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Nebenwirkungen

Unerwünschte Muntermacher

Wie Arzneimittel den Schlaf stören können

Guter Schlaf ist wichtig für Gesundheit und Psyche. Bleibt der wertvolle Schlummer aber aus, muss nicht immer eine manifeste Schlafstörung zugrunde liegen. Auch zahlreiche Medikamente können negative Effekte auf die Nachtruhe ausüben. Besonders im Fokus stehen zentral aktive Substanzen wie Antidepressiva oder Antipsychotika. Aber auch Betablocker und unvermutete Wirkstoffe wie z. B. Antibiotika werden mit Schlafstörungen in Zusammenhang gebracht. Wo gilt es, Vorsicht walten zu lassen und wo kann Entwarnung gegeben werden? Gerade bei älteren, multimorbiden Patienten lohnt sich ein genaues Hinschauen, um die Therapie zu optimieren. | Von Tony Daubitz

Eine Nacht, in der man frustriert ins Leere starrt, statt friedlich zu schlummern, hat jeder schon einmal durchgemacht. Wenn aus einer Nacht aber Nächte werden, wird das Ganze zum Problem. Ausreichend Schlaf ist wichtig, damit sich der Körper regenerieren kann, Erinnerungen verarbeitet werden und das Immunsystem richtig funktioniert. Knapp die Hälfte der Deutschen schläft nur sechs Stunden pro Nacht oder weniger und bewegt sich damit an der Untergrenze der Empfehlungen [1]. Ein Drittel klagt sogar über mehr oder weniger stark ausgeprägte Schlafprobleme [1]. Schichtarbeit, Stress, ein schnarchender Partner oder ein nicht enden wollender Social-Media-Feed – die Gründe sind vielfältig. Wenn aber selbst bei einer vorbildlichen Schlafhygiene der wertvolle Schlummer immer noch ausbleibt, ist guter Rat teuer. Häufig übersehen wird bei der Ursachensuche der Medikamentenschrank. Dabei birgt ein Blick hinein großes Potenzial, fündig zu werden. Nach Informationen der Online-Nebenwirkungsdatenbank Sider tragen fast die Hälfte aller erhältlichen Wirkstoffe in den Fachinformationen den Hinweis, dass sie den Schlaf beeinträchtigen können.

Schlafstörung ist dabei nicht gleich Schlafstörung. Nach der International Classification of Sleep Disorders (ICSD-3) werden die klassischen Insomnien abgegrenzt von Hypersomnien zentralnervösen Ursprungs, zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen, schlafbezogenen Atmungsstörungen sowie Bewegungsstörungen und Parasomnien, also beispielsweise Albträumen oder Schlafwandeln. Arzneistoffe können prinzipiell auf all diesen Ebenen störend in den Schlaf eingreifen. Der Einfachheit soll es im Folgenden aber hauptsächlich um Schlafstörungen im Sinne einer Insomnie gehen. Solch eine Schlafstörung liegt vor, wenn eine Person mindestens drei Tage die Woche Probleme beim Einschlafen und Durchschlafen hat. Während man bei einem Zeitraum von bis zu drei Monaten von einer kurzzeitigen Störung spricht, gilt eine länger als diese Zeitspanne andauernde Symptomatik als chronische Schlafstörung.

Lernziele

In diesem Beitrag erfahren Sie unter anderem

  • welche relevanten Schlafstörungen es gibt
  • welche Neurotransmitter den Schlaf und die Schlafarchitektur beeinflussen können
  • welche neurodegenerativen Erkrankungen mit Schlafstörungen assoziiert sein können
  • welche Psychopharmaka mit Schlafstörungen einhergehen
  • wie das Insomnie-Risiko der Betablocker von der Lipophilie und Selektivität der Wirkstoffe abhängt
  • welche Rolle ausgewählte Hormone spielen
  • wie die Medikation entsprechend adaptiert werden kann

Schlaf ist Kopfsache

Damit sich die wohltuende Nachtruhe überhaupt einstellen kann, spielen sich im Gehirn komplexe Prozesse ab. Verschiedene schlaffördernde und wachheitsfördernde Kerne und Neurone im Hypothalamus und Hirnstamm steuern den Wechsel zwischen Tag und Nacht, zwischen Wachsein und Schlaf [2]: Die serotonergen Raphe-Kerne, cholinerge Kerne im Hirnstamm, histaminerge Kerne im Hypothalamus und adrenerge Kerne im Locus coeruleus sowie dopaminerge Kerne der Area tegmentalis ventralis lancieren den Wachzustand. Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) auf der anderen Seite ist der beruhigende Botenstoff schlechthin und fördert im basalen Vorderhirn, in der Area preoptica und im Hypothalamus den Schlaf. Pharmaka, die in diese Neurotransmitter-Systeme eingreifen, sowohl als Agonisten, Antagonisten und Wiederaufnahmehemmer verschiedener Botenstoffe können das Gleichgewicht zwischen wach und Schlaf erheblich verschieben (s. Abb. 1). Damit ist offensichtlich, dass vor allem Psychopharmaka ein großes Potenzial für störende Effekte auf den Schlaf bergen. Schlussfolgerungen lassen sich gleichwohl aber nicht per se ziehen. Auch die zugrunde liegenden Krankheiten, die den Einsatz der Psychopharmaka nötig machen, gehen oft mit Schlafstörungen einher. Depressionen und Psychosen zum Beispiel können allesamt ausgeprägte Insomnien als Symptome verursachen.

Abb. 1: Neurotransmitter und ihre Auswirkung auf den Schlaf nach [2]. Pharmaka können über Eingriffe in die Neurotransmission den Schlaf beeinträchtigen (rechts, rot) oder fördern (links, grün). * Wirkungen, die den REM-Schlaf stören

Erhebliches Risiko durch Antidepressiva

Sieht man von offensichtlichen Wachmachern wie den Stimulanzien Methylphenidat (z. B. Concerta®), Atomoxetin (z. B. Strattera®) und Modafinil (z. B. Vigil®) ab, sind es vor allem Antidepressiva, die für die meisten schlaflosen Nächte sorgen. Insbesondere die selektiven Wiederaufnahmehemmer, aber auch die Inhibitoren der Monoaminooxidase (MAO-Hemmer) Moclobemid und Tranylcypromin sind häufige Auslöser für Schlafstörungen. Die tricyclischen Ver­treter müssen aufgrund ihrer komplexen Pharmakologie differenziert betrachtet werden. Tricyclische Antidepressiva mit ausgeprägter anticholinerger (Amitrip­tylin) und antihistaminerger Komponente (Doxepin, Trimipramin) üben eine überwiegend sedierende Wirkung aus. Tricyclica mit ausgeprägter Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung wie Desipramin und Nortriptylin stehen an der gegenüberliegenden Seite des Wirkspektrums. Die Substanzen verkürzen die Schlafdauer und erhöhen nächtliche Wachzeiten [2]. Die heutzutage gebräuchlicheren selektiven Wiederaufnahmehemmer greifen aktivierend in die Neurotransmission verschiedener Transmitter ein, die den Wachzustand fördern: Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Schlafprobleme scheinen somit vorprogrammiert. Wie stark die einzelnen Substanzen mit Schlafproblemen zusammenhängen, zeigt eine italienische Metaanalyse aus dem Jahr 2015 (s. Abb. 2), die eine Auswahl an neueren Antidepressiva untersuchte [3]. Besonders stark ausgeprägt war der Zusammenhang zwischen Antidepressiva-Therapie und Schlafstörungen bei den beiden Wirkstoffen Bupropion und Desvenlafaxin. Nicht zufällig handelt es sich bei beiden Wirkstoffen um duale Wiederaufnahmehemmer, die die Transmitterlevel je zweier wachheitsfördernder Botenstoffe erhöhen. Noradrenalin und Dopamin im Falle von Bupropion; Serotonin und Noradrenalin im Falle von Desvenlafaxin. Im Mittelfeld befanden sich Wirkstoffe verschiedener Klassen, z. B. der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNR) Duloxetin, der selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitor (SSRI) Paroxetin und der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI) Reboxetin. Die SSRI Citalopram und Escitalopram waren insgesamt, aber besonders im Vergleich mit anderen SSRI weniger mit Schlafstörungen assoziiert. Mögliche Erklärungen sehen die Wissenschaftler in der einerseits hohen Serotonin-Transporter-Selektivität von Escitalopram und im schwachen H1-Antagonimus im Falle von Citalopram [3]. Agomelatin (Valdoxan®) ist ein jüngeres Antidepressivum mit einem neuen Wirkansatz. Es agiert zusätzlich zum Serotonin-Rezeptor-Antagonismus agonistisch an Melatonin-Rezeptoren und resynchronisiert dadurch womöglich Störungen des circadianen Rhythmus. In der vorliegenden Metaanalyse war es mit einer schlaffördernden Wirkung verbunden.

Abb. 2: Assoziation verschiedener Antidepressiva mit Schlafstörungen. Die Ergebnisse der Metaanalyse gruppieren die verschiedene Wirkstoffe nach der Odds Ratio für Schlafstörungen. Die Odds Ratio bzw. das Chancenverhältnis ist das Maß für die Stärke einer Assoziation. Ein Wert von 1 bedeutet keine Assoziation. Je höher der Wert, umso höher ist die Chance, dass mit dem betreffenden Antidepressivum Schlafstörungen auftreten. Werte unter 1 zeigen eine negative Assoziation an (nach Alberti et al. 2015 [3]).

Wie eingangs erwähnt, äußern sich Schlafstörungen in unterschiedlicher Weise. Beeinträchtigt sein können die Einschlaflatenz, die Schlafkontinuität und die Schlafdauer. Antidepressiva-induzierte Schlafstörungen betreffen neben diesen Kennzahlen der Schlafqualität allerdings zusätzlich Parameter der Schlafarchitektur. Aktivierende Tricyclica, MAO-Hemmer und die meisten Wiederaufnahme-Hemmer verkürzen allesamt den REM-Schlaf und erhöhen die REM-Latenz während der Tiefschlaf entweder nicht beeinträchtigt oder verbessert wird [4]. Unklar ist, welche Rolle die REM-Schlafsuppression spielt. Es gibt Stimmen, die argumentieren, dass der unterdrückte REM-Schlaf sogar zur therapeutischen Wirkung der Antidepressiva zu zählen ist, da der Schlaf depressiver Patienten oft durch eine ausgeprägtere REM-Phase gegenüber Gesunden gekennzeichnet ist [5]. Dagegen spricht aber, dass manche Substanzen wie z. B. Bupropion den REM-Schlaf nur unwesentlich verändern [5].

Schlaf-Apnoe durch Antipsychotika?

Zu den weiteren häufig eingesetzten Psychopharmaka zählen Antipsychotika. Die Gefahr, dass während einer anti­psychotischen Therapie aber Schlafstörungen auftreten, ist insgesamt gering, da die Wirkung hauptsächlich antagonistisch an D2-(und D3-)Rezeptoren vermittelt wird. Die antipsychotischen Wirkstoffe wirken also sedierend und zum Nebenwirkungsspektrum gehört eher eine Tagesschläfrigkeit als Schlafstörungen. Einige wichtige Ausnahmen sollen aber doch bedacht werden, denn auch Antipsychotika zeichnen sich ähnlich den Antidepressiva durch eine komplexe Pharmakologie jenseits des Dopamin-Antagonismus aus. Schlafstörungen traten in verschiedenen Studien besonders häufig bei den typischen Antipsychotika Haloperidol (25% der Probanden) und Thioridazin (23%) sowie bei den atypischen Vertretern Aripiprazol (24%), Ziprasidon (9%) und Risperidon (17%) auf [6]. Der mechanistische Hintergrund ist noch nicht aufgeklärt. Es wird vermutet, dass agonistische Effekte der Wirkstoffe am 5-HT1-Rezeptor (vor allem Aripiprazol) und ein sekundär zum Dopamin-Antagonismus auftretendes Restless-Legs-Syndrom bzw. periodische Beinbewegungen eine Rolle spielen [2, 6]. Im Labor gemessen werden können zusätzlich Veränderungen der Schlaf-Architektur als Folge einer Antipsychotika-Therapie. Verlängerte Tiefschlaf-Abschnitte stehen meist einer veränderten REM-Phase gegenüber. Quetiapin, Risperidon und Haloperidol verkürzen diese Schlafphase, während Olanzapin sie verlängert [2]. Da Antipsychotika in der Regel langfristig eingesetzt werden, baut sich mit der Zeit noch ein weiterer Risikofaktor für einen gestörten Schlaf auf – das Gewicht. Die Arzneistoffe greifen an verschiedenen Rezeptoren in die Neurotransmission ein und modulieren neben der antipsychotischen Wirkung auch Prozesse der Stoffwechselregulation. Zusätzliche Pfunde sind deshalb eine häufige Nebenwirkung, mehr noch als bei Antidepressiva [7]. Als klinisch relevant gilt eine Gewichtszunahme, wenn sich das Körpergewicht um mindestens 7% erhöht. Besonders häufig wurde diese Schwelle einer Studie zufolge bei einer Therapie mit den Antipsychotika Olanzapin (in 17% der Fälle), Aripiprazol (in 14,2% der Fälle) und Risperidon (in 11,4% der Fälle) überschritten [8]. Selbst Gewichtszunahmen über 25% wurden beobachtet [8]. Übergewicht gilt allgemein als Risikofaktor für das Auftreten einer Schlaf-Apnoe. In der Literatur finden sich deshalb entsprechende Hinweise, dass eine Antipsychotika-induzierte Gewichtszunahme diese schlafbezogene Atmungsstörung begünstigt [9]. Möglicherweise besteht der Effekt sogar unabhängig oder zusätzlich zum erhöhten Körpergewicht, da die Substanzen den Muskeltonus der oberen Atemwege beeinflussen könnten [10].

Vorsicht bei neurodegenerativen Erkrankungen

Fallstricke warten auch in der Therapie der neurodegenerativen Erkrankungen Morbus Parkinson und Alzheimer. Zwar gilt auch in diesen Fällen, dass Schlafstörungen häufige Konsequenzen der zugrunde liegenden Krankheitsprozesse sind, aber deren Ursprung oft auch in den verordneten Therapeutika zu finden ist. Bei der Medikationsanalyse ist also Fingerspitzengefühl gefragt. Die dopaminerge Therapie der Parkinson-Erkrankung mit Levodopa/Carbidopa und den Dopamin-Agonisten (z. B. Bromocriptin [Pravidel®], Cabergolin [Cabaserl®], Pramipexol [Oprymea®]) lindert, insofern adäquat eingestellt, in erster Linie die Schlafbeschwerden, nicht zuletzt, weil die Symptome kontrolliert werden [2]. Dopamin zählt aber zu jenen Botenstoffen, die den Wachzustand fördern. Schlafstörungen resultieren bei Parkinson-Patienten einerseits aus einer zu niedrigen Dosis der Parkinson-Medikamente bzw. resultierend aus Wearing-off-Effekten über Nacht. Hier können retardiertes Levodopa und Dopaminagonisten Abhilfe schaffen [11]. Andererseits führen die Wirkstoffe selbst, vor allem wenn die Therapie überdosiert ist, Schlafstörungen herbei. Levodopa in zu hohen Dosen verabreicht, ruft Dystonien hervor und wirkt stimulierend auf die Psyche. Halluzinationen und Albträume plagen die Patienten in diesem Fall [2]. Dopamin-Agonisten auf der anderen Seite sind zwar bekannt dafür, Patienten schläfrig zu machen und Einschlafattacken zu induzieren, aber auch hohe Dosen sind mit Schlafstörungen assoziiert [12].

Ebenfalls mit Schlafstörungen verbunden sind die beiden bei Alzheimer eingesetzten Antidementiva Donepezil und Memantin, die in den Zulassungsstudien Schlafstörungen bei den Teilnehmern im niedrigen einstelligen Prozentbereich hervorriefen [2].

Abb. 3: Betablocker greifen in die Melatonin-Ausschüttung ein. In der Dunkelheit wird das Hormon Melatonin freigesetzt. Über lichtabhängige Schaltkreise werden sympathische Fasern des oberen Halsganglion aktiviert, die an ihren Endigungen Noradrenalin freisetzen, das α1- und β1-Rezeptoren stimuliert. Dies hat zur Folge, dass die geschwindigkeitsbestimmende Umwandlung von Serotonin in N-Acetylserotonin durch die Serotonin-N-Acetyl-Transferase gesteigert und im Endeffekt mehr Melatonin synthetisiert wird. Betablocker greifen an den β1-Rezeptoren an und hemmen die Stimulierung der Acetyltransferase. Werden die α1-Rezeptoren durch Noradrenalin und Alpha-Agonisten aktiviert, potenziert dieser Vorgang die β1-vermittelte Stimulation der Melatonin-Synthese. Werden aber z. B. durch spezifische Agonisten nur α1-Rezeptoren aktiviert, bleibt dies ohne Wirkung auf die Melatonin-Synthese.

Betablocker als Melatonin-Blocker

Ein wichtiges Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus mitbestimmt, ist Melatonin. In den Pinealozyten der Epiphyse wird das Hormon aus der Aminosäure Tryptophan gebildet und in den Blutstrom abgegeben. Seine Wirkung entfaltet das Hormon im Gehirn über die membranständigen Melatonin-Rezeptoren MT1 und MT2. Die Produktion und Freisetzung des Hormons erfolgt helligkeitsgesteuert. Auf der Retina eintreffende Lichtimpulse hemmen über mehrere Schaltstellen die sympathische Aktivierung der melatoninproduzierenden Pinealozyten, während in der Dunkelheit diese Inhibition aufgehoben wird. Die stimulierten sympathischen Fasern setzen an ihren Nervenendigungen dann Noradrenalin frei, welches die α1- und β1-Rezeptoren auf den Pinealozyten aktiviert und die Hormonproduktion anregt. Dieser empfindliche Regelkreis kann durch Arzneistoffe beeinträchtigt werden und Schlafstörungen auslösen. Betablocker sind das prominenteste Beispiel, da sie die sympathische Aktivierung der Pinealozyten antagonisieren (s. Abb. 3) [13]. Generell verursachen die Wirkstoffe dieser Klasse verschiedene zentralnervöse Nebenwirkungen. Darunter zählen unter anderem Müdigkeit, Fatigue, Schlafstörungen, Albträume und depressive Verstimmungen [2]. Auch von REM-Schlafstörungen wird berichtet [2]. Nicht alle Vertreter sind dabei gleichsam disponiert für derartige unerwünschte Wirkungen. Ausschlaggebend für das Insomnie-Risiko scheinen die Lipophilie und die Selektivität der Wirkstoffe zu sein. β1-selektive Blocker wie Bisoprolol und Atenolol sind mit dem geringsten Risiko für Schlafstörungen assoziiert, während das unselektive Propranolol das höchste Risiko aufweist (s. Tab.). Dementsprechend verschuldet die reduzierte Melatonin-Freisetzung wohl nicht allein die durch Betablocker vermittelten Schlafstörungen. Neben den β1-Adrenozeptoren hemmen unselektive Blocker wie Propranolol auch β2-Rezeptoren und mit schwacher Affinität auch verschiedene 5-HT-Rezeptoren, welche für das Insomnie-Risiko eine Rolle spielen könnten. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, dass die Schlafstörungen dosisabhängig auftreten [2]. Amerikanische Wissenschaftler untersuchten in diesem Zusammenhang in einer kleinen Studie, ob eine Melatonin-Supplementierung den Schlaf von 16 Hypertonie-Patienten, die auf die Betablocker Atenolol oder Metoprolol eingestellt waren, womöglich fördern könnte [14]. Eine Dosis von 2,5 mg des Schlafhormons täglich verbesserte tatsächlich verschiedene schlafbezogene Parameter signifikant (Schlafdauer im Vergleich zu Placebo +36 Minuten, p = 0,046; Schlaflatenz im Vergleich zu Placebo –8 Minuten, p = 0,024).

Hypothalamus-Hypophysen-Wachheitsachse

Hormonelle Therapien stellen ein weiteres Einfallstor für Schlafstörungen dar. Zuvorderst sind in diesem Zusammenhang die synthetischen Glucocorticoide zu nennen. Überraschend ist dieser Befund nicht, schließlich handelt es sich um die chemischen Abkömmlinge des körpereigenen Stresshormons Cortisol. Das Hormon verbessert bekannterweise die Energiebereitstellung des Organismus und dämpft das Immunsystem, übt aber auch zahlreiche Effekte auf das zentrale Nervensystem aus. Beispielsweise steigert das Hormon die Erregbarkeit des Gehirns gegenüber sensorischen Reizen und kann eine aktivierende bis euphorisierende Wirkung entfalten. Schlafstörungen werden häufig beobachtet bei Therapien mit synthetischen Glucocorticoiden. Ein Blick in die Literatur offenbart, wieso. Glucocorticoid-Rezeptoren sind in verschiedenen Hirnarealen zu finden, auch in solchen die in die Steuerung des Schlafs eingebunden sind [15]. Glucocorticoide, endogen oder synthetisch, modifizieren die Level der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin, aber auch verschiedener Neuropeptide und senken die Melatonin-Sekretion [15]. Die Inzidenz von Gluco­corticoid-induzierten Schlafstörungen hängt dabei stark von der Applikationsroute ab.

  • Dermal und nasal appliziert sind die Substanzen nicht mit Schlafstörungen verbunden, im Gegenteil, sie mindern den Juckreiz oder befreien die verstopfte Nase und verbessern so den Schlaf.
  • Inhalative Glucocorticoide zur Therapie des Asthma bronchiale werden zwar auch kaum systemisch aufgenommen, aber in Einzelfällen berichten Patienten von Schlafstörungen [2].
  • Das höchste Risiko droht mit der systemischen Anwendung. Die Häufigkeit der Schlafstörungen steigt dosisabhängig, in der Literatur finden sich Angaben, dass 12 bis 70% der Patienten betroffen sind [16, 17]. Zusätzlich zu der vom Patienten erlebten Schlaflosigkeit reduzieren die Präparate den REM-Schlaf signifikant [18].
  • Die systemisch applizierten Glucocorticoide greifen in die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse ein und vermindern die Sekretion des körpereigenen Cortisols. Da das endogene Hormon einem circadianen Rhythmus folgend vor allem morgens freigesetzt wird, sollten die Glucocorticoide, wenn möglich, zu dieser Zeit gegeben werden, um die Störung des körpereigenen Regelkreises so gering wie möglich zu halten. Auch im Hinblick auf die hervorgerufenen Schlafstörungen ist dieses Regime von Vorteil.

Eine weitere Hormontherapie, die morgens eingenommen werden soll, sind die L-Thyroxin­-Präparate. Hintergrund ist in diesem Fall allerdings eine gleichmäßige Absorption des Arzneistoffs und nicht die Vermeidung schlafbezogener Probleme, denn auch eine abendliche Einnahme mindestens zwei Stunden nach der letzten Mahlzeit ist Studien zufolge ebenso effektiv [19]. Trotzdem können unter einer Therapie mit Schilddrüsenhormonen Schlafstörungen auftreten. Diese rühren dann aber von einer zu hohen Dosis und die Einstellung der betroffenen Patienten sollte nachjustiert werden.

Antiinfektive Schlafräuber

Überraschende Kandidaten auf der Liste der Arzneimittel, die den Schlaf erschweren, sind Antiinfektiva. Obwohl sie dafür konzipiert sind, virale oder bakterielle Eindringlinge möglichst selektiv unschädlich zu machen, sind Nebenwirkungen auf den menschlichen Organismus natürlich nicht ausgeschlossen, auch Effekte auf das Zentralnervensystem nicht. Insbesondere bei Fluorchinolonen berichten Patienten häufig von Schlafstörungen. Der Mechanismus dahinter ist vermutlich ein Eingriff in die GABAerge Signaltransduktion im Gehirn. Fluorchinolone besitzen in den meisten Fällen einen Piperazinyl-Rest, der substituiert oder unsubstituiert sein kann. Das Piperazin-Gerüst ähnelt strukturell dem inhibierenden Neurotransmitter GABA. Chinolone interagieren über dieses Motiv mit dem GABA-A-Rezeptor und verhindern, dass sein eigentliches Substrat binden kann, da der Piperazinyl-Substituent der Chinolone der Struktur des Neurotransmitters GABA ähnelt. [20]. Die anti-GABAerge Wirkung bedingt die Schlaflosigkeit, aber auch eine ganze Reihe anderer unerwünschter Wirkungen: Angstzustände und Krampfanfälle sind weitere mögliche Konsequenzen, da der Botenstoff im Gehirn normalerweise einen sedierenden Einfluss vermittelt.

Schlaflose Nächte können auch HIV-Patienten plagen. Verschiedene antiretrovirale Therapeutika ziehen neuropsychiatrische unerwünschte Nebenwirkungen nach sich, zu denen auch Schlaflosigkeit gehört. Die Frage, ob die Substanzen selbst neurotoxisch wirken oder ob zu geringe Spiegel der Wirkstoffe im Gehirn eine Rolle spielen, lässt sich nicht immer einfach beantworten. Schlafstörungen treten besonders häufig bei der Therapie mit den nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren Efavirenz (Atripla®) und Rilpivirin (Edurant®) sowie den Integrasehemmern Dolutegravir (Tivicay®), Bictegravir (Biktarvy®) und Raltegravir (Isentress®) auf [21]. Während die Forschung bei den Mechanismen der Neurotoxizität noch weitgehend im Dunkeln tappt, kristallisieren sich bei Efavirenz erste Erkenntnisse heraus [22]. Das Molekül scheint die Serotoninkonzentration im Gehirn zu erhöhen und auch direkt mit dessen Rezeptoren zu interagieren, insbesondere mit den 5-HT2A- und 5-HT2C-Rezeptoren. Weiterhin wird angenommen, dass durch Efavirenz erhöhte Zytokin-Spiegel (IL-1 und TNF-­alpha) und eine veränderte Mitochondrienfunktion zu den ZNS-Effekten des Wirkstoffes beitragen.

Empfehlungen für die Medikationsanalyse

Gewiss stellen die vorgestellten Wirkstoffe nur eine Auswahl dar. Arzneimittel können z. B. auch über indirekte Mechanismen die Nachtruhe beeinträchtigen. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang der trockene Reizhusten, der unter ACE-Hemmern auftreten kann oder nächtlicher Harndrang, der entsteht, wenn Diuretika zur Nacht eingenommen werden. Auch eine nach dem Absetzen von Benzodiazepinen oder Z-Substanzen auftretende Rebound-Insomnie gehört in diese Kategorie. In Zusammenhang mit Schlafstörungen wurden in der Vergangenheit auch immer wieder Statine und NSAIDs gebracht. Bis dato lassen sich diese Annahmen aber nicht eindeutig belegen [2]. Auch in der Selbstmedikation sind mit den Pseudoephedrin- bzw. Phenyl­propanolamin-haltigen Antiallergika und Grippemittel (Aspirin complex®) sowie Coffein-haltigen Analgetika (Thomapyrin®), potente Stimulanzien erhältlich.

Von der Nebenwirkung Insomnie kann jeder betroffen sein. Besonders vulnerabel für Medikamenten-induzierte Schlafstörungen sind aber ältere Menschen. Sie nehmen nicht nur tendenziell mehr Medikamente ein, die für Ärger sorgen können, sondern auch der Alterungsprozess verändert den Schlaf und die Schlafarchitektur. Auch die Melatonin-Ausschüttung sinkt im Alter ab. Ältere leiden deshalb generell häufiger unter Schlafstörungen. Mögliche zusätzliche schlafstörende Effekte durch Medikamente können deshalb weniger gut kompensiert werden. Meist stellen sich die Schlafstörungen ein, wenn Patienten auf ein neues Medikament ein- oder umgestellt werden. Das einfachste Mittel, zu dem auch zuerst gegriffen werden sollte, stellt die morgendliche Einnahme des betreffenden Medikaments dar, um besonders hohe Plasmaspiegel der schlafstörenden Wirkstoffe während der Nacht zu vermeiden. Wirkstoffe mit einer langen Halbwertszeit wie zum Beispiel verschiedene Antidepressiva sind aber auch bei einer morgendlichen Einnahme immer noch in der Lage, den Schlaf zu beeinträchtigen. Bestehen die Beschwerden weiterhin oder kann eine morgendliche Einnahme nicht gewährleistet werden, z. B. aufgrund von möglichen Inkompatibilitäten mit anderen Wirkstoffen, kann bei geringer Last der Beschwerden auch zunächst abgewartet werden. Medikamenten-induzierte Schlafbeschwerden sind durchaus reversibel, da der Organismus sich mit der Zeit adaptiert. Beispielsweise sind bei einer Therapie mit antriebssteigernden Antidepressiva die störenden Effekte auf den Schlaf zu Therapiebeginn am größten. Im Laufe der ersten Wochen und Monate bessert sich die Schlafqualität meist, auch die REM-Unregelmäßigkeiten bilden sich teilweise zurück [23]. Eine Garantie ist das natürlich nicht. Beispielsweise scheinen sich Fluoxetin-induzierte Schlaf­störungen auch längerfristig zu etablieren [23]. Lassen sich die Schlafstörungen mit diesen Maßnahmen nicht korrigieren, besteht eine weitere Möglichkeit darin, die Dosis des Wirkstoffes zu verringern, bevor dann in letzter Instanz das betreffende Medikament abgesetzt bzw. ausgetauscht werden muss. Hierbei müssen eventuelle Klasseneffekte wie zum Beispiel bei Betablockern beachtet werden. Wie immer gilt, Prävention ist besser als Intervention. Eine unpassende Medikation für Patienten, die unter Schlafstörungen leiden, sollte am besten von vornherein vermieden werden. |

 

Disclaimer

Der Autor versichert, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

 

Literatur

 [1] Schlaf gut, Deutschland. TK-Schlafstudie 2017, www.tk.de/resource/blob/2033604/118707bfcdd95b0b1ccdaf06b30226ea/schlaf-gut-deutschland-data.pdf

 [2] Kryger M, Roth R und Dement WC. Principles and Practices of sleep medicine. 6. Auflage 2017, Elsevier

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[11] Idiopathisches Parkinson Syndrom. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Hrsg., Stand: 2016, in Überarbeitung, AWMF-Register-Nummer: 030-010 www.awmf.org/leitlinien

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[23] Wilson S, Agryropoulos S. Antidepressants and Sleep A Qualitative Review of the Literature. Drugs 2005;65:927-947

Autor

Dr. Tony Daubitz, Studium der Pharmazie an der Universität Leipzig; Diplomarbeit in Basel an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu antientzündlichen Eigenschaften von Bambus-Extrakten; Promotion am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zur Pharmakologie von Anionenkanälen

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