Pandemie Spezial

Symptombezogen gegen Post-COVID

Unterschiedliche Ausprägungen erschweren Ursachenforschung und kausale Therapie

Von Christian Förster | Auch nach zunächst mildem Verlauf werden manche Infizierte mit SARS-CoV-2 einfach nicht richtig gesund. Die Ausprägung von Post-COVID ist vielfältig und es werden unterschiedliche Ursachen diskutiert. Eine spezifische Behandlung gibt es bislang noch nicht und muss daher symptombezogen erfolgen.

Für viele Patientinnen und Patienten ist eine Infektion mit SARS-CoV-2 ein harmloser Schnupfen. Nur wenige erkranken schwer. Und dann gibt es noch diejenigen, die nach ihrer Infektion einfach nicht mehr auf die Füße kommen und auch noch Monate später weiterhin über Symptome klagen.

Von Betroffenen mit solchen Langzeitsymptomen wurde dafür der Begriff „Long-COVID“ geprägt. Ärztinnen und Ärzte verwenden den Begriff inzwischen, wenn Symptome für mehr als vier Wochen nach einer SARS-CoV-2 Infektion andauern. Bei Symptomen, die mehr als drei Monate fortbe­stehen, sprechen sie hingegen von „Post-COVID“. Diese Zeitspanne wurde auch auf einer Konsensuskonferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Definition der Erkrankung vorgeschlagen [1].

Foto: benjaminnolte/AdobeStock

Viele Betroffene mit Post-COVID-Symptomen suchen Hilfe im Rahmen der Selbstmedikation. Hier ist die Beratung in den Apotheken gefragt. Auch auf mögliche Interaktionen mit anderen Dauer- und Bedarfsmedikamenten ist zu achten.

Häufigkeit von Post-COVID

Angaben zur Häufigkeit dieser neuen Krankheit reichen von 2,3% bis 91% aller Infizierten, abhängig vom Design der jeweiligen Studie [2]. Beispielsweise wurden in diesen Studien unterschiedliche Zeiträume der Nachbeobachtung verglichen, unterschiedliche Populationen untersucht oder unterschiedliche Befragungswege verwendet, wodurch sich die weit auseinanderliegenden Häufigkeitsangaben erklären lassen.

Um die Häufigkeit besser einordnen zu können, hat das Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung der Uniklinik Tübingen eine Studie mit bevölkerungsbasiertem Untersuchungsansatz durchgeführt, die kürzlich im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist. Für die Studie wurden Ende 2020 über die Gesundheitsämter in Tübingen, Reutlingen und Pforzheim alle dort registrierten Patientinnen und Patienten mit COVID-19 angeschrieben und nach dem Verlauf ihrer Symptome gefragt. Von den 1459 Teilnehmenden hatten 49% nach mindestens drei Monaten noch Symptome, die sie auf COVID-19 zurückführten. Als Risikofaktoren wurden vor allem weibliches Geschlecht, die Gesamtlast an Begleiterkrankungen und die Schwere der Akutinfektion (Post-COVID trat häufiger nach Krankenhausaufenthalt auf) identifiziert [3].

Ausprägungen von Post-COVID

Die Beschwerden, die Betroffene mit Post-COVID berichten, sind sehr heterogen und unspezifisch. In der Tübinger Studie war anhaltende Müdigkeit am häufigsten, gefolgt von körperlicher Erschöpfung, Konzentrationsstörungen sowie Geschmacks- und Geruchsverlust. Von anderen Arbeitsgruppen wurden über 50 Symptome beschrieben [4]. Genauso vielfältig wie die Art der Symptome ist auch die Ausprägung der Beschwerden. So gibt es Betroffene, die wegen Post-COVID nicht oder nur bedingt arbeitsfähig sind, während andere in ihrem Alltag kaum eingeschränkt werden.

Eine Schwäche vieler Studien und auch der Tübinger ist das Fehlen einer Kontrollgruppe. So ist unklar, welcher Anteil der berichteten Beschwerden tatsächlich durch die Infektion ausgelöst wird und welcher möglicherweise durch andere Effekte der Pandemie bedingt ist. Beispielsweise ist in der Gesamtbevölkerung die Häufigkeit von psychischen Beschwerden während der Pandemie deutlich angestiegen [5]. Eine französische Arbeitsgruppe hatte Personen mit nachgewiesener SARS-CoV-2 Infektion (Antikörper positiv) mit Personen ohne Infektion (Antikörper negativ) verglichen. In beiden Gruppen waren anhaltende Symptome im Sinne von Post-COVID fast gleich häufig berichtet worden. Lediglich ein Geruchsverlust korrelierte signifikant mit einer nachgewiesenen Infektion [6].

Ursachen und Diagnostik

Verschiedene Ursachen werden für dieses heterogene Krankheitsbild diskutiert [7]. Beispielsweise gibt es Überlegungen, dass das Virus im Körper verbleibt und zu einer anhaltenden Infektion führt. Ähnliches ist auch von anderen Viren bekannt, wie z. B. Varizellen, die nach der Primärinfektion zu Windpocken führen, anschließend in Nervenzellen überdauern und später als Gürtelrose wieder ausbrechen. Andere Überlegungen gehen von einer direkten Schädigung des infizierten Gewebes durch SARS-CoV-2 aus. Und eine weitere Theorie nimmt ein autoimmunes Geschehen an, also ein verändertes Immunsystem, das nach der Infektion nicht nur das Virus, sondern auch körpereigene Strukturen angreift.

Häufig finden sich in Untersuchungsbefunden von Herz und Lunge keine organmorphologischen Korrelate, was die Diagnostik von Post-COVID nicht einfach macht [8]. Mediziner sprechen bei dieser Erkrankung daher von einer sogenannten Ausschlussdiagnose. Das heißt, dass sich auch in umfangreichen Untersuchungen kein Hinweis auf eine andere Erkrankung finden lässt. Diese Ausschlussdiagnostik ist in der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit andauernden Beschwerden nach COVID-19 ganz entscheidend. Denn dadurch, dass die Symptome so vielfältig und unspezifisch sind, kann sich manchmal auch eine behandelbare andere Erkrankung hinter den Symptomen verbergen. Dabei müssen insbesondere Warnsymptome wie plötzlicher Gewichtsverlust Anlass zu einer erweiterten Diagnostik sein [9].

Die dafür erforderliche Diagnostik kann überwiegend in den Hausarztpraxen durchgeführt werden oder es können von dort Patientinnen und Patienten gezielt zu anderen Spezialisten überwiesen werden, wenn das erforderlich ist. Auch schon vor der Pandemie waren Hausärztinnen und Hausärzte Experten für die Abklärung unspezifischer Beschwerden.

Symptombezogene Therapie und die Rolle der Apotheken

Aktuell laufen einige Studien, die eine spezifische Behandlung von Post-COVID untersuchen. Solange es eine kausale Therapie noch nicht gibt, muss die Behandlung symptombezogen erfolgen. Das ist seit Jahrhunderten auch die Domäne der Apothekerinnen und Apotheker. So zeigte eine Studie positive Effekte von Aroma-Ölen auf Fatigue [10]. Eine andere Form des Riechtrainings wird auch bei Geruchsstörungen nach COVID-19 und anderen Virusinfekten erfolgreich eingesetzt [11]. Bei Husten können Antitussiva helfen. Bei Müdigkeit und Leistungsschwäche werden oft pflanzliche Arzneien wie Ginseng eingesetzt. Sie zeigen in Studien zu chronischer Fatigue nur eine moderate Wirksamkeit und müssen für den Einsatz bei Post-COVID erst noch untersucht werden [12]. Betroffene mit Fatigue, die über eine Symptomverschlechterung nach körperlicher Anstrengung berichten, sollten ein individuell angepasstes Trainingskonzept erhalten und Überanstrengung vermeiden.

Eine vom Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung an der Uniklinik Tübingen durchgeführte internetbasierte Befragung wie auch Untersuchungen von anderen Arbeitsgruppen zeigen, dass Betroffene eine ganze Reihe an frei verkäuflichen Mitteln und (naturheilkundlichen) Therapien nutzen [13]. Betroffene tauschen sich in Selbsthilfe-Foren und anderen Social-Media-Kanälen zu vermeintlich wirksamen Medikamenten aus. Diese Form der Selbstmedikation birgt insbesondere bei gleichzeitiger Co-Medikation aufgrund parallel bestehender Symptome die Gefahr von Interaktionen, Polypharmazie oder inadäquater Dosierung. Hier ist eine professionelle Beratung durch Pharmazeutinnen und Pharmazeuten essenziell. Bei der Beratung sollte immer auch die Möglichkeit der parallelen Selbstbehandlung durch die Patientinnen und Patienten bedacht werden.

In Netzwerke integrieren

In vielen Regionen haben sich Versorgungsnetzwerke zur Behandlung von Betroffenen mit Post-COVID zusammengeschlossen [14]. Hier arbeiten Hausarztpraxen mit anderen Fachärztinnen und Fachärzten sowie mit Psychotherapie-, Ergotherapie- und Krankengymnastikpraxen zusammen. Auch Apotheken sollten in diese Netzwerke integriert werden, um Betroffenen mit ihren vielfältigen Symptomen zu helfen. Wichtig ist eine patientenzentrierte Kommunikation und, die Betroffenen in die Entscheidungsfindung über eine Therapie einzubeziehen (sog. shared decision making). Die WHO hat hierfür eine leicht verständliche Broschüre mit Verhaltensvorschlägen zu häufigen Beschwerden bei Post-­COVID herausgegeben („Empfehlungen zur Unterstützung einer selbstständigen Rehabilitation nach COVID-19-bedingter Erkrankung“) [15]. Und auch der Kontakt zu Selbsthilfegruppen kann für viele Betroffene eine hilfreiche Unterstützung sein.

In Reha-Einrichtungen kann in kürzerer Zeit ein komplexes Behandlungskonzept angeboten werden, wovon u. a. Betroffene mit Konzentrationsproblemen oder körperlicher Leistungsminderung profitieren. Viele Einrichtungen bieten bereits ein auf Post-COVID ausgerichtetes Programm an, mit guten Ergebnissen.

Prävention und Ausblick

Impfen schützt nicht nur gegen schwere Verläufe im Rahmen der akuten Infektion, sondern auch gegen langanhaltende Beschwerden. Das konnten inzwischen mehrere Arbeitsgruppen in ihren Studien zeigen [16]. Ganz aktuell ist dazu eine Veröffentlichung in Nature Medicine erschienen, die mit Daten aus elektronischen Gesundheitsakten eines großen Kollektivs von amerikanischen Veteranen zeigen konnte, dass das Risiko für Langzeitsymptome bei Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften um ein Viertel geringer ist. Das Risiko, in der Post-Akutphase zu versterben, war sogar um ein Drittel vermindert [17]. Aufgrund des retrospektiven Studiendesigns mit Routinedaten unterliegt die Studie allerdings entsprechenden Einschränkungen.

Der Stellenwert einer Impfung aus therapeutischer Überlegung bei Symptomen nach einer bereits stattgehabten Infektion ist momentan noch unklar. Studien beschreiben sowohl eine Verbesserung von Post-COVID als auch eine Verschlechterung von Beschwerden [18].

Trotz aller Maßnahmen gibt es Berichte über Patientinnen und Patienten, die auch ein Jahr nach der Infektion noch über Beschwerden klagen, wenngleich die Symptome mit der Zeit abnehmen [19]. In Anbetracht der momentan noch hohen Infektionszahlen muss sich unser Gesundheitssystem auf einen hohen Versorgungsbedarf Betroffener mit Langzeitsymptomen nach COVID-19 einstellen. Dieser Herausforderung kann nur mit einer starken Primärversorgung und interdisziplinären Zusammenarbeit begegnet werden. |
 

Literatur

 [1] World Health Organisation. A clinical case definition of post COVID-19 condition by a Delphi consensus. In; 2021

 [2] National Institute for Health and Care Research NIHR. Living with Covid19 – Second review. In; 2021

 [3] Förster C, Colombo MG, Wetzel A-J et al. Persisting Symptoms After COVID-19-Prevalence and Risk Factors in a Population-Based Cohort. Deutsches Arzteblatt International 2022.

 [4] Lopez-Leon S, Wegman-Ostrosky T, Perelman C et al. More than 50 long-term effects of COVID-19: a systematic review and meta-analysis. Scientific reports 2021;11:1-12

 [5] Pieh C, Budimir S, Delgadillo J et al. Mental health during COVID-19 lockdown in the United Kingdom. Psychosomatic medicine 2021;83:328-337

 [6] Matta J, Wiernik E, Robineau O et al. Association of Self-reported COVID-19 Infection and SARS-CoV-2 Serology Test Results With Persistent Physical Symptoms Among French Adults During the COVID-19 Pandemic. JAMA internal medicine 2022;182:19-25

 [7] Crook H, Raza S, Nowell J et al. Long covid – mechanisms, risk factors, and management. bmj 2021;374

 [8] Cassar MP, Tunnicliffe EM, Petousi N et al. Symptom Persistence Despite Improvement in Cardiopulmonary Health – Insights from longitudinal CMR, CPET and lung function testing post-COVID-19. EClinicalMedicine 2021;41:101159

 [9] Koczulla AR, Ankermann T, Behrends U et al. S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID. Pneumologie 2021;75:869-900

[10] Hawkins J, Hires C, Keenan L et al. Aromatherapy blend of thyme, orange, clove bud, and frankincense boosts energy levels in post-COVID-19 female patients: A randomized, double-blinded, placebo controlled clinical trial. Complementary Therapies in Medicine 2022;67:102823

[11] Whitcroft KL, Hummel T. Olfactory dysfunction in COVID-19: diagnosis and management. Jama 2020;323:2512-2514

[12] Teitelbaum J, Goudie S. An open-label, pilot trial of HRG80™ red ginseng in chronic fatigue syndrome, fibromyalgia, and post-viral fatigue. Pharmaceuticals 2021;15:43

[13] Brown K, Yahyouche A, Haroon S et al. Long-COVID and self-management. Lancet (London, England) 2022;399:355

[14] Long-Covid Netzwerk Rhein-Neckar.

[15] World Health Organisation. Empfehlungen zur Unterstützung einer selbstständigen Rehabilitation nach COVID-19-bedingter Erkrankung.

[16] Kuodi P, Gorelik Y, Zayyad H et al. Association between vaccination status and reported incidence of post-acute COVID-19 symptoms in Israel: a cross-sectional study of patients infected between March 2020 and November 2021. medRxiv 2022.

[17] Al-Aly Z, Bowe B, Xie Y. Long COVID after breakthrough SARS-CoV-2 infection. Nature Medicine 2022;1-7

[18] Agency UHS. The effectiveness of vaccination against long COVID A rapid evidence briefing. 2022.

[19] Seeßle J, Waterboer T, Hippchen T et al. Persistent symptoms in adult patients 1 year after coronavirus disease 2019 (COVID-19): a prospective cohort study. Clinical infectious diseases 2022;74:1191-1198

Autor

Dr. med. Christian Förster, Facharzt für Allgemeinmedizin und Innere Medizin. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung der Uniklinik Tübingen beschäftigt er sich in zahlreichen Forschungsprojekten mit Post-COVID-19.

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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