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Beratung

Orientierung bei Halsschmerzen

Leitlinie empfiehlt Lokaltherapeutika

Halsschmerzen sind ein unspezifisches Symptom, meist einer mild verlaufenden Virus­infektion, in seltenen Fällen jedoch auch Vorbote lebensbedrohlicher Erkrankungen. Die aktuelle S3-Leitlinie „Halsschmerzen“ der Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin leitet den Arzt durch die Entscheidung, ob eine Einnahme von Antibiotika angebracht ist, gibt aber auch für die Apotheke relevante klare Empfehlungen zum Einsatz von Lokaltherapeutika. | Von Sabine Werner

50 bis 80% aller Halsschmerzen werden durch virale Infektionen der oberen Atemwege verursacht. Die Patienten sind in der Regel auch ohne medikamentöse Behandlung nach etwa einer Woche wieder beschwerdefrei. Trotzdem werden häufig – die Leitlinie spricht von 60% der Halsschmerz-Patienten, die einen Hausarzt aufsuchen – Antibiotika verordnet. Ziel der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) ist es, diese nicht nötigen Antibiotikaverschreibungen durch gezielte Diagnostik zu vermeiden. Sie gilt für Kinder ab drei Jahren, Jugendliche und Erwachsene. Nur anhand der Symptomatik lassen sich virale, bakterielle und nicht­infektiöse Ursachen von Halsschmerzen leider nicht differenzieren. Die Leitlinie enthält eine Gegenüberstellung von Merkmalen, die zumindest als Anhaltspunkt dienen können. So sind Halsschmerzen, die zeitgleich mit Husten, Schnupfen, Konjunktivitis, Diarrhö und Heiserkeit auftreten, eher viraler Genese, während bei einem sehr plötzlichen Beginn, gleichzeitigem Fieber, Patienten zwischen fünf und 15 Jahren, Lymphknotenschwellungen, Entzündung und Austreten von Wundsekret aus den Gaumenmandeln (Tonsillae palatinae) oder Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen als weitere Symptome eher an eine bakterielle Ursache zu denken ist.

Nach zwei Wochen zum Arzt

Bei Halsschmerzen, die länger als 14 Tage andauern, sollte an nicht-infektiöse Ursachen gedacht werden. Hierunter fallen zum Beispiel das Rauchen, nächtliches Schnarchen, eine Überbeanspruchung der Stimme, Reflux, Schilddrüsenerkrankungen, aber auch Nebenwirkungen von Medikamenten wie ACE-Hemmern oder inhalativen Glucocorticoiden. Berichtet ein Kunde in der Apotheke von Halsschmerzen über einen Zeitraum von mehr als 14 Tagen, vor allem ohne weitere Symptome, die auf eine Infektion hindeuten, sollte er daher zur Abklärung an den Arzt verwiesen werden.

Während banale virale Atemwegsinfekte selbstlimitierend sind, können Halsschmerzen in einigen wenigen Fällen auch Symptom ernsthafter, sogar lebensbedrohlicher Erkrankungen sein. Die Leitlinie erläutert hierzu verschiedene Differenzialdiagnosen, die ausgeschlossen werden müssen. Ein viraler Infekt, der vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu schweren Verläufen führen kann, ist die Infektiöse Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber), ausgelöst durch das Epstein-Barr-Virus (EBV). Hier verursacht die Entzündung von Rachenschleimhaut und Mandeln starke Halsschmerzen, darüber hinaus kann es zur massiven Anschwellung der Tonsillen kommen. Begleitend haben die Patienten Fieber sowie ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl mit Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen. Eine kausale Therapie existiert nicht, körperliche Schonung und Flüssigkeitszufuhr sind wichtig.

Unter den bakteriellen Infektionen sind beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GAS) die häufigsten Auslöser von Halsschmerzen. Sie führen zu einer Mandelentzündung (GAS-Tonsillopharyngitis), die gehäuft im Alter von fünf bis 15 Jahren auftritt. Die Halsschmerzen beginnen plötzlich und sind auch hier von schweren Krankheitszeichen wie Fieber oder Kopfschmerzen begleitet. In der Regel klingt auch die GAS-Tonsillopharyngitis innerhalb von einer Woche von selbst wieder ab, so dass eine Antibiotikatherapie nicht automatisch indiziert ist. Ebenfalls durch beta-hämolysierende Streptokokken ausgelöst wird Scharlach, auch diese Infektionskrankheit tritt verstärkt bei Kindern und Jugendlichen im Alter von fünf bis 15 Jahren auf. Typisch sind neben einer Entzündung der Gaumenmandeln hohes Fieber, die intensiv rote „Himbeerzunge“ und das Scharlachexanthem, vor allem am Oberkörper. Diese Patienten zu erkennen ist wichtig, da sie aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr vom Besuch von Schule und Kindergarten ausgeschlossen werden müssen (§ 34 IfSG). Eine wichtige Differenzialdiagnose ist auch die Epiglottitis – eine oft durch Haemophilus influenzae Typ B (HiB) verursachte Entzündung des Kehlkopfdeckels. Die Infektion mit einer hohen Letalität von bis zu 20% führt zu lebensbedrohlicher Atemnot durch das starke Anschwellen von Kehlkopf und Kehldeckel.

Die Therapieempfehlungen der Leitlinie bei Halsschmerzen gliedern sich in drei Gruppen: alarmierende Begleitsymptome, bei denen eine sofortige Klinikeinweisung indiziert ist, Red Flags, bei denen eine genauere Diagnostik und Beratung des Patienten nötig ist, und Erkrankungen, die voraussichtlich ohne medikamentöse Behandlung von selbst abklingen.

Eine sofortige Vorstellung in der Klinik ist bei Verdacht auf folgende Erkrankungen angezeigt:

  • starke Beeinträchtigung der Atmung und ungewöhnliche Atemgeräusche (Stridor); hier besteht der Verdacht auf Epiglottitis oder Pfeiffersches Drüsenfieber mit Gefahr der Verlegung der Atemwege
  • Verdacht auf systemische Erkrankungen wie Meningitis, Diphtherie oder Kawasaki-Syndrom
  • Abszesse mit starker Eiterbildung
  • drohende Exsikkose, weil durch starke Schluckbeschwerden zu wenig Flüssigkeit aufgenommen wird

Bei diesen Erkrankungen, die die Leitlinie als „abwendbar gefährliche Verläufe“ (AGF) bezeichnet, sind die Patienten allerdings in einem so schlechten Allgemeinzustand, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie die Apotheke zur Beratung aufsuchen.

Verweis an den Arzt

Im Kopf haben sollten wir dagegen die „Red Flags“: Kriterien, bei denen die Leitlinie eine weitergehende Diagnostik empfiehlt, sprich bei denen wir Kunden statt Beratung zur Selbstmedikation an den Arzt verweisen sollten:

  • immunsupprimierte Patienten (z. B. bei Neutropenie, AIDS oder medikamentöse Immunsuppression durch systemische Glucocorticoide oder Zytostatika)
  • Halsschmerzen als Begleitsymptom schwerer Infektionen an anderer Stelle wie Bronchitis, Otitis media, Sinusitis oder Pneumonie
  • Verdacht auf Scharlach oder Pfeiffersches Drüsenfieber
  • „schwere Komorbiditäten“, die nicht näher definiert werden
  • Alter unter drei Jahren
  • Patientengruppen mit erhöhtem Risiko für Akutes Rheumatisches Fieber

Akutes rheumatisches Fieber (ARF) tritt zwei bis drei Wochen nach einer Infektion mit beta-hämolysierenden Streptokokken vor allem bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf. Es ist eine schwerwiegende systemische Komplikation der Infektion mit Fieber und häufig Arthritiden (Entzündungen der Gelenke) oder Carditis (Entzündungen am Herzen). Die Inzidenz ist in den westlichen Ländern stark rückläufig, in Deutschland beträgt die Jahresinzidenz 0,1 pro 100.000 Einwohner. Ein erhöhtes Risiko, wie oben bei den Red Flags genannt, definiert die Leitlinie für Menschen, die mit überdurchschnittlich vielen Menschen in einem Haushalt zusammenleben (Crowding), sowie für Patienten, die zu Bevölkerungsgruppen mit hoher Inzidenz gehören oder aktuell aus Regionen mit hoher Inzidenz eingewandert sind (z. B. Subsahara-Staaten, Süd- und Zentralasien oder Ozeanien).

Für Patienten mit akuten Halsschmerzen ohne Red Flags empfiehlt die Leitlinie zunächst eine Aufklärung des Patienten, dass die Erkrankung vermutlich innerhalb von einer Woche von selbst wieder abklingen wird und das Risiko für Komplikationen sehr gering ist. Eine medikamentöse Therapie ist nicht zwingend notwendig. Verschiedene nichtmedikamentöse Maßnahmen können empfohlen werden, vor allem eine ausreichende Trinkmenge und körperliche Schonung, bei Fieber Wadenwickel und gegen die Halsschmerzen wirkstofffreie Lutschtabletten oder Lutschbonbons. Letztere wirken durch die vermehrte Speichelproduktion und damit Befeuchtung der Schleimhäute bereits schmerzlindernd. Keine explizite Erwähnung in der Leitlinie finden die in der Apotheke häufig empfohlenen Wirkstoffe zur Befeuchtung der Schleimhäute wie Hyaluronsäure oder Isländisch Moos. Ordnet man sie allgemein der Maßnahme „Lutschen zur Anregung der Speichelproduktion“ unter, erscheint ihre Empfehlung jedoch berechtigt. Die Leitlinie spricht den aufgezählten nichtmedikamentösen Maßnahmen explizit keine belegte Wirksamkeit zu, sondern bezeichnet sie als „Hausmittel ohne Schadenspotenzial“, die „einer unnötigen Medikalisierung der Patienten entgegenwirken“.

Lokalanästhetika und NSAR

Ist eine lokale medikamentöse Therapie gewünscht, empfehlen die Leitlinienautoren für die symptomatische Therapie Lokalanästhetika und NSAR. Für alle lokal applizierten Wirkstoffe wird auf die Allergiegefahr hingewiesen. Bei Lokalanästhetika werden zusätzlich als Nebenwirkung seltene Fälle von Methämoglobinämie, bei den Flurbiprofen-haltigen Präparaten unerwünschte Wirkungen wie Schmeckstörungen, Taubheit, trockener Mund und Übelkeit erwähnt, die bei 30 bis 50% der Anwender auftreten. Die Wirksamkeit dieser Präparate wird als evident, aber schwach bezeichnet (1 Punkt auf einer elfstufigen Schmerzskala). Als traditionell angewendete Wirkstoffe zählt die Leitlinie Salbei, Süßholz und Thymian auf. Für ein Salbei enthaltendes Rachenspray werden dabei positive Studienergebnisse ausdrücklich erwähnt (Tab.). Auch wenn die Leitlinienautoren den Phytopharmaka keine belegte Evidenz zusprechen, spricht analog zu den befeuchtenden Präparaten nichts gegen ihre Anwendung.

Tab.: Lutschtabletten (Beispiele) gegen Halsschmerzen und die enthaltenen Wirkstoffe
Wirkstoff
Präparate (Beispiele)
Ambroxol
Mucoangin® gegen Halsschmerzen
Benzocain, Tyro­thricin
Dorithricin® Halstabletten
Benzocain Cetylpyridiniumchlorid
Dolo-Dobendan®
Benzydamin
neo-angin Benzydamin gegen akute Halsschmerzen, Tantum Verde®
Flurbiprofen
Dobendan® direkt, Flurbiprofen AL
Lidocain
Trachilid® Halsschmerztabletten
Lidocain, Tyrothricin, Cetrimoniumbromid
Lemocin® gegen Halsschmerzen

Nicht sinnvoll: Antibiotika und Antiseptika

Ausdrücklich abgeraten wird dagegen von Lokaltherapeutika, die Antibiotika oder Antiseptika enthalten. Die Anwendung topischer Antibiotika bei den meist durch Viren verursachten Halsschmerzen bezeichnen die Leitlinienautoren als „a priori nicht sinnvoll“. Zu den Antiseptika führen sie aus, dass diese konzentrationsabhängig zytotoxisch wirken, also ausreichend hoch dosiert vorliegen müssen, und zudem nur auf der Oberfläche der Schleimhäute wirken, während das Entzündungsgeschehen auch in tieferen Gewebeschichten stattfindet.

Die systemische Therapie mit NSAR wird von der Leitlinie positiv bewertet, empfohlen werden die Wirkstoffe Ibuprofen und Naproxen. Ibuprofen ist in einer maximalen Tagesdosis von dreimal 400 mg von der Verschreibungspflicht ausgenommen, Naproxen ab einem Alter von zwölf Jahren in einer maximalen Tagesdosis von dreimal 250 mg. Die Fachinformationen empfehlen, die Selbstmedikation bei Schmerzen auf eine Dauer von vier Tagen zu begrenzen.

Ausführlich geht die Leitlinie auf das Thema Antibiotikaverordnung bei Halsschmerzen ein. Liegen keine Red Flags vor, ist eine Antibiotikatherapie niemals zwingend. Wie sinnvoll sie wäre, soll der Arzt durch Ermittlung eines klinischen Scores abschätzen. Der gut validierte Centor-Score wird für Patienten über 15 Jahren von den meisten internationalen Leitlinien empfohlen. Er fragt ab, ob Fieber vorliegt, ob Husten fehlt, ob die Lymphknoten am Hals geschwollen sind und ob die Gaumenmandeln vergrößert oder belegt sind – je mehr Punkte zutreffen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bakterielle Infektion vorliegt. Der McIsaac-Score als Weiterentwicklung bezieht das Alter des Patienten ein: Unter 15 Jahren erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, über 45 Jahren erniedrigt sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Antibiotikatherapie benötigt wird. Alternativ kann auch der neuere und noch nicht extern validierte FeverPain-Score angewendet werden. Bei einem Score-Ergebnis von bis zu 2 Punkten lehnt die Leitlinie eine Antibiotikatherapie ab. Bei einem Score von 3 Punkten sollte ein Antibiotikum nur mittels „delayed prescribing“ verordnet werden. Dabei wird beim Arztbesuch ein Rezept für ein Antibiotikum mitgegeben und der Patient angewiesen, es erst nach drei bis fünf Tagen einzulösen, falls die Beschwerden sich nicht gebessert haben. Dieses Vorgehen reduziert den Antibiotikaverbrauch signifikant. Nur wenn 4 Punkte in einem der Scores erreicht werden, kann eine sofortige antibiotische Therapie angeboten werden, wenn der Arzt dies sinnvoll findet oder der Patient dies wünscht. Für Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre empfiehlt die Leitlinie einen Schnelltest auf Streptokokken der Gruppe A – fällt dieser negativ aus, sollte ungeachtet der Scores auf eine Antibiotikatherapie verzichtet werden. Das Antibiotikum der Wahl ist Penicillin V (Phenoxymethyl­penicillin). Bei Penicillinunverträglichkeit kann auf Clarithromycin ausgewichen werden. Empfohlen wird eine Therapiedauer von fünf bis sieben Tagen, bis die Symptome abgeklungen sind. Für diese kurze Therapiedauer besteht laut Leitlinie zunehmende Evidenz. Nur bei erhöhtem Risiko für Komplikationen soll eine vollständige Eradikation des Erregers mit einer Zehn-Tages-Therapie angestrebt werden. Zeigt sich unter einer Antibiotikatherapie nach drei bis vier Tagen noch kein Rückgang der Beschwerden bzw. nehmen die Beschwerden sogar zu, soll die Therapie nochmals evaluiert und gegebenenfalls beendet werden, da mit zunehmender Therapiedauer das Risiko für Nebenwirkungen und Resistenzbildung ansteigt.

Resistenzbildung vermeiden

Die Leitlinienautoren weisen für die Entscheidungsfindung pro oder contra Antibiotikum ausdrücklich darauf hin, dass eine antibiotische Therapie den Krankheitsverlauf im Schnitt um lediglich 16 Stunden verkürzt, und dass sie nur bei 0,5% der behandelten Patienten Komplikationen verhindert. Vor allem vor dem Auftreten des gefürchteten Akuten Rheumatischen Fiebers schützt ein Antibiotikum nicht. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass bei etwa 10% der mit Antibiotikum Behandelten Nebenwirkungen auftreten werden. Zudem erhöht jede Antibiotikatherapie das generelle Risiko der Resistenzbildung. |

Literatur

Halsschmerzen. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V.; AWMF-Register-Nr. 053-010, DEGAM-Leitlinie Nr. 14; Stand: Oktober 2020

Autorin

Dr. Sabine Werner studierte Pharmazie in München und Berlin. Nach ihrer Promotion arbeitete sie in einer Krankenhausapotheke in Tansania, später in einer öffent­lichen Apotheke in Deutschland. Seit 2010 unterrichtet sie an der Berufsfachschule für pharmazeutisch-technische Assistenten in München.

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