochemischen Eigenschaften des Arzneistoffes, die mütterliche Plasmakonzentration und der Metabolismus der Mutter. Begünstigt wird eine Anreicherung in der Muttermilch vor allem, wenn Arzneistoffe ein kleines Molekulargewicht haben (< 200 g/mol), lipophil sind, es sich um Basen handelt (Muttermilch ist im Vergleich zum Plasma leicht saurer), die Moleküle einen geringen Dissoziationsgrad oder eine geringe Plasmaprotein-Bindung aufweisen. Welche Menge an Arzneistoff in der Milch letztendlich beim Kind ankommt, hängt davon ab, wie viel der Säugling trinkt und wie gut der Arzneistoff durch den kindlichen Darm absorbiert und im Organismus metabolisiert wird. Aktuelle Informationen über die Sicherheit von Arzneimitteln in Schwangerschaft und Stillzeit sind auf dem Onlineportal des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin Embryotox zu finden [17]. Zwei Kennziffern sind in der Stillzeit von besonderer Bedeutung:

  • Der sogenannte Milch-Plasma-Quotient ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen den Konzentrationen des Arzneistoffes in der Milch und im mütterlichen Plasma. Werte größer eins zeigen an, dass sich Moleküle in der Muttermilch anreichern. Dieses Maß allein lässt allerdings noch keine Aussagen darüber zu, ob ein bestimmtes Medikament sicher während der Stillzeit eingenommen werden kann.
  • Zur Risikobeurteilung eines Medikaments wird zusätzlich die relative Dosis herangezogen. Diese gibt die an einem Tag durch die Muttermilch aufgenommene Dosis des Säuglings in Relation zur Dosis der Mutter an. Als Obergrenze wird ein Wert von 10% noch als sicher angesehen [14].

Unter den Antidepressiva weisen vor allem die SSRI das günstigste Profil auf. Sertralin, Fluvoxamin und Paroxetin gehören zu den Mitteln der Wahl während der Stillzeit. Fluoxetin ist aufgrund der langen Halbwertszeit möglichst zu meiden. Unter den Trizyklika weist Nortriptylin eine nur geringe Passage in die Muttermilch auf. Doxepin hingegen ist weniger zu empfehlen, da in Einzelfällen Atemdepressionen bei Säuglingen auftraten [15] (siehe Tabelle).

Die Evidenz für weitere medikamentöse Therapien mit beispielsweise Östrogenen und Gestagenen sowie Omega-3-Fettsäuren ist gering, sodass diese Verfahren nicht zu empfehlen sind. Eine neuartige Therapie wurde vor zwei Jahren von der FDA zugelassen. Das Allopregnanolon-Analogon Brexanolon wird als Infusion über 60 Stunden verabreicht und besserte bereits am Ende der Infusionsperiode die Depressionssymptome signifikant und damit viel schneller als herkömmliche Antidepressiva mit der typischen Wirklatenz von zwei Wochen [16].

Eine präventive Gabe von Antidepressiva, um postpartalen Depressionen vorzubeugen, wird derzeit aufgrund geringer Evidenz nicht angeraten. Allerdings haben sich psychotherapeutische Maßnahmen in der Prophylaxe von Wochenbettdepressionen bewährt und werden gerade bei Frauen mit erhöhtem Depressionsrisiko durch frühere Depressionen oder depressive Symptome während der Schwangerschaft empfohlen [3]. |
 

Literatur

 [1] Stewart DE, Vigod SN. Postpartum Depression: Pathophysiology, Treatment, and Emerging Therapeutics. Annu Rev Med 2019;70:183-196

 [2] Schipper-Kochems S et al. Postpartale depressive Störung – psychosomatische Aspekte. Geburtshilfe Frauenheilkd 2019;79:375-381

 [3] Unipolare Depression. S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Langfassung, 2. Auflage. Version 5. 2015 (abgelaufen), DGPPN, BÄK, KBV, AWMF (Hrsg.) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression

 [4] Schiller CE et al. The Role of Reproductive Hormones in Postpartum Depression. CNS Spectr 2015;20:48-59

 [5] O’Hara MW et al. Prospective study of postpartum blues. Biologic and psychosocial factors. Arch Gen Psychiatry 1991;48:801-806

 [6] Buckwalter JG et al. Pregnancy, the postpartum, and steroid hormones: effects on cognition and mood. Psychoneuroendocrinology 1999;24:69-84

 [7] Bloch M et al. Effects of gonadal steroids in women with a history of postpartum depression. Am J Psychiatry 2000;157:924-30

 [8] Cameron EE et al. Prevalence of paternal depression in pregnancy and the postpartum: an updated meta-analysis. J Affect Disord 2016;206:189-203

 [9] Scarff JR. Postpartum depression in men. Innov Clin Neurosci 2019;16:11-14

[10] Levis B et al. Accuracy of the Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) for screening to detect major depression among pregnant and postpartum women: systematic review and meta-analysis of individual participant data. BMJ 2020;371:4022

[11] Antenatal and postnatal mental health: clinical management and service guidance. National Institute for Health and Care Excellence, www.nice.org.uk/guidance/cg192, Zugriff am 10. Februar 2021

[12] Ging A. Postpartale Depression. Symptomatik, Prävention, Therapie. Gynäkologie 2016;1:14-18

[13] Gebler H, Kindl G. Pharmazie für die Praxis. 6. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag 2013

[14] Fischer A et al. Welche Medikamente sind in der Stillzeit erlaubt? Eine Übersicht für den Anästhesisten, Geburtshelfer und Kinderarzt. Wiener Medizinische Wochenschrift 2019;169:45-55

[15] Gentile S. Tricyclic antidepressants in pregnancy and puerperium. Expert Opn Drug Saf 2014;13:207-225

[16] Meltzer-Brody S et al. Brexanolone injection in post-partum depression: two multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled, phase 3 trials. Lancet 2018;392:1058-1070

[17] Informationen des Pharmakovigilanz - und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin (embryotox), www.embryotox.de/

Autor

Dr. Tony Daubitz, Studium der Pharmazie an der Universität Leipzig; Diplomarbeit in Basel an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu antientzündlichen Eigenschaften von Bambusextrakten; Promotion am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zur Pharmakologie von Anionenkanälen

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