DAZ aktuell

Wie wirken MVZ auf die Versorgung?

Das IGES-Institut hat ein Gutachten im Auftrag der KV Bayern erstellt

tmb | Der Einfluss von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) auf die Versorgung der Patienten wird schon lange diskutiert, besonders bei den Zahnärzten. In einem neuen Gutachten des IGES-Instituts im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) geht es nun um viele Facharztgruppen. Demnach haben MVZ in Bayern bei einigen Facharztgruppen bereits eine erhebliche Versorgungsrelevanz. Außerdem entstehen bei Gynäkologen, Augenärzten und Internisten im MVZ höhere Fallkosten.

Bei der Diskussion um die Folgen von MVZ für die Versorgung standen bisher die Zahnärzte im Mittelpunkt. Ein Gutachten vom November 2020 für das Bundesgesundheitsministerium hatte Ansätze zur Weiterentwicklung von MVZ präsentiert. Dagegen wurden die MVZ, insbesondere solche in der Hand von Investorengesellschaften, in einem Gutachten des IGES-Institutes kritisch betrachtet. Letzteres war von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) in Auftrag gegeben worden. Die DAZ hatte beide Gutachten vorgestellt (siehe DAZ 2021, Nr. 8, S. 18). Die KZBV hatte erklärt, sie fürchte wegen der investorengeführten MVZ einen „zerstörerischen Systemumbau“ mit Versorgungsengpässen in strukturschwachen Gebieten (siehe DAZ 2021, Nr. 9, S. 18). Finanzinvestoren gehören nicht zum gesetzlich vorgesehenen Kreis der MVZ-­Betreiber gemäß § 95 Abs. 1a SGB V, aber sie können Krankenhäuser erwerben, die ihrerseits MVZ betreiben dürfen.

Untersuchung für 2018 und 2019

Mittlerweile weitet sich die Entwicklung auf andere Facharztgruppen aus. Daher hat die KVB wiederum das IGES-Institut mit einem Gutachten über „Versorgungsanalysen zu MVZ im Bereich der KV Bayerns“ beauftragt. Es wurde im Dezember 2021 abgeschlossen und ist nun in der politischen Diskussion angekommen. Das Gutachten bezieht sich auf Daten von 2018 und 2019 aus Bayern und gliedert sich grob in zwei Teile. Erstens wird der Anteil der MVZ an der kassenärztlichen Versorgung in Bayern beschrieben. Zweitens geht es um die Folgen für die Behandlungskosten. Ein wesentlicher Hintergrund ist die Diskussion über die Frage, ob die Eigentumsverhältnisse bei einem MVZ die Versorgung oder die Behandlungskosten beeinflussen. Kritiker investorengeführter MVZ führen dazu allgemeine Argumente über die wirtschaftliche Motivation der Investoren an, aber für die Gesetz­gebung werden empirische Befunde gefordert.

Schnell wachsender Versorgungsanteil der MVZ

In den betrachteten zwei Jahren nahm die Zahl der Hauptbetriebsstätten und der Leistungsorte der Einzelpraxen und der Berufsausübungsgemeinschaften in Bayern ab. Bei den MVZ und den Berufsausübungsgemeinschaften mit MVZ sind diese Zahlen dagegen gestiegen. Die Zahl der Leistungsorte der Einzelpraxen sank von 13.555 auf 13.370, diejenige der MVZ stieg von 658 auf 731. Die Zahl der Leistungsorte von MVZ im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften stieg von 54 auf 93. Damit beeindruckt weniger die absolute Zahl dieser MVZ, aber durchaus die schnelle Entwicklung.

Die Bedeutung der MVZ für die Versorgung lässt sich besser an ihrem Anteil an den Behandlungsfällen erkennen. Von 14,93 Millionen Behandlungsfällen im vierten Quartal 2019 wurden 1,00 Millionen Fälle in MVZ und 0,37 Millionen Fälle in Berufs­ausübungsgemeinschaften mit MVZ behandelt. In kreisfreien Großstädten waren MVZ überproportional an diesen Fällen vertreten, in städtisch geprägten Kreisen dagegen unter­proportional. In ländlichen Kreisen war die Verteilung gleichmäßig.

Die Bedeutung der MVZ variiert zwischen den Fachrichtungen erheblich. Im vierten Quartal 2019 hatten sie den höchsten Anteil an der Zahl der Fälle in einer Arztgruppe bei den Augenärzten mit 28,4 Prozent. Im ersten Quartal 2018 waren es erst 20,2 Prozent. Im vierten Quartal 2019 folgten auf den weiteren Plätzen die Orthopäden und (Unfall-)Chirurgen mit 21,6 Prozent, die Internisten mit 20,2 Prozent, die Urologen mit 9,0 Prozent und die Gynäkologen mit 8,0 Prozent.

Foto: pixelfokus/AdobeStock

Bisher wurde vor allem im zahnärztlichen Bereich diskutiert, inwiefern Medizinische Versorgungszentren (MVZ) die Patientenversorgung beeinflussen. Im neuen IGES-­Gutachten im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern geht es nun um viele weitere Facharztgruppen.

Im Durchschnitt höhere Fallkosten im MVZ

Das Honorarvolumen pro Behandlungsfall lag nach den Angaben aus der Studie in MVZ um etwa 20 Euro über den drei anderen Versorgungsvarianten. Doch dabei bleiben Unterschiede zwischen den Patienten un­berücksichtigt. Daher hat das IGES-Institut aufwendige Regressions­analysen durchgeführt, um die Behandlungskosten um soziodemografische und morbiditätsbedingte Effekte zu korrigieren und sie zwischen den Versorgungsvarianten vergleichen zu können. Dabei werden Alter, Geschlecht und Diagnosen der Patienten berücksichtigt. In die Analyse des Honorarvolumens pro Arztgruppenfall gehen 104,4 Millionen Fälle ein, darunter 58,5 Millionen Fälle bei Hausärzten. Von den 104,4 Millionen Fällen entfallen 9,4 Millionen Fälle auf MVZ, davon 770.000 auf MVZ in Investorenhand. Bei Urologen, Neurologen, Orthopäden und Chirurgen liegt das Honorarvolumen pro Arztgruppenfall in MVZ unter dem erwarteten Vergleichswert für Einzelpraxen, bei Gynäkologen, Augenärzten und Internisten liegt das Honorarvolumen in MVZ hingegen über dem erwarteten Vergleichswert. Die Abweichungen sind mit plus 16,6 Prozent bei Gynäkologen, plus 15,8 Prozent bei den Augenärzten und plus 10,5 Prozent bei den Internisten so hoch, dass das durchschnittliche Honorarvolumen pro Arztgruppenfall in MVZ über alle Fachgruppen hinweg um 5,7 Prozent über dem rechnerischen Vergleichswert für Einzelpraxen liegt. Bei investorengeführten MVZ sind es sogar 10,4 Prozent mehr. Angesichts der geringen Fallzahl bei investorengeführten MVZ wird diese Angabe aus Datenschutzgründen nicht nach Fachrichtungen differenziert angegeben.

Auch bei der Analyse der Behandlungskosten pro Patient über den betrachteten Zwei-Jahres-Zeitraum ergeben sich bei Gynäkologen, Augenärzten und Internisten in MVZ höhere Kosten als die erwarteten Vergleichswerte für Einzelpraxen. Doch insgesamt ergibt die Untersuchung der Behandlungskosten pro Patient ein uneinheitliches Bild. Das IGES-Institut sieht hier keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Trägerart eines MVZ und der Höhe der praxisbezogenen Behandlungskosten. Höhere Kosten in MVZ seien hier eher mit bestimmten Fachrichtungen verbunden.

Teurere Überweisungen von MVZ-Hausärzten

Außerdem hat das IGES-Institut die Behandlungskosten bei einer Mit­versorgung im Rahmen von Überweisungen untersucht und dazu Fallkonstellationen modelliert. Dabei ergeben sich für Patienten, die von einem Hausarzt in einem MVZ gesteuert werden, durchschnittlich um 8,7 Prozent höhere Gesamtbehandlungs­kosten als bei vergleichbaren Patienten, die von einem Hausarzt in einer Einzelpraxis gesteuert werden. Das IGES-Institut erklärt, die Ergebnisse dieser Untersuchung seien mit der These einer fachärztlichen Über­versorgung der MVZ-Patienten vereinbar. Allerdings betrachtet das IGES-Institut selbst das Analyse­konzept für die Mitversorgung nicht als optimal, weil die direkten Überweisungsbeziehungen nicht nachvoll­zogen werden.

IGES-Institut sieht deutliche Effekte

Für die gesamte Studie betont das IGES-Institut, die Ergebnisse seien aufgrund der hohen Fallzahlen sehr belastbar. Nach Einschätzung des IGES-Instituts zeigt die Studie, dass eine Versorgung im MVZ, insbesondere in einem investorengeführten MVZ, „höhere Honorarumsätze nach sich zieht, was die These einer stär­keren Ausrichtung an ökonomischen Motiven stützt“. Außerdem betont das IGES-Institut, dass MVZ in einigen ärztlichen Fachgruppen „bereits eine erhebliche und noch wachsende Relevanz“ hätten. Daher sei zu empfehlen, die vorliegenden Vorschläge „im ­Hinblick auf eine Anpassung der ­gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Zulassung und den Betrieb von MVZ“ aufzugreifen, folgert das IGES-Institut.

Probleme erst nachträglich belegbar

Dabei ist zu bedenken, dass die Struktur des IGES-Gutachtens nicht alle Effekte berücksichtigt, die im Zusam­menhang mit investorengeführten Arztpraxen diskutiert werden. In einem Fernsehbeitrag des NDR-Magazins „Panorama 3“ vom 7. April (siehe DAZ 15) wurden beispielsweise Vorwürfe über angeblich sehr offensiv angebotene, von den ­Patienten selbst zu zahlende Zusatzleistungen erwähnt. Dies kann in einer Analyse der Kassenabrechnungen nicht erfasst werden. Außerdem bleibt das grundsätz­liche Problem ­bestehen, dass das hohe Rendite­streben von Finanzinvestoren die Ver­mutung einer übermäßigen Kommerzialisierung nahelegt, ein empirischer Beleg dafür aber erst geliefert werden kann, wenn sich die Folgen bereits realisiert haben. Damit läuft die Diskussion auf die rechtliche und politische Frage hinaus, inwieweit der Gesetzgeber hier präventiv tätig werden darf oder muss. Dies war in ­einem anderen Zusammenhang auch ein wesentlicher Aspekt bei der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom Oktober 2016 über die grenzüberschreitende Gültigkeit der Arzneimittelpreisbindung. |

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