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Pandemie Spezial
Für und wider Pulsoxymeter
Wie können COVID-19-Patienten zu Hause eine drohende Verschlechterung erkennen?
Vier von fünf COVID-19-Erkrankungen verlaufen mild bis moderat. Bei etwa 14% tritt ca. sieben bis zehn Tage nach Symptombeginn eine klinische Verschlechterung mit Dyspnoe und / oder Hypoxämie auf. Dabei ist in vielen Fällen das Phänomen der „stillen Hypoxämie“ zu beobachten: Trotz deutlich eingeschränkter Oxygenierung spüren die Patienten keine wesentliche Luftnot, können sich unterhalten, essen, trinken, manche laufen problemlos herum [1]. „Sie haben dann zwar ein Krankheitsgefühl und oft eine erhöhte Temperatur, doch in der Regel keine Atemnot – obwohl wir im CT schon entzündliche Veränderungen der Lunge sehen können“, beschreibt Facharzt Jens Geiseler von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin die stille Hypoxie [2]. Der Sauerstoffmangel ohne Atemnot sei verwirrend und tückisch, denn spätestens beim Auftreten von Atemnot realisieren Patienten, dass sie einen Arzt kontaktieren müssen. Bleibt dieses Warnzeichen aus, können Lungenschäden rasch fortschreiten, und der Patient ist womöglich schon bei Klinikeinweisung ein Fall für die Intensivstation. Um dem Problem der unbemerkt fortschreitenden Lungenentzündung vorzubeugen, empfehlen manche Experten Menschen mit diagnostizierter SARS-CoV-2-Infektion, sich ein Pulsoxymeter zuzulegen. Damit sollen sie während ihrer Isolation die Sauerstoffsättigung im Blut überwachen, um einen kritischen Verlauf zu erkennen. Doch es gibt auch Zweifel, dass die Sättigung ein zuverlässiger Parameter ist, und ob Heimgeräte überhaupt zur Überwachung taugen.
Unterschiedlich genaue Geräte
Pulsoxymeter werden seit den 1980er-Jahren als nichtinvasives Verfahren in der klinischen Routine eingesetzt: Im Rettungsdienst, in der Anästhesie, der Schlafmedizin, auf Intensiv- und Frühgeborenenstationen sind sie Teil des Standardmonitorings. Außerhalb der Klinik werden sie von Sportfliegern genutzt, um eine Hypoxämie in großen Höhen zu erkennen, von Bergsteigern, um Hinweise auf eine drohende Höhenkrankheit zu erhalten. Auch im privaten Bereich werden Pulsoxymeter, Wearables mit integrierten Pulsoxymetern oder Smartphones mit entsprechendem Sensor verwendet. Im Zuge der COVID-19-Pandemie empfahl der Notfallmediziner Richard Levitan schon im April 2020 die Verwendung von Pulsoxymetern zur häuslichen Überwachung von Infizierten, damit diese rechtzeitig feststellen können, wann eine stationäre Behandlung angezeigt ist. Als Begründung führte er aus, dass die geschädigten Lungen auch bei sinkender Sauerstoffabsorption noch eine gewisse Zeit Kohlendioxid abatmeten, so dass die Patienten keine Atemnot spürten trotz drohendem schwerem Krankheitsverlauf [3].
Contra: Atemfrequenz schlägt Oxymetrie
Der Facharzt Jens Geiseler sieht die Empfehlung in einer Meldung vom Dezember 2020 kritisch [2]. Zum einen wegen technischer Limitation beim Heimgebrauch: Nach aktuellen Studienergebnissen seien Heim-Pulsoxymeter für die Überwachung von COVID-19-Patienten zu ungenau, und zwar gerade in den relevanten Bereichen niedriger Hämoglobin-Sättigung. Vier von sechs geprüften einfachen „Stand-alone“-Pulsoxymetern erreichten nicht die Genauigkeitsanforderungen der International Organization for Standardization [4]. Solche Pulsoxymeter, die es in Apotheken, Drogeriemärkten und im Online-Handel gibt, seien genau wie Smartwatches und Smartphones mit dieser Funktion eben nicht für die medizinische Anwendung gemacht, so Geiseler, sondern für Fitnesszwecke. Zudem könnten viele Faktoren die heimische Messung verzerren, wie Armhaltung, Nagellack, Lichtverhältnisse, allgemeiner Zustand der Gefäße usw.
Wie funktioniert die Pulsoxymetrie?
Viele kennen den rot leuchtenden Clip am Finger oder Ohr aus dem Krankenhaus: Das Pulsoxymeter misst nichtinvasiv Pulsfrequenz und die arterielle Sauerstoffsättigung des Blutes. Die Sauerstoffsättigung (sO2) gibt an, wie viel Prozent des gesamten Hämoglobins im Blut mit Sauerstoff beladen sind [5]. Pulsoxymeter sind speziell auf diese Anwendung optimierte Spektralphotometer. Sie nutzen den Umstand, dass der gesättigte Blutfarbstoff vor allem rotes Licht absorbiert, das ungesättigte Hämoglobin hingegen Licht im infraroten Bereich. Das Messgerät arbeitet daher mit zwei monochromatischen Leuchtdioden von 660 nm (rot) bzw. 905 bis 920 nm (infrarot). Auf der anderen Seite des Fingers oder Ohrläppchens misst eine Fotodiode den Lichtdurchgang. Das Licht passiert die Haut, das Blut und verschiedene Gewebe, die alle die optische Absorption beeinflussen. Es interessiert aber nur die Menge des Lichtes, die das arterielle Blut aufnimmt. Diese berechnet der Computer so: Gewebe und venöses Blut nehmen einen konstanten Teil des Lichtes aus den LED auf – die Hintergrundabsorption. Das arterielle Blut passiert die Dioden hingegen pulsförmig bei jedem Herzschlag. Zum Zeitpunkt des Pulsschlages wird mehr Licht absorbiert – die Spitzenabsorption. Der Computer subtrahiert die Hintergrund- von der Spitzenabsorption und vergleicht außerdem die Absorption bei 660 und 940 nm. Aus diesen Messdaten wird der Anteil an gesättigtem und ungesättigtem Hämoglobin im arteriellen Blut errechnet.
Was sagen die verschiedenen Sauerstoffwerte aus?
Der pulsoxymetrisch ermittelte Wert wird als funktionelle bzw. partielle Sauerstoffsättigung SpO2 bezeichnet. Nur bei Kindern und jungen Erwachsenen erreicht die Sauerstoffsättigung auf Meeresniveau einen Wert nahe 100%. Als Normalbereich gelten 94 bis 97%. Bei älteren oder lungenkranken Menschen gelten Werte um 90% als tolerierbare Sättigung.
Die Sauerstoffsättigung hängt ab vom Sauerstoffpartialdruck (pO2 [mmHg]) im Blut. Weil die Bindungsfähigkeit des Hämoglobins für O2 von der Zahl bereits gebundener Moleküle abhängt, steigt die Sättigung nicht linear, sondern flacht mit zunehmendem Sauerstoffpartialdruck ab.
Eine erniedrigte Sättigung können Trainierte, z. B. Bergsteiger in großer Höhe, durch einen hohen Hämoglobingehalt im Blut kompensieren. Denn entscheidend für die Versorgung der Körperzellen mit O2 ist der periphere Sauerstoffgehalt des Blutes (cO2), also das Volumen Sauerstoff in ml, das in 100 ml Blut enthalten ist. Diese Menge setzt sich aus dem chemisch an Hämoglobin (Hb) gebundenen und dem im Blut gelösten Sauerstoff zusammen. Der Sauerstoffgehalt im arteriellen Blut (caO2) hat eine hohe diagnostische Aussagekraft für die Versorgung des Patienten mit Sauerstoff. Bedingt durch die geschlechtsunterschiedlichen Normwerte des Hämoglobins liegt der Sauerstoffgehalt bei Männern bei 20,4 ml/dl und bei Frauen bei 18,6 ml/dl. Ein Unterschreiten des arteriellen Sauerstoffgehaltes unter die Normwerte wird als arterielle Hypoxämie bezeichnet. Ein Sinken des caO2 unter 12 ml/dl gilt als kritisch.
Schwerer wiege noch, dass die Sauerstoffsättigung allein kein ausreichend verlässlicher Parameter für ein frühzeitiges Erkennen gefährlichen COVID-19-Verläufe sei, betont Geiseler. Entscheidend für die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff ist der Sauerstoffgehalt im Blut (cO2), der sich aus an Hb gebundenem und gelöstem Sauerstoff zusammensetzt (s. Kasten „Wie funktioniert die Pulsoxymetrie?“). Eine niedrige Sauerstoffkonzentration im Blut kompensieren Patienten, indem sie - unbewusst - schneller und tiefer atmen. Diese physiologische Reaktion heizt das Entzündungsgeschehen an, Gewebewasser und Entzündungszellen wandern in die Alveolen ein, stören die Sauerstoffdiffusion. Obwohl die Alveolen zu wenig Sauerstoff aufnehmen, könne die schnelle Atmung die gemessene Sauerstoffsättigung in solchen Fällen noch hochtreiben. Deshalb rät der Facharzt, die Atemfrequenz an sich im Blick zu behalten: „Sie ist für uns der viel empfindlichere und bessere Parameter in solchen Fällen“. Normalerweise atme man 12 bis 16 Mal pro Minute. „Die Patienten, die in der Frühphase einer Lungenentzündung zu uns kommen, haben häufig eine Atemfrequenz von 22 bis 24 Zügen pro Minute, aber keine Luftnot.“ Er rät Menschen, die sich mit Corona infiziert haben, „auf jeden Fall wachsam zu bleiben – gerade, wenn die ersten Symptome nach einigen Tagen abgeklungen sind“. Die Entzündungen in der Lunge beginnen nach bisherigem Kenntnisstand oft erst an Tag 6 bis 7. „Wenn es dann wieder losgeht mit schnellerer Atmung, würde ich das abklären lassen. Ich würde aber nicht dazu aufrufen, dass jeder sich als Kontrollgerät ein Pulsoxymeter zulegt,“ bilanziert Geiseler.
Das sollten Anwender von Pulsoxymetern zu Hause beachten
- nur zertifizierte Geräte verwenden, Standalone-Geräte eher als Smartphone-Applikationen
- Geräte sollten die Stärke des Pulssignals anzeigen
- nur in Innenräumen messen, in Ruhe und bei ruhigem Atmen
- den Clip an Zeige- oder Mittelfinger anbringen, nicht an Ohrläppchen oder Zehen
- Nagellack vom betreffenden Finger entfernen
- kalte Finger vor der Messung wärmen
- Messwert für 30 bis 60 Sekunden beobachten und den Mittelwert nehmen (dabei nur Messwerte mit einem starken Pulssignal verwerten, sofern das anzeigbar ist)
- zwei- bis dreimal täglich messen
(nach [4])
Pro: Pulsoxymeter spiegeln den Verlauf
„Der Zusammenhang zwischen Symptomen wie Luftnot und objektivierbaren Parametern wie Sauerstoffsättigung ist nicht 100%ig“, bestätigt Prof. Dr. Klaus Rabe, Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Dennoch hält er die häusliche Pulsoxymetrie durchaus für ein plausibles und zulässiges Vorgehen, um einen drohenden schweren Verlauf zu erkennen – unter bestimmten Voraussetzungen. „Subjektiv empfundene Luftnot ist ein schwer objektivierbarer Befund, in den nicht nur der Sauerstoffabfall, sondern auch die Funktionalität der Atemmuskulatur, das Alter, Vorerkrankungen, die subjektive Perzeption des Patienten usw. hineinspielen“ erklärt Rabe. Es sei wichtig, nicht nur einzelne Parameter wie Sauerstoffwerte oder die Atemfrequenz zu sehen, um den Verlauf zu beurteilen. „Allerdings kann man kaum abstreiten, dass, ungeachtet weiterer Einflussfaktoren, ein Abfall der Sättigung stets die Luftnot befördert, das gilt für Kranke wie Gesunde.“ Daher sei es plausibel, unter definierten Bedingungen den Verlauf der Sättigung zu beobachten und absolute Untergrenzen nur mit Blick auf den individuellen Patienten festzulegen. Beispiel: „Ein COVID-19-Patient, der zu Beginn der Quarantäne mit 93% Sättigung gemessen wird, sollte bei einem wiederholt messbaren Abfall um 5% den Arzt kontaktieren. Als Untergrenze würde ich bei Patienten ohne Vorerkrankungen 90% Sättigung ansehen, bei älteren Patienten oder solchen mit einer Lungenerkrankung wie COPD, die mit niedrigeren Werten klarkommen, dürfen es auch 88% sein.“ Als weitere Voraussetzungen sieht Rabe den ausschließlichen Einsatz zertifizierter Geräte und die Fähigkeit des Patienten oder einer betreuenden Person, die Messungen regelmäßig und korrekt vorzunehmen. Unter diesen Bedingungen böten Pulsoxymeter einen relativ objektiven Anhalt für eine drohende Verschlechterung. Objektiver noch als das Beobachten der Atemfrequenz, deren Veränderung die Patienten selbst meist kaum wahrnähmen. |
Literatur
[1] Hinweise zu Erkennung, Diagnostik und Therapie von Patienten mit COVID-19, Informationen des Ständigen Arbeitskreises der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger (STAKOB) am Robert Koch-Institut (RKI), Stand 28. Januar 2021, www.rki.de/covid-19-therapie-stakob, DOI 10.25646/6539.20
[2] dpa. Wie am besten Covid-19 zu Hause überwachen? Informationen der Deutschen Lungenstiftung e. V. vom 25. Dezember 2020, www.lungenaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/wie-am-besten-covid-19-zu-hause-ueberwachen/
[3] Levitan R. The Infection That’s Silently Killing Coronavirus Patients. The New York Times 20. April 2020, www.nytimes.com/2020/04/20/opinion/sunday/coronavirus-testing-pneumonia.html
[4] Luks AM, Swenson ER. Pulse Oximetry for Monitoring Patients with COVID-19 at Home. Potential Pitfalls and Practical Guidance. Ann Am Thorac Soc 2020;17(9):1040-1046, doi: 10.1513/AnnalsATS.202005-418FR
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