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Gutachten
MVZ - zukunftsweisend oder problematisch?
Zwei Gutachten zu Medizinischen Versorgungszentren mit unterschiedlichem Tenor
MVZ wurden 2004 als neuer Typ des vertragsärztlichen Leistungserbringers eingeführt – 15 Jahre später gab das BMG ein juristisches und gesundheitsökonomisches Gutachten zur Weiterentwicklung der MVZ in Auftrag, das im November 2020 vorgelegt wurde. Autoren sind die Juristen Prof. Dr. Andreas Ladurner, Aalen, und Prof. Dr. Ute Walter, München, sowie die Gesundheitsökonomin Prof. Dr. Beate Jochimsen, Berlin, die dem Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen angehört. Die Gutachter betonen die grundlegenden Änderungen, die mit der Einführung der MVZ verbunden waren. Die Zulassung eines institutionellen Leistungserbringers habe mit dem bis dahin für den ambulanten Bereich prägenden Dogma ausschließlich personeller Leistungserbringer gebrochen. Außerdem sei der Kreis der potenziellen Inhaber von MVZ nicht auf Vertragsärzte beschränkt, sondern zunächst auf alle Leistungserbringer im GKV-System erweitert worden. Allerdings wurde 2012 der Kreis der Gründer auf zugelassene Ärzte und Krankenhäuser, nichtärztliche Dialyseleistungserbringer und gemeinnützige Träger eingeschränkt.
MVZ: Tendenz zunehmend
Das Gutachten beschreibt die Entwicklung der Regularien für MVZ und bietet eine umfassende Bestandsaufnahme. Demnach dominieren MVZ mit ausschließlich angestellten Ärzten. Ihre Zahl ist seit 2004 kontinuierlich gestiegen, Ende 2018 waren dies 2480 MVZ. Dagegen stagniert die Zahl der MVZ mit Vertragsärzten schon lange, Ende 2018 gab es 114 MVZ ausschließlich mit Vertragsärzten und 453 MVZ mit Vertragsärzten und angestellten Ärzten. Ende 2018 waren in MVZ 18.101 angestellte Ärzte und 1639 Vertragsärzte tätig. Nur 38 Prozent der angestellten Ärzte arbeiteten mehr als 30 Wochenstunden. In 31 Prozent der MVZ waren sieben oder mehr Ärzte tätig. Unter den Trägern dominieren die Krankenhäuser mit 1387 und die Vertragsärzte mit 1355 MVZ (jeweils Stand Ende 2018). Aussagen zur räumlichen Verteilung seien schwer zu treffen, weil die Statistiken der Kassenärztlichen Bundesvereinigung jeweils nur die Hauptbetriebsstätten berücksichtigen. Die in der Fachöffentlichkeit teilweise vertretene These, bei einzelnen Arztgruppen bestünden regional oligopolartige MVZ-Strukturen, die jungen Ärzten den Einstieg in die Selbstständigkeit erschweren, konnten die Gutachter weder erhärten noch widerlegen.
Seit 2015 auch für Zahnärzte
Im Juli 2015 entfiel die Voraussetzung, dass MVZ fachübergreifend organisiert sein müssen. Daraufhin konnten unter anderem auch rein zahnmedizinische MVZ (zMVZ) gegründet werden. Inzwischen sind etwa 5 Prozent der Zahnärzte in der vertragszahnärztlichen Versorgung in MVZ tätig. Ende 2019 existierten 950 zMVZ. Die Zahl der zahnärztlichen Berufsausübungsgemeinschaften sank von 8462 im Jahr 2015 auf 7478 im Jahr 2019. Über 80 Prozent der zMVZ befinden sich in zahnärztlicher Trägerschaft, allerdings hat sich der prozentuale Anteil der zMVZ mit Krankenhäusern als Trägern von 2016 bis 2019 auf 17,4 Prozent der zMVZ verdreifacht. Im Jahr 2019 waren nur 19 Prozent der zMVZ im ländlichen Raum angesiedelt, obwohl dort 32,1 Prozent der Bevölkerung leben und 30,4 Prozent der zahnärztlichen Berufsausübungsgemeinschaften arbeiten.
Neue Regeln für MVZ?
Da MVZ nicht mehr fachübergreifend sein müssen, habe sich das MVZ von einer Versorgungsform zu einer Organisationsform entwickelt. Daraufhin schlagen die Gutachter vor, eine Mindestgröße von drei vollen Versorgungsaufträgen festzuschreiben – mit Ausnahmen für unterversorgte Planungsbereiche. Die unterschiedlichen Leitbilder für eine Institution mit mehreren Angestellten im MVZ und für die persönliche Leistungserbringung bei einzelnen Ärzten und Berufsausübungsgemeinschaften rechtfertigen nach Einschätzung der Gutachter die verschiedenen Regeln zur Höchstzahl der angestellten Ärzte und zur Wahl der Rechtsform. Im Zusammenhang mit aktuellen Rechtsfragen zu den Bewerbungsmöglichkeiten für MVZ bei der Nachfolgerauswahl für Arztsitze empfehlen die Gutachter, die sogenannte Konzeptbewerbung ohne Verweis auf bereits im MVZ tätige Ärzte aufzugeben, die Bewerbung zwingend an einen im MVZ tätigen Arzt zu koppeln und die anschließende „freie“ Nachbesetzbarkeit von Stellen aus Praktikabilitätsgründen beizubehalten.
Unklare Folgen für die Versorgungsqualität
Der Gesetzgeber hat den Zugang nicht-ärztlicher Träger zu MVZ durch einige regulatorische Verschärfungen erschwert. Doch auch selbstständige Ärzte müssten einen Gewinn anstreben, und die ökonomische Theorie unterscheide keine „guten“ und „schlechten“ Eigentümer, halten die Gutachter entgegen. Da aus ökonomischen Theorien keine Empfehlungen zu bestimmten Trägertypen abzuleiten seien, sollten empirische Befunde zur Versorgungsqualität gesucht werden. Allerdings sei die Datenlage dafür unzureichend, zumal die Beteiligungsstruktur von MVZ nur schwer zu ermitteln und damit schon die Zuordnung zu Inhabertypen schwierig sei. Das Kernproblem sei jedoch die Messung der Versorgungsqualität. Die Gutachter verweisen ersatzweise auf Untersuchungen zum stationären Sektor, mahnen aber zur Vorsicht bei diesem Analogieschluss. Für die USA seien keine konsistenten signifikanten Unterschiede in der Effizienz oder der Versorgungsqualität zwischen gewinnorientierten und anderen Krankenhausträgern zu finden. Für Deutschland seien die Ergebnisse so unterschiedlich, dass keine allgemeingültigen Aussagen möglich seien. Wenn überhaupt, könnte ein Unterschied zugunsten privater Träger gefunden werden. Zudem verweisen die Gutachter auf die in den USA geführte Diskussion über Gesundheitseinrichtungen im Eigentum von Ärzten. Dort werde umgekehrt zu den Befürchtungen in Deutschland diskutiert, ob diese Struktur zu Fehlanreizen bei den Ärzten führen könnte, die ihr Einkommen maximieren möchten. Letztlich folgern die Gutachter, dass die Bedenken hinsichtlich der Versorgungsqualität in deutschen MVZ in Investorenhand nach dem derzeitigen Stand der Gesundheitsökonomie weder bestätigt noch entkräftet werden können.
Mehr Schutz vor sachfremden Einflüssen?
Für das Verbot, ein MVZ als Aktiengesellschaft zu betreiben, sehen die Gutachter kaum schlüssige Begründungen. Dies sei jedoch praktisch kaum relevant, weil dies nur für das MVZ selbst, aber nicht für die Träger gilt. Außerdem hätten sich die Betroffenen darauf eingestellt, sodass eine Änderung nicht zwingend geboten sei. Ein wesentliches Schutzinstrument sei die Begrenzung des Gründerkreises. Doch die Gutachter betrachten die Regelung als inkonsequent, weil nicht-ärztliche Dialyseleistungserbringer ein MVZ gründen dürfen, andere nicht-ärztliche Leistungserbringer dagegen nicht. Die Gefahrenprognose des Gesetzgebers zu sachfremden Einflüssen durch die Träger sei zunehmend begründungsbedürftig, weil bisher keine Evidenz für Versorgungsprobleme durch MVZ im Fremdbesitz bestehe. Außerdem sei schwer nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber Leistungserbringer in Investorenhand im ambulanten Bereich anders als bei Krankenhäusern behandelt. Die Gutachter sehen die geltenden Beschränkungen „noch“ vom gesetzgeberischen Einschätzungsspielraum geschützt, aber dies sei laufend zu prüfen, wenn MVZ auch künftig ohne Beanstandung arbeiten. Als problematisch bewerten die Gutachter die Versorgungshöchstquoten für zMVZ. Ein intensiviertes Gutachterverfahren zur Genehmigung von Zahnersatz sei dagegen eine zielgerichtetere und mildere Maßnahme.
„Dies könnte langfristig zu einer Aufweichung des Fremdbesitzverbots bei Apotheken durch die Hintertür führen.“
Die Gutachter sehen keinen Bedarf für zusätzliche Maßnahmen zum Schutz vor sachfremden Einflüssen durch die Träger, befürworten aber eine weitere Stärkung der Funktion des ärztlichen Leiters, insbesondere durch einen umfangreichen Abberufungs- und Kündigungsschutz. Die Gutachter raten davon ab, Krankenhäusern die Gründung von MVZ außerhalb ihres Einzugsbereichs zu verwehren. Denn dies würde große Krankenhausketten bevorzugen. Überdies begünstige die Beschränkung der Gründer auf Ärzte und Krankenhäuser große Investoren, die Krankenhäuser erwerben können, gegenüber kleineren nicht-ärztlichen Leistungserbringern. Die Gutachter empfehlen, Ärzten die Beteiligung an den Trägern von MVZ zu erleichtern. Außerdem sollten sich die Regelungen für MVZ besser auf den Betrieb und nicht auf den einmaligen Gründungsakt beziehen. So sollten MVZ im ärztlichen Eigenbesitz gestärkt werden, wobei Vertragsärzte und angestellte Ärzte gleichgestellt werden sollten. Insgesamt ist als Tenor des Gutachtens erkennbar, allen Ärzten in MVZ eine finanzielle Beteiligung und eine gemeinschaftliche unternehmerische Verantwortung zu ermöglichen, daneben aber auch diverse andere Träger mit oder ohne Gewinnstreben zuzulassen.
Folgen für Apotheken?
Apotheken werden dabei nicht erwähnt. Doch in dem Gutachten zeichnen sich Argumentationslinien für den ambulanten Sektor ab, die langfristig auch für Apotheken relevant werden könnten, falls unter neuen politischen Vorzeichen das Fremdbesitzverbot der Apotheken auf die Tagesordnung gelangen sollte. Interessierte Kreise könnten versuchen, einige Gedanken zu MVZ auf die gemeinsame Leitung von Apotheken durch mehrere Apotheker als Alternative zur OHG zu übertragen. Dies könnte langfristig zu einer Aufweichung des Fremdbesitzverbots bei Apotheken durch die Hintertür führen.
Kritische Gedanken beim IGES-Institut
Eine andere Sicht auf MVZ wird im Gutachten des IGES-Instituts über „Investorenbetriebene MVZ in der vertragszahnärztlichen Versorgung“ im Auftrag der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung erkennbar. Dieses Gutachten bezieht sich allerdings nur auf den zahnmedizinischen Bereich. Das IGES-Institut hat einen Typus von investorenbetriebenen MVZ definiert. Dies sind zMVZ, die sich ganz oder teilweise im Eigentum von privatem Beteiligungskapital befinden. Dies ist über ein Krankenhaus möglich. Für das erste Quartal 2020 hat das IGES-Institut 207 solche i-MVZ identifiziert, also 21 Prozent der zu dieser Zeit vorhandenen 1000 zMVZ. Als Besonderheit der i-MVZ – und in geringerem Maße auch anderer zMVZ – betrachtet das IGES-Institut den Zusammenschluss mehrerer Standorte zu Ketten. Diese würden bisher meistens jeweils nur wenige Standorte umfassen. Die größte Kette habe jedoch 23 Standorte, und für sie sei im August 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die i-MVZ würden von zwölf verschiedenen Investoren getragen. Die i-MVZ seien überdurchschnittlich stark in Großstädten mit einkommensstarker und eher jüngerer Bevölkerung vertreten. Insbesondere im Vergleich zu Einzelpraxen würden i-MVZ nahezu durchgängig höhere Umsätze erzielen. Bei den konservierend-chirurgischen Leistungen beruhe dies vor allem auf größeren Mengen, beim Zahnersatz auf höheren Umsätzen bei Neuversorgungen. Andere zMVZ würden ähnliche Trends aufweisen. In vielen untersuchten Bereichen würden nicht von Investoren betriebene zMVZ den i-MVZ stark ähneln. Die Gutachter des IGES-Instituts empfehlen daher, bessere Möglichkeiten zu schaffen, um den Einfluss der MVZ auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung analysieren zu können. Dies werde bereits dadurch erschwert, dass die Eigentumsverhältnisse nur mühsam zu ermitteln seien, beklagt das IGES-Institut. Die Autoren des BMG-Gutachtens raten hingegen davon ab, ein MVZ-Sonderregister mit den Eigentumsverhältnissen der Träger zu erstellen, weil dies nicht angemessen und nur schwer mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar sei.
Unterschiedliche Sichtweisen
Damit lassen die beiden Gutachten verschiedene Grundeinstellungen erkennen. Das IGES-Gutachten empfiehlt aufgrund der Erfahrungen aus den wenigen Betriebsjahren der zMVZ seit 2015 mehr Analysen. Das BMG-Gutachten sieht dagegen aufgrund der Arbeit der MVZ seit 2004 immer weniger Anlass für einen Generalverdacht gegenüber MVZ und beschäftigt sich vorrangig damit, wie MVZ künftig noch mehr zum Einsatz kommen können. |
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