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Arzneimittel und Therapie
Sacituzumab Govitecan punktet bei dreifach-negativem Brustkrebs
G-BA bestätigt Hinweise auf beträchtlichen Zusatznutzen
Bei etwa 15% aller Brustkrebserkrankungen handelt es sich um ein triple-negatives Mammakarzinom. Es kommt verstärkt in jungem Alter sowie bei Hochrisikofamilien mit genetischer Disposition vor. Auf der Oberfläche der Tumorzellen werden weder Estrogen- oder Progesteron- noch Rezeptoren des humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors Typ 2 (HER2) exprimiert. Die Tumoren sprechen daher nicht auf antihormonelle Behandlungen oder Therapien mit HER2-Antikörpern an. Seit Jahren wurde daher eine geeignete Struktur gesucht, die einen zielgerichteten Angriff auf diese entarteten Zellen ermöglicht.
Eine Eigenschaft, die viele solide Tumoren verbindet, ist die Überexpression des Trophoblast-Oberflächen-Antigens-2 (Trop-2). Der IgG1κ-Antikörper-Anteil des seit Dezember 2021 neu verfügbaren Wirkstoffs Sacituzumab Govitecan ist gegen genau dieses Antigen Trop-2 gerichtet.
Antikörper spürt Tumorzellen auf
Nach dem hochspezifischen Andocken von Sacituzumab an Trop-2 wird das gesamte Antikörper-Wirkstoff-Konjugat gezielt in die Krebszellen internalisiert und der zytotoxische Anteil SN-38 (Govitecan) durch Hydrolyse des verbindenden Proteins freigesetzt. Als Topoisomerase-I-Inhibitor bewirkt SN-38, dass vom Enzym Topoisomerase I im Rahmen der Transkription selbst induzierte DNA-Einzelstrangbrüche nicht wieder verschlossen werden und letztlich bei den Tumorzellen eine Apoptose ausgelöst wird. Durch die Antikörper-gesteuerte, gezielte Zerstörung von Krebszellen ist es möglich, relativ geringe Mengen an zytotoxischer Substanz einzusetzen und so die gesunden Körperzellen zu schonen.
Einsatz als Monotherapeutikum
Sacituzumab Govitecan wird einmal pro Woche jeweils an Tag 1 und Tag 8 von 21-tägigen Behandlungszyklen in einer Dosis von 10 mg/kg Körpergewicht sehr langsam und unter Überwachung intravenös appliziert. Zur Vermeidung von Chemotherapie-induzierter Emesis ist eine Prämedikation aus Dexamethason mit einem 5-HT3-Rezeptorantagonisten oder einem Neurokinin-1-(NK-1)-Rezeptorantagonisten (z. B. Aprepitant) empfohlen. Infusionsbedingten Reaktionen kann mit der prophylaktischen Gabe von Antihistaminika oder Antipyretika sowie durch eine Reduktion der Infusionsgeschwindigkeit begegnet werden. In schwereren Fällen wird zu einer Unterbrechung der Applikation geraten. Falls es zu verstärkten Wirkstoff-assoziierten Nebenwirkungen kommt, ist eine Dosisreduktion um 25 bis 50% zu erwägen. Bei fortbestehender schwerer Toxizität muss die Antitumorbehandlung dauerhaft beendet werden. Zum Einsatz von Sacituzumab Govitecan bei mäßiger bis schwerer Leber- oder Niereninsuffizienz sowie bei PatientInnen über 75 Jahren liegen nur begrenzte Daten vor.
Problem Hämatotoxizität
Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat ist mit schweren Zytopenien assoziiert. Wenn die absolute Neutrophilenzahl an Tag 1 eines beliebigen Zyklus unter 1500/mm³ oder die Neutrophilenzahl an Tag 8 eines beliebigen Zyklus unter 1000/mm³ liegt, muss die folgende Anwendung bis zur Erholung verschoben werden. Die Gabe eines Granulozyten-Kolonie-stimulierenden Faktors ist möglicherweise hilfreich. Infektionserkrankungen, Übelkeit, schwere Diarrhöen, Hautreaktionen oder Anaphylaxien können ebenfalls therapielimitierend sein. Wenn es nach einer Applikation von Sacituzumab Govitecan zu überschießenden cholinergen Reaktionen mit abdominalen Krämpfen und übermäßigem Speichelfluss kommt, empfiehlt sich bei nachfolgenden Infusionen die Gabe von Anticholinergika wie Atropin.
Cave Interaktionen mit UGT1A1
Der zytotoxisch wirkende Anteil von Sacituzumab Govitecan wird maßgeblich durch das Enzym Uridindiphosphat-Glucuronosyltransferase 1A1 (UGT1A1) biotransformiert. Entsprechende Inhibitoren wie Propofol oder Azol-Antimykotika führen bei kombinierter Anwendung zu einer verstärkten Wirkung und Toxizität von SN-38. Dagegen reduzieren UGT1A1-Induktoren wie Carbamazepin, Phenytoin, Rifampicin oder Johanniskraut aufgrund einer beschleunigten Metabolisierung von SN-38 dessen Bioverfügbarkeit, sodass die Gefahr einer eingeschränkten Wirkung besteht. Bei bestimmten genetischen UGT1A1-Varianten ist die Enzymaktivität reduziert. Insbesondere bei homozygotem UGT1A1*28-Allel besteht ein erhöhtes Risiko für eine verstärkte Toxizität. Diese Genvariante kommt bei etwa 20% der dunkelhäutigen, 10% der weißhäutigen und 2% der ostasiatischen Bevölkerung vor. Aufgrund der zytotoxischen Komponente SN-38 muss mit Teratogenität und embryofetaler Letalität gerechnet werden. Sacituzumab Govitecan darf daher nur bei zwingendem Erfordernis in der Schwangerschaft angewendet werden. Auch vom Einsatz während der Stillzeit wird abgeraten.
Zulassungsstudie ASCENT
In der Phase-III-Studie ASCENT wurden 529 mTNBC-Patienten, Männer wie Frauen, mit Sacituzumab Govitecan oder alternativ mit Standardtherapeutika wie Vinorelbin, Capecitabine, oder Gemcitabin behandelt. Die mediane progressionsfreie Überlebenszeit in der Verum-Gruppe betrug 4,8 Monate und lag damit hochsignifikant über dem Wert von 1,7 Monaten im Vergleichs-Arm. Die mediane Gesamtüberlebenszeit war mit 11,8 vs. 6,9 Monaten unter Sacituzumab-Govitecan-Therapie ebenfalls nahezu doppelt so hoch wie nach Einsatz der Standardmedikationen (p < 0,0001). Auch konnten im Verum-Arm mit 31 vs. 4% signifikant bessere Ansprechraten erreicht werden. Allerdings kam es während der Behandlung mit Sacituzumab Govitecan häufiger zu schweren Nebenwirkungen als unter den herkömmlichen Therapeutika.
Positive Beurteilung durch G-BA
Obwohl durch die Behandlung mit Sacituzumab Govitecan letztlich nur wenige Lebensmonate gewonnen werden, fiel die Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss sehr positiv aus. Besonders berücksichtigt wurde der hohe therapeutische Bedarf, da die Prognose nach Vorbehandlung des metastasierten triple-negativen Mammakarzinoms mangels zielgerichteter Therapien bislang extrem schlecht war. Nach jahrzehntelangen Bemühungen stellt nun Sacituzumab Govitecan einen relevanten therapeutischen Fortschritt dar. In seinem Abschlussbericht vom Mai 2022 attestierte der G-BA einen Hinweis auf einen erheblichen Zusatznutzen bezüglich Morbidität und Mortalität. Von ebenfalls großer Relevanz für die Einschätzung war jedoch auch der beträchtliche Zusatznutzen hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität unter Sacituzumab-Govitecan-Therapie. Lediglich im Punkt Verträglichkeit zeigte sich das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat den Standardtherapeutika nicht überlegen. Die insgesamt gute Beurteilung des neuen Wirkstoffs durch den G-BA gibt somit den mTNBC-Patientinnen und -Patienten Anlass zur Hoffnung. Durch die zielgerichtete Medikation besteht für die tendenziell jungen Tumorpatienten eine Aussicht auf zusätzliche lebenswerte Monate. |
Literatur
[1] Fachinformation zu Trodelvy®, Stand November 2021
[2] EPAR summary for the public. Trodelvy® Sacituzumab Govitecan. EMA/598134/2021; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu
[3] Bardia A, Hurvitz SA, Tolaney SM, Loirat D et al. Sacituzumab govitecan in metastatic triple-negative breast cancer. N Engl J Med 2021;384(16):1529-1541
[4] Neubeck M, Mutschler E. DAZ-Beilage Neue Arzneimittel, 69. Jahrgang, Februar 2022
[5] Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Sacituzumab Govitecan (Mammakarzinom, triple-negativ, mind. 2 Vortherapien). Beschlussfassung: 19.05.2022
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