Arzneimittel und Therapie

Radioiod-Therapie nach Schilddrüsenentfernung auf dem Prüfstand

Verzicht auf nuklearmedizinische Karzinom-Nachbehandlung möglich

Die Schilddrüse ist ein Segen für unseren Hormonhaushalt, entwickelt sich manchmal aber auch zu einem Fluch. Allein in Deutschland erkranken jährlich etwa 2400 Patienten neu an Schilddrüsenkrebs (Struma maligna). Bei fast 90% handelt es sich um differenzierte Formen des Schilddrüsenkarzinoms. Je früher diese Form erkannt und operiert wird, umso besser ist die Prognose. In der Praxis werden Betroffene laut Leitlinie nach dem operativen Entfernen der Schilddrüse nuklearmedizinisch mit Radioiod weiterbehandelt. Die Notwendigkeit einer Radioiod-Therapie wird aber infrage gestellt.

Bei den meisten Schilddrüsenkrebs­arten handelt es sich um sogenannte differenzierte Formen. Die vier häufigsten Typen sind das papilläre, das follikuläre, das onkozytäre und das medulläre Schilddrüsenkarzinom. Von differenziert spricht man, wenn die entarteten Krebszellen noch eine gewisse Ähnlichkeit mit normalen Schilddrüsenzellen haben; also immer noch Iod aktiv aufnehmen können. Diese besondere Eigenschaft macht man sich bei der Therapie zunutze und verabreicht im Anschluss an die operative Entfernung des erkrankten Gewebes (Ablation) radioaktiv markiertes Iod (Iod-131). Ziel ist es, sowohl verbliebene Schilddrüsenreste oder vorhandene Metastasen zu entfernen als auch die persistierende Erkrankung zu behandeln. Beobachtungen aus internationalen Studien lassen vermuten, dass dieses Vorgehen mittlerweile jedoch kontrovers zu disku­tieren ist. Birgt eine Behandlung mit ­Radioiod wirklich die gewünschten Vorteile für Patienten mit Schilddrüsenkrebs, deren Risiko als gering ­eingestuft wird?

Foto: Frimufilms/AdobeStock

Dieser Frage ist eine Forschergruppe aus Frankreich nachgegangen. Die Daten einer prospektiven, randomisierten Phase-III-Studie wurden kürzlich im renommierten New England Journal of Medicine publiziert. In der Studie wurden 730 erwachsene Patienten (Ø 52 Jahre, 83% weiblich), die sich einer Thyreoidektomie unterzogen hatten, randomisiert auf zwei Studiengruppen verteilt. In etwa 96% der Fälle handelte es sich bei der Krebserkrankung um das papilläre Schilddrüsenkarzinom. Gruppe 1 (n = 363) erhielt postoperativ Radioiod nach Injektion von rekombinantem humanem Thyreotropin (Radioiod-Gruppe). Gruppe 2 (n = 367) erhielt keine postoperative Radioiodverabreichung (Nicht-Radioiodgruppe).

Mit Iod-131 zum programmierten Zelltod

Bei der Radioiod-Therapie wird die Schilddrüse lokal durch den Zerfall ­radioaktiver Iod-Moleküle bestrahlt. Man verwendet dabei das Iod-Isotop 131, das zu den Beta- und Gammastrahlern gehört (Halbwertszeit ca. acht Tage). Verabreicht wird es meist als Natriumiodid p. o. in Kapselform oder als Lösung. Der Trick dabei ist, dass die Schilddrüse Iod aktiv aus dem Blutkreislauf aufnimmt. Dort angelangt, wirkt das radioaktive Iod-131 und schickt die entarteten Schilddrüsenzellen in den programmierten Zelltod. Angewendet wird dieses nuklearmedizinische Verfahren im Anschluss an eine Thyreoid­ektomie bei differenziertem Schilddrüsenkrebs, bei benignen Knoten (Schilddrüsenadenomen) sowie bei entzündlichen Autoimmunerkrankungen wie Morbus Basedow. Damit bei der postoperativen Behandlung der Schilddrüsenkrebspatienten das restliche Gewebe möglichst viel Iod aufnimmt, wird zuvor der TSH-Spiegel bei den Patienten angehoben. Dies geschah früher durch Steigerung der körpereigenen TSH-Sekretion, indem man die L-Thyroxin-Tabletten Wochen vorher absetzte. Mittlerweile kann rekombinantes Thyreotropin (TSH) i. m. verabreicht werden.

Reicht Nachbeobachtungszeit?

Ziel der Studie war es festzustellen, ob sich zwischen den Gruppen nach drei Jahren (2013 bis 2017) ein Unterschied in der Entstehung von funktionellen, strukturellen und/oder biologischen Anomalien zeigt. Bei den 730 Patienten lag in der Gruppe ohne RadioiodTherapie (Gruppe 2) der Prozentsatz der Patienten ohne ein solches Ereignis bei 95,6% (95%-Konfidenzintervall [KI]: 93,0 bis 97,5) und bei 95,9% (95%-KI: 93,3 bis 97,7) in der Gruppe mit Radioiod-Therapie. Dies entspricht einer Differenz von gerade mal -0,3 Prozentpunkten. Ein Ergebnis, das deutlich zeigt, dass bei Schilddrüsenkrebspatienten mit geringem Rezidivrisiko drei Jahre nach der Thyreoid­ek­tomie eine Therapie mit radioaktivem Iod keinen Vorteil bringt. Bevor nun aber die postoperative Radioiod-Therapie aus der klinischen Praxis verschwindet, muss bedacht werden, dass die Beobachtungszeit dieser französischen Studie mit drei Jahren als recht kurz angesehen werden sollte. Denn in vorherigen Studien mit ähnlicher Patientenpopulation traten Rezidive innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Thyreoidektomie auf. Diesem Ansatz sollte weiter nachgegangen werden, da ein Wegfall der postoperativen Radioiod-Therapie die Lebensqualität der Patienten deutlich steigern könnte. Die Radioiod-Therapie muss stationär über mindestens 48 Stunden erfolgen, da die Strahlung des Iods potenziell schädlich für andere Personen sein kann. Ein geringer Anteil an austretender Gammastrahlung, welche eine deutlich höhere Reichweite als Betastrahlung aufweist, kann während der Behandlung nicht ausgeschlossen werden. |

Literatur

Leboulleux et al. Thryoidectomy without Radioiodine in Patients with Low-Risk Tyroid Cancer, New England Journal of Medicine 2022;386:923-932, DOI: 10.1056/NEJMoa2111953

Apothekerin Dorothée Malonga Makosi, MPH

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